Nebelschwaden wabern in der Gerüchteküche: Der zurückgetretene österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz soll bald für Palantir arbeiten. Melden mehrere Medien aus Österreich und der Schweiz. Auch die Süddeutsche kolportiert das Gerücht. Bisher gibt es weder von Kurz, noch von Palantir dafür eine Bestätigung. Übereinstimmung herrscht allerdings in mehreren Quellen darin, dass Kurz bereits einen Vertrag unterschrieben habe und Anfang Januar mehr mitteilen wolle. Ich bin den Spuren und Hinweisen mal nachgegangen …
Die Spurenlage
… zum Vertragspartner von Kurz
Über den Vertragspartner gibt es Widersprüchliches. Es soll sich um ein ‚Privatunternehmen‘ handeln mit Sitz im Silicon Valley. Was beides für Palantir nicht zutrifft: Die US-Muttergesellschaft von Palantir – Palantir Technologies Inc. – ist seit 2020 ein börsennotiertes Unternehmen. Als solches würde Palantir mit der Anstellung von Kurz ein Eigentor schießen: Denn für den interessiert sich in Österreich der Staatsanwalt u.a. wegen Korruptionsvorwürfen. Was wiederum dicke Minuspunkte seitens der US-Börsenaufsicht SEC bedeuten würde.
… zum Silicon Valley bzw. San Francisco
Auch das mit dem Silicon Valley passt nicht zur Palantir-Hypothese: Denn Palantir Technologies Inc. ist in Delaware eingetragen und hat den Hauptsitz in Denver Colorado (PLTR, 10-K für 2020).
San Francisco, eine Spur in anderen Quellen (z.B. in der FAZ) eröffnet einen Link zu Peter Thiel hin, dem Mitgründer und Haupt-Investor aus den Anfangstagen von Palantir. Dessen Investmentfirma Founders Fund hat ihren Sitz in der Stadt am Golden Gate. Dazu passt dann auch besser, dass es sich beim neuen Kurz-Auftraggeber um „ein Unternehmen in der Investmentbranche handeln“ soll. (Wiener Zeitung) Womit man sich die sonst sicheren Minuspunkte bei der SEC ersparen würde.
Zum Wert von Sebastian Kurz für Palantir
Der Nutzen von Sebastian Kurz für die US-MUTTER ist ohnehin überschaubar: Weder versteht der frühere Jura-Student ohne Abschluss viel von BigData-Analyse und Informationssystemen. Viel mehr schon vom Netzwerken, vor allem in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Was besser passt zur Formulierung, dass Kurz ein „klassisches Managerleben zwischen San Francisco, Wien, Deutschland und der Schweiz führen“ werde“ [FAZ]. Zumal die US-Mutter bei amerikanischen Sicherheitsbehörden gut im Geschäft ist, zu dem ein zurückgetretener Bundeskanzler aus einem „tiny central European country“ nicht mehr viel beitragen kann.
Der Markt für Palantir im Zentrum Europas kann dringend einen Booster gebrauchen: Die letzten öffentlich gewordenen Auftragsvergaben stammen aus dem Februar 2018 für das Projekt Hessendata für die Polizei ebenda und aus dem Januar 2020 für das Projekt DAR – Datenbankübergreifende Recherche – mit dem Landeskriminalamt Düsseldorf. Seitdem findet sich auf der europäischen Vergabeplattform TED nur noch ein Auftrag für Palantir mit dem zentralen Beschaffungsamt in Vilnius, Litauen. Er hat ein Volumen von 9 Mio Euro, ein Betrag, der nahezu ‚Peanuts‘ ist aus der Sicht von Palantir und andererseits ein Auftraggeber, der vom Zentrum Europas ein Stück weit entfernt ist.
Wien als idealer Standort für den Behördenvertrieb im Zentrum und Osten Europas
Während der Hinweis auf „Wien, Deutschland und die Schweiz“ eine WinWin-Situation für beide Seiten darstellen kann: Das wäre – erstens – Wien als Sitz der österreichischen Regierung, in deren Innenministerium man sich auch Gedanken machen wird über die Ausstattung der österreichischen Sicherheitsbehörden mit einem BigData-Analysesystem. Da wäre – zweitens – Wien, als der Prototyp eines Vertriebs-Knotens, von dem aus schon seit Jahrzehnten sechsspurige Autobahnen an Vertriebskanälen in die Länder des ehemaligen Ostblocks ausgebaut sind. An deren Enden, z.B. in Bratislava, Prag, Warschau, Budapest, Bukarest oder Sofia jetzt EU-Mitgliedsländer und deren Innen- und Verteidigungsministerien sitzen, was den Vertrieb gegenüber der Zeit des Kalten Krieges noch wesentlich erleichtert.
Wien käme auch für Kurz sehr gelegen, der vor wenigen Wochen ein erstes Mal Vater wurde und sich mit seiner Partnerin sicher nicht um einen Umzug ins Silicon Valley reißt.
Palantir-Europa-Zentrale in Altendorf am Zürcher See
In der Schweiz, genauer gesagt in Altendorf am Zürcher See im steuerfreundlichen Kanton Schwyz, hat Palantir seit rund einem Jahr seine Europa-Zentrale eingerichtet. Aus Sicht von Kurz wäre das ein weiterer, kaum einstündiger Hop von Wiener Flughafen aus.
Für die Palantir-Europazentrale in der Schweiz spricht auch, dass dort ein recht lockeres Datenschutzrechts-Regime herrscht – jedenfalls verglichen mit der Europäischen Union. Und dass sich dort nicht nur ein Markt für das Palantir-Produkt Gotham für Sicherheitsbehörden auftut, sondern auch schon erste Schweizer Referenzkunden für das zweite Produkt/Standbein namens Foundry in der Welt der Banken, Versicherungsgesellschaften, Verlage und Logistikunternehmen.
Palantir in Deutschland
Bleibt Deutschland. Wo die Szene gespannt auf die Veröffentlichung wartet, für welchen Anbieter sich das Bayerische Landeskriminalamt im Projekt VeRA – Verfahrensübergreifende Recherche und Analyse – entschieden hat. Denn dieser Anbieter wird den Markt für BigData-Analysesysteme für Polizeibehörden auf Jahre in der Tasche haben: Kann/darf der dann doch auch auch die Bundespolizeibehörden – BKA, BPol und ZKA) – sowie jede der 15 anderen Länderpolizeibehörden mit seinem Produkt beliefern und seine Services wachsen lassen. Sofern sich denn die entsprechende Behörde dazu entscheidet. Was einen Gruppenzwang auslösen wird, dem nur schwer zu widerstehen sein wird, wenn die Mehrheit der anderen Behörden sich FÜR diesen Anbieter entscheidet.
Auch in Deutschland haben wir mit Gerhard Schröder und Angela Merkel gleich zwei ehemalige Bundeskanzler im Austrag. Dass einer der beiden mit Palantir zusammenkommt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Nicht zuletzt, weil beide aus der Sicht des durchschnittlich um die 30 Jahre alten Palantir-Mitarbeiters eher zur Großeltern-Generation gehören.
Zumal es Kandidaten gibt, die auch fachlich für Palantir wesentlich mehr bewirken könnten: Man denke z.B. an drei parlamentarische Staatssekretäre im Bundesministerium des Inneren, die mit dem Regierungswechsel schon ersetzt wurden. An noch nicht abberufene beamtete Staatssekretäre aus der Zeit von Bundesinnenminister Seehofer. Oder eine Reihe von politischen Beamten, z.B. Abteilungsleiter im BMI oder der Leitungsebene von Sicherheitsbehörden im Geschäftsbereich des BMI.
Von denen viele aufgrund ihrer jahre(zehnte)langen Vernetzung im Sicherheitsapparat der Bundesrepublik Deutschland viel für Palantir bewirken könnten. Ob das genau so positiv auch für Millionen von Menschen wäre, die in einer der zahlreichen Polizeidatenbanken des Bundes und der Länder [pdb] geraten sind und damit einer BigData-Analyse mit Palantir-Systemen anheimfallen könnten, die Daten aus diesen Polizeidatenbanken nutzen – steht auf einem anderen Blatt.
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