Thüringen: Telefonüberwachung und akustische Raumüberwachung gegen Polizeibeamte und deren Gesprächspartner auf Anweisung des Innenministeriums
Vorratsdatenspeicherung der ganz eigenen Art wurde über Jahre hinweg bei der Polizei in Thüringen betrieben. Das berichtet der MDR [1]. Demnach war es seit 1999 ständige Praxis, dass Anrufe bei „internen Nummern“ [a] von Polizeidienststellen aller Hierarchieebenen automatisch mitgeschnitten und gespeichert wurden. Grundlage dafür war ein Erlass aus dem Innenministerium des Landes aus dem August 1999 [b]. Zur technischen Umsetzung wurde eine automatische Mitschnittfunktion für bestimmte Rufnummern eingerichtet. Wie der MDR berichtet, soll es über die zugehörigen Telefonapparate auch möglich gewesen sein, die akustische Raumüberwachung zu aktivieren. Derzeit ist noch unklar, nach welcher Systematik und durch wen Telefonate und Gespräche im Büro abgehört und ausgewertet wurden. Offensichtlich ist dies jedoch geschehen, denn „nicht relevante Gespräche“ seien nach 180 Tagen gelöscht wurden. „Relevante Gespräche“ dagegen blieben länger gespeichert. Über sie wurden „Vermerke angefertigt“ und sie wurden „Verfahren zugeordnet“.
Mitschnitt sollte Meinungsverschiedenheit mit Staatsanwalt klären
Die Angelegenheit war ins Rollen gekommen, nachdem sich ein Staatsanwalt mit einem polizeilichen Sachbearbeiter nicht auf den Inhalt eines gemeinsamen Telefonats einigen konnte. Man bot ihm daraufhin an, den Mitschnitt des Gesprächs heranzuziehen. Nach seiner Beschwerde bei der Führung der Thüringer Polizei wurde die Abhöraktion dann Anfang Juli 2016 gestoppt.
Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft …
Die Staatsanwaltschaft ermittelt und zwar gegen einen ehemaligen Verantwortlichen des Innenministeriums im Zusammenhang mit der Dienstanweisung aus dem Jahr 1999.
Von der jahrzehntelangen Abhörpraxis waren nach derzeitigem Kenntnisstand – neben „normalen“ Bürgern – auch Amtsträger, sowie Angehörige geschützter Berufsgruppen, wie Rechtsanwälte, Pfarrer, Journalisten und Ärzte betroffen.
Überwachung der eigenen Polizei auf Anweisung des Innenministeriums
Eine über fast zwei Jahrzehnte flächendeckend praktizierte Abhörorgie wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen Innenministerium und (der ihm unterstellten) Polizei. Von „oben“ glaubt man offensichtlich über den Gesetzen zu stehen und sich solche Ungeheuerlichkeiten gegenüber den „Untergebenen“ erlauben zu können. Jene, die vielen Polizeibeamten, dürften gewusst oder zumindest geahnt haben, dass man freie Rede am Telefon oder in den Diensträumen besser unterlässt, wenn man weiterhin Karriere im Dienst der Thüringischen Polizei machen möchte oder zumindest weitgehend ohne Mobbing seinem Beruf nachgehen möchte.
Wer über längere Zeit beruflich mit Polizeibeamten zu tun hat(te), wird nach diesem Bericht besser verstehen, warum Polizisten im Gespräch mit Kollegen und vor allem mit externen Dritten so befremdlich zurückhaltend sind. Denn wer wäre das nicht, wenn er nie sicher sein könnte, auf Anweisung einer übergeordneten Behörde überwacht zu werden. Und dass es sich dabei allerdings um den berühmten bedauerlichen Einzelfall handelt, der nur die Thüringer Polizei betrifft, daran hege ich erhebliche Zweifel.
NRW: Bevor Telefonmitschnitte belastend werden, können sie schon mal verloren gehen
Ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich mit den Kölner Silvesterübergriffen. Die Funke Mediengruppe berichtet [2], was zwei Kölner Polizeibeamte vor dem Ausschuss im Mai ausgesagt hatten:
Gab es eine Anweisungen zum Schönfärben der Silvesterübergrifffe aus dem Innenministerium?
Ein Anrufer aus der Landesleitstelle habe am 1. Januar verlangt, das Wort „Vergewaltigung“ aus einer WE-Meldung [3] über die Ereignisse in der Silvesternacht zu streichen. Dies sei Wunsch aus dem Innenministerium. Beide Beamte konnten sich weder an den Namen des Anrufers erinnnern. Noch ließ sich der durch eine Auswertung von Dienstplänen eingrenzen. Was Zufall sein kann. Auf jeden Fall aber dem beruflichen Befinden der beiden Beamten gedient haben dürfte.
Ob und wie relevante oder wichtige Telefonate in NRW gespeichert werden …
Gespräche der Landesleitstelle werden in NRW – so ist zu vermuten – automatisch aufgezeichnet. Ob sich davon bei Bedarf noch ein Mitschnitt findet, scheint allerdings Glückssache zu sein.
Das gilt selbst dann, wenn der Staatssekretär im Innenministerium nach eigener Aussage „schon“ am 20. Januar anordnet, dass die Verbindungsdaten aller beteiligten Behörden der relevanten Nacht gesichert werden sollen. [Erstaunlich, was Staatssekretäre in NRW alles explizit anordnen müssen …] Diese Anweisung muss irgendwie unter den Tisch gefallen sein. Jedenfalls erfolgte die Sicherung tatsächlich erst am 2. Juni. Und die auch nur rückwirkend bis zum 3. Januar. Sodass das fragliche Gespräch vom 1. Januar von der Sicherung nicht erfasst ist. Ob dies Glück oder Pech ist, kommt auf den Standpunkt an …
Beide Fälle werfen jedoch die Frage auf, wer eigentlich die Rechtmäßigkeit des Handels der Führung der Polizei in den Innenministerien überprüft. Und ob bzw. wann die Verantwortlichen dort für ihre Eigenmächtigkeiten und Rechtsverstöße zur Rechenschaft gezogen werden.
Fußnoten
[a] Vermutlich handelt es sich dabei um Direktrufnummern, also die „Durchwahl“; eine entsprechende Anfrage bei der Pressestelle des Thüringischen Innenministeriums ist bisher noch nicht beantwortet. [b] Große Koalition aus CDU und SPD unter Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), Innenminister Richard Dewes (SPD), seit November 1999 Alleinregierung der CDUZum Hintergrund: „Krasser Vorgang“ Ministerium kann Polizisten abhören
Unter dieser Überschrift hatte die Thüringer Allgemeine schon im Januar 2013 über die Abhörmöglichkeiten gegen Thüringer Polizisten berichtet [4]. In Erfurter Innenministerium war bzw. ist man offensichtlich generell recht robust im Umgang mit „untergebenen“ Polizisten. Da gab es auch schon Hausdurchsuchungen und die Auswertung des Email-Verkehrs eines Polizeibeamten wegen des Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen gegenüber Abgeordneten und Journalisten.
Die Sache mit dem Klopapier
Und dann war da noch der Schwund von Toilettenpapier im Landeskriminalamt in einem Ausmaß, der nach Meinung einiger Putzfrauen über den natürlichen Verbrauch hinausging. Die Kriminalisten des Hauses wurden aktiv: Klopapier wurde mit elektronischen Etiketten markiert. Sowie eine 3.000 Euro teure Schranke installiert, die piepen sollte, wenn das Klopapier hindurchgetragen wird. Dann sollte eine Kamera anspringen und Bilder des Übeltäters liefern. Die Schranke piepte nicht. Der Klopapier-Dieb wurde auch nie gestellt.
Statt dessen begannen Ermittlungen, auch diesmal wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat, gegen anfangs 20 LKA-Mitarbeiter, die Kenntnis von der Klopapier-Falle hatten. Wie es mit diesen Verfolgungsjagd weiterging, schildert detailliert und kenntnisreich die Thüringer Allgemeine [5].
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Quellen
[1] ‚Polizei schneidet jahrelang Telefonate mit‘, 03.08.2016, 12.03 Uhr, MDRhttp://www.mdr.de/thueringen/polizei-abhoerskandal-100.html
[2] ‚Kölner Silvesternacht: Mysteriöser Anruf wurde gelöscht‘, 03.08.2016, WAZ
http://www.derwesten.de/politik/telefonanrufe-zu-koelner-silvesternacht-nicht-nachweisbar-id12061006.html
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=10000000000000000553 [4] ‚“Krasser Vorgang“: Ministerium kann Polizisten abhören‘, 13.01.2013
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Krasser-Vorgang-Ministerium-kann-Polizisten-abhoeren-273692922 [5] ‚Klopapier-Affäre: LKA ließ POlizisten von Geheimdienst überprüfen‘, 03.09.2014, Thüringer Allgemeine
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Klopapier-Affaere-LKA-liess-Polizisten-von-Geheimdienst-ueberpruefen-1965734484