Die CSU-Granden in der Bundesregierung nutzen die große Bühne, um ihre Politik Hetze attraktiv zu machen für die bayerischen Wähler [A]. Dobrindt, der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag hat jetzt gleich den Kampf gegen die Rechtstaatlichkeit aufgenommen: Wäre ja noch schöner, wenn Ausländer (!) Rechtsmittel gegen Asylbescheide einlegen können! Ob es Dobrindt da nur um weitere Hetze gegen Asylbewerber geht, ist möglich. Möglich ist auch, dass der frühere Verkehrsminister abschrecken will: Die Millionen von Eigentümern von Diesel-Fahrzeugen nämlich, die auf die Idee einer Klage gegen die von ihm und seinem Nachfolger bisher so gut geschützte Automobilindustrie verfallen könnten. | Lesedauer: Ca. 5 Minuten
Dobrindt’s Anti-Abschiebe-Industrie
Es ist unübersehbar, dass der Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, gemeinsam mit seinen anderen CSU-Kollegen in der Bundesregierung viel unternimmt, um gegen Ausländer zu hetzen und damit (seiner Hoffnung nach) aus dem AfD-Lager Stimmen bei der anstehenden bayerischen Landtagswahl abzugreifen. Via ‚Bild am Sonntag‘ [1] aus dem Springer-Verlag verkündete er:
Dass Dobrindt in seiner Äußerung jeden – auch ausreisepflichtigen – Asylbewerber zum ‚Kriminellen‘ abstempelt, zeigt seine Absicht zur Meinungsmache. Dass eine Zeitung dies kommentarlos einfach abdruckt, spricht für die Verfolgung gleicher Interessen bei CSU und Springer.
Der Protest dagegen am Tag danach
Am Montag darauf läuft – immerhin noch – eine Protestwelle durch andere Medien: ‚SPD und Grüne kritisieren Dobrindts Klage über ‚Anti-Abschiebe-Industrie‘ scharf, schreibt das Handelsblatt [2] Der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins ist genötigt, Selbstverständlichkeiten zu wiederholen: „Das Einlegen von Rechtsmitteln und das Erheben von Klagen steht jedem im Rahmen der geltenden Gesetze zu. Gerade das macht den Rechtsstaat aus. Mit seinen Aussagen schwächt Herr Dobrindt den Rechtsstaat und stärkt ihn nicht“.
Welt Online stürmt für Alexander Dobrindt
Damit sich Zweifel an der rechten Haltung von Dobrindt nicht weiter ausbreiten, setzt die Welt Online am Tag darauf nach [3]: ‚Gegen diese Lobby [sic!] richtet sich Dobrindts Wut‘ titelt Marcel Leubecher. Übrigens ein Redakteur, der schon seit Jahren häufig dann dienlich ist, wenn aus dem (C-geführten) Bundesinnenministerium PR-Arbeit im rechten Sinne möglichst breit verteilt werden soll [B].
Und identifiziert drei „gut organisierte Unterstützer“ von abgelehnten Asylbewerbern, denen er in der Einleitung, ganz im Sinne des Herrn Dobrindt, „nur eine Motivation aus der abgeleiteten Funktion ihrer materiellen Lage“ unterstellt. Was ebenso eine Unverschämtheit ist, wie die Bezeichnung von gesetzlich vorgesehenen Härtefallkommissionen, Flüchtlingsräten und Anwälten als „Lobby“: Auf diesem Niveau von Unanständigkeit geht es weiter:
- Über die Flüchtlingsräte weiß Herr Leubecher: „Sie sind Mitglieder von Pro Asyl [verwerflich!] … eine „Hauptaufgabe“ bestehe darin, „unter den Abzuschiebenden die härtesten Schicksale zu recherchieren und öffentliche Aufmerksamkeit für sie zu erzeugen“. … „Sie geben Betroffenen auch Tipps, wie man am besten einer Abschiebung entzieht. Damit tragen die Räte indirekt zur Vergrößerung des Problems bei.“
- Härtefallkommissionen wirft Leubecher einen „starken Anstieg“ der Befassungsfälle im Jahr 2017 vor. Er insinuiert damit, dass die Existenz dieser gesetzlich in allen Ländern vorgesehenen Kommissionen den Anreiz bildet, dass diese Kommissionen im großen Stil angerufen würden. Dass 2015/2016 eine große Zahl von Asylbewerbern ins Land kam, verschweigt er.
- Für Anwälte sei „im Ausländerrecht die Auftragslage eben sehr gut. Und es gibt wenig Ärger mit ausstehenden Zahlungen, weil der Staat nicht nur Prozess-, sondern meist auch die Anwaltskosten übernimmt.“ Dobrindt kritisiere, „dass Anwälte oft Klagen übernehmen, die kaum Aussicht auf Erfolg haben“. So zitiert ihn Leubecher.
- jeweils einem Vertreter der Katholischen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
- drei Vertretern der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern
- vier Vertretern der kommunalen Spitzenverbände
- einem Vertreter des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr, der grundsätzlich nicht stimmberechtigt ist
Faktencheck zu den Fake News
Die Fakten sehen allerdings anders aus:
Ergebnisquoten der Klagen bei den Verwaltungsgerichten
Derzeit sind bei den Verwaltungsgerichten rund 372.000 Klagen in Asylverfahren anhängig [4]. Ursächlich dafür sind auch mangelhafte Bescheide des Bundesamts für Asyl und Flüchtlinge, das die große Zahl der Asylanträge nach 2015 mit schnell (und teilweise nur vorübergehend) eingestellten und nur kurz ausgebildeten Entscheidern bearbeitete. Von „kaum Aussicht auf Erfolg“, wie es die Welt verbreitet, kann allerdings keine Rede sein: Syrische Flüchtlinge waren zu 62% erfolgreich, Afghanen zu 61%, Eritreer zu 36% und Iraker zu 17% [4 mit Daten aus 5].Basiswissen zu den Härtefallkommissionen
Härtefallkommissionen gibt es in allen 16 Bundesländern.
[Wir zitieren im Folgenden bewusst aus dem Dokument [6] des Bayerischen Staatsministerium des Innern, dem Herr Dobrindt besonders nahe stehen dürfte]
„In Bayern gibt es seit 2006 eine Härtefallkommission. Rechtliche Grundlagen sind § 23a des Aufenthaltsgesetzes und die Härtefallkommissionsverordnung.
Die Härtefallkommission ermöglicht es, ausnahmsweise eine Aufenthaltserlaubnis an Ausländer zu erteilen, die eigentlich zur Ausreise verpflichtet sind. Dazu müssen dringende persönliche oder humanitäre Gründe vorliegen, die den weiteren Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen. So kann bei besonderen Einzelschicksalen und in humanitären Ausnahmefällen geholfen werden, für die das Aufenthaltsgesetz sonst keine angemessene Lösung bereithält. …
Mit der Schaffung der Härtefallkommission verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, Einzelschicksale unter Beachtung humanitärer und gesellschaftspolitischer Belange zu beurteilen. Deshalb ist die Härtefallkommission in Bayern mit anerkannten Fachleuten besetzt:
Die stimmberechtigten Mitglieder und deren Stellvertreter werden vom Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr auf Vorschlag der jeweiligen Organisationen ernannt. …“
Das Selbstverständnis der Flüchtlingsräte
„Die Landesflüchtlingsräte sind unabhängige Vertretungen der in den Bundesländern engagierten Flüchtlingsselbstorganisationen, Unterstützungsgruppen und Solidaritätsinitiativen. Die Landesflüchtlingsräte sind vernetzt und Mitglied in der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL. Die Landesflüchtlingsräte sehen es als staatliche Aufgabe an, Flüchtlingen unter seriöser Beachtung ihrer Fluchtgründe und humanitären Nöte, großzügige Aufnahme, effektiven Schutz, nachhaltige Integration und eine selbst bestimmte Zukunftsperspektive einzuräumen.“ [7]
Anwälte und Rechtsstaatlichkeit
Die Kanzlerin höchst persönlich sah sich gestern genötigt, die Rechtmäßigkeit von Klagen gegen Abschiebungen zu betonen. „Deutschland sei ein Rechtsstaat“, sagte Merkel am Montag in Frankfurt am Main nach einem Treffen mit Unionspolitikern aus den Ländern. Es sei klar, „dass natürlich die Möglichkeiten des Rechtsstaats genutzt werden können“ [8].
Dobrindt, der Diesel-Skandal und der Rechtsstaat
Dass es Herrn Dobrindt ganz Recht wäre, wenn rechtsstaatliche Prinzipien und Verfahren zurückgedrängt werden, mag einen ganz anderen Grund haben: Denn als Verkehrsminister und damit Leiter der übergeordneten Behörde des Kraftfahrtbundesamtes ist Dobrindt dem Vorwurf ausgesetzt, eine sehr automobilindustrie-freundliche Politik durchgesetzt zu haben, um dies vorsichtig auszudrücken. Vor wenigen Tagen wurde über eine Studie berichtet, die besagt, dass Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Fahrzeuge machbar und bezahlbar sind. Die Studie lag dem Bundesverkehrsminister seit Januar 2018 vor, wurde allerdings erst vier Monate später publik. Der Minister heißt Andreas Scheuer, CSU, von 2009 bis 2013 Parlamentarischer Staatssekretär in diesem Ministerium unter Minister Dobrindt und war seit 2013 Generalsekretär der CSU. Eine solche Hardware-Nachrüstung, so sehr sie begrüßt würde von Millionen von Diesel-Eigentümern, wäre allerdings sehr nachteilig für die deutsche Automobil-Industrie. Sie würde nämlich große Kerben in deren Milliardengewinne schlagen. Daher läuft seit Tagen eine PR-Welle gegen diese Lösung. Und auch da wieder ist, uns wundert’s nicht mehr, die Welt Online an führender Stelle unterstützend tätig beim laufenden Projekt ‚Kampf gegen die Rechtsstaatlichkeit‘.
Womit der Springer-Konzern sein Geld verdient
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Das setzt natürlich voraus, dass man ‚redaktionelle Inhalte‘ hat, die auch den Confirmation Bias des Kunden treffen …
Quellen
[1] Bekommt Seehofer das Asylchaos in den Griff?!, 06.05.2018, Bild am Sonntag
https://www.bild.de/politik/inland/horst-seehofer/bekommt-seehofer-das-asylchaos-in-den-griff-55609374.bild.html
[2] SPD und Grüne kritisieren Dobrindts Klage über „Anti-Abschiebe-Industrie“ scharf, 07.05.2018, Handelsblatt
[3] Gegen diese Lobby richtet sich Dobrindts Wut, 07.05.2018, Welt Online
https://www.welt.de/politik/deutschland/article176158352/Abgelehnte-Asylbewerber-Gegen-diese-Lobby-richtet-sich-Dobrindt.html
[4] Fakten, Zahlen und Argumente, Pro Asyl, heruntergeladen am 08.05.2018
https://www.proasyl.de/thema/fakten-zahlen-argumente/
[5] Antwort auf die Kleine Anfrage ‚Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das dritte Quartal 2017, DBT-Drs 19/385 vom 09.01.2018, dort Seite 32
[6] Ausländerrecht; Härtefallkommission des Landes Bayern, heruntergeladen am 08.05.2018,
https://www.eap.bayern.de/informationen/leistungsbeschreibung/587868557438
[7] Das Selbstverständnis der Flüchtlingsräte in
http://www.fluechtlingsrat.de/
[8] Merkel betont Rechtmäßigkeit von Klagen gegen Abschiebungen, 07.05.2018, Zeit Online
https://www.zeit.de/news/2018-05/07/deutschland-merkel-betont-rechtmaessigkeit-von-klagen-gegen-abschiebungen-
Verwandte Beiträge
[A] Wahltaktische Ziele der CSU dominieren die (Personal-)Politik der Inneren Sicherheit im BMI: Bundesinnenministerium – parteipolitisch gekapert, 02.05.2018, CIVES
http://cives.de/bundesinnenministerium-parteipolitisch-gekapert-7718
[B] Gedeihliches Zusammenwirken der „Welt“ mit dem Bundesinnenminister: Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik, 26.04.2017, POLICE-IT
https://police-it.net/meinungsmache-mit-hilfe-der-polizeilichen-kriminalstatistik
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