Zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik die Ergebnisse, die das Innenministerium sehen will?
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Der Nordkurier, eine Regionalzeitung für Mecklenburg und Nordbrandenburg, berichtet heute über einen höheren Beamten im Landeskriminalamt MeVo mit Rückgrat [1] *): Der Mann, der „führende Polizeistatistik-Experte des LKA“ sollte sich gegenüber der Amtsleitung in einer Zielvereinbarung auf Höchstgrenzen für die Zahl von Straftaten festlegen, die in der PKS auftauchen durften. Dies lehnte der Beamte als „unwissenschaftlich“ ab, was zu Sanktionen führte: Man verweigerte ihm bis dahin gewährte Dienstreisen zu Fachtagungen, beschränkte seine Forschungsarbeiten und versetzte ihn schließlich ins Amt für Brand- und Katastrophenschutz. Der Mann ging vor das Arbeitsgericht und erreichte ein Urteil, das als schallende Ohrfeige für seinen Dienstherrn zu verstehen ist. Die „Persönlichkeitsrechte“ des Klägers seien verletzt, man habe dem Mann „das Leben schwer gemacht“, ihm „Steine in den Weg gelegt“ und ihn „unfair behandelt“. Gemessen an dem Ärger dürften die 2.500 Euro Schadenersatz, die das Gericht ihm zubilligte, zwar keine adäquate Entschädigung sein, jedoch durchaus als moralischer Sieg beim Kläger aufgefasst werden.
Ergebnisoptimiert gestaltete PKS in Brandenburg?
Auch in Brandenburg gab und gibt es Diskussionen um die Polizeiliche Kriminalstatistik: Nach derzeitigem Stand der Informationen wurden mehrere, gleichartige Straftaten, wie z.B. Fahrraddiebstahl, die in einer bestimmten Gegend während einer Nacht oder eines Tages passierten, als nur ein Fall gezählt. Was schon mal die Zahl der Straftaten senkt. Wird nun aber nur einer dieser mehreren Fälle aufgeklärt, z.B. weil der Dieb eines Fahrrads gestellt wurde und diese Tat zugegeben hat, so werden diesem Beschuldigten „statistisch“ sämtliche Fahrraddiebstähle zugeordnet, die in der gleichen Gegend in den letzten drei Monaten erfasst wurden. Was die Aufklärungsquote, rein „statistisch“ auf 100% bringt.
Diese spezifisch brandenburgische Zählweise ist niedergelegt in einer internen Dienstanweisung der Polizeidirektion West und wurde vom damaligen Polizeipräsidenten (und heutigen Staatssekretär im Innenministerium) Arne Feuring lange Zeit als in Übereinstimmung mit bundeseinheitlichen Richtlinien verteidigt. Diese Darstellung ist nicht länger haltbar. Denn auch in Brandenburg gab es Widerspruch aus dem Landeskriminalamt: In einem Dokument des LKA, das die Fernsehsendung Klartext [2] zitiert, heißt es: „Diese Handlungsanweisungen weichen in ihrer Gesamtheit [sic! / d. Verf.] bei der Umsetzung im Land Brandenburg von den bundeseinheitlichen Richtlinien ab. Sie sind mit sofortiger Wirkung zurückzuziehen.“ Und im Protokoll eines Workshops von Bund und Ländern zum Thema PKS heißt es: „Die Teilnehmer der anderen Länder und des Bundes bewerten die von Brandenburg vorgeschlagenen Verfahrensweisen als nicht richtlinienkonform.“
Sind Zielvereinbarungen der Schlüssel zum Verständnis der Gestaltung der PKS in Brandenburg?
In MeVo gab es, mindestens seit 2010 „neu eingeführte Zielvereinbarungen der Polizeiführung mit Beamten in herausgehobener Position“. [Es scheint sich um einen jener Modernismen zu handeln, mit denen Unternehmens-(sic!!)berater, die ihr segensreiches Wirken bei großen Polizeiorganisationen zur Entfaltung bringen, der Polizei marktwirtschaftliche Führungs- und Wirtschaftsprinzipen überstülpen. / d. Verf.]
Man kann sich das praktisch so vorstellen, dass für ein Berichtsjahr zwischen Amtsleitung, sagen wir dem Polizeipräsidium, und den „Beamten in herausgehobener Position“, sagen wir den Leitern von Polizeidirektionen oder untergeordneten Polizeidienststellen, Ziele festgeschrieben werden darüber, wie viele Wohnungseinbrüche, Besonders schwere Diebstähle oder geklaute Fahrräder maximal vorkommen dürfen. Unglücklicher Weise kann, z.B. der Leiter einer lokalen Polizeidienststelle nur sehr begrenzt darauf Einfluss zu nehmen, wie viele Straftaten dann tatsächlich passieren. Dies gilt umso mehr, wenn man – von Seiten der vorgesetzten Behörde bzw. des Innenministeriums – gleichzeitig auch noch die polizeilichen Ressourcen beschneidet, z.B. durch eine Strukturreform.
Was also soll der Polizeiführer tun, wenn die tatsächliche Zahl der Fahrraddiebstähle exorbitant höher liegt, als die, die er selbst in der Zielvereinbarung unterschrieben hat. Persönliche Konsequenzen in Kauf nehmen?! Oder vielleicht doch tun, was wesentlich nahe liegender ist und ja auch in der Privatwirtschaft gerne gepflegt wird: Wenn schon nicht die Wirklichkeit zu ändern ist, so sind es doch zumindest die Berichtszahlen …
Fragen zur Interpretation der polizeilichen Kriminalstatistik
Aus den beiden Beispiele aus MeVo und Brandenburg leiten sich jedoch drei generelle Fragen ab:
- In welchen Landes- und Bundespolizeibehörden gibt es solche Zielvereinbarungen?
- Welche konkreten Inhalte / Festlegungen sind darin jeweils enthalten?
- Welches sind die Konsequenzen für den Polizeiführer bei Nicht-Erreichung der ‚vereinbarten‘ Ziele?
Das wären doch interessante Fragen an die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen in den jeweiligen Parlamenten.
Fußnote
Mit Dank an Fefe für den Hinweis in seinem heutigen Blog-Beitrag.
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