Polizei Baden-Württemberg beschafft PRIMAS Führungsinformationssystem

Die Polizei Baden-Württemberg beschafft PRIMAS als das zukünftige polizeiliche Führungs­informa­tions­system. Mehr als 2,3 Mio Euro will das Land dafür ausgeben. Es wird das erste System für strategische Kriminalitätsanalysen eines Bundeslandes in Deutschland werden.
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Anforderungen an Bieter im Beschaffungsverfahren für PRIMAS

Bis zum 2.6.2020 konnten sich Anbieter an einem Teilnahme­wettbewerb beteiligen: Dazu mussten sie mindestens EIN System für strate­gische Krimi­nalitäts­analyse nachweisen, das für mindestens 100 Nutzer in einer Organisation mit Sicherheitsaufgaben im Wirkbetrieb ist.

Große, finanziell und personell leistungsstarke Anbieter haben besonders gute Chancen auf die meisten Punkte. Und damit auf die Einladung zum Eintritt in die Verhandlungsphase. Allein schon diese Anforderungen sorgen dafür, dass sicher nicht Heerscharen von Anbietern in der Lage sind, sich mit Aussicht auf Erfolg an diesem Teilnahmewettbewerb zu beteiligen.

Finanzieller Status der Bieter

Wettbewerber müssen zusätzlich ein gesundes finanzielles Standing in diesem Marktsegment nachweisen, wie z.B. einen Umsatz allein mit solchen Analysesystemen in Höhe von 2,5 Mio Euro im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr.

Nachgewiesene Referenzinstallationen

EINE vollständig abgenommene Referenzinstallation mit einhundert oder mehr zeitgleich arbeitenden Nutzern bei einer Organisation mit Sicherheitsaufgaben ist die Minimalvoraussetzung. Das wird allerdings mit nur 10 Punkten bewertet. Zwei Referenzinstallationen bringen schon 50 Punkte, vier davon satte 100 Punkte. Baden-Württemberg setzt also auf die internationale Top-Liga der Anbieter.

Zahl der Mitarbeiter

Mit dem Blick auf GROSS UND VIEL geht es weiter: Wer nicht mindestens 40 Mitarbeiter beschäftigt, hat keine Chance. Punkte gibt es für Bewerber mit mehr Mitarbeitern: Und zwar bis zu 50 Punkte für Anbieter mit 100 Mitarbeitern insgesamt von denen 20 in Forschung und Entwicklung arbeiten und jeweils 25 in Beratung und Kundenunterstützung vor Ort und weitere 25 im Bereich der Software-Wartung und des -Service.

Anforderungen an das Projektleitungspersonal

So geht es auch beim Projektleitungspersonal weiter, die der Bieter für dieses Projekt einsetzen kann. Hohe Punktzahlen erreicht, wer einen kaufmännischen und einen technischen Projektleiter mit langjähriger, einschlägiger Berufserfahrung vorweisen kann. Die beiden können ihre Expertise allerdings in einer Person vereinen. Und selbstredend muss der / müssen die Projektleiter der „deutschen Sprache in Wort und Schrift“ mächtig sein.

Punkteskala für die Bieter; Verhandlung mit den maximal fünf besten

Aus den minutiös dargelegten Anforderungskriterien und Antworten sowie Nachweisen des Bieters kann der Auftraggeber also eine Punktzahl errechnen. Und beabsichtigt dann, mit maximal den fünf Bewerbern, die alle Musskriterien erfüllen und an der Spitze der Punkteskala stehen, in das Verhandlungsverfahren einzutreten.

Der PRIMAS-Teilnahmewettbewerb hat große Ähnlichkeiten mit dem Teilnahmewettbewerb für das DAR in Nordrhein-Westfalen

Beim Durchlesen der PRIMAS-Unterlage kam bei mir rasch das Gefühl auf: „Das hast Du doch schon mal gelesen …“

Der gleiche Rechtsanwalt wie beim DAR betreut das Verfahren

Es ging schon ganz oben los mit dem Namen des beauftragten Ansprechpartners, Rechtsanwalt Dr. Stefan Mager. Und in der Tat: Herr Dr. Mager hatte im Juni 2019, damals noch bei einer anderen Rechtsanwaltsgesellschaft, den Teilnahmewettbewerb für das DAR betreut – das System zur datenbankübergreifenden Analyse und Recherche“ für das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Den Auftrag für das DAR hatte seinerzeit die Firma Palantir gewonnen [1 und 2].

Viele rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle und technische Anforderungen wurden nahezu eins zu eins vom DAR zu PRIMAS übernommen

Die Bekanntmachungen der beiden Projekte sind in Aufbau und Konzeption nahezu identisch. Sei es das Einverständnis mit einem Einbehalt eines Teils der Gesamtvergütung bis zur vollständigen Vertragserfüllung oder die Stellung einer entsprechenden Bürgschaft. Oder die Gewährleistung von umfassenden Zusagen über die Sicherheit des Systems: Wie zum Beispiel, dass das System frei ist „von Schaden stiftenden Bestandteilen“, was durch den Auftragnehmer auch nachgewiesen werden muss. Oder dass die Software „frei ist von Funktionen, die die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit der Software … gefährden“ … usw.

Was ist der Unterschied zwischen dem PRIMAS und dem DAR?

Bei so viel Übereinstimmung im rechtlichen Rahmenwerk war ich umso mehr gespannt auf fuktionale Unterschiede zwischen dem nordrhein-westfälischen DAR und dem PRIMAS für Baden-Württemberg. Mit konkreten Aussagen zur Funktion und dem Einsatz/Nutzen hält sich die PRIMAS-Bekanntmachung jedoch auffallend zurück. Man erfährt lediglich, dass

  • ein „polizeiliches, raumbezogenes Informationsmanagement- und Analysesystem (PRIMAS) für die Kriminalitätsbekämpfung der Polizei … erfolgskritisch und von herausragender Bedeutung“ ist;
  • dass verschiedenste Daten- und Datenquellen auf einer Plattform gemeinsam visualisiert, analysiert und ihre Ergebnisse zwischen den Anwendern geteilt werden können sollen;
  • und dass diese Plattform neben der Möglichkeit zur Analyse von Sach- und Geodaten auch umfangreiche GIS-, sowie Reporting-, Monitoring und Export-Funktionalitäten aufweisen soll.

Der Rest einer voll bedruckten A4-Seite unter der Überschrift „Beschreibung des Auftrags …“ nennt viele weitere, allgemeine Anforderungen: Wie Skalierbarkeit, Integrierbarkeit, mehrere Produktivumgebungen, Stellung eines Testsystems usw. Und eine Lieferfrist nach der Auftragserteilung von nur wenigen Monaten. Das alles war ganz genau auch schon im Teilnahmewettbewerb für das DAR in NRW.

PRIMAS für die strategische Kriminalitätsanalyse

Bleibt somit als wesentlicher funktionaler Unterschied des PRIMAS gegenüber dem DAR die Betonung auf Sach- und Geodaten. Personen- oder fallbezogene Daten spielen im Text der PRIMAS-Auftragsbeschreibung keine Rolle; während letztere beim DAR eine wesentliche Rolle spielen, wie z.B. die Anforderung zur Auswertbarkeit von Daten aus sozialen Medien.

Erinnert an das geplante Führungsinformationssystem im PIAV – PIAV-FI

Dieser einzig erkennbare funktionale Unterschied zwischen dem PRIMAS und dem DAR erinnert an die Konzeption für den PIAV, den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund. Auch der sollte ja aus zwei Teilen bestehen, nämlich

  • einer operativen Komponenten – PIAV-operativ und
  • einer strategischen Komponente – PIAV-FI (für Führungsinformationssystem)

Daran hat sich vermutlich in den Konzeptpapieren für den PIAV bis heute nichts geändert. Nur die Fertigstellung der operativen und der strategischen Komponente des PIAV hat ein paar Jahre länger gedauert als seinerzeit vorgesehen [siehe 3]. Und die strategische Komponente des PIAV ist – jedenfalls für Nicht-Insider – noch gar nicht zu erkennen.

Insofern könnte es sich beim PRIMAS um eine Art ‚Pilotprojekt‘ handeln für ein polizeiliches Führungsinformationssystem auf der Ebene eines Bundeslandes.

Operative Komponente eines Polizei-Informationssystems

Bei der operativen Komponente steht vor allem die (in der Vergangenheit geschehene) Straftat im Mittelpunkt.

„Ihr Ziel ist es, diese aufzuklären und den Täter zu ermitteln. Jeder von den Polizeibehörden zu bearbeitende Sachverhalt bringt eine Fülle von Informationen, Daten und Fakten mit, die nur durch eine methodische Bearbeitung, Analyse und Verknüpfung Grundlage für die Aufklärung von Straftaten sein können. Die Zusammenfassungen der so gefundenen Daten der Einzelfallauswertungen ergeben die Lagebilder zur Kriminalität oder stellen die Grundlage für konzeptionelles Arbeiten der Fachdienststellen dar.“ [4]

Strategische Kriminalitätsanalyse

Bildschirm eines Führungsinformationssystems
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Bei der strategischen Kriminalitätsanalyse geht es nicht um Details aus einzelnen Straftaten/Ereignissen. Sondern vielmehr um eine Betrachtung von Kriminalitätsgeschehen oder allgemeiner: Von polizeilich relevanten Ereignissen in bestimmten Zeiträumen und Regionen und um die Gewinnung von Lagebildern. Auf der Grundlage solcher Lagebilder soll die Polizeiführung strategische Entscheidungen treffen können, wie z.B. über die Heranführung von Polizeikräften und Einsatzmitteln. Die strategische Komponente wird daher auch als Polizeiführungsinstrument bezeichnet. Solche Instrumente mit moderner, technischer Unterstützung, sind in der deutschen Polizei aktuell nicht vorhanden.

„Hingegen sind es andere Ziele, die mit der strategischen Kriminalitätsanalyse verfolgt werden sollen. Ist die Tätigkeit der Polizei im Bereich der Strafverfolgung im Wesentlichen geprägt durch reaktives Handeln, NACHDEM eine Straftat geschehen ist, so verfolgt die strategische Kriminalitätsanalyse den Ansatz, die Polizei und die Kriminalpolitik aufgrund der von ihr durchgeführten Analysen in die Lage zu versetzen zu agieren – sei es, dass sie sich auf Phänomene der Zukunft rechtzeitig einstellen können oder dass bestimmte kriminalitätsfördernde oder auch -hemmende Faktoren im Vorhinein bekannt sind, um die einen zu minimieren und die anderen zu unterstützen. Die strategische Kriminalitätsanalyse wird aber auch auf der Grundlage der vorhandenen taktischen Konzepte auf einer abstrakten Ebene bestrebt sein, die Fülle der damit vorliegenden Informationen zu bündeln und einem größeren Kreis zugänglich zu machen.“ [4]

Zeitrahmen für das Projekt PRIMAS

Nach den aktuell veröffentlichten Planungen, soll eine Entscheidung über die Vergabe im Herbst 2020 fallen. Der erfolgreiche Auftragnehmer muss dann in einer Stufe I des Projekts sein System liefern und implementieren und in der bestehenden IT-Architektur der Polizei Baden-Württemberg nutzbar machen. Dabei müssen auch diverse (nicht öffentlich genannte) Datenquellen und Informationssysteme integriert werden. Eine Abnahme dieser Stufe I ist im dritten Quartal 2021 geplant. Wenn die erfolgreich verläuft, soll PRIMAS dann zeitnah von einer ausgewählten Zahl von Ermittlern [? ob wohl eher Analytiker gemeint sind? / d. Verfasserin] mit voller Funktionalität genutzt werden. Für diese erste Stufe ist vom Gesamtauftrag ein Anteil von rund 1,65 Mio Euro vorgesehen. Eine weitere Million Euro soll für die Ausbaustufe II aufgewendet werden. Deren Ziel ist es, in einer ungenannten Periode danach das PRIMAS funktional weiter auszubauen und – wie ich annehme – um weitere Quellsysteme zu ergänzen.

Verwandte Beiträge, Quellen und weiterführende Literatur

[1]   Nach Hessen beschafft auch Nordrhein-Westfalen ein Big-Data-System für die Polizei
14 Millionen für DAR – Datenbankübergreifende Analyse und Recherche

[2]   Palantir: Big-Data-Systemeinführung in turbulenten Zeiten für die IT der Polizei in Nordrhein-Westfalen

[3]   Teil 11 des PIAV-Dossiers von POLICE-IT: Der Status Ende 2016 und wann soll(te) der PIAV (eigentlich) fertig sein?

[4]   Dinchen Stübert in Festschrift für Horst Herold, S. 187f, Bundeskriminalamt Wiesbaden 1998

[5]   Vom Informationsfriedhof zu Führungsinformationssystemen, 12.2009, Die Kriminalpolizei

[6]   Führungsinformationssystem – Teil 2, 03.2010, Die Kriminalpolizei

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