Informationsmodell Polizei

Gemeinsames Informationsmodell Polizei

PIAV unterscheidet sich in einem weiteren Punkt ganz erheblich vom INPOL-Fahndungs- und Auskunftssystem. Bei letzterem wird für den Zentralserver im BKA (=Inpol-Z) und die INPOL-Landessysteme (=INPOL-Land) das gleiche Informationssystem verwendet, nämlich POLAS. Mit der Folge, dass die physische Struktur der (relationalen) Datenbank in allen Systemen zumindest in einem Kernbereich identisch ist. Und mit der weiteren Folge, dass das logische Informationsmodell dieser Datenbank in allen Systemen vollkommen übereinstimmt. Dieses logische Informationsmodell von INPOL ist im INPOL-Manual definiert und für alle INPOL-Systeme verbindlich vorgegeben.

PIAV macht dagegen keine Vorgaben darüber, welchea Informationssysteme beim jeweiligen PIAV-Teilnehmer eingesetzt wird. Die IT-Landschaft in den Polizeibehörden ist entsprechend heterogen (also unterschiedlich). Da gibt es Länder, die mit dem Fallbearbeitungssystem CRIME der IPCC-Kooperation arbeiten. Andere Länder verwenden eine jeweils landesspezifische Variante des Fallbearbeitungssystems RSCase der Firma Rola Security Solutions GmbH, dritte bedienen den PIAV aus dem landeseigenen Vorgangsbearbeitungssystem oder es wird ein eigenständiger „Umsetzer“ implementiert zwischen dem landeseigenen Vorgangs- oder Fallbearbeitungssystem als Ein-/Ausgang zum PIAV.

Wenn schon keine Vorgaben gemacht werden zur physischen Datenbankstruktur, so ist es doch unverzichtbar für einen funktionierenden Informationsaustausch zwischen heterogenen Datenbanksystemen, dass diese sich zumindest verständigen auf ein gemeinsames logisches Informationsmodell. Ein solches Informationsmodell ist keine technische Komponente, sondern eine Vereinbarung darüber, welche Art von Informationen im System gespeichert und verarbeitet werden können.

Dazu gehören mindestens

  • Die Typen von Informationsobjekten,
  • Die Typen von Attributen (für jeden Objekttyp),
  • Die Typen von Beziehungen zwischen bestimmten Objekttypen (wie z.B. Person – Adresse, natürliche Person, juristische Person, Straftat – Ort, usw.)

Typen von Informationsobjekten

Informationsobjekte sind die Abbilder von konkreten oder abstrakten Objekten aus dem realen Leben in einer Datenbank.

Informationsobjekt-Typen fassen gleichartige Informationsobjekte zu Gruppen zusammen. Informationsobjekt-Typen, die für die polizeiliche Arbeit relevant sind, sind also insbesondere natürliche Personen, juristische Personen, Ortsangaben, Straftaten, sonstige polizeilich relevante Ereignisse, Fahrzeuge und diverse sonstige Sachen und weitere.

Attribute

Attribute sind „informations-Atome“, die einem Informationsobjekt zugeordnet werden können, um es näher zu beschreiben (Körpergröße, Augenfarbe) oder zu identifizieren (Familienname, Geburtsdatum, …)

Attribute bestehen immer aus zwei Teilen, nämlich einer Attributbedeutung (Familienname, Körpergröße, Augenfarbe) und einem konkreten Attributbegriff (Müller, 180 cm, blaugrau). In Bildschirm- oder Druck-Formularen eines Informationssystems erkennt man die Attributbedeutung an der Beschriftung eines Datenfelds.

Attributbedeutungen

Im Informationsmodell wird festgelegt, welche Attributbedeutungen für jeden einzelnen Objekttypen verwendet werden können und dürfen.

    • Für eine Person sind dies zum Beispiel Vorname(n), Familienname, Geburtsname, Geburtsdatum Geburtsort, Körpergröße, Augenfarbe u.v.m.
    • Für ein Kraftfahrzeug sind dies zum Beispiel die Fahrzeugidentifikationsnummer, Hersteller, Modell, Baujahr, Farbe usw.
    • Für eine Ortsangabe die GPS- Koordinaten, Land, Ortsname, Postleitzahl, Straße, Hausnummer etc.

Der Vorrat an Attributbedeutungen zu einem bestimmten Obejkttyp definiert also, welche beschreibenden und identifizeiren Attribute zu Objekten dieses Objekttyps verwendet werden können.

Attributbegriffe

Die oben genannten Attributtypen bezeichnen die Bedeutung, die ein bestimmtes Attribut hat: Vorname, Familienname, Geburtsdatum – das sind solche Bedeutungen. Damit daraus sinnvolle Information wird, muss der Bedeutung noch ein entsprechender Begriff oder, allgemeiner gesagt, ein Datenwert zugeordnet werden:

  • Vorname:Christian
  • Familienname: Müller
  • Geburtsdatum: 17.04.1973

das sind vollständige Attribute, die aus Attributbedeutung und Attributbegriff bestehen und insofern ein sinnvolles „Informationsatom“ darstellen.

Eigenständig lebensfähig ist ein solches Informationsatom allerdings noch nicht, denn wer kann etwas anfangen mit „Vorname:Christian“! Erst wenn man ein solches Atom einem Informationsobjekt, zum Beispiel einer bestimmten Person zuordnet, wird daraus die sinnvolle Information, dass diese Person den Vornamen Christian trägt.

Durch die Zuordnung von solchen Informationsatomen zu einem bestimmten Informationsobjekt entstehen in einer Datenbank „Informationsmoleküle“, von denen von denen jedes Molekül das Abbild eines bestimmten, in der realen Welt existierenden konkreten oder abstrakten Objekt in der Datenbank darstellt.

Kataloge für Attributbegriffe

Es gibt eine Vielzahl von Attributtypen, denen nur eine beschränkte Menge und Art sinnvoller Attribut Begriffe zugeordnet werden können:

Man denke zum Beispiel an den Attributtyp ‚Familienstand‘. Dem ist sinnvoller Weise nur einer der Begriffe ‚ledig‘ | ‚verheiratet‘ | ‚verwitwet‘ | ‚geschieden‘ zuzuordnen.

Oder der Attributtyp ‚Geschlecht einer Person‘.

Für solche Vorratslisten sinnvoller Attributbegriffe kann das Informationsmodell Begriffskataloge definieren. Das hat den Vorteil, dass für ein und denselben Sachverhalt von allen Benutzern immer nur ein- und derselbe zutreffende Begriff verwendet wird. Die Verwendung von Katalogen kann also die Datenqualität steigern.

Der Nachteil von Katalogen in der Praxis besteht darin, dass die Anwendungssoftware in aller Regel keine andere Möglichkeit zulässt, als einen der zur Auswahl angebotenen Katalogbegriffe zu verwenden. In den gerade genannten Beispielen ist dies sinnvoll. Es gibt jedoch eine Vielzahl anderer Beispiele in polizeilichen Informationssystemen, wo Kataloge verpflichtend vorgegeben werden zur Beschreibung von Dingen oder Sachverhalten, die nicht mit einem abschließend definierenden Begriffsvorrat beschrieben werden können:

Beispiele dafür sind zum Beispiel der Attributtyp ‚Begehungsweise (einer Straftat)‚. Oder der Attributtyp ‚Tatmittel‚. Wie man sich leicht vorstellen kann, kann es eine große Vielfalt von Begriffen geben, mit denen man die Begehungsweise einer Straftat beschreibt. Oder das dabei verwendete Mittel oder Werkzeug. Die Vorstellung, dass man auch solche Sachverhalte, die das reale Leben ebens o mit sich bringt, in das Korsett vorgefertigter Kataloge pressen könnte, hat in der Praxis zwei negative Auswirkungen:

  1. Die entsprechenden Begriffslisten sind lang (an die 1000 Einträge sind möglich) und daher entsprechend unübersichtlich und schwerfällig in der Handhabung und Auswahl,
  2. Häufig findet sich trotz intensiven Suchens doch nicht der Begriff der am präzisesten beschreibt, was eigentlich Sache ist. Um überhaupt etwas zu verwenden, wird dann ein Begriff verwendet der „so in etwa“ in die Nähe des tatsächlich passenden Sachverhalts kommt, was sowohl aus polizei-fachlichen, als auch aus rechtlichen Gründen fragwürdig ist.
  3. Die Pflege solcher Begriffslisten ist extrem aufwändig, weil sie i.d.R. viel Zeit bei Besprechungen und für Umlaufbeschlüsse der entsprechenden BUnd-Länder-Projektgruppen in Anspruch nimmt.
  4. Das Gros der in Deutschland eingesetzten Fallbearbeitungssysteme erlaubt es nicht, aus einem Katalog mehr als einen Begriff auszuwählen. Auch das führt dazu, dass der Nutzer eine „in etwa“-Darstellung verwenden wird und der eigentliche Sachverhalt nicht präzise und vollständig dargestellt werden kann.

Insofern ist die häufig in Polizeikreisen gehörte Ansicht, dass durch die Verwendung von möglichst vielen Katalogen auch die Datenqualität erheblich gesteigert werden würde, zumindest mit Vorsicht zu betrachten.

Beziehungen zwischen Objekten

Besonders spannend sind für ein polizeiliches Informationssystem die Beziehungen zwischen Objekten: Denn Polizei interessiert sich ja dafür, welche Person sich wann und wo aufgehalten hat, insbesondere dann wenn es zur gleichen Zeit am gleichen Ort einen für die Polizei relevantes Ereignis gegeben hat. Polizei interessiert sich im Rahmen ihrer legitimen Ermittlungen auch dafür welche natürliche Person beteiligt ist an einem bestimmten Gewerbebetrieb, wer an einer polizeilichen Kontrollstelle zur Überprüfung eines Ausflug von Rockern festgestellt wurde, wer mit wem in welchem Auto saß und wem das gehört und vieles mehr. Zwischen Informationsobjekten kann es also eine Vielzahl von Beziehungen geben und erst diese Beziehungen erlauben es, die von Politikern im Zusammenhang mit dem PIAV so häufig beschworenen „Tat-Tat-“ bzw. „Tat-Täter-„Zusammenhänge überhaupt erst zu erfassen, zu analysieren und auszuwerten. Daher ist es sehr sinnvoll, wenn im logischen Informationsmodell auch für die Beziehungen zwischen Objekttypen entsprechende Vorgaben gemacht werden.

Informationsmodell IMP und der PIAV

Beim Polizeilichen Informations- und Analyseverbund PIAV hat man sich daher – richtiger Weise – frühzeitig darauf verständigt, im PIAV ein gemeinsames Informationsmodell zu verwenden, das den Namen Informationsmodell Polizei, abgekürzt IMP, erhalten hat. Die Konzeption und Entwicklung dieses Informationsmodells Polizei geschah annähernd zeitgleich mit den Planungen und der Konzeption am PIAV und wurde federführend betreut von einer Organisationseinheit im Bundeskriminalamt.

PIAV-Cluster und Ausbaustufen des PIAV

Für die fachliche Definition der oben genannten PIAV-Cluster waren die entsprechenden, i.d.R. ständigen Bund-Länder Projektgruppen für die jeweiligen Kriminalitätsbereiche zuständig. Sie kamen zu der Erkenntnis, dass ein allgemein verwendbares, generelles Informationsmodell Polizei allein nicht geeignet sein würde, um die spezifischen fachlichen Anforderungen zum Beispiel aus z.B. dem Fachbereich Staatsschutz oder Organisierte Kriminalität umfassend und korrekt abzubilden. Aus diesem Grund kann man zu der Übereinkunft, dass für alle Kriminalitätsbereiche/PIAV-Cluster ein gemeinsamer Teilbereich aus dem Informationsmodell Polizei verbindlich zu verwenden ist: Das erscheint auch plausibel, wenn man bedenkt, dass ein Deliktsbereich Rauschgiftkriminalität in der Lage sein muss mit einem Deliktsbereich organisierte Kriminalität im PIAV Informationen über bestimmte Personen auszutauschen.

Daneben erlaubt es das Informationsmodell Polizei jedoch, dass bestimmte fachspezifische Anforderungen an die fachliche Semantik quasi als Erweiterungen zum Kerninformationsmodell definiert werden können. Diese Spezifikation könne unterschiedlich sein von Fachbereich zu Fachbereich. Dies war ein wesentlicher Grund dafür, warum sich im Verlauf der weiteren konzeptionellen Erarbeitung von PIAV und IMP herauskristallisiert hat, dass PIAV verschiedene PIAV-Cluster anbieten wird, also, Kriminalitätsbereichs-spezifische Datenbanken mit jeweils ihrem eigenen fachspezifischen Informationsmodell.

Und da, wie oben an anderer Stelle bereits ausgeführt, die Innenministerkonferenz als Entscheidungsgremium beschlossen hatte, dass der Ausbau des PIAV stufenweise erfolgen soll, wurde festgelegt, dass die einzelnen PIAV Cluster diese Ausbaustufen definieren und somit also die einzelnen PIAV Cluster nach und nach entwickelt werden sollten und in Betrieb gehen sollten. [Nur am Rande sei erwähnt, dass die fachspezifischen Anforderungen sich nicht allein auf das Informationsmodell auswirken, sondern dass es auch funktionale unterschiedliche Anforderungen in den einzelnen Kriminalitätsbereichen gibt, die vom PIAV zu berücksichtigen sind.

Datenbanken, Daten- und Informationsmodelle

Die PIAV-Datenbankserver arbeiten auf der Basis konventioneller relationaler Datenbank(verwaltungs)systeme von Oracle.

Erhebliche Diskussionen gab es in der frühen Konzeptionsphase des PIAV um das zu verwendete Datenmodell, also die Tabellenstruktur für diese Datenbanken. Es galt da zu entscheiden zwischen diesen beiden Alternativen:

  • Einem so genannten dynamischen Ansatz unter Verwendung des generischen Datenmodells und
  • Einem so genannten statischen Ansatz unter Verwendung eines konventionell und anwendungsspezifisch definierten Datenmodells

Eine Alternative bestand in der Verwendung des generischen Datenmodells, welches in den polizeilichen Informationssystemen in Deutschland zur damaligen Zeit bevorzugt verwendet wurde. Das BKA selbst setzte auf dieses Datenmodell in seinem Informationssystem INPOL-Fall. Dieses war hervorgegangen aus dem, ursprünglich in Hamburg entwickelten System CRIME, welches nach dem Kauf der Nutzungsrechte durch das BKA in Hamburg in der IPCC-Kooperation unter dem Namen CRIME als Fallbearbeitungssystem fortgesetzt und weiterentwickelt wurde. Das Patent auf das generische Datenmodell hielt die Firma Polygon Visual Content Management GmbH und hatte es in ihrem polizeilichen Informationssystem POLYGON integriert. Ein wesentliches Kennzeichen des generischen Datenmodells besteht darin, dass es eine feststehende, nicht mehr veränderbare, abstrakte Tabellenstruktur definiert, die es ermöglicht, Informationsobjekte von beliebiger Art, Bedeutung und Zahl zu definieren, zu jedem Informationsobjekttyp beliebige Merkmalstypen zur näheren Identifikation und Beschreibung und beliebige geartete Beziehungen zwischen Objekten vom gleichen oder verschiedenen Typ. Die notwendigen semantischen Definitionen darüber, welche Typen von Informationsobjekten zugehörige Merkmalstypen und Beziehungstypen in einem bestimmten Datenbanksystem zulässig sind, werden im generischen Datenmodell durch Definitionen vorgenommen, die in Definitionstabellen in der Datenbank hinterlegt werden. Diese Definitionstabellen enthalten also das Informationsmodell (auch konzeptionelles Datenmodell genannt) des jeweiligen Informationssystems.