Es dauerte einen halben Tag nach dem Anschlag von München, bis der bayerische Innenminister Herrmann einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über den Attentäter verkünden konnte. Zuvor erging er sich in Mutmaßungen – der Täter sei „wohl“ ausreisepflichtig“ gewesen, sei selbst als Beschuldigter in Strafverfahren geführt worden u.ä. All dies waren „Informationen“, die von Tatsachen nicht gedeckt sind und die „wohl“ dem Druck geschuldet waren, gesichertes Wissen vorgeben zu wollen, wo tatsächliche Erkenntnisse fehlten.
Nach aktueller Auskunftslage war der Afghane 2015 – mit 15 Jahren – nach Deutschland gekommen, sein Asylantrag wurde letztlich abgelehnt, die Stadt München erteilte ihm anschließend jedoch eine Duldung und eine Arbeitserlaubnis.
Behörden-Informationen über Asylbewerber
Angesichts des aktuell vorherrschenden Thema im politischen Diskurs – nämlich Migrationspolitik – dürfte es nicht völlig überraschend kommen, dass die dringende Notwendigkeit für Behörden besteht, über Asylbewerber „Information at your fingertip“ abrufen zu können.
Diese Notwendigkeit sickerte allmählich ein in das Bewusstsein von IT-Schmieden in den Länder- und Bundesbehörden (falls Sie Zeit haben für Wochenende-Unterhaltung, empfehle ich das Stichwort MARIS) und wurde mit der in Deutschland üblichen Bräsigkeit auf diesem Gebiet bearbeitet. [Längere Ausführung zu diesen historischen Sachverhalten erspare ich dem Leser – es ist ohnehin immer das gleiche Drama aus verteilten Zuständigkeiten, mangelndem Willen zur Kooperationen, Beharren auf den eigenen Pfründen zwischen unterschiedlichen Behörden, so z.B. Polizei, Einwohnermeldeämtern und Ausländerbehörden bzw. Bundes- und Länderbehörden und dem Erfahrung, dass man mit Aussitzen am weitesten kommt.]
Was dabei rauskommt ist inzwischen so „normal“ geworden, dass sich schon niemand mehr darüber aufregt.
Wo sind sie denn (verteilt), die notwendigen Informationen?!
Schauen wir uns den vorliegenden Fall einmal von außen an mit der Fragestellung: Wo sind sie denn die Informationen, die die Zuträger dem Innenminister eben nicht „at your fingertip“ zur Verfügung gestellt haben?
Da wären – zum ersten – die Informationen der Polizei. In Bayern zu verorten in einem bayerischen polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem – Bayern hat ein altes und ein neues, ob es EINES gibt, in dem aktuell alle relevanten Informationen enthalten sind, ist mir aktuell nicht bekannt.
Vor allem aber ist der polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem „eigentlich“ nicht der richtige Speicherort für die gesuchten Informationen. Richtiger wäre das INPOL-Landessystem, angeschlossen oder integriert ins Vorgangsbearbeitungssystem (das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden). Dort landen alle für den Datenaustausch mit anderen Bundesländern und dem BKA relevanten Informationen, vor allem
- über Fahndungsausschreibungen (trifft wohl für den Afghanen nicht zu),
- über erkennungsdienstliche Behandlungen (trifft wohl zu, Zielsystem m.W. nicht klar (Ausländer-Inpol oder INPOL-Zentral?),
- Haftnotierungen (trifft wohl für den Afghanen nicht zu)
- über ihn vorhandene Kriminalakten (wenn es strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn gegeben haben sollte),
- u.ä
INPOL – die Schimäre mit mehreren Bedeutungen
Sie müssen jetzt ganz stark sein! Und zur Kenntnis nehmen, dass dieses alte IT-Dampfroß „INPOL“; das uns das BKA immer als „Fahndungssystem“ verkauft, in Wirklichkeit ein Sammelbegriff ist
- für verschiedene polizeiliche Datenbanken/Datensammlungen (da geht es also um den Inhalt! und Zweck der Informationen),
- für verschiedene polizeiliche Informationssysteme (da geht es um die eingesetzte Systemtechnik)
- und – halten Sie sich fest – auch für ein System, das gar nicht rein polizeilich, sondern vor allem für das Management von Daten über Asylbewerber genutzt wird. Auch hier kommt das INPOL-Informationssystem zum Einsatz.
Das „Ausländer-INPOL“
In diesem „Ausländer-INPOL“ hat man – ich denke, es war zur Zeit der großen Flüchtlingswelle und wogegen nichts einzuwenden ist! – die vorhandene und bewährte Informationstechnik von INPOL zur Grundlage einer zentralen Datenbank über Asylbewerber gemacht. Sie hat insbesondere den Vorteil, dass dort, wie auch in der INPOL-„Personenfahndung“, auch biometrische Informationen gespeichert werden können, also insbesondere die Fingerabdrücke und biometrischen Lichtbilder, die bei der Asylantragstellung von Bewerbern genommen werden.
Im Hinblick darauf, dass viele Asylbewerber keine aussagekräftigen Identitätsnachweise haben bzw. vorlegen, sind die bei einer deutschen Behörde genommenen biometrischen Informationen die einzige sichere Identifizierungsmöglichkeit, um vom „Bio-Menschen“ eine eineindeutige Zuordnung herstellen zu können zu seinem Datensatz in diesem „Ausländer-INPOL“.
Verantwortung und Betreiber liegen im Dunkeln
Das Bundesinnenministerium und seine untergeordneten Behörden halten sich allerdings bedeckt zu der Frage, wo genau dieses Ausländer-INPOL angesiedelt ist: Beim Bundesverwaltungsamt (BVA), wo das Ausländer-Zentralregister geführt wird – oder beim Bundeskriminalamt, wo INPOL-Zentral gehostet wird. Ich kann nur vermuten, dass dieser „Mantel des Schweigens“ den Verantwortlichen opportun erscheint, möglicherweise im Zusammenhang mit datenschutz-/rechtlichen Fragen.
Das Ausländer-Zentralregister (AZR)
Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine zentrale Datenbank in Deutschland, die Informationen über nichtdeutsche Staatsangehörige speichert. Es dient als zentrales Verwaltungsregister für aufenthaltsrechtliche und sicherheitsrelevante Daten und unterstützt verschiedene Behörden bei der Verwaltung ausländerrechtlicher Angelegenheiten.
Betreiber des Ausländerzentralregisters
Das Bundesverwaltungsamt (BVA) betreibt das AZR und ist für die Pflege, Speicherung und Sicherung der Daten verantwortlich. Das BVA ist, wie auch das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI).
Nutzer-Behörden des Ausländerzentralregisters
Das AZR wird von verschiedenen
Bundes- und Landesbehörden genutzt, insbesondere:
- den Ausländerbehörden auf kommunaler Ebene zur Aufenthalts- und Identitätsprüfung
- Bundespolizei und Landespolizeien zur Fahndung und sicherheitsrelevanten Abfragen
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Asylverfahren
- Zoll- und Steuerbehörden zur Kontrolle von Aufenthaltstiteln
- Sozialbehörden zur Prüfung von Leistungsansprüchen
- Justizbehörden, um Informationen für Gerichtsverfahren abzurufen
Welche Daten sind im Ausländerzentralregister gespeichert?
Das Register enthält folgende personenbezogene Daten:
- Grundlegende Identitätsdaten (Name, Geburtsdatum, Nationalität),
- Aufenthaltsstatus, erteilte Visa und Duldungen,
- Angaben zu Abschiebungen, Einreiseverboten und Asylverfahren,
- Aktenzeichen von Sicherheits- und Verwaltungsbehörden,
- Historie von Anträgen und Entscheidungen in Aufenthaltsverfahren, jedoch nicht den gesamten Verwaltungsvorgang
- u.a.
Was im Ausländer-Zentralregister NICHT enthalten ist
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass das AZR keine detaillierte Historie eines Asyl- oder Aufenthaltsverfahrens und alle dazu gehörenden Detailinformationen enthält. Diese Informationen werden in der sogenannten Ausländerakte bei der jeweils sachbearbeitenden Dienststelle geführt.
Während das AZR als zentrale Datenbank Stammdaten speichert, umfasst die Ausländerakte fortlaufend ergänzte Verwaltungsdaten, die für Entscheidungen über Aufenthaltsrechte maßgeblich sind. Diese Akten sind in der Regel nicht zentral durchsuchbar und unterliegen je nach Dienststelle unterschiedlichen Dokumentationsstandards.Und auch der Grad der Aktualisierung der Informationen zwischen Ausländerakte und AZR ist außerordentlich unterschiedlich. Manche „überforderte Behörde“ mag da Monate mit dem Nachtrag hinterherhinken.
Was richtig „blöd“ wäre, wenn ein betroffener Ausländer umgezogen wäre und die neue sachbearbeitende Dienststelle und der Wohnort demzufolge im AZR noch gar nicht zu finden ist., weil man noch nicht dazu gekommen ist, dies nachzutragen.
Die Ausländerakte als Fundus von Erkenntnissen
Was also im AZR nicht (in ausreichendem Umfang) enthalten ist, sind die Daten über die Historie und den Status des Asyl- und Aufenthaltsverfahrens eines betroffenen Ausländers.
Hier kommen vielmehr die Ausländerbehörden ins Spiel: Denn das Ausländer-Management ist Ländersache! Und die Länder haben bekanntlich sowohl ihren Stolz, als auch was zu sagen, (wenn sie schon bezahlen sollen …). Das hat – im Ausländerwesen, bei der Polizei und auch in anderen Verwaltungsbereichen – zur Folge, dass es unterschiedlich leistungsfähige, nur begrenzt miteinander kommunikationsfähige Ausländer-Verwaltungssysteme gibt, die die Länder „Ihren“ Kommunen zur Verfügung stellen.
Damit nicht genug: Welche kommunale Behörde für welchen Ausländer zuständig ist, richtet sich nach dessen aktuelle Wohnort! In der Metrolpolregion München kommen dafür also eine Ausländerbehörde der Stadtverwaltung München und eine des Landkreises in Frage. Wollen wir nicht hoffen, dass sich der Mann eine Wohnung in Erding genommen hatte oder in Dachau, Freising, Ebersberg oder Wolfratshausen …
Information at your fingertip“ – aus einer Ausländerakte?! gar nicht so einfach …
Wenn nun ein Politiker, wie der bayerische Innenminister Herrmann, ganz schnell, weil mitten in einer fulminanten Krise, alle Erkenntnisse benötigt über den zunächst namentlich gar nicht gekannten Attentäter: Der die Sache möglicherweise erschwert, indem er seinen „Ausländer-Ausweis“ nicht mit sich führt: Dann wird’s zeitaufwändig:
Ich war nicht dabei, stelle mir den Vorgang aber in etwa folgendermaßen vor:
- Der Mann wird nach der Gewahrsamnahme auf eine Polizeidienststelle verbracht.
- Dort werden seine Fingerabdrücke genommen.
- Anhand der Fingerabdrücke weist das oben eingeführte „Ausländer-INPOL“ aus, unter welcher Führungspersonalie und welche Alias-Personalien er in diesem System erfasst ist.
- Die gleiche Personalie wird im Ausländerzentralregister abgerufen. Sie zeigt welche (u.u. mehreren) Ausländerbehörden sachbearbeitend mit dem Fall dieses Menschen befasst waren. Das kann sich nur auf Bayern beziehen, kann aber auch noch Ausländerbehörden anderer Bundesländer betreffen, z.B. wenn der Mann früher in Hamburg oder NRW wohnte und dort „bearbeitet“ wurde.
Und da es keine Möglichkeit gibt, alle diese Informationen aus den unterschiedlichen Ausländerbehörden-Informationssystemen „at your fingertip“ abzurufen, passiert das, was gestern medial dokumentiert wurde:
Selbst ein Innenminister tappt anfänglich im Dunkeln und erst peu á peu laufen – von den verschiedenen mehr oder minder nur kommunikativ (und nicht elektronisch) angefragten, involvierten Ausländerbehörden die – wiederum händisch zusammengestellten – Informationen zusammen und werden für den Herrn Minister aufbereitet.
Tja – sowas dauert eben – und belegt wieder einmal eindrucksvoll, wie – auf der ganz praktischen Ebene – Heilsversprechen von Politikern am fehlenden Willen zur Umsetzung zerschellen.
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