PIAV Waffen- und Sprengstoffdelikte: Keine Antworten auf einfachste Fragen
Vier Jahre nach Einführung des PIAV-Clusters für Waffen- und Sprengstoffdelikte beantwortet die Bundesregierung nicht einmal einfachste Fragen.
Lesedauer: Ca. 7 Minuten
Nachdem bis zum Herbst 2016 im Projekt PIAV ein erheblicher Terminverzug gegenüber der ursprünglichen Planung aufgelaufen war, haben sich die Innenminister des Bundes und der Länder am 30. November 2016 im Rahmen ihrer Herbstkonferenz auf die Saarbrücker Agenda verständigt. Mit ihr wird die Informationsarchitektur der deutschen Polizei als Teil der Inneren Sicherheit beschrieben.
Die zentrale Aufgabe ist es [, wie schon beim PIAV] , eine gemeinsame, moderne und einheitliche Informationsarchitektur für die Polizeien des Bundes und der Länder aufzubauen. Im Ergebnis sollen die Polizistinnen und Polizisten jederzeit und überall Zugriff auf die Informationen haben, die sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
Das Bundesinnenministerium hat zur Umsetzung der Saarbrücker IT-Agenda das Programm „Polizei2020“ geschaffen. Mit diesem Programm wird das Informationswesen der Polizeien des Bundes und der Länder vereinheitlicht und harmonisiert. Dazu werden die verschiedenen Systeme konsolidiert und an zentraler Stelle einheitliche, moderne Verfahren entwickelt.
Die laufenden Projekte PIAV (Polizeilicher Informations- und Analyseverbund), eFBS (Schaffung eines einheitlichen Fallbearbeitungssystems) und die geplante Modernisierung von INPOL (Informationssystem Polizei) werden unter dem Dach des Programms Polizei 2020 integriert und aufeinander abgestimmt.
INPOL ist der Oberbegriff für ein „gemeinsames, arbeitsteiliges, elektronisches Informations- und Auskunftssysteme für die gesamte Polizei (INPOL) in der Bundesrepublik mit dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle.“
Im engeren Sinne wird unter der Bezeichnung INPOL das aktuelle Auskunfts- und Fahndungssystem der Polizeibehörden der Länder und des Bundes (Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Zollkriminalamt)verstanden. Das aktuell eingesetzte System heißt INPOL-Neu und wurde 2003 als Nachfolger für das bis dahin verwendete System INPOL (-alt) eingeführt.
Seit Einführung von INPOL-Neu ab dem Jahr 2003 haben moderne, relationale Datenbank- und PC-Arbeitsplatzsysteme die Digitalisierung der polizeilichen Arbeit in allen Polizeibehörden vorangetrieben. Jede Polizeibehörde im Bund und den Ländern hat sich seitdem mit eigenen Informationssystemen ausgestattet bzw. solche entwickelt oder entwickeln lassen.
Polizeiliche Vorgänge, die von den Polizeivollzugsbeamten in allen Dienststellen früher in ‚Tagebüchern‘ notiert wurden, werden seitdem mit polizeilichen Vorgangsverwaltungssystemen angelegt, fortgeführt und abgefragt. Aus der reinen Vorgangsverwaltung ist rasch eine Vorgangsbearbeitung geworden: Die Systeme enthalten nicht mehr nur die zur Verwaltung eines polizeilichen Vorganges notwendigen Verwaltungsdaten (wie z.B. Aktenzeichen, sachbearbeitende Dienststelle, zuständige Staatsanwaltschaft etc.), sondern auch die wesentlichen Informationen zu den Inhalten eines Vorgangs, wie Straftaten und Ereignisse, beteiligte Personen und Firmen / Institutionen, sowie Angaben über Orte und Sachen.
Auch in der Kriminalpolizei fand eine kleine Revolution statt. Denn alle Polizeibehörden haben sich in den letzten Jahren so genannte Fallbearbeitungssysteme angeschafft bzw. selbst entwickelt. In diesen Systemen können Ermittlungs-‚fälle‘ angelegt werden und sämtliche Informationen abgelegt werden, die im Laufe der Ermittlung anfallen. Und das kann in kurzer Zeit eine ganze Menge werden – vor allem bei komplexen Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität oder Organisierten Kriminalität oder dem Staatsschutz.
Solche Verfahren umfassen häufig nicht nur eine einzelne Straftat, sondern viele miteinander in Beziehung stehende Straftaten und Ereignisse, die zu einem Ermittlungskomplex = ‚Fall‘ zusammengefasst werden. Solche komplexen Ermittlungsverfahren sind typisch bei – häufig organisierten, von Banden begangenen – Fahrzeug-, Fahrraddiebstähle oder Wohnungseinbrüchen, bei Rauschgiftkriminalität, Menschenhandel und anderen Formen der Organisierten Kriminalität und auch im polizeilichen Staatsschutz.
Gemeinsam ist solchen komplexen Ermittlungsfällen, dass es eine große Menge von Informationen gibt und dass Zusammenhänge zu vermuten und daher zu ermitteln sind zwischen Straftaten, Orten, Beteiligten und Sachen. Diese Anforderungen machen den Einsatz moderner IT-Werkzeuge für die Ermittlung, Analyse und Auswertung solcher Ermittlungskomplexe unverzichtbar.
Bestimmte Informationen können aus polizeilicher Sicht relevant sein für das Teilen mit bzw. Mit-Teilen an andere Polizeibehörden des Bundes oder eines Landes. Man denke z.B. an länderübergreifende Ermittlungen zum Rauschgifthandel, Menschenhandel oder andere nicht-lokale Erscheinungsformen von Kriminalität, die länderübergreifende polizeiliche Zusammenarbeit erforderlich machen.
Die Notwendigkeit, solche Informationen mit anderen Polizeibehörden ‚teilbar‘ zu machen, war EIN Motiv für die Einführung des PIAV.
Ein zweites Motiv für die Einführung eines PIAV lieferten die seit Jahren bekannten Mängel der Kriminalpolizeilichen Meldedienste (KPMD). Dabei handelt es sich um Verfahren der Informationsweitergabe, die schon seit vielen Jahrzehnten praktiziert werden. Es steckte dahinter anfänglich die Idee, dass ein Täter (bzw. eine Tätergruppierung), der / die an einem Ort X eine Straftat begangen hat, auch an einem ganz anderen Ort zuschlagen kann (Perseveranztheorie). Und dass es daher sinnvoll ist, wenn andere Polizeibehörden die Information erhalten über solche Straftaten, Täter oder Begehungsweisen (Modus Operandi).
Wichtige viel genutzte Meldedienste gibt es in den Deliktsbereichen
Welches Ereignis im jeweiligen Deliktsbereich meldepflichtig ist und welche Informationen dann zu erheben und zu übermitteln sind, richtet sich nach jeweils spezifischen, nicht öffentlichen Vorschriften für den jeweiligen Meldedienst. Diese für alle verbindlichen Vorschriften werden – Polizeiarbeit in Deutschland ist Ländersache! – von dafür jeweils zuständigen Projektgruppen erlassen und bei Bedarf fortgeschrieben.
Nachdem ein solches Ereignis von der lokal zuständigen, sachbearbeitenden Polizeidienststelle festgestellt und die Informationen erhoben wurden, muss diese Polizeidienststelle – aufgrund der Meldepflichten – innerhalb kurzer (festgelegter) Frist eine entsprechende Mitteilung absetzen an die zuständige Zentralstelle. Das ist i.d.R. das Landeskriminalamt. Dort wird die gemeldete Information bearbeitet, z.B. abgeglichen mit anderen, vergleichbaren Taten, Tätern, etc.: Also bewertet und angereichert, wo notwendig. Und die so von der Zentralstelle qualifizierte Meldung wird – auch das wieder innerhalb vorgeschriebener Frist – weitergeleitet an die Zentralstelle beim Bundeskriminalamt. Dort gibt es diverse ‚Verbunddateien‘, das sind Datenbanken, in denen die Meldungen aller Polizeibehörden zu einem bestimmten Meldedienst zusammenfließen und von berechtigten Anwendern aus allen Polizeibehörden abgefragt werden können.
Aus der Sicht vieler Polizeivollzugsbeamten und aus der Sicht vieler Polizeidienststellen und mancher -behörden sind die Meldedienste vor allem eine lästige Pflicht: Die Erfassung meldepflichtiger Ereignisse muss erfolgen, kostet Zeit und Aufwand und ein Gegenwert ist auf lokaler Ebene kaum oder gar nicht greifbar. Gerade in Zeiten, in denen Polizei immer mehr Aufgaben übernehmen soll und gleichzeitig überall Personal „abgebaut“ wird, werden solche überflüssigen (, weil technisch ja vermeidbaren!) Mehrarbeiten als Zumutung empfunden. Dies gilt umso mehr, als im Rahmen der Weiterentwicklung des polizeilichen Verbundsystems INPOL schon lange vor der Jahrtausendwende den Polizeibehörden in der INPOL-Konvention versprochen worden war, dass INPOL-Neu die mehrfache Erfassung bzw. Abfrage der gleichen Daten überflüssig machen würden. Auf die Einlösung dieses Versprechens wartet die Polizei in Deutschland noch heute.
Vier Jahre nach Einführung des PIAV-Clusters für Waffen- und Sprengstoffdelikte beantwortet die Bundesregierung nicht einmal einfachste Fragen.
Lesedauer: Ca. 7 Minuten
Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV), nach Aussage der Bundesregierung „eines der bedeutsamsten Projekte der deutschen Polizei“ befindet sich seit 2018 im Tiefschlaf. Von ursprünglich sieben Ausbaustufen sind zwei umgesetzt, zu allen weiteren gibt es keine aktuellen Termine, sondern nur „Planungen“. Grund für den Stillstand ist – auch – dass im neuen BKA-Gesetz detaillierte Kennzeichnungspflichten für personenbezogene Daten vorgesehen sind, die die in der deutschen Polizei eingesetzten Systeme technisch nicht umsetzen können. Statt sich um (vorhandene) Lösungen zu bemühen, setzen BKA und BMI auf eine unbefristete gesetzliche Übergangsregelung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das alte BKA-Gesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, wird damit ad absurdum geführt.
Die EU-Kommission hat mit dem ISF-Fonds ein mehrjähriges Förderprogramm für Maßnahmen im Bereich der Inneren Sicherheit aufgelegt. Die Mittel für deutsche Behörden vergibt das Bundeskriminalamt als Vergabestelle. Prüfungen obliegen dem Bundespolizeipräsidium. Dem Bundesinnenministerium, anderen Abteilungen im Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem Zollkriminalamt,sowie der Bundesanstalt für Katastrophenschutz hat die „Vergabestelle“ BKA bisher zwei Drittel der insgesamt bewilligten Gelder zugewiesen. Nicht nur diese Selbstversorgungsmentalität hat ein „Geschmäckle“. Es gibt noch weitere gravierende Kritikpunkte …
BKA-Präsident Münch versprach baldige Verbesserungen bei den Datenspeicherungen durch seine Behörde. Denn „aktuell“ werde der PIAV eingeführt, der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund. Was Münch nicht erwähnte: Der PIAV für den polizeilichen Staatsschutz war eingeplant für 2021. Und auch diese Planung hat sich schon wieder nach hinten verschoben.
Die Innenminister von Bund und Ländern jammern über „19 verschiedene Systeme für Datenerfassungen und 11 Systeme zur Datenbearbeitung“. Es waren die gleichen Innenminister, die über Jahre hinweg jeden Wettbewerb ausgeschaltet und den Alleinanbieter groß gemacht haben, der die IT-Systeme der Bundespolizeibehörden und von drei Viertel der Länderpolizeien geliefert hat. Der kann sich freuen: Zum dritten Mal in Folge verbleiben weit mehr als 430 von 1.000 Euro Umsatz als Gewinn beim Anbieter.
„Damit die Polizeien des Bundes und der Länder weiterhin ihre Aufgabe wahrnehmen können, die öffentliche Sicherheit in Deutschland aufrechtzuerhalten, sind grundsätzliche Änderungen zwingend notwendig.“ sagen die Innenminister. Und verabschieden ein Sammelsurium alter Vorschläge und Gemeinplätze als angeblich neue „Leitlinien“. Der Bundesinnenminister will gleich die ganze Sicherheitsarchitektur umbauen. Wie wäre es, wenn in den Sicherheitsbehörden mal jemand anfängt zu führen und Entscheidungen zu treffen?! An mangelnden Informationen liegt es nämlich nicht …
Update vom 14.12.2016: Eklatante Widersprüche des BMI: Wieder ein Jahr Verzögerung beim PIAV aber angeblich „alles im Plan“
Auf der BKA-Herbsttagung hatte der Bundesinnenminister den PIAV als „wichtige Vorarbeiten“ bezeichnet und seine Visionen von der „Polizei 2020“ verkündet. Wenige Tage später bei der Herbsttagung der Innenminister erklärten diese das neue Vorhaben: Eine „grundlegende Modernisierung und Vereinheitlichung des Informationswesens der deutschen Polizei“. Seither versuchen wir, von der Pressestelle des BMI Antworten zu erhalten zur Zukunft des PIAV und zum geplanten „fachlich-technischen Gesamtsystem“. Auch wenn noch längst nicht alle Fragen geklärt sind: In Umrissen ist zu erkennen, was in den nächsten Jahren geplant ist. Zeitgleich dazu soll – wie geplant – der PIAV weiter umgesetzt werden. Ein anspruchsvolles Vorhaben!
— Update vom 1.12.2016, 04.30 Uhr —
Bei der Abschluss-Pressekonferenz der Herbsttagung der Innenminister kündigten der IMK- Vorsitzende und der Bundesinnenminister ein „fachliches und technisches Gesamtsystem“ für die Polizei der Länder und des Bundes an. Was da mit großem Optimismus vorgetragen wurde (wir dokumentierten den Originalton …), verschleiert völlig, dass
das aktuelle Projekt mit dem gleichen Ziel – es heißt Polizeilicher Informations- und Analyseverbund (PIAV) – komplett gescheitert ist,
und dass es bei der aktuellen desaströsen Situation des Informationsaustauschs zwischen Bund und Ländern noch auf Jahre bleiben wird.
In Hamburg wird Kritik laut, weil die Anbindung über CRIME an den PIAV nicht funktioniert. Und überhaupt der Datenaustausch zwischen Polizeibehörden viel zu träge umgesetzt wird. Vertreter des Senats waren rasch bei der Hand mit Ursachen. Die Nagelprobe zeigt jedoch: Keines dieser Argumente ist stichhaltig. Die wahren Ursachen sind hausgemacht und liegen in der befremdlichen Konstruktion des Inpol Polas Competence Centers (IPCC). Wie lange noch werden Scharen von Polizeibeamten für Software-„Entwicklung“ eingesetzt und Millionen Euro – auch Fördergelder – dafür in den Sand gesetzt? Und es kommt noch nicht einmal etwas Funktionsfähiges heraus dabei?? Wem also nützt das eigentlich?
Monatelang war es sehr still um den PIAV, den polizeilichen Informations-und Analyseverbund. Jetzt gibt es neue Informationen: „Schwierigkeiten mit der Kompatibilität“ haben die Teilnehmersysteme aus den beiden Hersteller-Lagern: Also RSCASE und CRIME. Sagt ein Bericht des Innenaussschusses in Hamburg. Für CRIME kommt es sogar noch schlimmer. Ob es überhaupt noch zukunftsfähig ist, wird angezweifelt. …