Dresden ist am heutigen Montag demofrei. Diese Nachricht besetzt die Topposition in allen deutschen Leitmedien. Sie geht zurück auf eine Allgemeinverfügung des Dresdner Polizeipräsidenten [1] mit der „alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb der Ortsgrenzen der Landeshauptstadt Dresden untersagt“ werden. Begründet wird dies mit einer konkreten Gefahr, die auf Informationen von Bundeskriminalamt und sächsischem Landeskriminalamt beruhen. Attentäter [von „Islamisten“ ist in der Verfügung nicht die Rede! / d. Verf.] seien aufgerufen worden, sich unter dem Protestierenden zu mischen, um zeitnah einen Mord an „einer Einzelperson des Pegida-Organisationsteams“, zu begehen. *)
Weiter heißt es zur Begründung: Derzeit lägen keine Ermittlungsansätze vor, die eine Identifizierung der potenziellen Täter ermöglichten, so dass „eine solche [Identifizierung] derzeit unmöglich ist“. Und insofern gebe es auch „keine geeigneten polizeilichen Mittel, um die vorliegende Gefahr abzuwehren.“ Ich verkenne nicht (siehe auch den weiteren Text dieses Artikels!) in welcher schwierigen Lage sich die Polizei hier befindet. Als Präzedenzfall ist die Begründung dennoch denkbar gefährlich: Es könnte nämlich Schule machen, dass nicht vorhandene Ermittlungsansätze der Sicherheitsbehörden [, eine Lage, die ja öfter mal vorkommt,] schon ausreichen, um das immerhin im 8. Artikel des deutschen Grundgesetzes niedergelegte Recht auf Versammlungsfreiheit für alle großflächig auszusetzen.
Man kann die, von manchen sicher als „überzogen“ betrachtete **) Entscheidung der Dresdner Polizeiführung also durchaus auch als Signal bzw. Ausdruck der Verzweiflung gegenüber Politik und Gesellschaft betrachten. Zumal Wetten darauf abgeschlossen werden können, dass es Kläger gegen und damit zu einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme kommen wird. Doch wie soll Polizei eigentlich entscheiden, um verfassungs- und allgemeingesetzlichen Vorgaben, z.B. durch das Versammlungsrecht, gerecht zu werden und ihren Auftrag zur Abwehr von Gefahren nachzukommen? Auch der Zeitpunkt verwundert nicht. Die Bevölkerung in Dresden wird heute schon in Folge der Pegida-Aktionen als „tief gespalten“ beschrieben.
Zumal die Dresdner Polizei weiß, dass im Februar mit den Nazi-Aufmärschen zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Jahr 1945 und den damit verbundenen Gegendemonstrationen weitere Belastungen auf sie zukommen. Was in gleicher Weise für Magdeburg oder Cottbus gilt, andere Städte, die langjährig belastet sind durch solche alljährlichen Aufmärsche.
Konfliktierende Anforderungen an die Polizei bei Demonstrationen
Ein Blick auf den nächsten Nachbarn Brandenburg und eine aktuelle Entscheidung des Potsdamer Verwaltungsgerichts [2] ist geeignet, in einem Polizeipräsidium das Gefühl aufkommen zum Prügelknaben gemacht zu werden bzw. von der Politik im Stich gelassen zu werden. Denn wie es Polizei in der aktuellen Lage auch macht – hinterher ist es verkehrt.
In Potsdam hatte die NPD im Juli 2012 einen Aufzug angemeldet, um gegen die Politik in Brüssel zu protestieren. Die von den Veranstaltern an sich gewünschte Marschroute wurde von der Polizei nicht genehmigt, auf der zugewiesenen Route kam es zu einer Blockade durch Gegendemonstranten, die offiziell und insbesondere auch vom Potsdamer Oberbürgermeister unterstützt wurden. Die NPD konnte daraufhin zwar nicht um den Hauptbahnhof ziehen, wohl aber hilfsweise vor Gericht.
Dort machte die Polizei geltend, ihr Einsatzkonzept sei darauf angelegt gewesen, das Versammlungsrecht der Teilnehmer der NPD-Kundgebung ebenso zu gewährleisten, wie das der Gegendemonstranten. Eine (vorbeugende) vollständige Sperrung der Marschroute sei nicht möglich gewesen. Die Zahl der Gegendemonstranten habe rasch zugenommen, der mehrfachen Aufforderung zur Räumung seien die Gegendemonstranten nicht nachgekommen. Eine Räumung durch die Polizei wäre nicht verhältnismäßig gewesen, da sie im Hinblick auf Leib und Leben und auch bedeutende Sachwerte „in einem deutlichen Missverhältnis zu der dadurch erreichten Durchsetzung des Aufzuges“ der NPD gestanden hätte. Das sah das Verwaltungsgericht allerdings ganz anders [3] und stellte lapidar fest, dass „das unterlassene Einschreiten (der Polizei) zur Sicherung der Durchführung der (NPD-)Versammlung rechtswidrig war.“
Wie fühlt man sich eigentlich als Polizei, wenn Politik und Gesellschaft Anforderungen stellen, die nicht widerspruchsfrei sind? Wenn ‚die Politik‘ sich fein raushält? Führende Politiker allerdings sehr wohl ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bzw. Versammlungsfreiheit wahrnehmen, was viele Polizeibeamte vermutlich auch gerne täten, wenn sie nicht Urlaussperre an solchen Tagen hätten? Und Gerichte hinterher von oben herab erklären, was rechtswidrig ist? Jedoch keiner sich rechtzeitig genug mal mit der Polizei und den Grundrechtsinhabern zusammen- bzw. auseinandersetzt, um zu klären, dass man nicht Polizei allein zum Prellbock machen kann für solche immer wiederkehrenden Situationen? Sondern zu einer Lösung der bestehenden Dilemmata kommen muss?
Fußnoten
*) Es sei übrigens daran erinnert, dass am gestrigen Sonntag zunächst Pegida selbst die für heute angekündigte Demonstration abgesagt hat, was ja wohlwollend noch ausgelegt werden konnte als Eingehen auf die Appelle mancher Politiker, nach den Anschlägen in Frankreich auf deren weitere Instrumentalisierung bei der nächsten Dresdner Pegida-Demo zu verzichten. Erst danach wurde das polizeiliche Verbot bekannt.
**) siehe dazu beispielsweise den Artikel „Zweifel am Versammlungsverbot in Dresden“ in Telepolis vom gleichen Tage [2]
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