Bundesamt für Verfassungsschutz darf schon, wovon das BKA noch träumt

Schäuble, der aktuelle Finanzminister und frühere Innenminister, und seine Nachfolger Friedrich (CSU) und deMaizière (CDU) können die Sektkorken knallen lassen. Nicht wegen Griechenland. Sondern weil ein Herzensanliegen dieser drei Hardliner in Angelegenheiten der Inneren Sicherheit endlich vollendet wurde: Am Freitag hat der Bundestag ein wesentlich verändertes Gesetz für die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern beschlossen. Und damit die Befugnisse und Zuständigkeiten des Bundesamts für Verfassungsschutz erheblich ausgeweitet. Faktisch kann nun das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nahezu unbegrenzt „Informationen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen“ sammeln und dazu auch V-Leute einsetzen, observieren, abhören bzw. „Tarnpapiere und Tarnkennzeichen“ anwenden.
Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein Gummiparagraph: Wenn nämlich nach Ansicht des BfV Bestrebungen und Tätigkeiten zu beobachten sind, die „darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden, Gewaltanwendung vorzubereiten, zu unterstützen oder zu befürworten“. Wie wachsweich eine solche Formulierung ist und dass sie bei Bedarf jederzeit als Begründung herangezogen werden kann, das zeigen die Demonstrationsereignisse der letzten Monate.

Wie Kritik am Bundesamt für Verfassungsschutz in eine Ausweitung von Befugnissen und mehr Personalstellen verwandelt wurde

Der Riege der Bundesinnenminister aus den Parteien mit dem großen C ist damit ein ziemlicher Coup gelungen: Sie haben nämlich Kritik auf breiter Front und die Möglichkeit zu empfindlichen Kompetenz- und Mittelstreichungen für das BfV in das Gegenteil verwandelt: Mit dem neuen Gesetz wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz belohnt und aufgewertet: Es erhielt mehr Mittel und 260 zusätzliche Personalstellen und ein umfangreiches Paket neuer Zuständigkeiten, auch über die Köpfe der Landesämter hinweg. Eklatante Mängel bei der Bearbeitung der NSU-Mordserie, die die Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus [a] und der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag [b] aufgezeigt hatten, – da wurden Hinweise übersehen oder ignoriert, Datenträger abgelegt, jedoch nicht ausgewertet und Akten geschreddert – wurden so im Nachhinein noch mit mehr Stellen, mehr Mitteln und mehr Kompetenzen belohnt.

Trotz reichlich Kritik der beiden Oppositionsparteien in der Aussprache vor Abstimmung über das Gesetz wurde der eigentliche Coup im neuen Gesetz meiner Ansicht nach noch gar nicht gewürdigt: Durch das Gesetz wurde die Architektur der Sicherheitsbehörden nämlich wesentlich verändert und ausgebaut: Die Verfassungsschutzbehörden bilden nach dem neuen Gesetz eine kompakte zweite Säule von Sicherheitsbehörden neben der ersten Säule, die aus den Polizeibehörden des Bundes und der Länder besteht.

Während in der Polizei-Säule noch die föderale Struktur gilt – Polizeiarbeit ist Ländersache – hat man diese Limitierung [aus Sicht der Bundespolitik] für die Verfassungsschutzbehörden überwunden:

Neue Architektur der Verfassungsschutzbehörden, Zentrale gemeinsame Datei(en)
Neue Architektur der Verfassungsschutzbehörden, Zentrale gemeinsame Datei(en)
Anders als bei der Polizei sind die Landesämter für Verfassungsschutz nach dem neuen Gesetz verpflichtet, „sich untereinander die für ihre Aufgaben relevanten Informationen, einschließlich der Erkenntnisse ihrer Auswertungen zu übermitteln“. Dazu müssen sie so genannte „Gemeinsame Dateien“ nutzen, die beim BfV geführt werden. Das BfV hat die Aufgabe der zentralen Auswertung all dieser Informationen. Ferner koordiniert es die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden und „unterstützt“ die Landesbehörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben: Kurzum: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist damit zur Verfassungsschutz-Leitbehörde gemacht worden, der die Landesämter Informationen und Erkenntnisse zuzuliefern haben und unter dessen Anleitung sie im Einzelfall zu agieren haben.

Traum mancher Innenpolitiker auch für die Polizei …

Dieser neue Status Quo im Verfassungsschutz ist ein Zustand, von dem viele großkoalitionäre Innenpolitiker für den Bereich der Polizei nur träumen können.
Denn Polizeiarbeit ist tatsächlich noch weitgehend Ländersache. Und das Bundeskriminalamt hat bisher – anders als das BfV nach dem neuen Gesetz – keine umfassende Koordinierungsaufgabe für die Länderpolizeien. Auch sind diese nicht gesetzlich verpflichtet, umfassend relevante Informationen und ihre jeweiligen Erkenntnisse daraus beim BKA abzuliefern. Insofern hinkt die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden bei den Polizeien noch ein gutes Stück hinter den neuen Möglichkeiten im Verfassungsschutz hinterher.

Die aktuelle Situation in den Polizeibehörden

Wobei die aktuelle Situation bei den Polizeibehörden tatsächlich etwas differenzierter ist, als gerade dargestellt: Denn

  1. hat das BKA in eingeschränktem Maße durchaus die Befugnis, eigenständig polizeilich tätig zu werden. Diese Befugnis ergibt sich aus dem BKA-Gesetz und betrifft Arbeitsgebiete wie den polizeilichen Staatsschutz bzw. Organisierte Kriminalität, Falschgeld, Waffenhandel u.ä., also Deliktsbereiche, in denen die Akteure überregional bzw. grenzüberschreitend agieren.
  2. sind die Landespolizeibehörden in eingeschränktem Maße durchaus verpflichtet, ihnen vorliegende Informationen an das BKA als Zentralstelle zu übermitteln. Das gilt für Informationen zu meldepflichtigen Ereignissen und Sachverhalten im Rahmen des so genannten Kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD) und der Sondermeldedienste
  3. nimmt das BKA an solchen Verbunddateien keine AUswertungen vor und
  4. hat das BKA – neben seinen operativ polizeilichen Befugnissen entsprechend Ziff. 1 – auch noch die Aufgabe einer zentralen Infrastruktureinrichtung: Es soll als ‚Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen‘ die Polizeibehörden von Bund und Ländern unterstützen bei deren Aufgaben bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten von länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung“ (§2, BKA-Gesetz). Vereinfacht gesagt: Das BKA ist zuständig für sämtliche polizeilichen Datenbanken, die von Bundes- und Landespolizeibehörden für den Informationsaustausch genutzt werden.

Kardinalproblem der Polizeibehörden: Informationsaustausch

Was sich auf dem Papier so simpel ausmacht, hat in der Praxis immense Probleme für die Polizei aufgeworfen. Bund und Länder waren bisher nicht in der Lage, sich für sämtliche Anwendungen / Datenbanken auf eine gemeinsame Informationstechnik zu einigen, um Informationen miteinander auszutauschen. In Teilbereichen gibt es solche gemeinsamen Datenbanken, so z.B. für die Fahndungsausschreibungen (nach Personen bzw. Sachen), und andere Basis-Informationen. Die gemeinsamen Informationstechnik dafür heißt Inpol-Neu(-Neu) und ist seit 2003 in Betrieb. Die Entwicklung und Einführung dieses Systems stellte bereits ein dunkles Kapitel der polizeilichen Zusammenarbeit von Bund und Ländern dar und wird daher gerne totgeschwiegen. Das ursprünglich vorgesehene System Inpol-Neu scheiterte nämlich kläglich bei der Einführung und wurde still und heimlich und etliche Monate später durch ein ganz anderes System ersetzt (siehe …).

Seit 2003 gibt es eigentlich keine nennenswerten Fortschritte mehr beim Austausch von Informatioen zwischen den polizeilichen Informationssystemen von Bund und Ländern. Einige Jahre lang favorisierte das BKA ein angeblich eigen-entwickeltes System namens Inpol-Fall, war davon aber anscheinend überfordert und ließ es irgendwann fallen, wie eine heiße Kartoffel [c]. Seit mindestens 2008 beschäftigt eine neue Idee zahlreiche Kommissionen und Arbeitsgruppen der Polizeibehörden von Bund und Ländern. Das Ganze nennt sich PIAV – Polizeilicher Informations- und Analyseverbund. Über den derzeit allenfalls bemerkt werden kann, dass seine Einführung sich seit Jahren nach hinten verschiebt, während die ursprünglich vollmundigen Ankündigungen über die angeblichen Leistungen dieses Wunderwerkzeugs immer weiter zurück genommen werden [d].

Es hat einen einfachen Grund, warum die Polizeibehörden mit Informationssystemen für den behördenübergreifenden Informationsaustausch so eklatante Schwierigkeiten haben: „Polizeiarbeit ist Ländersache“ und demzufolge kann jedes Land auch für seine eigene Polizeibehörden beschaffen bzw. entwickeln lassen, was es möchte.

Und diese Möglichkeit haben die Länder auch weidlich genutzt:

Architektur für den Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden
Architektur für den Informationsaustausch zwischen Polizeibehörde
So entstand über die Jahre ein Flickenteppich von polizeilichen Informationssystemen: In der Regel waren bzw. sind bis heute noch nicht einmal Systeme für unterschiedliche Aufgaben – z.B. das Vorgangsbearbeitungs- und das Fallbearbeitungssystem in gleichen Land – in der Lage, Informationen elektronisch miteinander auszutauschen. Ganz zu schweigen von der Fähigkeit, aus dem Fallbearbeitungssystem des Landes A Informationen „elektronisch“ an ein Fallbearbeitungssystem im Land B oder an ein Zentralsystem beim BKA zu übermitteln. Der PIAV, wie gesagt, soll dieses Manko beheben. Doch die erheblichen Verzögerungen mit diesem Projekt lassen den Verdacht aufkommen, dass auch dieses polizeiliche Verbundprojekt wieder ein Desaster-Projekt werden wird, wie schon sein Vorgänger Inpol-Neu.

Angesichts dieses Schlamassels bei den Polizeibehörden hat man mit dem neuen Verfassungsschutzgesetz den gordischen Knoten durchschlagen: Und schlichtweg zum Gesetz gemacht,

  • dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zentralstelle für die Sammlung und Auswertung von verfassungsschutz-relevanten Informationen wird.
  • dass zentrale, gemeinsame Dateien für diese Sammlung zu nutzen sind, die beim BfV geführt und ausgewertet werden,
  • und dass die Länder verpflichtet sind, die Informationen in diese gemeinsame Dateien einzuspeisen.

Mit dieser Regelung wird auf ebenso elegante, wie effektive Weise das größte Problem der Polizeibehörden vermieden: Wie Informationen miteinander austauschen??

Wieviel Vertrauen verdient das BfV?

Natürlich gibt es neben dieser vorwiegend technischen Betrachtungsweise auch noch eine rechtliche bzw. strategische Betrachtungsweise: Die sich auf den Punkt bringen lässt: Wenn in der Vergangenheit erwiesener Maßen Akten geschreddert wurden beim BfV: Wie kann und wird dann für die Zukunft verhindert, dass beim BfV Informationen aus Datenbanken verschwinden, von denen man beim BfV der Ansicht ist, dass sie nicht weiter vorhanden sein sollten?!

Die faktischen Möglichkeiten des Informationsaustauschs zwishen Polizei und Verfassungsschutz

Und dann gibt es da noch einen ganz anderen, praktischen Aspekt zu beleuchten: Der die technischen Möglichkeiten der Informationsaustauschs zwischen den beiden Säulen – also zwischen Verfassungsschutz und Polizei – betrifft. Da kommt man zu erstaunlichen Feststellungen – hier, in Bälde in einem weiteren Artikel.

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Verwandte bzw. weiterführende Artikel, die hier erwähnt wurden

[a]   Auslegungssache?! Was die Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus (BLKR) tatsächlich empfiehlt, 12.06.2013, Polygon-Blog
[b]   Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschuss: Wann werden Taten folgen?, 13.092.2013, Polygon-Blog
[c]   Weit besser als sein Ruf: Inpol-Fall, der Vorläufer des PIAV, 13.10.2013, Police-IT
[d]   Neues vom PIAV in https://police-it.net/dossiers/pit-piav-alle-beitraege