Ausgangssituation zu Beginn der Realisierung des PIAV – 2013

Teil 5 der Serie ‚Polizeilicher Informationsaustausch und der PIAV‘

In dieser fünften Folge: Die Ausgangssituation zu Beginn der Realisierung des PIAV (2013): Anfang 2013 gab es endlich eine politische Entscheidung zur Realisierung des PIAV: Denn die Konferenz der Innenminister hatte kurz vor Weihnachten „den Bund und die Länder gebeten, im Januar 2013 mit der Realisierung von PIAV-Operativ zu beginnen. Es gab ein schriftliches Gesamtkonzept [a], wie man sich die Realisierung des PIAV vorstellte. Und ein Lastenheft zur Implementierung einer PIAV-Schnittstelle auf Teilnehmerseite. Abgesehen davon, dass die Finanzierung noch nicht in allen Ländern gesichert war, fehlte nichts mehr zu einer zügigen Umsetzung.

Lesedauer: Ca 12 Minuten

Potemkin lässt grüßen!

Diese Artikelserie erzählt die Geschichten, den bisherigen Verlauf und Erfolg des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds (PIAV) aus der Sicht eines ab und an an der Entwicklung Beteiligten.

Bisher erschienen

  1. Prolog: Die immer noch bestehende Misere des polizeilichen Informationsaustauschs und Erwartungen an den bevorstehenden Wirkbetrieb des PIAV
  2. PIAV und sein Zusammenhang mit INPOL, den Kriminalpolizeilichen Meldediensten (KPMD) und INPOL-Fall
  3. Fehlende Informationsmodelle, heterogene Fallbearbeitungssysteme und ein neues strategisches Konzept für INPOL
  4. Fünf Jahre, viele Kommissionen und noch mehr Papier (2007 – 2012)

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PIAV Operativ ./. PIAV-Führungsinformationssystem

Am Anfang der Konzeption und Planung für den PIAV bestand der aus zwei Teilen:

  • PIAV-Operativ für die operativen Auswertungen und insbesondere
    • das Erkennen von Tat-Tat- und Tat-Täter-Zusammenhängen,
    • die Identifizierung unbekannter Täter und
    • das Erkennen von länder-, grenz- oder deliktsübergreifend handelnden Straftätern und Täterorganisationen, sowie länderübergreifenden oder grenzübergreifenden Straftatenserien.
  • PIAV-Führungsinformationssystem = PIAV-FI
    • für die Früherkennung von deliktspezifischen oder deliktsübergreifenden Kriminalitätsphänomenen,
    • sowie von zeitlichen oder geographischen Kriminalitätsbrennpunkten.

Seitdem sind acht Jahre vergangen, in denen man sich zunehmend auf PIAV Operativ fokussiert hat. Die Entwicklung und Einführung von PIAV als Führungsinformationssystem steht heute, salopp gesagt, in den Sternen.

Notwendige Komponenten für den PIAV

Um PIAV Operativ zu realisieren, mussten beim BKA und den PIAV-Teilnehmern folgende Komponenten beschafft bzw. entwickelt werden:

  • Das Informationssystem PIAV Operativ Zentral für das Bundeskriminalamt. Es stellt den zentralen Server des zukünftigen PIAV dar, wo sämtliche Informationen gespeichert werden, die von den PIAV-Teilnehmern angeliefert werden. Dort finden daher auch die Recherchen statt, wenn ein Teilnehmer wissen möchte, ob vermutete Informationen im PIAV-„Datentopf“ enthalten ist. In PIAV Operativ Zentral sollen im Laufe der Zeit sieben verschiedene „Datentöpfe“ aufgebaut werden und zwar
    1. Waffen- und Sprengstoffdelikte (Wirkbetriebsaufnahme am 2.5.2016)
    2. BTM, Gewaltdelikte, gemeingefährliche Straftaten (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2017)
    3. Eigentumsdelikte, Sexualdelikte, Cybercrime (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2018)
    4. Schleusung, Menschenhandel, Dokumente (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2019)
    5. Wirtschaftskriminalität, Falschgeld, Korruption (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2020)
    6. Politisch Motivierte Kriminalität (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2021)
    7. Organisierte Kriminalität (geplante Einführung nach aktuellem Planungsstand: 2022)
    8. [1]

  • Schnittstellen oder Erweiterungen für die PIAV-Teilnehmersysteme, um die Weitergabe von PIAV-relevanten Informationen an das Zentralsystem beim BKA zu ermöglichen und Recherchen im Zentralbestand durchzuführen.

Teilnehmer am PIAV

PIAV-Teilnehmer sind die Polizeibehörden der 16 Bundesländer, sowie die Polizeibehörden des Bundes selbst, also das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und das Zollkriminalamt.

Dabei hat das BKA eine zweifache Rolle: Es ist einerseits PIAV-Teilnehmer, wie die Länder-Polizeibehörden auch mit seinen operativ tätigen Einrichtungen: Die Abteilung SO (Schwere und Organisierte Kriminalität) und die Abteilung ST (Polizeilicher Staatsschutz) [2]. Im Rahmen seiner gesetzlichen Funktion als Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern ist das BKA verantwortlich für die Errichtung, Betrieb, sowie Weiterentwicklung und Pflege des PIAV-Zentralsystems [b].

PIAV-Quellsysteme bei den PIAV-Teilnehmern

PIAV-relevante Informationen sind im Vorgangs- und/oder im Fallbearbeitungssystem der jeweiligen Behörde gespeichert. Diese Systeme werden in der PIAV-Welt als ‚PIAV-Quellsysteme‘ bezeichnet. Der allgemeine Begriff wurde verwendet, weil PIAV keine Vorgaben darüber macht, ob die Informationen nun aus dem Vorgangs- oder dem Fallbearbeitungssystem der jeweiligen Behörde stammen. Die meisten Informationen einer Polizeibehörden sind im Vorgangsbearbeitungssystem gespeichert, ein Teil davon und zusätzliche Informationen aus der kriminalpolizeilichen Ermittlung bzw. polizeilichen Gefahrenabwehr stehen im Fallbearbeitungssystem. Nur ein Bruchteil aller Informationen der Polizei ist für den PIAV relevant und das auch nur schrittweise wachsend mit dem zunehmenden Ausbaustand des PIAV auf die insgesamt sieben PIAV-Ausbaustufen. Die meisten PIAV-Teilnehmer bedienen den PIAV aus den Informationen im jeweiligen Fallbearbeitungssystem.

Dominanz und Präferenz für das Fallbearbeitungssystem RSCase

Als die Umsetzung des PIAV im Jahr 2013 endlich anstand, hatten sich fast alle Polizeibehörden längst versorgt mit Vorgangs- und Fallbearbeitungssystemen. Bei den Vorgangsbearbeitungssystemen gab es eine bunte Vielfalt von eigenentwickelten und zugekauften Systemen. Bei den Fallbearbeitungssystemen dagegen hatte RSCase, das Fallbearbeitungssystem der Firma Rola Security Solutions GmbH, die Nase vorn: Das fiel nur nicht auf, weil das System – nach Angaben eines Insiders „aus vergaberechtlichen Gründen“ – beim jedem Rola-Kunden einen anderen Namen hat.

Maßgeblich beteiligt an der Marktdurchdringung des Rola-Produkts war der BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter). Der unterhielt schon seit 2007 eine sogenannte „Sicherheitspartnerschaft“, d.h. eine vertragliche Vereinbarung mit der Firma Rola und anderen Anbietern [d]. Eine ‚BDK-Betreuung und Konsumgütervermittlungs-GmbH‘, hundertprozentige Tochter des BDK e.V., schloss zu diesem Zweck Verträge mit Anbietern von sicherheitstechnischen Produkten ab, darunter auch der Firma Rola. Darin verpflichtet sich der BDK zur Unterstützung des Sicherheitspartners bei der Präsentation von dessen Produkten und bei der „Positionierung in der positiven Wahrnehmung der deutschen Kriminalpolizei“. Im Gegenzug zahlte der jeweilige Anbieter an die BDK-Tochter eine jährliche Pauschalgebühr, deren Höhe sich nach Angaben früherer Sicherheitspartner „zwischen dem Preis eines Kleinwagen und einem Reihenhaus bewegen können.“ [3]

Sichtbares Ergebnis dieser Bemühungen der kleinsten Polizei“gewerkschaft“ für die Rola-Produkte war, dass das Rola-Fallbearbeitungssystem ab 2005 beim BKA und der Bundespolizei erprobt und dann freihändig beschafft wurde und bis 2012 in mehr als zehn Bundesländern, mal mehr, mal weniger flächendeckend eingekauft wurde. Bei den entsprechenden Beschaffungsmaßnahmen gingen Bund und Länder hemdsärmelig/pragmatisch vor: Sie beschafften freihändig und hielten sich nicht lange auf mit zwingenden gesetzlichen Vorschriften des Urheber- bzw. Vergaberechts. Solche Gesetze sind, das lehren diese Beispiele, faktisch außer Kraft gesetzt, wenn für eine Polizeibehörde beschafft wird.

Alternativen zu RSCase

Als es losging mit dem PIAV gab es zum Fallbearbeitungssystem der Firma Rola zwei Alternativen:

  • Das eine war POLYGON, ein polizeiliches Informationssystem für kriminalpolizeiliche Sachbearbeitung, Analyse und Auswertung, das seit langem in Brandenburg im Einsatz war.
  • Das andere war CRIME , eine Eigenentwicklung der „CRIME-Kooperation“, der seinerzeit die Bundesländer Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen angehörten, sowie das Zollkriminalamt.

Diese drei Systeme RSCase, POLYGON und CRIME waren daher auch einbezogen worden bei dem Pilottest zur Vorbereitung der Einführung des PIAV, der im Jahr 2012 von einer Bund-Länder-Projektgruppe durchgeführt worden war [e].

Die Politik und der PIAV

Von der beginnenden Realisierung in Bund und Ländern sah die Öffentlichkeit im ersten Halbjahr 2013 gar nichts. Ab und an wurde das Thema PIAV im Deutschen Bundestag gestreift:

Am 26.04. gab die Bundesregierung einen Bericht über die nach der Aufdeckung des NSU ergriffenen Maßnahmen ab [4]. Dort heißt es: „PIAV wird unter Beachtung der … Leitlinien zur durchgängigen einmal Erfassung und Mehrfachnutzung von Daten die Informationsbasis quantitativ und qualitativ wesentlich verbessern und die operative Auswertung … in Bund und Ländern erheblich erleichtern.“. Und weiter: „Die Entwicklungsarbeiten hierzu werden in Bund und Ländern Mitte 2013 beginnen und sollen im Jahr 2014 abgeschlossen sein.“ Eine sehr optimistische Einschätzung, wie sich noch herausstellen sollte!

Im August 2013 legte der NSU-Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vor [5]. Ein ganzes Kapitel darin ist dem Polizeilichen Informations- und Analyseverbund gewidmet. Die CDU/CSU Fraktion unterstreicht noch die positiven Erwartungen in ihrer ergänzenden Stellungnahme: „Die Einrichtung eines modernen Recherchesystems, des PIAV, … wird es wesentlich erleichtern, bei Verbrechen über Ländergrenzen hinweg Hinweise und Tatmuster zusammenzuführen.“. Lediglich die Linksfraktion erwähnt in ihrer Stellungnahme, dass das „wegen technischer und konzeptioneller Schwierigkeiten seit Jahren ins Stocken geratene“ Projekt PIAV durch das BKA mithilfe des „NSU-Schocks“ nun beschleunigt werde.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellte im September 2013 eine umfangreiche Anfrage über „Polizeiliche Datensysteme zur Erfassung und Analyse politisch motivierter Kriminalität-rechts“. In ihrer Antwort [6] gibt sich die Bundesregierung außerordentlich euphemistisch, was Nutzen und Mehrwert von PIAV angeht: „Mit PIAV werden effektivere Möglichkeiten bei der Zusammenführung und dem Abgleich von Informationen geschaffen. Die verbundfähigen Erkenntnisse werden in einer homogenen IT-Architektur abgebildet. Durch den verbesserten polizeilichen Informationsfluss können die jeweils polizeilich erfassten Erkenntnisse zu jeder verbundrelevanten Straftat abgebildet werden. Der Mehrwert von PIAV entsteht durch die Verknüpfung der Erkenntnisse aus unterschiedlichen Deliktsbereichen und die Möglichkeiten der deliktsübergreifenden Auswertung. Damit werden die jeweiligen Bedarfsträger in die Lage versetzt, auf den auswerterelevanten Datenbestand der deutschen Polizei zuzugreifen und relevante kriminalistische Fragestellungen schneller und umfassender zu beantworten.“

Und erstmals gibt die Bundesregierung auch Details zu einer Gesamtkostenschätzung für die Realisierung des PIAV bekannt (noch in[6]): Insgesamt 62 Mio Euro wurden nach damaliger Planung veranschlagt und zwar 24 Mio Euro für den Aufbau des Zentralsystems und „ca. 38 Mio Euro“ für die Teilnehmersysteme.

Das Beschaffungsverfahren für den PIAV Operativ Zentral im BKA

Damit solche optimistischen Nutzenversprechen in praktischen Nutzwert umgesetzt würden, musste das Beschaffungsamt im Bundesinnenministerium aktiv werden: Im Juli 2013 fand sich in der Datenbank TED der Europäischen Kommission für europaweite Beschaffungsmaßnahmen eine Vorinformation über einen Auftrag im Bereich Verteidigung und Sicherheit über eine Projektrahmenvereinbarung für das IT-System Polizeilicher Informations- und Analyseverbund (PIAV) – Operativ Zentral [7a]„. Was dieses PIAV – Operativ – Zentral sein soll, liest sich dort wie folgt:

Mit der Einrichtung von PIAV sollen die verbundrelevanten Daten aus den Systemen der Bundesländer über eine XPolizei-konforme Schnittstelle automatisiert an PIAV-Operativ Zentral angeliefert werden. Auch alle weiteren Kommunikationsformen wie z.B. Abfragen und Recherchen mit PIAV-Operativ Zentral sollen über die XPolizei-konforme Schnittstelle erfolgen, so dass es sich bei PIAV-Operativ Zentral um ein oberflächenloses Verbundsystem handeln wird.
Die Realisierung von PIAV-Operativ Zentral ist in mehreren Stufen vorgesehen. Im Rahmen der 1. Stufe soll der Phänomenbereich Waffen- und Sprengstoffkriminalität in PIAV umgesetzt werden. Die Umsetzung der Stufe 1 soll dabei in 2014 abgeschlossen werden. In den darauffolgenden Stufen sollen weitere Deliktsbereiche nach PIAV überführt werden.
Für die Umsetzung von PIAV-Operativ Zentral ist der Erwerb einer Standard-Software vorgesehen, die sich bereits in einem vergleichbaren Umfeld im Einsatz befindet und die hinsichtlich der speziellen Anforderungen an PIAV anzupassen ist. [Hervorhebungen durch d. Verf.]

Auftragsbekanntmachung vom 29. August 2013

Konkreter und umfassender als in der ‚Vorinformation‘ war das Beschaffungsvorhaben dann in der Auftragsbekanntmachung vom 29. August [7b] beschrieben. Veröffentlicht waren die Auftragsbeschreibung und Anforderungen an Bewerber für einen Teilnahmewettbewerb. Dem siegreichen Kandidaten winkte ein Rahmenvertrag über drei Jahre und ein Auftragswert in nicht genannter Höhe.

Generelle Beschreibung des Beschaffungsvorhabens – PIAV-Zentral

Mit PIAV soll ein System zur zeitnahen Bereitstellung von ausgewählten Personen-, Fall- und Sachdaten aus den Teilnehmersystemen der Länderpolizeien, der Bundespolizei, des Zolls und des BKA in einer gemeinsam genutzten Verbundanwendung auf Bundesebene zur länderübergreifenden operativen und strategischen Kriminalitätsanalyse bereitgestellt werden. Dabei dient PIAV im Wesentlichen der Erreichung der folgenden polizeifachlichen Ziele:

  • Frühzeitiges Erkennen von Tat-Tat- und Tat-Täter-Zusammenhängen sowie Identifizierung unbekannter Täter,
  • Identifizierung länder-, grenz- oder deliktsübergreifend handelnder Straftäter und Täterorganisationen sowie entsprechender Straftatenserien zur Initiierung, Koordinierung und Unterstützung von Ermittlungsverfahren im In- und Ausland,
  • Frühzeitiges Erkennen von deliktsspezifischen, deliktsübergreifenden und täter- oder opferbezogenen Kriminalitätsphänomenen sowie von zeitlichen oder geografischen Kriminalitätsbrennpunkten zur Gewährleistung einer schnellen polizeilichen Reaktion auf neue Kriminalitätsformen,
  • Erstellung von Kriminalitätslageberichten als aussagekräftige Informationsgrundlage für die polizeiliche und politische Führungs- und Entscheidungsebene.

Dabei sollen die verbundrelevanten Daten aus den Teilnehmersystemen über eine XPolizei-konforme Schnittstelle automatisiert an PIAV-Operativ Zentral angeliefert werden. Auch alle weiteren Kommunikationsformen wie z.B. Abfragen und Recherchen mit PIAV-Operativ Zentral sollen über die XPolizei-konforme Schnittstelle erfolgen, so dass es sich bei PIAV-Operativ Zentral um ein oberflächenloses Verbundsystem handeln wird.
Die Realisierung von PIAV ist in mehreren Stufen vorgesehen. Im Rahmen der 1. Stufe soll der Phänomenbereich Waffen- und Sprengstoffkriminalität in PIAV umgesetzt werden. Die Umsetzung der Stufe 1 soll dabei bis Ende 2014 abgeschlossen werden. In den darauffolgenden Stufen sollen weitere Deliktsbereiche aus den bestehenden KPMD [=Kriminalpolizeiliche Meldedienste / d. Verf.] und SMD [=Sondermeldedienste / d. Verf.] nach PIAV überführt werden.

Beschaffung einer Standard-Software und deren Anpassung „in überschaubarem Umfang“

„Für die Umsetzung von PIAV-Operativ Zentral ist die Beschaffung einer Standard-Software vorgesehen, die sich bereits im vergleichbaren polizeilichen Umfeld im Einsatz befindet und die hinsichtlich der speziellen Anforderungen von PIAV-Operativ Zentral noch in einem überschaubaren Umfang angepasst werden kann.“

Merkwürdig war allerdings, dass die Ansätze im Bundeshaushalt ganz und gar nicht zu dieser Anforderung passten: Dort waren nämlich 22 Millionen Euro eingestellt für die Anpassung und Entwicklung, jedoch 0 Euro für die Beschaffung dieser Standardsoftware.

Gewünscht ist ein „ganz großer“ Bewerber …

Sehr wichtig war dem Beschaffungsamt dagegen ein möglichst großer Bewerber: Maximale Punktzahl gab es für Bewerber mit 30 oder mehr Millionen Umsatz pro Jahr, 250 oder mehr Mitarbeitern, von denen die Hälfte oder mehr „Software-Entwickler“ sein sollten. Rola war von diesen Anforderungen an die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“, wie diese Anforderungen im Vergaberecht heißen, weit entfernt, die Firma Polygon sehr weit.

Mehrfache Nachjustierung der Anforderungen an Bewerber

Drei Wochen nach Erscheinen der Auftragsbekanntmachung [7c] wurden die Anforderung ein erstes Mal aufgeweicht: Aus den bis dato geforderten „Softwareentwicklern“ wurden nunmehr „Mitarbeiter, die im Bereich der Softwareentwicklung tätig sind.“ Neun Tage später [7d] dann die nächste Abschwächung: Mitten im Verfahren wurde nun auch die spezifische Leistungsfähigkeit des Bewerbers im Bezug zum Vergabegegenstand weiter entschärft: Wo bisher 10 Maximalpunkte erreicht werden konnten für „Schwerpunkt des Unternehmens ist die Erstellung von Analyse- und Recherchesoftware für Sicherheitsbehörden“, war jetzt die Maximalpunktzahl zu erhalten, wenn der Bewerber „die Vergleichbarkeit zum Vergabegegenstand darstellt und nachvollziehbar macht“.
Beides machte die Sache nicht wirklich besser für Rola bzw. Polygon. Maximale Punktzahl konnten beide Firmen bei diesen Anforderungskriterien nicht erzielen. Man durfte also gespannt sein, wie sich die widersprechenden Anforderungen des Teilnahmewettbewerbs – Standardsoftware ./. geforderter großer Bewerber – auflösen würden.

Die Frist für die Abgabe von Teilnahmeanträgen lief im November 2013 ab. Daraufhin tat sich über viele Wochen Zeit gar nichts, jedenfalls nichts, was zeitnah öffentlich sichtbar wurde.

„Gut Ding will Weile haben …“

Im Februar 2014 legte die Bundesregierung ihren jährlichen Bericht über den Umsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses vor [8]. Die Bekanntmachung des Teilnahmewettbewerbs im Projekt PIAV Operativ Zentral wurde darin schon als Teilerfolg verkauft und charakterisiert als „europaweit öffentlich ausgeschriebenes Vergabeverfahren“. Was nicht ganz den Tatsachen entsprach, denn bei der tatsächlich gewählten Vergabeart handelt es sich eher um das Gegenteil einer offenen Ausschreibung, sonder vielmehr um einen au fdas gewünschte Ergenis fokussierten Teilnahmewettbewerb mit anschließender freihändiger Vergabe. Angekündigt wurde, dass die Zuschlagserteilung „nach derzeitiger Planung“ bis Ende September 2014 erfolgen und die Anbindung aller Teilnehmer an die erste Stufe „Waffen- und Sprengstoffkriminalität“ bis Ende 2015 abgeschlossen sein“ soll.

Im Land der schwarzen Null: Fördermittel werden gesucht …

Dass sich die so zügig erwünschte Realisierung des PIAV nun doch wieder verzögerte, lag auch an der Haushaltssituation – vor allem in den Ländern. Die hatten und haben nämlich – im Zeichen der haushalterischen „schwarzen Null“ – absolut kein Geld für Investitionsausgaben. Man suchte also nach Finanzierungshilfen – und fand die in Form des ISF – des Fonds (der Europäischen Kommission) für die Innere Sicherheit. Doch bis ein solches EU-Projekt aufgesetzt und nutzbar in Gang gebracht ist, dauert es. Auch das trug bei zu der erheblichen Verzögerung bei der Realisierung des PIAV.

Die Verfertigung des Wunschkandidaten

Und dann war da noch das Dilemma mit den Anforderungen, die nicht zu den potentiellen Anbietern passten – oder umgekehrt: Sie erinnern sich?! Das Beschaffungsamt wollte einen Anbieter mit erprobter Standardsoftware, von denen es nur zwei gab. Der ideale Bewerber sollte aber möglichst groß sein an Umsatz Mitarbeiterzahlen, besonders im Bereich der Softwareentwicklung. Beide Anforderungen zusammen konnte jedoch weder der eine, noch der andere potentiell in Frage kommende Softwarehersteller erfüllen.

Der Markt, die Bundesländer, die Politik, die Polizei und vielleicht sogar einige Bürger warteten und warteten: Erst ein Jahr später, im Oktober 2014, veröffentlichte das Beschaffungsamt, dass es einen Rahmenvertrag für PIAV Operativ Zentral an die Firma Rola Security Solutions GmbH erteilt hatte. Diese ’neue‘ Rola war, wie sich dann nach und nach heraus stellte, hundertprozentige Tochter des teilstaatlichen T-Systems International GmbH (TSI) und hatte mit der ‚alten‘ Rola vor allem den Namen gemein. Mit Kaufvertrag vom 18.12.2013 hatte die TSI nämlich sämtliche Gesellschaftsanteile an der ‚alten‘ Rola erworben. Seit dem 1.3.2014 war Rola somit Teil des teilstaatlichen T-Konzerns. Der Rola Mitgründer und langjährige Geschäftsführer, Dr. Rolf Kattein, wurde im Mai 2014 ersetzt durch einen T-Systems Manager, dessen Berufskarriere bei der Bundespolizei begonnen hatte und der später Regierungsrat im Bundesamt für Verfassungsschutz war. Und im Herbst 2014 wurde diese ‚alte‘ Rola – vermutlich steuereffektiv – verschmolzen mit einer verlustbeladenen Tochter der T-Systems. Das Produkt dieser Verschmelzung wurde umbenannt zur ‚Rola Security Solutions GmbH‘ und der offizielle Sitz dieser Gesellschaft fand sich nun in Köln. Mit diesem langwierigen Schachzug war ein Auftragnehmer generiert worden, der nahezu perfekt den Anforderungskriterien entsprach, die das Bundesinnenministerium schon fünfzehn Monate zuvor in die Auftragsbekanntmachung zum Teilnahmewettbewerb geschrieben hatte [f, g]. Honi soit qui mal y pense! [Ein Schuft, wer Schlechtes drüber denkt.]

Und die PIAV-Teilnehmer?!

Die Bekämpfung des Terrorismus und anderer Kriminalitätsbereiche musste weiter warten auf das versprochene Verbundsystem, das „die Verknüpfung der Erkenntnisse aus unterschiedlichen Deliktsbereichen und die Möglichkeiten der deliktsübergreifenden Auswertung“ und „relevante kriminalistische Fragestellungen schneller und umfassender zu beantworten“ erlaubt.
Den Länder-Polizeibehörden war das ganz recht so. Einerseits hatten sie ohnehin genug zu tun – Stichwort: Personalabbau, Arbeitsbelastung, Mittelkürzungen. Andererseits warteten sie auf die Entscheidung über das PIAV-Zentralsystem im BKA. Wer hätte schon etwas tun können oder wollen, bevor nicht die Entscheidung für das Zentralsystem gefallen war?! Und nicht zuletzt, schwamm keines der Länder in Geld. Man wartete auch aus diesem Grund geduldig ab, bis entsprechende Finanzierungsmittel durch den ISF-Fonds ausreichend konkret und planbar erschienen. Als es mit beidem endlich so weit war – da war dann 2014 schon fast vorbei – mussten die Länder eine Aufholjagd hinlegen, um doch noch – einigermaßen zeitgerecht mit ihrem Quellsystem am PIAV-Verbund teilnehmen zu können. Wie sie das bewerkstelligt haben, ist das Thema im nächsten Teil dieser Serie …

Fußnoten

[a]   siehe ‚Ende 2012: Gesamtbericht und Beschluss zur Umsetzung‘ in ‚Polizeilicher Informationsaustausch und der PIAV [4]‘
https://police-it.net/polizeilicher-informationsaustausch-und-der-piav-4-11269

[b]   §11, Abs. 1 BKAG: „Das Bundeskriminalamt ist im Rahmen seiner Aufgabe nach §2, Abs. 3 [c] Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern.“

[c]   §2, Abs. 3 BKAG: „Das Bundeskriminalamt unterhält als Zentralstelle ein polizeiliches Informationssystem nach Maßgabe dieses Gesetzes.“

[d]   Einzelheiten dazu u.a. in ‚Zum Einsatz des BDK für die Produkte der Firma Rola‘ in ‚BDK zweifelt am Erfolg des PIAV, will zentrales Fallbearbeitungssystem beim BKA‘, 03.04.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/bdk-zweifelt-am-erfolg-des-piav-will-zentrales-fallbearbeitungssystem-beim-bka-11219

[e]   Einzelheiten dazu in ‚2012: Pilotierung / Proof of Concept‘ in ‚Polizeilicher Informationsaustausch und der PIAV [4]‘, 20.04.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/polizeilicher-informationsaustausch-und-der-piav-4-11269

[f]   Einzelheiten dazu in ‚PIAV: Wie der ideale Kandidat gemacht wurde‘, 23.05.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-wie-der-ideale-kandidat-gemacht-wurde

[g]   Einzelheiten dazu in ‚T-Systems übernimmt PIAV-Wunschkandidaten Rola Security Solutions‘, 23.06.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/telekom-uebernimmt-piav-wunschkandidaten-rola

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Quellen und verwandte Artikel auf diesem Blog

[1]   25. Tätigkeitsbericht Datenschutz 2014/2015 des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, PDF-Seite 87
https://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/25._Taetigkeitsbericht_Datenschutz_2014-2015_HmbBfDI_01.pdf

[2]   Organigramm des Bundeskriminalamtes, eingesehen mit Stand vom 01.05.2016 über …
http://www.bka.de/nn_205932/DE/DasBKA/Organisation/Organigramm/organigramm__node.html?__nnn=true

[3]   ’Gemauschel bei Polizeiprojekten?‘, 23.10.2010, Helmut Lorscheid in Telepolis
http://www.heise.de/tp/artikel/33/33509/1.html

[4]   ‚Einrichtung eines polizeilichen Informations- und Analyseverbundes‘ (S. 6, Ziff. 1.2.3) in ‚Bericht der Bundesregierung über die nach dem 4.11.2011 als Konsequenz aus dem Aufdecken der Terrorgruppe NSU … ergriffenen Maßnahmen, 26.04.2013, Deutscher Bundestag

[5]   Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschuss in der 17. Wahlperiode, 22.08.2013, DBT-Drucksache 17/14600, Deutscher Bundestag
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/146/1714600.pdf

[6]   Antwort der Bunderegierung vom 16.09.2013 auf die Kleine Anfrage ‚Polizeiliche Datensysteme zur Erfassung und Analyse politisch motivierter Kriminalität-rechts,DB-Drucksache 17/14753, Deutscher Bundestag
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/147/1714753.pdf

[7a]   Vorinformation in der Ausschreibungs-Datenbank TED vom 02.07.2013

[7b]   Auftragsbekanntmachung vom 29.08.2013

[7c]   Korrektur der Auftragsbekanntmachung vom 14.09.2013

[7d]   Korrektur der Auftragsbekanntmachung vom 25.09.2013

[8]   Seite 7 in ‚Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungsstand der Empfehlungen des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in der 17. Wahlperiode (NSU-Untersuchungsausschuss)‘, 28.02.2014, DBT-Drucksache 18/710, Deutscher Bundestag
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/007/1800710.pdf

Über die Autorin

Die Autorin, Annette Brückner, war von 1993 bis 2013 tätig als Projektleiterin für das Polizeiliche Informationssystem POLYGON. Und in dieser Funktion über mehrere Jahre auch immer wieder befasst mit Konzepten und Projekten des Informationsaustauschs zwischen Polizeibehörden, der Entwicklung der Schnittstelle von POLYGON zur Bund-Länder-Dateischnittstelle, der Entwicklung und Pflege des für alle Deliktsbereiche harmonisierten Informationsmodells in POLYGON, sowie einem Pilotprojekt, bei dem das damalige PIAV-Konzept und das Informationsmodell Polizei (IMP) – eine wesentliche Grundlage für den PIAV – in einem Praxistext [erfolgreich] erprobt wurden. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen entstand die hier vorliegende Artikelserie über „Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden in Deutschland und die bisherige Geschichte des PIAV“.

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