Polizeilicher Informationsaustausch nur „zu Fuß“

Die Zeiten stehen schlecht für Bundesinnenminister de Maizière. Terroristische Anschläge in Frankreich und Belgien, eine große Zahl von nicht bearbeiteten Anträgen von Asylbewerbern und jetzt auch noch eine Polizeiliche Kriminalstatistik, die sehr deutlich macht, dass die Polizei schon lange aufgegeben hat, sich effektiv um die Aufklärung des einzelnen Wohnungseinbruchs zu kümmern.

Typisch für de Maizière ist es, in einer solchen Situation zur Attacke überzugehen: Die Devise „Ran an die Datentöpfe“ [1] gab er Stunden nach den Anschlägen von Brüssel aus, verbesserten Informationsaustausch mit ausländischen Polizeibehörden in Süd- und Osteuropa (sic!) sieht er als probates Heilmittel zur Eindämmung von Einbruchsserien, die (auch) von ausländischen Tätergruppierungen begangen werden.

„Gut gebrüllt, Löwe!“ Doch mehr als Ablenkung vom tatsächlichen Problem kann er mit diesem Budenzauber nicht erreichen. Und eines der zentralen Probleme der deutschen Polizeiorganisation besteht darin, dass ein effektiver und zeitnaher „elektronischer“ Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden der Länder und des Bundes nicht einmal ansatzweise funktioniert. Ein Sachverhalt, für den der Bundesinnenminister und das von ihm verantwortete Bundeskriminalamt in erheblicher Weise mit-verantwortlich sind.

Antworten der Bundesregierung zur Funktionsweise des Informationsaustausches zwischen Polizeibehörden in Deutschland

Dass auf dem Gebiet des polizeilichen Informationsaustausches zwischen Bund und Ländern so gut wie nichts funktioniert, ist für die Leser dieses Blogs nicht neu. Dass es sich dabei um Tatsachen handelt, bestätigt jüngst und in sehr eindrucksvoller Weise eine detaillierte Kleine Anfrage der Linksfraktion, zu der uns die – leider wesentlich weniger ausführliche – Antwort der Bundesregierung vorliegt (DBT-Drucksache 18/8533).

Beispiel Terroristische Ermittlungen und die GED – Gemeinsame Ermittlungsdatei „Zwischenlösung“

Polizeiliche Ermittlungen von Straftaten, wie auch die Abwehr von Gefahren, ist an sich Sache der Polizeibehörden der Länder. Es sei denn, es handelt sich

  • um Aufgaben der Strafverfolgung in ganz bestimmten Fällen, wie Waffenhandel, Drogen- oder Falschgeldkriminalität, die eigens in §4 des BKA- Gesetzes geregelt sind oder
  • um die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus nach §4a BKAG.

In diesen Fällen kann das BKA als „Herr des Verfahrens“ von Polizeibehörden der Länder weisungsgebunden Mitarbeit verlangen [2]. Es steht dem BKA in diesen Fällen auch frei zu bestimmen, welches Informationssystem für solche Fallbearbeitung genutzt wird. Und so kam es, dass das Bundesinnenministerium nach der Aufregung um die überraschende Entdeckung des NSU-Trios im November 2011 die Gunst der Stunde nutzte und die vereinten Innenminister der Länder davon überzeugen konnte, dass ganz schnell und ad hoc ein eigenes Informationssystem für diese Zwecke angeschafft werden muss. Es erhielt den Namen „Gemeinsame Ermittlungsdatei „Zwischenlösung“ (GED). Der Einfachheit halber beschaffte man Lizenzen des Fallbearbeitungssystems, das im BKA ohnehin schon in Gebrauch war. Man hielt sich auch nicht lange auf mit Markterkundungen oder ähnlichen Lästigkeiten des Vergaberechts, sondern beauftragte freihändig den Haus- und Hoflieferanten des BMI für solche Systeme, die Firma Rola Security Solutions GmbH.

Anschaffungs- und Wartungskosten: 2,3 Mio Euro; bisher einmal genutzt

Aus der Antwort der Bundesregierung zu diesem Systemkomplex erfährt man nun, dass diese Gemeinsame Ermittlungsdatei seither genau einmal verwendet wurde und zwar in einem vom BKA geführten Ermittlungsverfahren aus dem Bereich PMK-Rechts. Die Kosten dafür waren gesalzen: Insgesamt kostete das System rund 2,3 Millionen Euro, davon entfielen auf Hardware und Systemsoftware und deren Wartung rund 623.000 Millionen Euro und der Rest von rund 1,67 Millionen Euro landete bei der Firma Rola.

Sehr sicheres System! Hat keine Input-Schnittstelle

Dumm an dieser Systemlösung ist die Tatsache, dass die Bundesländer zwar zur Mitarbeit in solchen Fällen verpflichtet werden können, das GED-System des BKA jedoch keine Schnittstelle aufweist, über die die Länder elektronisch Informationen anliefern könnten. Stattdessen wurden Terminals (sic!) angeschafft und an die Länder verteilt, über die nun im Bedarfsfall Informationen eingetippt und so an das BKA geschickt werden können.

Terminals für die manuelle Datenerfassung – freuen die Länder

Die Länder freut ein solches fortschrittliches Vorgehen ungemein: Denn die Informationen, um die es geht, sind im landeseigenen Fall- oder Vorgangsbearbeitungssystem bereits vorhanden. Sie müssen also dort zunächst einmal recherchiert und aufbereitet werden, dann fertigt man vermutlich einen Ausdruck an, und macht sich, bewaffnet mit diesem Papier, auf den Weg in den Keller zum dort installierten GED-Terminal, um die Daten dort erneut einzutippen und an das BKA zu schicken. Immerhin drei Länder, nämlich Sachsen, Bayern und Rheinland-Pfalz, haben sich in dem einen bisher aufgerufenen GED-relevanten Ermittlungsfall auf dieses Erfassungsverfahren eingelassen. Interessant wäre die Frage, ob es nicht auch aus Hessen, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen Anhalt oder Nordrhein-Westfalen (oder anderen Ländern mit PMK-rechts Auffälligkeiten) für dieses Ermittlungsverfahren relevante Informationen gegeben hat, bzw. wie relevante Informationen aus den sonstigen dreizehn Bundesländern beim BKA angeliefert wurden. Gar nicht vermutlich! Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum sich deutsche Polizeibehörden mit Erkenntnissen zu Straftaten aus dem Rechtsextremismus so schwer tun.

Beispiel BAO-Lagefall

Eine BAO = Besondere Aufbauorganisation wird in Polizeibehörden eingerichtet, wenn es die besondere Sachlage erfordert. Terroristische Anschläge, wie die in Paris oder Brüssel oder auch Katastrophenfälle, wie Eisenbahn- oder Flugzeugunfälle sind klassische Beispiele für solche BAO-Lagen. Die Beteiligten und Betroffenen von solchen Anschlägen können von überall her kommen, ebenso wie Hinweise, Beobachtungen und Spuren im Zusammenhang mit solchen Ereignissen überall auflaufen und bei jeder Polizeidienststelle gemeldet werden können. Es gibt daher schon seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 eine Verbundanwendung namens BAO-Lagefall, in der solche Beobachtungen, Hinweise und Spuren für jeden Lagefall bundesweit gesammelt werden können: Der Verbund wird gebildet aus den Polizeibehörden aller Bundesländer und des Bundes, von denen jede Behörde Informationen in dieses System eingeben kann, die dann in einer zentralen Datenbank beim Bundeskriminalamt gespeichert werden und dort von jedem Teilnehmer abgerufen werden können.

Inpol-Fall und die BLDS-Schnittstelle als Möglichkeiten zum „elektronischen“ Informationsaustausch

Technische Grundlage für die BAO-Lagefall-Verbundanwendungen ist das Informationssystem Inpol-Fall, nach Auskunft der Bundesregierung eine Eigenentwicklung des Bundeskriminalamtes auf der Basis des Fallbearbeitungssystems CRIME der Bundesländer Hessen und Hamburg [3]. Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft 2006 stellte das Bundeskriminalamt die BLDS-Schnittstelle zur Verfügung, mit der die Bundesländer aus ihren jeweiligen Fallbearbeitungssystemen heraus dort bereits gespeicherte Informationen „elektronisch“ über diese Schnittstelle beim BKA und damit für eine Inpol-Fall-Verbundanwendung anliefern konnten. Für Abfragen im zentralen BKA-System und für solche Länder, die nicht über die Schnittstelle arbeiten konnten, verfügen alle Inpol-Fall-Verbundanwendungen über eine browser-basierte Anwendungsoberfläche.

Die BLDS- Schnittstelle war für die Länder insofern eine feine Sache, als die lästige mehrfache Erfassung von an sich gleichen Informationen damit obsolet wurde. Denn entsprechende Hinweise aus der Bevölkerung werden ohnehin in den landeseigenen Informationssystemen erfasst. Wenn diese Systeme mit der BLDS-Schnittstelle aufgerüstet sind, ist es, quasi auf Knopfdruck, möglich, selektierte Informationen elektronisch an das BKA zu übermitteln. Demzufolge rüsteten zahlreiche Länder ihre Systeme mit entsprechenden Schnittstellen aus.

Alternative Annahme: Informationsaustausch klappt schon, wenn alle das System von Rola benutzen

Etwa im gleichen Zeitraum, also in der Mitte des ersten Jahrzehnts der Nullerjahre, hatten sich dann auch die letzten Bundesländer mit Fallbearbeitungssystemen versorgt, die Mehrzahl davon setzte auf das Fallbearbeitungssystem RSCase der oben schon erwähnten Firma Rola. Gleiches tat auch das Bundeskriminalamt. Man folgte damit der jahrelangen, intensiven Bearbeitung der marktöffentlichen Meinung durch den BDK, den Bund Deutscher Kriminalbeamter, der sich vehement einsetzte für die Beschaffung des Rola-Systems beim Bund und in den Ländern. Und der nicht sonderlich erquickt darüber war, dass später bekannt wurde, dass sich der BDK diese Vertriebsunterstützung unter der Bezeichnung einer „Sicherheitspartnerschaft“ von der Firma Rola (und anderen Anbietern) mit hohen Jahrespauschalen vergüten ließ.

Erfolgreich war diese Aktion allemal, denn heute ist das System RSCase, wenn auch in jedem Land unter einem anderen Namen, eingesetzt in mindestens zehn Bundesländern, beim Bundeskriminalamt, der Bundespolizei und beim Bundesamt für Verfassungsschutz.

Ein Verbundsystem mit offener Technologie, wie Inpol-Fall mit der BLDS-Schnittstelle, erschien in der Welt der Rola-Systemnutzer verzichtbar. Jahrelang wurde damit geworben, dass Informationsaustausch zwischen diesen Systemen problemlos möglich sei, weil doch schließlich alle das gleiche System benutzen.

Probleme beim Informationsaustausch zwischen Systemen des gleichen Herstellers

Wie häufig, in technischen Fragen steckt der Teufel hier allerdings im Detail. Ein Detail, das unter Technikern die Bezeichnung ‚Informationsmodell‘ trägt und besagt, dass man sich vor einem Informationsaustausch schon darüber verständigen sollte, ob eine Firma in der jeweiligen Datenbank als „Firma“, als „juristische Person“ oder als „Organisation“ verstanden wird, ob Meyer, Müller oder Kunze als ‚Familiennamen‘ oder ‚Nachnamen‘ abgespeichert werden u.ä. Ein Informationsmodell ist also eine Vereinbarung über Bedeutung und Struktur von Informationen die in einem Datenbanksystem gespeichert werden.

Und auf dieses Detail hatte man bei den verschiedenen Betreibern von Rola-Fallbearbeitungssystemen nicht den großen Fokus gelegt, sondern ganz im Gegenteil dazu ermuntert, dass jede Behörde ihre eigenen Varianten definieren kann. Die Folge war, dass Behörden, obwohl sie eine Variante des Rola-Fallbearbeitungssystems RSCase gekauft hatten, eben nicht in der Lage sind, zwischen ihren Systemen Informationen auszutauschen.

Ausgerechnet ein stellvertretender Bundesvorsitzender des BDK, Ulf Küch, brachte dies vor wenigen Wochen in der ZDF Magazin Sendung Frontal 21 auf den Punkt, als er klagte:

„Wir haben kein einheitliches Datenverbundsystem mit den Polizeien in der Bundesrepublik Deutschland. Das heißt also, die bayerische Polizei [setzt RSCase-Variante EASY ein / d. Autorin] ist nicht in der Lage, ihre Vorgänge so ohne weiteres mit Niedersachsen [RSCase-Variante SAFIR / d. Autorin.] oder Schleswig-Holstein [RSCase-Variante MERLIN / d. Autorin] auszutauschen.“

Wer Rola hat, nutzt nicht mehr Inpol-Fall

Viele Länder hingen, hängen vermutlich immer noch der Vermutung an, dass ein Fallbearbeitungssystem des gleichen Herstellers allein schon ausreichend sein würde für einen funktionierenden Informationsaustausch. Da Absprachen dennoch notwendig waren, schloss man sich zusammen zur einer Arbeitsgemeinschaft ‚IG Fall‘. Eine Schnittstelle jedoch zu den INPOL-Fall-Verbund-Datenbanken beim BKA?! Die war denn doch den meisten Ländern viel zu teuer und das Problem wurde daher geflissentlich ausgesessen. Zumal in der Folgezeit ja die Hochzeit der Bund-Länder-Projektarbeit anbrach für die Konzeption und Entwicklung des PIAV. Wozu also noch BLDS- und INPOL-Fall unterstützen, wenn doch beim BKA und vielen Ländern das gleiche Fallbearbeitungssystem schon vorhanden war?

Diese Haltung wurde bekräftigt durch eine Preispolitik der Firma Rola, die für die BLDS-Schnittstelle und jede einzelne von diversen zu unterstützenden Inpol-Fall-Verbundanwendungen sehr stolze Lizenzgebühren verlangten, wie Insider berichtet haben. Gerade kleinere oder finanzschwächere Länder konnten sich das schlichtweg nicht leisten. Und so gingen Inpol-Fall und die BLDS-Schnittstelle den Weg, den ein verantwortlicher Mitarbeiter des BKA gegenüber der Autorin schon vor etlichen Jahren so ausgedrückt hatte: „Für Inpol-Fall geben wir keinen müden Euro mehr aus!“ Eine Haltung, die nicht weiter verwundert: Denn gerade die Sicherheitsbehörden des Bundes gehören zu den überzeugten Anhängern und Förderern von Rola-Systemen.

Dazu schweigt die Bundesregierung lieber ganz: Über die aktuellen Fähigkeiten zum Informationsaustausch

Die aktuelle Situation lässt sich dann an der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage ablesen. Sie scheint so katastrophal zu sein, dass eine klare Antwort nicht gegeben wurde auf die präzise gestellte Frage „welche Teilnehmer Behörden haben Informationen elektronisch via BLDS-Schnittstelle angeliefert?“ Ausweichend und sehr allgemein wird mitgeteilt, dass die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, „die Möglichkeit nutzen“. Für alle anderen Länder, wird beschwichtigend ergänzt, besteht ja die Möglichkeit der manuellen Erfassung.

Das bedeutet praktisch: Die Polizeibehörden des Bundes und der Länder verfügen aktuell nicht über ein System, mit dem sie in der Lage sind, zeitnah nach einem entsprechenden Schadensereignis, relevante Informationen so auszutauschen, dass diese für Ermittlungen zur Verfügung stehen.

Auffallend ist übrigens auch, dass nur in den beiden Fällen Paris/Brüssel überhaupt ein BAO-Lagefall ausgerufen wurde. In den vielen Fällen, wo polizeilicher Informationsaustausch in Sonderlagen oder für besondere Deliktsbereiche ständig notwendig ist (man denke an den Polizeilichen Staatsschutz, an OK-, Wirtschafts- und Rockerkriminalität u.v.m.), jedoch keine BAO-Lage ausgerufen wird, steht – so teilt das Bundesinnenministerium beruhigend mit – die Möglichkeit zur Verfügung, relevante Hinweisinformationen via E-Mail oder polizeilichem Telexverkehr zu übermitteln.

Beispiel Antiterrordatei (ATD) und Rechtsextremismusdatei (RED)

Vielleicht erinnern Sie sich noch an diese beiden Systeme: Die ATD wurde der Öffentlichkeit nach den Terroranschlägen von London und Madrid als Heilmittel für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus verkauft. Mit dem Vorschlag einer spezifischen Rechtsextremismus-Datei warteten Aktionisten für Innere Sicherheit dann auf nach dem Auffliegen der NSU Terrorzelle im Herbst 2011.
Die Antiterrordatei war zum Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme aufgesetzt worden auf das oben bereits erwähnte polizeiliche Informationssystem Inpol-Fall, hätte also von allen Ländern mit entsprechender BLDS Schnittstelle, in gleicher Weise wie andere Inpol-Fall-basierte Verbundanwendungen elektronisch mit Daten beliefert werden können.

Auch hier war in der Anfrage der Linksfraktion sehr konkret gefragt worden, nämlich nach dem tatsächlichen, praktisch dauerhaft im Wirkbetrieb genutzten Verfahren zur Informationsanlieferung bei ATD bzw. RED. Die Antwort ist pures Herumeiern. Rheinland-Pfalz und das BKA liefern demnach über ihre Fallbearbeitungssystem an [was aus technischer Sicht Rückfragen aufwirft], Berlin, Niedersachsen, das Zollkriminalamt und die Bundespolizei dürfen manuell eintippen über die „ATD-Oberfläche“. Ob überhaupt und wie die nicht namentlich genannten dreizehn anderen Bundesländer Informationen bei der ATD oder RED anliefern, erschließt sich aus dieser Antwort nicht.

Beispiel Eigentums- und Vermögensdelikte

Gestern erst warf sich der Innenminister in die Brust bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2015. Die verzeichnet hohe Zuwachsraten für Wohnungseinbrüche und Eigentumskriminalität, wie z.B. KFZ-Diebstähle. „Mehr Informationsaustausch“ forderte de Maiziére auch für diese Fälle.

Genau das, nämlich Informationsaustausch bei überregional relevanten Fällen der Eigentumskriminalität, ist der Zweck der Inpol-Fall-Verbundanwendung DOK-DEO. In der kleinen Anfrage war danach gefragt worden, welche Länder und Bundespolizeibehörden tatsächlich im praktischen, dauerhaften Wirkbetrieb mit dieser Anwendung arbeiten. Auch dazu gibt es keine konkrete Antwort, sondern nur den allgemeinen Hinweis, dass die Anlieferung über die BLDS Schnittstelle oder manuell erfolgen kann.

Beispiel Innere Sicherheit

Noch schlimmer sieht es aus beim Informationsaustausch im Bereich der inneren Sicherheit. Sie erinnern sich: Das ist der Bereich, wo seit Jahren erzählt wird, wie notwendig ein funktionierender Informationsaustausch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder gegen politisch motivierte Kriminalität (PMK) – links, wie rechts – doch ist. Dafür existiert [eigentlich] eine Inpol-Fall-Verbundanwendung mit der Bezeichnung IFIS (= Inpol-Fall Innere Sicherheit). Doch ausgerechnet diese Datei kann nach Auskunft der Bundesregierung ausschließlich durch manuelle Erfassung (sic!) mit Informationen bestückt werden!

Zwischenresume

Funktionsweise des Informationsaustausches zwischen Polizeibehörden in Deutschland – so lautet der Titel der kleinen Anfrage. Zusammenfassend kann man auf diese implizite Frage nur antworten. Hier funktioniert nichts!

Erfassung muss weitgehend manuell erfolgen, Mehrfacherfassung ist Trumpf!

Die Antwort der Bundesregierung belegt, dass es derzeit keine einzige Verbundanwendung gibt, an die von allen Polizeibehörden des Bundes und der Länder zeitnah und arbeitseffektiv Informationen elektronisch angeliefert werden können. Einige Behörden sind in der Lage, einige wenige (und längst nicht immer die gleichen) Verbundanwendungen elektronisch zu beliefern. Die meisten sind darauf angewiesen, an sich im jeweiligen Landesvorgangs- oder Fallbearbeitungssystem schon längst vorhandenen Informationen noch einmal manuell abschreiben zu lassen. Keine Spur von der seit mehr als zwanzig Jahren in Sonntagsreden geforderten Abkehr von der Mehrfacherfassung.

Suchen und Abfragen können nur manuell erfolgen

Die Möglichkeit der direkten Abfrage solcher Informationen aus den Datenbanken der Verbundanwendungen beim BKA direkt über die Arbeitsplatzsysteme der Landesinformationssysteme existiert überhaupt nicht. Wer Informationen aus solchen Verbundanwendungen braucht, muss sich an ein anderes Gerät begeben (von dem es in der Anfrage an mehreren Stellen bezeichnend heißt es biete „eine (!) zentral bereitgestellte Maske“) und seine Suchfrage dort eintippen. Sollten entsprechende Informationen zu finden sein, kann er die vermutlich ausdrucken bzw. abschreiben und sich zur weiteren Sachbearbeitung wieder an den Arbeitsplatzcomputer setzen, der mit seinem landeseigenen Polizeisystem verbunden ist. So stellt man sich im Jahr 2016 effektive Sachbearbeitung, Auswertung und Analyse in deutschen Polizeibehörden vor!

(K)eine Abhilfe durch den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund – PIAV

Natürlich! Abhilfe ist schon lange auf dem Weg! Seit 2007 wird in den deutschen Polizeibehörden und unter maßgeblicher Führung des Bundesinnenministeriums und Bundeskriminalamts konzipiert und geplant an einer Lösung für diese Misere. Das neue Superprojekt erhielt den Namen Polizeilicher Informations- und Analyseverbund, abgekürzt PIAV [Die bisherige Geschichte des PIAV – erzählt in 4.1 – 4.6]

Dem aufmerksamen Leser mag schon aus der langen Zeitspanne, immerhin neun Jahre seit Beginn bis heute, Übles schwanen. Und in der Tat hat man sich mit diesem PIAV und seiner Konzeption und Entwicklung in zahllosen Bund-Länder-Arbeitsgruppen, – Kommissionen und -Teams über Jahre herumgeschlagen. Um es im Mai diesen Jahres tatsächlich und endlich zu schaffen, eine erste Ausbaustufe für diesen PIAV in Betrieb zu nehmen.

Bis dahin, so lauteten die Gesamtkostenschätzungen schon aus dem Jahr 2011, waren 62 Millionen veranschlagt, von denen 22 Millionen auf das Zentralsystem beim Bundeskriminalamt entfallen. Ein Zentralsystem übrigens, wen wundert’s noch, dessen Lieferant erneut Rola Security Solutions heißt. Die nun in Betrieb gegangene 1. Ausbaustufe des PIAV deckt Delikte ab, in denen Waffen oder Sprengstoff verwendet wurden. Dies geht auf die schlichte Überlegung und Entscheidung der Innenministerkonferenz zurück, dass auch im Falle NSU Waffen und Sprengstoffe eine Rolle spielten. Was damals dafür sorgte, dass ein kurz zuvor erfolgreich durchgeführtes Pilotprojekt als Vorläufer des PIAV, das sich fachlich mit einem ganz anderen Deliktsbereich auseinandergesetzt hatte, nun durch Waffen- und Sprengstoffdelikte ersetzt wurde. Dieser letztere Deliktsbereich hat übrigens ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik einen Anteil von 0,2% an der Gesamtzahl der Straftaten.

Im Bundesinnenministerium bleibt man ganz gelassen …

Es folgt, wie wir aus dem Innenministerium erfuhren, auf die Inbetriebnahme zum Wirkbetrieb dieser PIAV Ausbaustufe 1 für Waffen- und Sprengstoffdelikte nun zunächst eine zweimonatige „Stabilisierungsphase“. Und Gremien der Innenministerkonferenz haben bereits „Aufträge zur Evaluation bzw. Erfolgskontrolle adressiert“, dazu erneut eine „Bund-Länder-Arbeitsgruppe einberufen“ und rechnen mit „ersten Ergebnissen der Evaluation … ein Jahr nach wird Betriebsaufnahme“, das das wäre dann also Frühsommer 2017.
Die dringlichen Forderungen des Ministers scheinen auf der Arbeitsebene nicht zu besonderer Eile oder vermehrter Dringlichkeit bei der Lösung der Aufgabe zu führen. Gut Ding will Weile haben …

… und verströmt unerschütterlichen Optimismus

Gleichzeitig verströmt das Bundesinnenministerium bewundernswerten Optimismus: Gefragt nämlich, ob es einen Plan B gäbe, für den Fall, „dass die mit dem PIAV beabsichtigten und definierten Ziele in dem für die innere Sicherheit notwendigen Umfang bzw. dem der aktuellen Bedrohungslage entsprechenden Zeitrahmen nicht erreicht werden“, antwortet das Ministerium

„Zur Zeit sind keine Indikatoren feststellbar, die diese hypothetische Annahme stützen“.

Über die Autorin

Die Autorin, Annette Brückner, war von 1993 bis 2013 tätig als Projektleiterin für das Polizeiliche Informationssystem POLYGON. Und in dieser Funktion über mehrere Jahre auch immer wieder befasst mit Konzepten und Projekten des Informationsaustauschs zwischen Polizeibehörden, der Entwicklung der Schnittstelle einer BLDS-Schnittstelle und der Entwicklung und Pflege des für alle Deliktsbereiche harmonisierten Informationsmodells in POLYGON, sowie einem Pilotprojekt, bei dem das damalige PIAV-Konzept und das Informationsmodell Polizei (IMP) – eine wesentliche Grundlage für den PIAV – in einem Praxistext [erfolgreich] erprobt wurden.

Weitere Artikel zu den hier relevanten Themen auf diesem Blog

Polizeilicher Informationsaustausch

[1] Reine Schaufensterpolitik: De Maizière will „ran an die Datentöpfe“, 23.03.2016

Zur Gemeinsamen Ermittlungsdatei – GED -„Zwischenlösung“

[2] Nach den Anschlägen von Paris: Bewährungsprobe für die Gemeinsame Ermittlungsdatei im Staatsschutz, 16.11.2015

Zu Inpol-Fall

[3] Weit besser als sein Ruf: Inpol-Fall, der Vorläufer des PIAV, 03.10.2013

Potemkin läßt grüßen: Zum Polizeilichen Informations- und Analyseverbund PIAV

[4.1] Prolog: Die immer noch bestehende Misere des polizeilichen Informationsaustauschs und Erwartungen an den bevorstehenden Wirkbetrieb des PIAV

[4.2] PIAV und sein Zusammenhang mit INPOL, den Kriminalpolizeilichen Meldediensten (KPMD) und INPOL-Fall

[4.3] Fehlende Informationsmodelle, heterogene Fallbearbeitungssysteme und ein neues strategisches Konzept für INPOL

[4.4] Fünf Jahre, viele Kommissionen und noch mehr Papier (2007 – 2012)

[4.5] PIAV Operativ Zentral: Die Bekämpfung von Terrorismus oder Kriminalität im Verbund muss warten, bis Systeme und Finanzierung stehen

[4.6] PIAV-Aufrüstungen für Rola-Teilnehmersysteme

Zur Sicherheitspartnerschaft und den Bemühungen des BDK

[5] BDK zweifelt am Erfolg des PIAV, will zentrales Fallbearbeitungssystem beim BKA, 03.04.2016

[6]BdK und DPolG – Polizei-Vertretung oder PR-Agenturen?, 17.05.2016

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