Fall Amad A.: Manipulationen an Protokoll und Daten

Manipulationen an einem beweisrelevanten Protokoll und die klammheimliche Löschung von Daten schüren weitere Zweifel an der offiziellen Erklärung im Fall Amad A.
Lesedauer: Ca. 10 Minuten

Wenn angebliche Beweise sich als untauglich und manipuliert herausstellen

In diesem Beitrag geht es um Manipulationen an einem Datenbankprotokoll: Dies wurde gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Beweis vorgelegt für die offizielle Lesart von einem Kreuztreffer, der bei einer Datenerfassungskraft angezeigt worden sein soll und sie zur Zusammenführung des Datensatzes von Amed A. mit dem eines Amedy G. geführt haben soll. Doch genau dies lässt sich durch den vorgelegten Protokollauszug nicht beweisen. Denn darin FEHLEN Einträge und zwar just für DIE fünf Tage, in denen diese Datensatzzusammenführung geschehen sein soll und zwei Tage später die Inhaftierung von Amad A. erfolgt ist.

Doch damit nicht genug: Aus einem späteren Teil des Protokolls ergibt sich, dass Daten, mutmaßlich solche des Amedy G., die unter immer noch nicht ganz aufgeklärten Umständen in den Datensatz des Amad A. hineingemischt worden waren, aus dem Datensatz von Amad A. gelöscht wurden. Offensichtlich weil man erkannt hatte, dass diese Daten dort nicht hineingehören. Was die Frage aufwirft: Warum hat man nicht spätestens zu diesem Zeitpunkt – vier Wochen VOR dem Zellenbrand – dafür gesorgt, dass der unrechtmäßig inhaftierte Amad A. wieder auf freien Fuß gesetzt wird? Denn wenn man dies getan hätte: Könnte Amad A. dann noch leben?

Zur Vorgeschichte, dem Fall des in Folge eines Zellenbrandes in der JVA Kleve verstorbenen Syrers Amad A.

Im Sommer 2018 wurde in Nordrhein-Westfalen der Syrer Amad A. verhaftet auf der Grundlage zweier Haftbefehle, die auf einen Amedy G. ausgestellt waren. Diese Verhaftung geschah rechtswidrig, denn mit einem richterlichen Haftbefehl für eine Person G darf nicht eine andere Person A inhaftiert werden. Zehn Wochen später befand sich Amad A. immer noch in Haft in der JVA Kleve. Dort kam es am 17.09.2018 zu einem Brand in seiner Zelle, an dessen Folgen Amad A. am 28.09.2018 verstarb. Mit Amedy G., dem Mann mit den Haftbefehlen, hatte Amad A. zu Lebzeiten keinerlei Berührung. Amedy G., spielte auch für die polizeiliche Sachbearbeitung in NRW keine Rolle. Nach wie vor ist nicht restlos geklärt, was einzelne Beamte vor und in Durchführung der Inhaftierung dazu veranlasste anzunehmen, dass die beiden Personen identisch seien.

Ermittlungsverfahren gegen mehrere Polizeivollzugsbeamte wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung wurden im Herbst 2019 eingestellt, wogegen die Anwälte der Eltern von Amad A. Beschwerde einlegten. Darüber wurde noch nicht entschieden. Im Auftrag der Anwälte habe ich seit mehreren Monaten digitale Spuren und Akten in diesem Fall ausgewertet. Deren Ergebnis führte im Dezember 2020 zu einer weiteren Strafanzeige der Anwälte wegen möglicher Urkundenunterdrückung, Strafvereitelung im Amt und Datenveränderung.

Mit diesem und weiteren Artikeln möchte ich – mit dem Einverständnis der Anwälte und der Eltern von Amad A. – etwas mehr Klarheit bringen in ein komplexes, im Kern dann aber doch einfaches Geschehen: Das deutlich macht, dass es in diesem Fall möglich war, einem insofern unschuldigen Menschen Amad A. im Datensystem ein ‚Lastenpäckchen‘ in Form von vollstreckbaren Haftbefehlen zuzuordnen, die einen ganz anderen Menschen betrafen.

Dieses Know-How über Protokollierung erleichtert das Verständnis …

Protokolle in ViVA

In polizeilichen Informationssystemen werden Protokolle geführt über die Aktivitäten, die Benutzer an bzw. mit Daten ausüben. Dies galt im fraglichen Zeitraum – Sommer 2018 – auch für ViVA. Das ist das in NRW seit 2017 neu eingeführte INPOL-Land-System, kombiniert mit einer Vorgangsbearbeitungskomponente.

Diese Protokolle werden automatisch in der Datenbank aufgezeichnet. Der einzelne Benutzer hat keine Möglichkeit, die Tatsache der Protokollierung oder deren Umfang zu beeinflussen. „Normale“ Benutzer haben auch keine Möglichkeit, Einblick in diese Protokolle zu nehmen. Die Auswertung dieser Protokoll-Datenbank ist Aufgabe (mindestens) eines Mitarbeiters aus einem Sachgebiet im LZPD.

Veränderungs- und Abfrageprotokolle

Im Verfahren Amad A. spielten zwei Protokolle eine Rolle:

  • Das Veränderungsprotokoll des Datensatzes von Amad A.: Dort wurden sämtliche Veränderungen am ViVA-Datensatz von Amad A. aufgezeichnet seit dem Zeitpunkt der Anlage dieses Datensatzes in ViVA im Herbst 2017 bis zum Tag seines Todes am 28.09.2018.
  • Abfrageprotokolle: Dabei handelt es sich um Selektionen aus sämtlichen Abfragen in der ViVA-Datenbank, z.B. nach bestimmten Zeitperioden, dem Ergebnis nach einer Abfrage und/oder bestimmten Benutzern, die eine Abfrage mit bestimmten Suchkriterien getätigt haben. Solche Suchkriterien waren insbesondere ein oder mehrere Namensbestandteile, die vom jeweiligen Benutzer dem Amad A. zugeschrieben wurden.

Inhalte eines Protokolleintrags aus dem Veränderungsprotokoll

Im Veränderungsprotokoll eines Datensatzes, hier des Datensatzes von Amad A., wird pro Veränderungsereignis eine Zeile geschrieben. Ein solches Ereignis ist z.B., wenn ein Objekt angelegt oder gelöscht wird, oder wenn ein einzelner Datenwert („Attribut“ genannt) angelegt, verändert oder gelöscht wird.

Ein einzelner Protokolleintrag besteht aus einem Datums- und sekundengenauen Zeitstempel, gefolgt von einer Gruppe von Einträgen zur Identifikation des Benutzers, der das Ereignis veranlasst, gefolgt von einer Gruppe von Einträgen zur Identifikation des entsprechenden Datensatzes und dies gefolgt von Einträgen, die genau bezeichnen, welches einzelne Datum (z.B. ein Familienname) in welcher Datengruppe (z.B. einer A-Gruppe) wie verändert wurde (neu angelegt, verändert / gelöscht) und bei Neuanlage und Veränderung mit welchem neuen Datenwert (z.B. „Ahmed“ für den Familiennamen“) dieses Attribut versorgt wird.

Automatische Nummerierung der Protokolleinträge macht Prüfung auf Vollständigkeit möglich

Veränderungen, die ein einzelner Benutzer vornimmt, können eine Vielzahl (z.B. bis zu mehr als hundert) von solchen Protokolleinträgen auslösen, z.B., wenn ein Datensatz für eine Person neu angelegt wird oder wenn eine umfassende erkennungsdienstliche Behandlung (ED-Behandlung) erfasst wird. Aus diesem Grund wird eine solche Aktion, die aus vielen Einzelschritten besteht, in der Protokolldatenbank in einzelne Transaktionsabschnitte unterteilt. Jeder dieser Abschnitte wird eingeleitet von einer Nummer, genannt „fsAktualisierungsnummer“, die über die gesamte Lebensdauer des Datensatzes einer Person (hier also Amad A.) automatisch fortlaufend hochgezählt wird.

Jedes einzelne Veränderungsereignis innerhalb eines solchen Transaktion wird seinerseits fortlaufend nummeriert. Bis dann mit einer neuen fsAktualisierungsnummer eine neue Transaktionsgruppe beginnt.

Inhalte eines Protokolleintrags aus einem ABFRAGEprotokoll

Der Vollständigkeit halber sei auch noch die Struktur des Abfrageprotokolls erklärt, auch wenn sie, zumindest für die hier thematisierten Auffälligkeiten am Veränderungsprotokoll, keine Rolle spielt.

Der Eintrag in einer Zeile in einem Abfrageprotokoll besteht wiederum aus einem Datums- und sekundengenauen Zeitstempel gefolgt von einer Gruppe von Einträgen zur Identifikation des Abfragenden Benutzers, gefolgt von den Suchkriterien, die der Benutzer für seine Suche verwendet hat (ein bestimmter Familienname und ein bestimmtes Geburtsdatum und ähnliches), gefolgt von der Angabe, in welchem Informationssystem diese Suche durchgeführt wurde (z.B. ViVA, AZR, INPOL, SIS usw.) und Angaben die der Benutzer über den konkreten Grund für seine Abfrage gemacht hat. Diese letzteren Angaben sind in der Regel sehr allgemein gehalten (z.B. „Vorgangsbearbeitung“ oder „Gefahrenabwehr“).

Wie entstanden und wer erstellte Auszüge aus den Protokolldatenbanken

Zugriff auf diese Protokolldatenbanken hatten im Fall Amad A. Mitarbeiter eines Sachgebiets im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD). Darunter insbesondere ein LZPD-Mitarbeiter, der im LZPD-Analysebericht als „Auswerter Protokolldatenbank ViVA“ bezeichnet wird und gleichzeitig auch federführender Autor dieses Analyseberichts ist.

Um die Inhalte aus dem Veränderungs- bzw. Abfrageprotokoll für Dritte nutzbar zu machen, die keinen direkten Zugriff auf die Protokolldatenbanken haben, wurden beim LZPD Auszüge aus der jeweiligen Protokolldatenbank erstellt. Das Ergebnis liegt vor in Form von Excel-Listen mit der oben beschriebenen Struktur.

Vorlage eines unvollständigen Veränderungsprotokolls

Im Rahmen der polizei-internen Ermittlungen nach dem Tod von Amad A. erhielt ein Mitarbeiter des LKA per Email vom 02.11.2018 eine Excel-Liste mit dem Veränderungsprotokoll des ViVA-Datensatzes von Amad A. Ein Ausdruck dieser Liste als Anlage dieses Emails liegt auch dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor.

Der Ausdruck beginnt mit der fsAktualisierungsnummer 1 am Tag der Anlage dieses Datensatzes am 20.10.2017 und endet mit einer fsAktualisierungsnummer 34 am Todestag von Amad A., dem 28.09.2018. Insgesamt umfasst der Ausdruck über 600 Einträge.

Die Erklärung des LZPD zur Vorgeschichte der Inhaftierung

Eine schriftliche Erklärung des LZPD, wie es zur Zusammenführung der Datensätze des Amad A. und des Amedy G., gekommen sein soll, liegt vor mit dem „LZPD-Analysebericht“ vom 23.04.2019. Daran fällt auf,

  1. wie spät diese Erklärung auf den Tisch kam. Denn schon seit Oktober 2018 hatte das Polizeipräsidium Krefeld – dort wurden nach dem Tod von Amad A. polizeiintern die Ermittlungen geführt – immer wieder Fragen zum technischen Hintergrund dieser „Datensatzzusammenführung“ an das LZPD gestellt, aber darauf nur zögerlich Antworten erhalten.
  2. dass die dort präsentierte Erklärung neu ist. In den zuvor diskutierten internen Ermittlungen der anderen Behörden, war diese These vom angezeigten Kreuztreffer und der anschließenden Datensatzzusammenführung bei der Angestellten in Siegen bis dahin nicht vorgekommen.

Die Erklärung des LZPD über die Datensatzzusammenführung

Diese Erklärung des LZPD besagt, dass eine angestellte Datenerfassungskraft in der KPB Siegen-Wittgenstein – dort wurde die Kriminalakte von Amad A. geführt – am 4.7.2018, kurz nach Mittag, aufgrund eines ihr angeblich angezeigten Kreuztreffers zwischen dem Amedy G. und dem Amad A. den Datensatz des Amedy G. in den Datensatz des Amad A. überführt haben soll.

Am 6.7.2018 wurden Polizeivollzugsbeamte an einem Baggersee in Geldern von jungen Frauen zu Hilfe gerufen. Die fühlten sich von Amad A. und dessen sexuellen Anzüglichkeiten beleidigt. Bei der Identitätsüberprüfung soll bei den Beamten der Eindruck entstanden sein, als seien Amad A. und Amedy G. ein- und dieselbe Person, weil ihnen ein entsprechender „zusammengeführter“ Datensatz angezeigt worden sei. Dies habe zur Inhaftierung von Amad A. auf der Grundlage von Haftbefehlen geführt, die auf den Amedy G. ausgestellt waren.

Eine Kopie / ein vollständiger Ausdruck des „zusammengeführten“ Datensatzes fehlt

Von diesem Datensatz in der Fassung vom 4.7.2018 abends fand sich in den Unterlagen kein vollständiger Ausdruck oder ähnlicher Beleg. Ein unvollständiger Ausdruck wurde an das LKA Hamburg geschickt mit der Bitte um Übersendung der Haftbefehle für den Amedy G. In diesem Ausdruck von 14 Seiten fehlen die ersten drei Seiten: Somit ist darauf kein einziger Name, keine Personalie wiedergegeben, die belegen würde, auf wen sich dieser Ausdruck eigentlich bezieht. Dennoch übersandte Hamburg die Haftbefehle für den Amedy G. Auf den Folgeseiten dieses Ausdruckes sind drei Personenbeschreibungen wiedergegeben, die inhaltlich so widersprüchlich sind, dass schon beim Überfliegen auffällt, dass die hier beschriebene Person wohl kaum gleichzeitig „hellhäutig“ UND „schwarzhäutig“ sein kann und auch nicht gleichzeitig „afrikanisch“ UND „westasiatisch“.

Zurückgestellt sei zunächst auch eine nähere Überprüfung der These vom angezeigten Kreuztreffer NUR bei der Datenerfassungskraft. Und die Tatsache, dass diese Angestellte nicht die Kenntnisse hatte, wie man eine solche Zusammenführung bewerkstelligt und dies auch nicht durfte. Und dass es auch keine Erklärung dafür gibt, ob dafür an ihrem Arbeitsplatz überhaupt eine Softwarefunktion zur Verfügung stand.

Im Veränderungsprotokoll fehlen im fraglichen Zeitraum unbekannt viele Einträge

Hier soll es vorrangig um die Frage gehen, ob denn im Veränderungsprotokoll des ViVA-Datensatzes von Amad A. diese Datensatzzusammenführung nachgewiesen ist. Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein!

Für diese These fand sich kein Beweis im vorgelegten Veränderungsprotokoll des Datensatzes: Am 4.7.2018 zeigt der Ausdruck überhaupt nur acht Einträge. Alle acht sind verbunden mit den Identifikationsdaten der Datenerfasserin. Die dort ausgewiesenen Veränderungsaktivitäten betreffen Datenpflege-Einträge, wie z.B. ein verlängertes Datum zur Prüfung, ob dieser Datensatz gelöscht werden muss. Es finden sich jedoch keinerlei Einträge, aus denen sich ergäbe, dass in den Datensatz von Amad A. umfangreiche Daten des Amedy G. überführt worden wären: Nämlich dessen Führungs- und 11 Aliaspersonalien, mehrere ED-Behandlungen und dazugehörige Personenbeschreibungen, die vier dem Amedy G. zugeordneten Fahndungsausschreibungen.

An dem vorliegenden Auszug fällt jedoch auf, dass dort Einträge FEHLEN, die im eigentlichen Protokoll vorhanden sein müssten. Denn die fsAktualisierungsnummern sind nicht lückenlos. Vielmehr fehlen zur Zeit der angeblichen Datensatzzusammenführung durch die Angestellte um 12:08 Uhr
– Alle einzelnen Transaktionsschritte zur fsAktualisierungsnummer 15,
– Die fsAktualisierungsnummer 16 und alle dazu gehörenden Einzeltransaktionen,
– Ob die Einzeltransaktionen zur vorhandenen fsAktualisierungsnummer 17 im Auszug vollständig wiedergegeben sind, kann nicht gesagt werden.

Im Ausdruck der Excel-Liste, die der LZPD-Auswerter am 2.11. an das LKA übersandt hatte, folgt als nächster Eintrag der mit der fsAktualisierungsnummer 19 am Montag, dem 09.07.2018 um 08:50. D.h. auch die Transaktion mit der fsAktualisierungsnummer 18, die irgendwann zwischen 4.7.2018 um 12:08 Uhr und Montag, dem 09.07.2018 um 08:50 protokolliert worden sein muss, fehlt im vorliegenden Protokollauszug komplett.

Wie es zu den Lücken im Veränderungsprotokoll gekommen sein kann

Zur Entstehung dieser Lücken im vorliegenden Protokollauszug sind zwei Möglichkeiten denkbar: Sie sind entweder schon in der Excel-Liste vorhanden, die dem LKA am 2.11.2018 per Email vom LZPD übersandt wurden. Oder sie entstanden erst vor dem Ausdruck dieser Excel-Liste im LKA.

Ein kleiner, aber wesentlicher Auszug wurde auch der Staatsanwaltschaft vorgelegt

Ein kleiner Ausschnitt aus diesem Protokollauszug, betreffend den 04.07.2018, ist auch in dem LZPD-Analysebericht vom 23.04.2018 abgedruckt. Die entsprechende Seite lag den Anwälten, als Auszug aus der StA-Akte, lange Zeit nur in einer unleserlichen Fassung vor. Erst seit Anfang November 2020 liegt vom relevanten Protokollauszug eine besser lesbare Fassung vor. Auch dieser Ausschnitt zeigt das gleiche Bild aus dem Protokollauszug vom 04.07.2018, also mit lediglich acht (inhaltlich irrelevanten) von Datenpflege-Eingaben der Angestellten, ohne jeglichen Hinweis auf die angebliche Zusammenführung des Datensatzes von Amedy G. mit dem Datensatz von Amad A. Von daher liegt die Vermutung nahe, dass die Ursache für die Unvollständigkeit des Protokollauszugs beim LZPD zu suchen ist.

Löschung von Daten aus dem Amad-Datensatz durch LZPD-Mitarbeiter

Aus dem Ausdruck des Veränderungsprotokolls, welches das LKA mit Email vom 02.11.2018 vom LZPD erhalten hatte, ergibt sich eine weitere Manipulation: Diesmal ist jedoch nicht das Veränderungsprotokoll betroffen, sondern direkt der ViVA-Datensatz von Amad A.:

Am 21.08.2018 wurde von einer LZPD-Mitarbeiterin ausweislich des Veränderungsprotokolls vier Personenfahndungsnotierungen gelöscht. Am 23.08.2018 wurden von einer anderen Mitarbeiterin zwölf Personalien-„Objekte“ und zwei ‚zusätzliche Personendaten‘-Objekte gelöscht.

Die Einträge in den Spalten, aus denen sich schließen ließe, um welche Objekte im Einzelnen es hier ging, sind ebenfalls gelöscht. Dies ist ein Indiz dafür, dass auch diese Protokolleinträge für die Löschoperationen nachträglich manuell in dem Auszug bearbeitet wurden. Der Typ und die jeweilige Zahl der jetzt gelöschten Objekte entspricht jedoch dem Typ und der Anzahl der Datengruppen / Objekten, die auch im Datensatz des Amedy G. am 4.7.2018 vorhanden waren: nämlich 4 Fahndungsnotierungen und 12 + 2 Personalien / Personen-Datengruppen.

Protokolleinträge über die ANLAGE dieser Objekte / Datengruppen fehlen im Veränderungsprotokoll

Die weitere Auswertung des vorliegenden Auszugs aus dem Veränderungsprotokoll ergab, dass dort keine Transaktionen protokolliert sind, die nachweisen würden, dass irgendwann zuvor im Datensatz von Amad A. 4 Fahndungsnotierungen und 12 + 2 solcher Personalien bzw. Personendatenobjekte ANGELEGT worden waren. Das lässt logisch nur den Schluss zu, dass diese Objekte in einem Zeitraum in diesem Datensatz entstanden, für den Protokolleinträge im vorliegenden Protokollauszug fehlen. Dies trifft, wie oben bereits ausgeführt, auf den Zeitraum zwischen dem 04.07.2018, 12:08 Uhr und dem Montag, 09.07.2018 08:50 Uhr zu.

Hinweis auf eine am 4.7.2018 entstandene A-Datengruppe mit der Personalie von Amedy G.

Das LZPD führt in seinem Analysebericht aus, dass im August eine A-Datengruppe aufgefallen sei, die am 4.7.2018 entstand. Dies ergebe sich aus einem periodischen Abgleich zwischen den Datenbeständen von INPOL-Zentral und INPOL-Land-NRW = ViVA. Ein solcher Abgleich findet monatlich zur Monatsmitte statt und weist u.a. Datengruppen aus, die zwar im Landessystem/ViVA, nicht aber in INPOL-Zentral enthalten sind. Bei dem Abgleich für den Monat Juli habe sich ergeben, schreibt das LZPD, dass am 4.7.2018 eine A-Datengruppe mit Personendaten von Amedy G. entstanden war, die nicht in INPOL-Zentral enthalten war. Die weitere Untersuchung nach der Entstehungsursache für diese Datengruppe ist nicht ausgeführt. Die Löschung der 4 Fahndungsnotierungen und 12 + 2 Personen Objekte im Datensatz von Amad A. lässt jedoch darauf schließen, dass sich für das LZPD ein entsprechender Zusammenhang darstellte zwischen dem Datensatz von Amad A. und dem von Amedy G.

Mit der Löschoperationen sollte anscheinend der Datensatz von Amad A. wieder in einen Zustand gebracht werden, der dem Zustand am 04.07.2018 morgens entsprach.

Eine Erwähnung dieser Löschoperationen findet sich im LZPD-Analysebericht nicht. Auch Ausführungen dazu, warum ein entsprechender „Datenfehler“ nicht auch in der Wirklichkeit korrigiert wurde und der zu Unrecht inhaftierte Amad A. zeitnah im August 2018 aus der Haft entlassen wurde, ergeben sich aus dem LZPD-Bericht nicht. Amad A. blieb über den 23.8.2018 hinaus weiterhin in Haft. An den Folgen des Brandes in seiner Zelle am 17.09.2018 starb er am 28.09.2018.

Das Landeskriminalamt NRW hat seine Ermittlungserkenntnisse in zwei Dokumenten zusammengefasst, nämlich dem Ergebnisbericht an das Polizeipräsidium Krefeld vom 25.04.2019 und einem ‚Ergebnis der Auswertung ergänzender Unterlagen‘ an die Staatsanwaltschaft vom 10.03.2020. In beiden Dokumenten sind die hier beschriebenen Auffälligkeiten in dem zu Beweiszwecken vorgelegten Auszug des Veränderungsprotokolls nicht erwähnt. Ob sie beim LKA NRW bemerkt worden waren, ist hier nicht bekannt. Die Tatsache an sich erschüttert allerdings die Aussage des LKA vom März 2020, dass das LZPD habe nachweisen können, dass die Personendatensätze des Amad A. und des Amedy G. am 4.7.2018 um 12:08 Uhr in ViVA zusammengeführt wurden. Dieser Nachweis liegt bisher nicht vor.

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