Umzug der IT des Bundes ins Kanzleramt löst keine Probleme

Auszug aus dem Organisationsplan des Bundeskanzleramts in der Fassung vom 02.07.2018
Die IT-Projekte des Bundes, verantwortet vom jeweiligen Bundesministerium, sind seit Jahren ein Problemfall. Seit 2006 wird geschraubt an einer IT-Steuerung Bund, an der IT-Konsolidierung und Gremium über Gremium installiert. Ein Teil des Problems war bisher: Die Koordinierung war Sache des Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik („Bundes-CIO“), der im Bundesinnenministerium angesiedelt ist. Nun hat die Kanzlerin mit einem Federstrich verfügt, dass die Gemeinsame IT des Bundes und die IT-Steuerung und Konsolidierung für die Bundesbehörden umgezogen wird ins Kanzleramt. Ihre Medienberaterin, Eva Christiansen, soll sich, quasi nebenbei, auch noch um diese Aufgaben kümmern. Monate nach der Bundestagswahl und Wochen nach der einsamen Entscheidung der Kanzlerin gibt es im Kanzleramt bisher nur unbesetzte Stellen für eine ganze, neue Unterabteilung. Das Tempo dieses Handelns, in der Regierungserklärung der Kanzlerin noch zum „entscheidenen Faktor für unsere Zukunftsfähigkeit in Sachen Digitalisierung“ bezeichnet, lässt darauf schließen, dass die Informationstechnik der Bundesbehörden nur noch weiter den Anschluss verliert. | Lesedauer: Ca. 6 Minuten

Der Umzug der ‚Gemeinsamen IT des Bundes‘ vom BMI ins Kanzleramt

Mit dem ‚gordischen Knoten‚ werden sie gerne verglichen: Die extrem komplexen, über Jahre gewachsenen, von zahlreichen Beteiligten mit noch zahlreicheren Interessen beeinflussten Projekte, besonders solche im Bereich der Informationstechnik. Die Auflösung eines solchen gordischen Knotens wäre ideal, ein entschlossenes Durchschlagen, wie Alexander der Große das gemacht haben soll, zumindest ein Ansatz.

Die Bundeskanzlerin kam auf eine dritte Idee: Sie hat verfügt, dass ein besonders imposanter gordischer Knoten namens ‚Gemeinsame IT des Bundes‘ bzw. ‚IT-Steuerung des Bundes‘ [1] einfach mal so eben UMGEZOGEN wird: Eineinhalb Zeilen in einem „Organisationserlass“ vom 14.03.2018 [2] genügten, in denen verfügt wird: „Dem Bundeskanzleramt werden aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat die Zuständigkeiten für die IT-Steuerung des Bundes, für die Geschäftsstelle IT-Rat sowie für die Gemeinsame IT des Bundes übertragen.“ Ah ja! Na klar! Das KÖNNTE Teil einer Lösung sein für einen über Jahre gewachsenen Haufen von Problemen bei fast allen IT-Projekte und -Verfahren in diversen Bundesministerien und deren untergeordneten Behörden [3]. Dazu gehören

    die IT der Bundesagentur für Arbeit,
  • die IT der Deutschen Rentenversicherung Bund,
  • der IT-Dienstleister für das Bundesministerium für Verteidigung,
  • die Auslands-IT des Auswärtigen Amts, sowie
  • der Verbund der Rechenzentren des Bundes (ITZBund).

Der Umzug allein wird jedoch mit Sicherheit nicht ausreichen, die dort aufgelaufenen Probleme zu lösen.

Größenordnung der ‚Gemeinsamen IT des Bundes‘

Falls Sie noch keine rechte Vorstellung von der Größenordnung haben: Wir sprechen hier von IT-Vorhaben, für die jährlich weit mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben wird, mit denen hunderttausende von Nutzern arbeiten und die – alle miteinander und jedes für sich – komplexe Herausforderungen des Betriebs, der Beschaffung und der Fortentwicklung darstellen.

Die Zuständigkeit für alle diese Projekte werden nun also mit einem Federstrich aus dem Bundesministerium des Innern in das Bundeskanzleramt verlagert und – rein theoretisch – KÖNNTEN sich die Probleme damit lösen. Das ist in Teilen sogar wahrscheinlich: Denn natürlich ist es taktisch unglücklich, wenn in einem BundesINNENministerium, wie vor mehr als zehn Jahren geschehen, ein Bundesbeauftragter für die Informationstechnik des Bundes („Bundes-CIO“) installiert wird und dieses Ministerium dann als PRIMUS inter Pares bestimmen soll über IT-Vorhaben, die andere Ministerien betreffen. Zumindest aus diesem Grund ist nachvollziehbar, dass Zuständigkeiten auf ein höheres Level als das eines Bundesministeriums gehören – und das ist nun einmal das Bundeskanzleramt.

Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ministerien als Teil des Problems

Die Kanzlerin hat seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2005 Gelegenheit gehabt, sich das Gerangel zwischen den Ressorts anzusehen und daraus Konsequenzen abzuleiten. Ihr anfängliches mediales Engagement für das Thema IT – 2006 und 2007 kam sie groß raus auf den von ihr initiierten IT-Gipfeln – erlahmte dann allerdings, zumindest auf operativ-arbeitstäglichem Gebiet. Aus den Kompetenzproblemen zwischen gleichrangigen Ressorts, von denen eines zum Primus Inter Pares gemacht wurde – Problemen also, die sich vollkommen vorhersehbar entwickelten – hätte die Kanzlerin schon längst Konsequenzen ziehen können. Und zwar spätestens in der letzten Wahlperiode, als der Bundesrechnungshof – für seine Verhältnisse so drastisch wie nie zuvor- auch die Warnglocken schlug wegen des weder fachlich, noch methodisch ausreichend kompetenten Projektmanagements großer IT-Vorhaben im BMI. Auf diesem Blog gab es schon mehrfach Artikel zu diesem Thema [A, B]].

Konsequenzen der Kanzlerin waren längst überfällig

Merkel HÄTTE also die überfällige Reorganisation der ‚Gemeinsamen IT des Bundes‘ spätestens in der letzten Wahlperiode planen und vorbereiten können. Um nach ihrer erneuten Bestätigung im Amt eine IT-Koordination durch das Kanzleramt für die Gemeinsame IT des Bundes zu präsentieren, die bisherige Ressort-Streitigkeiten beseitigt und aus den vielfältigen Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. HÄTTE … doch leider hat sie nicht und auch sonst niemand im Kanzleramt.

Oder ging es nur um parteipolitische Ranküne – Merkel gegen Seehofer?!

Der Organisationserlass vom 14.03. [2] wirkt vielmehr so, als sei es zunächst nur darum gegangen, Horst Seehofer, dem neuen Innen-, Bau- und Heimatminister nicht auch noch die Informationstechnik des Bundes zu lassen (siehe dazu auch [C]). Die wurde daher erst mal weg-verfügt, mit einem Erlass, dessen Schöpfung mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen war.

Dorothee Bär – Seehofers Abgesandte im Kanzleramt

Auszug aus dem Organisationsplan des Bundeskanzleramts in der Fassung vom 23.04.2018, Quelle: Bundeskanzleramt
Ganz so kampflos hat Seehofer diesen Schachzug auch nicht hinnehmen wollen. Und entsandte eine Nachwuchsfrau aus dem CSU-Vorstandskader, eine gewisse Dorothee Bär, als seine Vertreterin und die der CSU ins Kanzleramt, wo sie zur ‚Staatsministerin für Digitalisierung‘ wurde. Selbst heute noch, Wochen nach der Regierungsbildung, findet man auf der Webseite des Kanzleramts zu dieser Funktionsträgerin keine Angaben über ihre Aufgaben oder Verantwortungsbereiche. Lediglich zu ihrer persönliche Qualifikation die Angabe, dass sie mit 14 Jahren in die Junge Union eingetreten ist, mit 18 ein Highschool Diploma in den Vereinigten Staaten und mit 21 Abitur in Bayern gemacht hat. Und beruflich seither in der zweiten Hälfte ihres bisherigen Lebens Polit-Funktionärin für die CSU auf diversen Ebenen gewesen ist [4]. Im Organisationsplan des Kanzleramts (in der Ausgabe vom 24.04.2018) [5] schwebt die Funktion der Staatsministerin für Digitalisierung frei im Raum seitlich unter der Kanzlerin, ohne jede Organisationsstruktur.

Eva Christiansen – „Medienberaterin der Kanzlerin“- stemmt nebenbei auch noch die IT des Bundes?!

Eine solche findet sich dagegen im gleichen Organisationsplan in der Abteilung 6 des Kanzleramts. Die Leiterin dieser Abteilung für „Politische Planung, Innovation und Digitalpolitik, sowie – das ist neu – Strategische IT-Steuerung“ ist ‚Frau Christiansen‘; damit ist Eva Christiansen gemeint, die in der Presse meist als „enge Vertraute von Kanzlerin Merkel, deren Redenschreiberin und Medienberaterin“ erwähnt wird. In letzterer Funktion taucht Frau Christiansen auch noch ein zweites Mal im Organigramm des Kanzleramtes auf.

Auszug aus dem Organisationsplan des Bundeskanzleramts in der Fassung vom 23.04.2018, Quelle: Bundeskanzleramt

Nun ist die eine Frage, was die langjährige (und ja nicht un-erfolgreiche) MEDIENBERATERIN der Kanzlerin dafür qualifiziert, in leitender Funktion auch die Probleme bei der ‚Gemeinsame IT des Bundes‘ zu lösen, diese Projekte effektiver zu machen und als erfolgreiche Dompteuse in den damit verbundenen Steuerungs- und Beratungsgremien zu wirken.

Die weitere Frage ist, wie die Lösung dieser Mammutaufgabe, für die Medienberaterin im Stab der Kanzlerin quasi so „nebenbei“ funktionieren soll, wenn es bisher keinen strukturellen bzw. personellen Unterbau für diese Aufgabe im Kanzleramt gibt:

Auszug aus dem Organisationsplan des Bundeskanzleramts in der Fassung vom 23.04.2018, Quelle: Bundeskanzleramt
Der aktuelle Organisationsplan zeigt diesbezüglich eine Wüste, nämlich eine Unterabteilung 6.2, in der von der Leitung bis zum Referat 6.2.5 nicht MEHR ’steht‘ als die Bezeichnungen der Referate: Der Name der Leitungskraft ist dagegen stets gleich, nämlich N.N. = nomen nominandum = noch zu benennen, d.h. es gibt da noch keine Leitungskräfte und erst Recht keine Mitarbeiter. Die sollen wohl aus dem BMI ins Kanzleramt verschoben werden. Was die weitere Frage aufwirft, ob sich wirklich etwas verbessert, wenn bisherige (uneffektive) Strukturen in einem neuen Zuständigkeitsbereich weiterhin wirken wie bisher.

Die IT des Bundes – seit Monaten zwischen den Stühlen

Anfragen im Bundestag über den Umzug der ‚gemeinsamen IT des Bundes‘ ins Kanzleramt haben bisher auch nicht mehr Licht in den Nebel gebracht [6]. Da ist lediglich viel von „sollen“ die Rede: „In der Abteilung SOLLEN überdies innovative Planungsinstrumente verstetigt und strukturell verankert werden. Für diese Aufgaben SOLL das Bundeskanzleramt intern personell umstrukturiert und Stellen aus dem BMI übernommen werden.“

Und deutlich wird, dass frau bzw. man im Kanzleramt keine Eile hat, wenn es darum geht, die bisherige IT-Steuerung des Bundes kritisch unter die Lupe zu nehmen und zu verbessern. In der Antwort im Bundestag heißt es nämlich weiter: „Die organisatorischen Planungen über ihre Einfügung in eine neue Struktur sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Sobald die künftige Struktur feststeht, wird die erbetene Information nachgereicht.“

Wie sagte die Kanzlerin doch so treffend in ihrer Regierungserklärung am 21.03. zur Digitalisierung?! „Die Geschwindigkeit des Handelns, man kann auch sagen, das Tempo des Handelns, wird zum entscheidenden Faktor unserer Zukunftsfähigkeit.“ [7] Sollte das Tempo des Umzugs der Gemeinsamen IT ins Kanzleramt dafür zur Richtschnur werden, ist nur eines festzustellen: „Unsere“ Zukunftsfähigkeit in Sachen Digitalisierung wird gerade weiter verschlafen.

Quellen

[1]   Die Informationstechnik des Bundes, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, downgeladen am 04.05.2018
downgeladen am 04.05.2018
https://www.bmi.bund.de/DE/themen/it-und-digitalpolitik/it-des-bundes/it-des-bundes-node.html

[2]   Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom 14.03.2018
https://www.gesetze-im-internet.de/bkorgerl_2018/BJNR037400018.html

[3]   IT-Konsolidierung des Bundes, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, downgeladen am 04.05.2018
downgeladen am 04.05.2018
https://www.bmi.bund.de/DE/themen/it-und-digitalpolitik/it-des-bundes/it-konsolidierung/it-konsolidierung-node.html

[4]   Webseite der ‚Staatsministerin für Digitalisierung‘ auf der Seite des BUndeskanzleramts, downgeladen am 04.05.2018
https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/StaatsministerinDigitalisierung/_node.html

[5]   Organisationsplan des BUndeskanzleramts in der Fassung vom 23.04.2018, downgeladen am 04.05.2018
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/druckversion-organigramm-bkamt.pdf?__blob=publicationFile&v=17

[6]   DBT-Drucksache 19/1634, Seite 1f, Frage 2:

2. Abgeordnete Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE.) Welche neuen Zuständigkeiten gibt es beim Bundeskanzleramt im Bereich Digitalisierung, un d wie sind oder werden sie durch bereits bestehende oder neu geschaffene Stellen unterlegt?
 
Antwort des Staatsministers bei der Bundeskanzlerin Hendrik Hoppenstedt vom 4. April 2018 Nach dem Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom 14. März 2018 werden dem Bundeskanzleramt die Zuständigkeiten für die IT-Steuerung des Bundes, für die Geschäftsstelle IT-Rat sowie für die Gemeinsame IT des Bundes aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat übertragen. Konzeptionell soll dabei das Gefüge der IT-Steuerung Bund strategisch und insbesondere in Bezug auf ressortübergreifende Aspekte weiterentwickelt werden. In einer neu geschaffenen Abteilung soll die Koordinierung für den Bereich Digitalpolitik u. a. in den beteiligten Gremien, bei digitaler Infrastruktur und eGovernment ausgebaut werden. In der Abteilung sollen überdies innovative Planungsinstrumente verstetigt und strukturell verankert werden. Für diese Aufgaben soll das Bundeskanzleramt intern personell umstrukturiert und Stellen aus dem BMI übernommen werden. Für dabei neu entstandene Aufgaben sind die neuen Stellen eingerichtet worden. Die organisatorischen Planungen über ihre Einfügung in eine neue Struktur sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Sobald die künftige Struktur feststeht, wird die erbetene Information nachgereicht. „

[7]   Wörtlicher Auszug aus der Regierungserklärung der Kanzlerin vom 21.03.208 zur Digitalisierung, in ‚Lässt das Schlimmste befürchten …: Regierungserklärung der Kanzlerin zur ‚Digitalisierung‘, 22.03.2018, CIVES
http://cives.de/regierungserklaerung-der-kanzlerin-zur-digitalisierung-7500

Verwandte Beiträge

[A]   IT-Projekte des Bundes: Massive Kritik des Bundesrechnungshofs an IT-Projekten des Bundes, 23.10.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/massive-kritik-des-rechnungshofs-an-it-projekten-des-bundes

[B]   IT-Projekte des Bundesinnenministeriums: Steuergeld – mit vollen Händen zum Fenster raus …, 24.11.2016, CIVES
http://cives.de/bmi-projekte_mit-vollen-haenden-zum-fenster-raus-3863

[C]   Wahltaktische Ziele der CSU dominieren die (Personal-)Politik der Inneren Sicherheit im BMI: Bundesinnenministerium – parteipolitisch gekapert, 02.05.2018, POLICE-IT
https://police-it.net/bundesinnenministerium-parteipolitisch-gekapert

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