Doppelte Moral von Polizeigewerkschaftsvorsitzenden

Ist die Frage nach dem Vorgehen der Polizei bereits ein Sakrileg?


Ein Mensch begeht eine schreckliche Straftat, die Polizei verfolgt den Verdächtigen – und erschießt ihn. Soviel war in der Nacht zum Dienstag bekannt, als Renate Künast nicht nur ihrer Sorge um die in Würzburg durch Axthiebe und Messerstiche Verletzten Ausdruck verlieh, sondern im Kurznachrichtendienst Twitter auch die Frage stellte: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden?“ Seither ergießt sich über die Grünen-Politikerin eine Welle der Empörung aus politischem Brackwasser, das meilenweit gegen den Wind stinkt.
… Der Punkt ist: Künast hat nichts getan, worüber man sich in irgendeiner Weise kritisch äußern müsste. … Die Rechtspolitikerin stellte lediglich öffentlich die Frage, ob nicht auch ein anderer Verlauf der Festnahme möglich gewesen wäre. Ist es nicht genau das, was man von Abgeordneten erwarten darf, die nicht zuletzt das Handeln der Exekutive kontrollieren sollen?“

Diese Frage stellt Tom Strohschneider zu den Vorgängen in Würzburg und dem Shistorm gegen Künast am Tag danach. [1]

Am gleichen Tag äußerte sich ausführlich auch Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) bei N24 und in der Welt [2]:
Das bayerische SEK habe „sehr gut“ gehandelt und eine „tolle Arbeit“ geleistet, sagte Wendt. Zu Künast: „Das war eine „ausgesprochen bescheuerte Frage von ahnungslosen Politikern und das nervt eigentlich auch richtig.“ Für die Untersuchung und Aufbereitung des SEK-Einsatzes mit tödlichem Ausgang für den Angreifer sei die Staatsanwaltschaft zuständig. „Da brauchen wir auch solche parlamentarische Klugscheißerei überhaupt gar nicht“. … „Wer glaubt, wenn einer mit der Axt und dem Messer auf die Polizei losgeht, da fangen wir an, dem das Beil aus der Hand zu schießen oder so, das ist wirklich ahnungslos und einigermaßen dumm …“ „Wenn Polizisten in der Form angegriffen werden, werden sie sich nicht auf Kung-Fu einlassen. Das endet dann bedauerlicherweise manchmal mit dem Tod des Täters, ist aber nicht zu ändern.“

Wendt ist in einem zuzustimmen: „Nach einem solchen Einsatz wird … der gesamte Einsatz … von der Staatsanwaltschaft sehr akribisch nachbereitet. Da ist die Staatsanwaltschaft für zuständig.“

Doch ist es eigentlich schon ein Sakrileg, wenn ein Abgeordneter es wagt, das Vorgehen der Polizei zu hinterfragen. Diese Frage stellt Jakob Augstein in Spiegel Online in seinem Kommentar zum Thema. Und fährt zu Wendt’s Vorwurf der „Klugscheißerei“ fort: „Diesen schneidenden Ton kennen wir. Diese demonstrative Verachtung für die parlamentarische Demokratie und ihre gewählten Repräsentanten. Sind wir so weit, dass man sich so wieder hören lassen kann?“ Hypermoral nennt der Journalist Bernd Ulrich diese Haltung. [3]

Selbstgerechtigkeit, Hybris und fehlender Respekt der Polizeigewerkschaftsführer gegenüber Politikern und Parlamentariern sind nichts Neues

Dieser Ton und diese Haltung sind allerdings nicht neu: Schon vor Jahren schwadronierte Wendt’s Kollege, der heutige Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, über die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger: Sie „entwickle sich immer mehr zum Sicherheitsrisiko“ [4a]. Ein Jahr später bezeichnete er sie als „Zumutung für den deutschen Rechtsstaat“ [4b]. Die Ministerin hatte sich den Unmut des Vorsitzenden Schulz zugezogen, weil sie sich einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung angeschlossen hatte.

Auch der neue Bundesjustizminister, Maas, bekam von Schulz sein Fett weg: „Bundesjustizminister Maas betreibt Volksverdummung“ tönte Herr Schulz. Anlass diesmal war, dass ein von Maas vorgelegtes Gesetz zur Kinderpornografie nach Meinung des Gewerkschaftsführers nicht weitreichend genug war. [5]

„Klugscheißerei“ war Schulz schon im Jahr 2012 eingefallen [6]: „Postmortale Klugscheißerei“ sei „wenig zielführend und überflüssig“ bescheinigte er der Arbeit von NSU-Untersuchungsausschüssen und fragte weiter

„mit welchem Recht einige der dort vertretenen gewählten Volksvertreter die gehörten Zeugen teilweise regelrecht ‚grillen‘ und versuchen, die über Jahrzehnte tadellos [? / d. Verf.] und hochmotiviert arbeitenden Probanden der verschiedenen Sicherheitsbehörden vorzuführen und lächerlich zu machen. Die angeblichen Experten zum Thema Innere Sicherheit liegen dabei gefällig in ihren Stühlen und tun so, als ob sie alle Antworten kennen würden. Dabei gehören sie ebenfalls auf die Anklagebank. … Innenpolitiker sind keine Staatsanwälte, Polizisten oder Verfassungsschützer. Deshalb würde ihnen bei der Bewertung dessen, was – in ihren Augen – schiefgelaufen ist, ein bisschen mehr Zurückhaltung und auch Demut vor der Arbeit und dem Fachverstand der Spezialisten gut zu Gesicht stehen. Die jetzt gefällig richtenden Politiker dürfen bei ihrem Urteil nie vergessen, dass sie an dem, was geschehen ist und hätte nie geschehen dürfen, eine nicht unerhebliche Mitschuld tragen.“

Nur am Rande sei bemerkt: Vier Jahre nach diesem verbalen Ausfall ist noch weitaus deutlicher als 2012, wie notwendig und berechtigt die parlamentarische Untersuchung von Vorgängen im Zusammenhang mit dem NSU ist, zum Beispiel im Hinblick auf das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Was am Verhalten von Wendt und Schulz aber vor allem stört, ist ihre Selbstgerechtigkeit und Hybris, sowie der fehlende Respekt gegenüber Regierungsmitgliedern und Parlamentariern. Was berechtigt sie, sich als oberste Moralhüter aufzuspielen? Welche Überzeugungen leiten sie, über Mitglieder der Bundesregierung oder Untersuchungsausschüsse in Parlamenten dermaßen respektlos herzuziehen? Und welche Kultur im Umgang mit möglichen Fehlern der Polizei haben diese Verbandsfunktionäre?

Wenn schon Moralapostel, dann konsequent und auch in eigener Sache …

Doch wenn die beiden schon so erfüllt sind von ihren moralischen Prinzipien: Dann wäre es an der Zeit, mit dubiosen Praktiken ein Ende zu machen, die – freundlich formuliert – zumindest auf einen erheblichen Interessenkonflikt schließen lassen: Der im Falle des BDK darin besteht, dass man sich über Jahre hinweg teuer bezahlen ließ von Anbietern, um die Anschaffung von deren Produkten durch Behörden zu unterstützen. Auszüge aus dem Vertrag der BDK-Tochter über die so genannte Sicherheitspartnerschaft haben wir in diesem Beitrag [7] bereits veröffentlicht. In ähnlicher Weise setzen sich die DPolG und ihr Bundesvorsitzender seit langem unermüdlich für die Beschaffung von Elektrodistanzwaffen und Body-Cams der amerikanischen Firma Taser bei deutschen Polizeibehörden ein [7].

Wer auf solche Weise sein fachliches Gewicht in der Öffentlichkeit und Politik als Interessenvertreter von Polizistinnen und Polizisten in die Waagschale wirft und damit gleichzeitig kommerzielle Interessen seiner gewerkschaftsähnlichen Organisation verfolgt, sollte mit „verbaler Klugscheißerei“ zurückhaltender sein und etwas mehr Moral und Transparenz in eigener Sache an den Tag legen.

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Quellen

[1]   Meilenweit gegen den Wind, 19.07.2016, Neues Deutschland
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1019217.meilenweit-gegen-den-wind.html

[2]   Rainer Wendt wirft Künast „Klugscheißerei“ vor, 19.07.2016, Welt Online
http://www.welt.de/politik/deutschland/article157149718/Rainer-Wendt-wirft-Kuenast-Klugscheisserei-vor.html

[3]   Keine Pani? Und ob!, 21. 07.2016, Jakob Augstein in Spiegel Online
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/terror-oder-amok-keine-panik-und-ob-kolumne-a-1104024.html

[4a]   Leutheusser-Schnarrenberger entwickelt sich immer mehr zum Sicherheitsrisiko für Deutschland, 18.01.2011, BDK
https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/der-kommentar/leutheusser-schnarrenberger-entwickelt-sich-immer-mehr-zum-sicherheitsrisiko-fur-deutschland

[4b]   Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger blockiert Vorratsdatenspeicherung , 22.03.2012, BDK
a href=“https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/pressemitteilungen/ministerin-leutheusser-schnarrenberger-blockiert-vorratsdatenspeicherung/?searchterm=None“ target=“_blank“>https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/pressemitteilungen/ministerin-leutheusser-schnarrenberger-blockiert-vorratsdatenspeicherung/?searchterm=None

[5]   Bundesjustizminister Maas betreibt „Volksverdummung“ , 14.04.2014, BDK
https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/pressemitteilungen/bundesjustizminister-maas-betreibt-201evolksverdummung201c

[6]   NSU-Untersuchungsauschüsse im Bundestag, Thüringen und Sachsen: „Postmortale Klugscheißerei“ wenig zielführend und überflüssig, 16.06.2012, BDK
https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/der-kommentar/nsu-untersuchungsauschusse-im-bundestag-thuringen-und-sachsen-201epostmortale-klugscheiserei201c-wenig-zielfuhrend-und-uberflussig

[7]   Kleine sind besonders laut: BDK und DPolG – Polizei-Vertretung oder PR-Agenturen?, 17.05.2016, Police-IT
https://police-it.net/bdk-und-dpolg-polizei-vertretung-oder-pr-agenturen