Das IPCC hatte schon nach kurzer Zeit ein ganzes Bündel von IT-Produkten und -Projekten zu betreuen. Das warf gewisse Schwierigkeiten auf, braucht man dafür doch ausreichend Personal und die Möglichkeit zur Vergabe von Aufträgen an externe Dienstleister. Das mit dem Personal ließ sich lösen, indem man Mitarbeiter aus dem eigenen Haus einsetzte. Schwieriger war schon die Frage, wie man externe Dritte beauftragen könnte.
Man ersann dafür eine spezielle Form der ‚Öffentlich-privaten Partnerschaft‘ – ÖPP: Im Geschäftsbereich des hessischen Innenministerium wurde eine Art Softwarehaus installiert. Aufträge an externe Dienstleister wurden von dort ebenso freizügig, wie freihändig vergeben.
Doch das rief nach einiger Zeit den hessischen Landesrechnungshof auf den Plan und den Innenausschuss im hessischen Landtag…
Inpol Polas Competence Center: Softwarehaus im hessischen Innenministerium
Bezogen auf die Menge der Produkte, aber auch auf die Einsatzzahlen in den beteiligten Behörden, hatte das IPCC schon nach kurzer Zeit ein Aufgabenbündel, das nicht mal ’so eben nebenbei‘ durch eine, mit wenigen Mitarbeitern besetzte Geschäftsstelle im Hessischen Ministerium des Innern (HMDiS) erledigt werden konnte. Professionelle und zahlenmäßig angemessene personelle Unterstützung war also vonnöten: Hessen war bereit zu investieren – nach eigener Darstellung in Form von „fachlicher Kompetenz […] durch die Bündelung des fachlichen Know-hows der Kooperationspartner im Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung (PTLV) der hessischen Polizei.“ Und in Form der „technischen Kompetenz […] durch ein Architekturteam mit dem Know-how-Trägern des INPOL-Projekts und einem Entwicklerteam mit langjähriger INPOL-Erfahrung in der hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD).“
Ganz oben saß – jedenfalls für eine gewisse Zeit noch – der geistige Vater dieses Konzepts, der Staatssekretär und Beauftragte der hessischen Landesregierung für eGovernment, Harald Lemke.
Peter H., der Mann fürs Praktische …
Für die praktische Umsetzung zuständig war der leitende Polizeidirektor Peter H. Er vereinte in Personalunion alle Funktionen, die seine Tätigkeit effektiv und wirkungsvoll machen konnten: Im hessischen Landespolizeipräsidium, einer Abteilung des hessischen Innenministeriums, leitete er das Referat für Technik (LPP6), wo sich, wie Innenminister Rhein dies später formulierte [5, S. 5] „seit 2002 weitere Aufgaben gebildet haben“ im Zusammenhang mit dem IPCC und deshalb für das IPCC „eine Geschäftsstelle herausgebildet“ hat. H. konnte also, mal mit dem einen, mal mit dem anderen Hut auf dem Kopf Aufträge erteilen an die landeseigene Zentrale für Datenverarbeitung (HZD), die sowohl mit Bediensteten des Landes für entsprechende Arbeiten tätig wurde, wie auch Aufträge an externe Firmen vergab. Und das meist freihändig. Als stellvertretender Vorsitzender des UA IuK und Vorsitzender der Kommission IuK-Architektur und -Standards saß er an maßgeblicher Stelle in den Gremien, die der zweimal jährlich tagenden Konferenz der Innenminister(IMK) die Beschlussempfehlungen vorlegt, wenn es um IT-Projekte von Bund- und Ländern geht [5, S. 5]. Und wer die Protokolle dieser IMK-Sitzungen einmal gesehen hat, weiß, dass die Innenminister des Bundes und der Länder i.d.R. abnicken, was die Fachgremien zur Entscheidung vorlegen.
Wer trägt die Kosten?!
Für die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem IPCC entstanden natürlich Kosten, einerseits durch den Einsatz von Landesbediensteten in der Geschäftsstelle des IPCC bzw. in der HZD, und andererseits auch für die Beauftragung von externen Firmen bzw. Auftragnehmern. Weder in Hessen, noch in den anderen Kooperationsländern war bzw. ist man bis heute um Transparenz oder Öffentlichkeit in dieser Frage bemüht. Nur sehr mühsam gelang es, z.B. in Hamburg Ende 2011 in der Bürgerschaft und im hessischen Landtag im Jahr 2012 durch parlamentarische Anfragen bzw. Untersuchungen des Innenausschusses zumindest ein klein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen. Man erfährt aus der Antwort in der hamburgischen Bürgerschaft [1, Fragen zu 13 und 14] z.B. dass sich die gesamten Entwicklungskosten für das System Comvor seit dem Jahr 2001 auf mehr als 16 Mio Euro belaufen und in den Jahren zuvor für Comvor und Polas zusammen noch einmal 14 Mio ausgegeben worden waren. Die entsprechenden Kosten wurden aufgeteilt zwischen den Teilnehmern der jeweiligen Entwicklungs- und Pflegekooperation [, denn es gab bzw. gibt mehrere] und zwar nach einem Verteilungsschlüssel, der sich an der Anzahl der „im Polizeivollzug installierten Arbeitsplatzsysteme je Kooperationsland“ orientiert. Demzufolge werden die Kosten in der Comvor-Kooperation seit dem Jahr 2007 aufgeteilt im Verhältnis Hessen = 2/7, Hamburg = 1/7, Baden-Württemberg = 3/7 und Brandenburg = 1/7 [1, Fragen 13 und 14].
Harald Lemke geht …
Im Juni 2008 endete ‚Knall auf Fall‘ das Wirken von Harald Lemke als hessischem CIO. Am Freitag, dem 13. (Juni) gab das hessische Innenministerium eine Pressemitteilung heraus, der zu entnehmen war, dass Lemke, damals 52 Jahre alt, unter Erhalt seiner vollen Bezüge ab Montag, dem 16.6. von seinem Amt entbunden sei, was für erheblichen Ärger sorgte, wie u.a. Telepolis wenige Tage später berichtete [2].
Der hessische Landesrechnungshof ermittelt
Drei Jahre später gab es auch Veränderungen in der Laufbahn des ltd. Polizeidirektors Peter H. Hintergründe sind, wie nicht unüblich in Sachen IPCC, öffentlich nicht bekannt. Jedoch fand sich zum 01.02.2012 eine Veränderung im Organigramm des Hessischen Innenministeriums: Dort stand, dass für das Referat für Technik = LPP6 nicht mehr Herr H., sondern ein anderer, kommissarischer Leiter verantwortlich ist. Damit war auch das IPCC seines faktischen Geschäftsführers beraubt, was Innenminister Rhein wenige Monate später im Innenausschuss auch bestätigte [5, S.6.]. Ein möglicher Zusammenhang mit einer Sonderprüfung durch den hessischen Landesrechnungshof drängt sich auf: Der hatte sich 2011 mit der Vergabepraxis für IT-Aufträge im Referat Technik = LPP6 beschäftigt und war zu verheerenden Feststellungen gelangt [3, ab S. 245].
Untersuchungen im hessischen Landtag
Die Sache hatte im hessischen Landtag dann ein heftiges Nachspiel: Denn die Grünen – damals noch in der Opposition – und SPD hinterfragten hartnäckig die Praxis der Vergabe von IPCC-relevanten Aufträgen an externe Firmen [4]. Die Landesregierung kam, wenn auch sehr zögerlich, nicht umhin, einige Informationen preiszugeben [5]. Sie lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass es gängige Praxis war, entsprechende Aufträge freihändig zu vergeben. Das hatten weder eindeutige vergaberechtliche Vorschriften verhindert [es gilt im Vergaberecht eigentlich das Prinzip, dass „öffentliche Aufträge grundsätzlich auszuschreiben sind“)], noch ein hausinterner Erlass des seinerzeitigen Staatssekretärs im Innenministerium und späteren Innenministers Boris Rhein. Dieser Erlass besagte, dass alle Beschaffungsvorhaben mit einem Auftragsvolumen von mehr als 20.000 Euro vor der Auftragsvergabe von ihm abzuzeichnen seien. Rhein, inzwischen Innenminister geworden, musste später einräumen [5, S. 7, sowie 3, S. 255], dass dies 79 Verträge betroffen hätte, von denen allerdings lediglich 4 zu sehen bekam. Eine gute Zusammenfassung findet sich auch in [6].
Die geschlossene Gesellschaft der Auftragnehmer
Auffällig ist, dass die beanstandeten Aufträge in Sachen IPCC an eine Handvoll von immer wieder gleichen Firmen und eine kleine Gruppe von Einzel-Personen, also Freiberuflern, erteilt worden waren. Unter den Firmen sei hier beispielhaft die Steria Mummert Consulting AG genannt. Sie erhielt im Jahr 2008 – freihändig vergeben – einen Auftrag über rund 1,9 Mio Euro für einen mehrjährigen Rahmenvertrag über „Dienstleistungen zur Unterstützung der Projektfamilie Polas des Inpol-Land Polas Competence Centers (IPCC)“. Die dabei erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen waren von Vorteil: Denn Anfang 2012 bedachte das Bundesinnenministerium die gleiche Firma mit einem Rahmenvertrag in Höhe von bis zu 24,1 Mio Euro und zwar für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Test von „im BKA hoheitlich betriebenen Großverfahren“, darunter auch Inpol.
Begünstigt wurden aber auch ehemalige Polizeibeamte [dazu auch 3, S. 250f], die nach Stundensätzen entlohnt wurden und fast das Vierfache dessen erhielten, was z.B. das LKA an ehemalige EKHKs zahlte. Und dann gab es einige Freiberufler, meist mit wiederkehrenden Aufträgen, mal für Mitarbeit an entsprechenden IPCC-relevanten IT-Entwicklungsprojekten, mal aber auch für Projektmanagementleistungen für die IPCC-Geschäftsführung beim hessischen Innenministerium. Für einzelne Freiberufler summierten sich die Aufträge in Sachen IPCC meist in wenigen Jahren auf mehr als eine halbe Million Euro, in einzelnen Fällen auch auf mehr als eine Million.
Keine Veröffentlichung von geplanten oder vergebenen Aufträgen
Eine Bekanntmachung geplanter Aufträge fand nicht statt, kaum einmal die Aufforderung an den Wettbewerb, sich um Aufträge zu bewerben und erst recht nicht eine öffentliche Ausschreibung. Wenn in wenigen Fällen ein vergebener Auftrag nach Zuschlagserteilung bekannt gemacht wurde und die Tatsache, dass dieser freihändig vergeben worden war, so wurde dies begründet damit, dass „die Dienstleistungen aus technischen Gründen nur von einem Bieter erbracht werden können“. Dass das Vergaberecht für fast alle hier relevanten Aufträge zwingend anderes vorschreibt, darüber setzte man sich geflissentlich hinweg. Denn es hatte ja keinerlei Konsequenzen.
Hamburg übernimmt die IPCC-Geschäftsführung
Diese hemdsärmelige Form der Auftragsvergabe fand durch die Verlagerung der Geschäftsführung des IPCC nach Hamburg – zumindest soweit von außen zu sehen – ein Ende. ZUmindest insofern, als die Geschäftsführung des IPCC nun bei einer anderen Polizeibehörde angebunden war. Was allerdings durchaus nicht heißt, dass die entsprechenden Arbeiten in den folgenden zwei Jahren nicht mehr bzw. nicht mehr von diesen Auftragnehmern durchgeführt wurden. Es gab inzwischen jedoch klare politische Vorgaben, die der hessische Innenminister Rhein, den die ganze IPCC-Angelegenheit mächtig in Bedrängnis gebracht hatte in Sitzung im hessischen Innenausschuss vom 24.02.2012 bekannt machte [5]: „Die Geschäftsführung des IPCC ist mit Wirkung vom 01.01.2012 verlagert worden, weg von Hessen in das Kooperationsland Hamburg“ … „Seit dem 01. September 2011 erfolgen [in Hessen] keine externen Beratungsleistungen.“ … Die Kooperationsländer haben vereinbart, dass „wir im Lauf dieses Jahres (=2012) das IPCC komplett restrukturieren, auch vergaberechtlich. Der Prozess soll Ende 2013 abgeschlossen sein mit einer Entscheidung, wo dann die Geschäftsleitung neu angebunden wird und wie es insgesamt weitergeht.“ …
Beiträge zu verwandten Themen
Neues vom PIAV (3): Weit besser als sein Ruf: Inpol-Fall, der Vorläufer des PIAV, 01.10.2013, Police-IT
Quellen zu diesem Beitrag
[1] Kleine Anfrage des Abgeordneten Kai Voet van Vormizeele (CDU) vom 14.10.11 in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg in juramagazin, Drucksache 20/1841, dort Antworten zu den Fragen 13 und 14 [2] Goldener Handschlag für Hessen-CIO sorgt weiter für Ärger, 18.06.2008, Heisehttp://www.heise.de/newsticker/meldung/Goldener-Handschlag-fuer-Hessen-CIO-sorgt-weiter-fuer-Kritik-215007.html [3] Bemerkungen 2011 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes Hessen, 22.05.2012,
Hessischer Rechnungshof
http://www.rechnungshof-hessen.de/fileadmin/veroeffentlichungen/veroeffentlichungen_hrh/bemerkungen-2011.pdf [4] Zahlreiche Unregelmäßigkeiten innerhalb des Landespolizeipräsidiums durch „unzulässige“ Vergaben von Beraterverträgen, Vergaberechtsverstöße und weitere aufzuklärende Vorgänge, Vorgänge, DringlBerAntr Fraktion der SPD, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Vorgänge, Fraktion DIE LINKE, Drs-Nr. 18/5297 [5] Stenografischer Bericht der 68. Sitzung des Innenausschusses im Hessischen Landtag am 24.02.2012 – öffentlicher Teil, Drs. Nr. INA 18/68 [6] Ziemlich freihändige Auftragsvergabe, 31.03.2012, Telepolis
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36674/1.html
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