„Damit die Polizeien des Bundes und der Länder weiterhin ihre Aufgabe wahrnehmen können, die öffentliche Sicherheit in Deutschland aufrechtzuerhalten, sind grundsätzliche Änderungen zwingend notwendig.“ sagen die Innenminister. Und verabschieden ein Sammelsurium alter Vorschläge und Gemeinplätze als angeblich neue „Leitlinien“. Der Bundesinnenminister will gleich die ganze Sicherheitsarchitektur umbauen. Wie wäre es, wenn in den Sicherheitsbehörden mal jemand anfängt zu führen und Entscheidungen zu treffen?! An mangelnden Informationen liegt es nämlich nicht …
Seit Jahrzehnten erkennt man – hinterher – den gleichen roten Faden: Erst werden Mordanschläge verübt: Auf den Generalbundesanwalt, auf führende Bankmanager oder auf Wirtschaftsführer, wie im im Falle der Roten Armee Fraktion. Auf Gewerbetreibende mit südländischen Wurzeln, wie im Falle des NSU. Oder auf Menschen aus dem In- und Ausland, die einen Weihnachtsmarkt besuchen wollen und dort mit einem großen Lastwagen niedergemäht werden. Und immer ergibt die Untersuchung hinterher die Erkenntnis, dass notwendige Informationen schon im Vorfeld vorhanden waren. Sie versackten jedoch irgendwie und irgendwo. Zahlreiche Behörden und deren Vertreter waren jeweils beteiligt. Jeder wusste viel aus dem eigenen Haus und genug von den anderen: Doch Entscheidungen wurden nicht getroffen. Denn so richtig „zuständig“ war ja niemand und verantwortlich schon gar nicht.
Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und sein „Schlüssel zum Erfolg“
Anders, als noch bei RAF und NSU gab es im Fall des Attentäter von Berlin zumindest schon ein zuständiges Gremium: Es heißt Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Dort sitzen das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, der Generalbundesanwalt, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der militärische Abschirmdienst, die Landesämter für Verfassungsschutz, sowie die Landeskriminalämter als Vertreter der Polizeibehörden der Länder regelmäßig zusammen. Der Schlüssel zu den Erfolgen dieser Institution liege, sagt ein Dokument des BfV, „im Miteinander der unterschiedlichen Nachrichten und polizeilichen Akteure – ergänzt durch flankierende Maßnahmen im Bereich des Ausländerrechts, sowie in einer auf langfristige Wirksamkeit angelegten Abstimmung präventiver und repressiver Erfordernisse“. Das wird als „ganzheitlicher Ansatz“ bezeichnet. [1]
Beispielhaft: Die „AG Operativer Informationsaustausch“ im GTAZ und ihr Befassung mit Anis Amri
Eine feststehende Arbeitsgruppe im GTAZ mit dem Namen „AG Operativer Informationsaustausch“ [sic!] befasste sich zwischen dem 4.2.2016 und dem 2.11.2016 sieben Mal mit dem Attentäter. Die Geschäftsführung dieser Arbeitsgruppe liegt beim BKA. Vertreter aller sonst noch mit Amri befassten Behörden saßen am Tisch; dazu zählen insbesondere alle Bundesbehörden. Es lag bei jeder dieser Sitzungen eine Fülle von Einzelinformationen vor. So ergibt es sich aus einer ausführlichen Dokumentation als Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen [2]. Das Fatale ist: Man kann bei der siebten und letzten Zusammenkunft zum Ergebnis, „dass auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar ist“ [2, S. 14]. Demzufolge sah sich auch keine der beteiligten Behörden veranlasst, etwas gegen Amri unternehmen. Zur Frage nach den Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten antwortet die Bundesregierung: „Es handelt sich beim GTAZ um eine Plattform für die Behördenkooperation für Zwecke des Informationsaustausches und der Abstimmung behördlicher Maßnahmen … „ [2, S. 16].
Informationen waren vorhanden – es fehlte an Entscheidungen
Aus all dem folgt: Die Behörden hatten Informationen – fast schon im Überfluss. Es fühlte sich jedoch niemand zuständig, die Entscheidung zu treffen, diesen Mann aus dem Verkehr zu ziehen. Was „die Rechtslage“ durchaus hergegeben hätte, wie in vielen Artikeln von kompetenter Seite zwischenzeitlich dargelegt wurde [a]. Diese Entscheidungsschwäche ist eine offensichtliche Quelle für Fehler mit fatalen Auswirkungen. Sie wird beim nächsten Anschlag die gleichen fatalen Konsequenzen haben, wenn sich die Länder mit dem Bund nicht kurzfristig auf ein Entscheidungsverfahren für solche Fälle verständigen.
Der Umbau der Sicherheitsarchitektur, den der Bundesinnenminister vorschlägt, löst das Problem nicht
Doch diese naheliegende Problemlösung wird noch nicht einmal ins Auge gefasst: Stattdessen treibt der Bundesinnenminister einen Umbau der Sicherheitsarchitektur voran, der darauf hinauslaufen soll, dass die Landesämter für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz unterstellt werden [5] und dass die Landespolizeibehörden faktisch in allen Fällen „verbundrelevanter Kriminalität“ Arbeiten unter Federführung des Bundeskriminalamts zu erbringen haben [6]. Sein Haus wäre dann die Instanz, in der alle Entscheidungen getroffen werden. Das ist ein diskussionsfähiger Vorschlag, dem allerdings eine Reihe von Argumenten entgegenstehen: Nicht nur die föderale Struktur der Polizei, nicht nur die Tatsache, dass das Trennungsgebot eine organisatorische und personelle Union von Nachrichtendiensten und Polizei verbietet. Sondern vor allem die Tatsache, dass Architekturmaßnahmen dieser Art viel zu langwierig sind für die drängenden, aktuellen Probleme. Zumal der Erfolg eines solchen Umbaus in den Sternen steht.
Interessenkonflikte der CDU/CSU-Innenminister
Es wäre die Sache der Innenminister der Länder, ihre Interessen offensiv zu vertreten und den Begehrlichkeiten des Bundesinnenministers mit eigenen Vorschlägen entgegenzutreten. Acht der Länder-Innenminister sind Parteimitglieder der C-Parteien. Das verursacht offensichtlich einen Interessenkonflikt zwischen Ministerpflichten und Parteiloyalitäten: Gemeinsam mit dem Bundesinnenminister und Vorstandsmitglied der CDU, Thomas De Maiziere, haben sie in ihrer Berliner Erklärung im Sommer 2016 eine Reihe von Forderungen zur Inneren Sicherheit erhoben. Darin unterstützen sie „nachdrücklich“ den Bundesinnenminister und fordern einen „starken Staat“ und „setzen auf Sicherheit durch Stärke“. Widerstand gegen Pläne des Bundesinnenministers ist von diesen Parteikollegen daher nicht zu erwarten.
Neue Leitlinien der Innenminister für zeitgemäßes Informationsmanagement
Ende November 2016, also knapp drei Wochen vor dem Anschlag in Berlin, kamen die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister zu ihrer alljährlichen Herbsttagung zusammen. Sie beschlossen dabei auch neue ‚Leitlinien für das zeitgemäße Informationsmanagement der Polizeien des Bundes und der Länder‘ [4, dort S. 28f]. Schon der zweite Satz in der Einleitung lässt allerdings aufhorchen: „Damit die Polizeien des Bundes und der Länder weiterhin [sic?!] ihre Aufgabe wahrnehmen können, die öffentliche Sicherheit in Deutschland aufrechtzuerhalten [sic?!], sind grundsätzliche Änderungen zwingend notwendig.“
Das klingt reichlich dramatisch:
- Sind also die Polizeien des Bundes und der Länder derzeit gar nicht (mehr) in der Lage, die öffentliche Sicherheit in Deutschland aufrecht zu erhalten?!
- Wenn ja: Warum kommt diese Mitteilung so spät?!
- Was haben die Polizeien des Bundes und der Länder in den vergangenen zehn Jahren getan, um diese Entwicklung zu verhindern?
- Warum haben Bund und Länder – in aller Gemächlichkeit – über zehn Jahre hinweg an einem Leuchtturmprojekt namens PIAV (Polizeilicher Informations- und Analyseverbund) gewerkelt, wenn jetzt dieses Ergebnis auf dem Tisch liegt?!
- Oder wurde ein wenig zu viel Drama aufgetragen? Denn der Wahlkampf steht vor der Tür und ‚Innere SIcherheit‘ wird ein zentrales Thema.
Die neuen Leitlinien sind weitgehend alte Hüte; sie lösen die aktuellen Probleme nicht
Nach einer solchen Alarmmeldung erwartet man zeitnahe, effektive Vorschläge zur Problemlösung. Was die Innenminister stattdessen präsentieren, ist ein Sammelsurium von Selbstverständlichkeiten, Gemeinplätzen und in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder vorgetragenen, bis heute allerdings offensichtlich noch nicht umgesetzten Forderungen. Beispiele gefällig?!
- Einfachheit und Anwenderfreundlichkeit oder laufende Anpassung an den Stand der Technik?! Das sind Phrasen, die aus der Werbebroschüre eines Softwareherstellers stammen könnten.
- Zugriff für jeden Polizisten auf die für ihn/sie relevanten Informationen?! Unter Beachtung von Zugriffsrechten und Datenschutz: Das sind Selbstverständlichkeiten! Die standen genau so schon vor zwanzig Jahren in den Konzeptpapieren für Inpol-Neu.
- Das Prinzip der Einmalerfassung und Mehrfachnutzung?! Auch das taucht zuverlässig schon seit mehr als zwanzig Jahren in jedem strategischen Papier zum Polizeilichen Informationswesen in Deutschland auf. Dabei blieb es bisher leider auch: Denn realisiert sind Einmalerfassung und Mehrfachnutzung bis heute nicht.
Führen – in der Polizei und anderswo – heißt Entscheiden auf der Grundlage (immer) unvollständiger Informationen
Kein einziger Punkt der neuen (weitgehend alten) Leitlinien ist geeignet, die aktuellen Probleme zu lösen, wie sie sich bei der Dokumentation des Anschlags von Berlin erneut gezeigt haben: Nicht fehlende Information ist das Problem: Sondern das Zusammentragen der relevanten Informationen zur richtigen Zeit auf dem Tisch von Entscheidern. Dass Polizei und Sicherheitsbehörden immer mit unvollständigen Informationen zu tun haben, ist eine Binsenweisheit. Entscheidungen müssen dennoch getroffen werden. Was bisher fehlt, ist der Wille bzw. der Mut, auch denn Entscheidungen zu treffen, wenn das letzte Quäntchen Information noch fehlt. Denn das ist der Normalfall für Führungskräfte!
Fußnote
[a] Zitat aus dem Kommentar von Heribert Prantl [3], der früher selbst als Staatsanwalt tätig war: „Das Recht der Abschiebung ist scharf. Die Politik der inneren Sicherheit sollte sich damit befassen, warum diese Schärfe bei den sogenannten Gefährdern nicht zum Einsatz kommt. Der Weihnachtsattentäter von Berlin hätte längst in Abschiebungshaft gehört. Er hätte auch in Haft genommen werden können. … Diese Abschiebungsanordnung muss von der obersten Landesbehörde, also dem Innenministerium, oder „wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht“ vom Bundesinnenministerium ausgesprochen werden. …“Quellen
[1] Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), Informationsblatt des Bundesamts für Verfassungsschutz, heruntergeladen am 06.02.2016
https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/gemeinsames-terrorismusabwehrzentrum-gtaz
[2] Der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19.12.2016 und der Fall Anis Amri – Verantwortung und etwaige Fehler der Sicherheitsbehörden, Antwort der Bundesregierung vom 27.01.2017 auf eine Kleine Anfrage von Bündnis90/Die Grünen, DBT-Drs. 18/11027
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/110/1811027.pdf
[3] Schluss mit dem Paragrafen-Wettwerfen, 10.01.2017, Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/politik/innere-sicherheit-fesselndes-recht-1.3325474
[4] Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 205. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, 05.12.2016, Innenministerkonferenz
http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2016-11-29_30/beschluesse.pdf?__blob=publicationFile&v=3
[5] Anmerkungen zur den Leitlinien des Bundesinnenministers für einen starken Staat in schwierigen Zeiten: Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1, 03.01.2017, CIVES
http://cives.de/staatsstreich-auf-leisen-sohlen-teil-1-4054
[6] Neues BKA-Gesetz: Polizeiarbeit soll Bundessache werden; Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 3, 02.02.2017, CIVES
http://cives.de/neues-bka-gesetz-polizeiarbeit-bundessache-staatsstreich-teil3-4458
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