Im siebten Jahr der Planung und Konzeption für den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV) wird, ganz versteckt in einer Bundestagsdrucksache, eine Verzögerung von mehr als einem Jahr eingestanden. Das ist nicht die erste Abweichung vom Plan: Als Reaktion auf die Aufdeckung des NSU-Terrortrios war der ursprünglich als Stufe 1 vorgesehene Deliktsbereich kassiert und durch Waffen- und Sprengstoffdelikte ersetzt worden. Das demonstrierte Anpassungsfähigkeit der Politik aufgrund aktueller Entwicklungen, ist aber möglicher Weise auch ein Zugeständnis an die Technik, da der neue Einsatzbereich wesentlich geringere Anforderungen stellt als der ursprünglich vorgesehene.
Jetzt verzögert sich die Zuschlagserteilung für den PIAV Operativ Zentral, die Zentralkomponente beim Bundeskriminalamt, also bis zum September 2014. Was daran liegen könnte, dass der vom Bundesinnenministerium gewünschte, ideale Kandidat bisher noch gar nicht existiert.
Die Verzögerungen beim Bund verschaffen auch den Ländern mehr Luft. Wann die erste Stufe des PIAV nun tatsächlich nutzbar sein wird, ist damit jedoch völlig offen. Ein Projektablauf also, wie man ihn (leider) kennt von Verbundprojekten in der deutschen Polizei …
Bundestagsdrucksache: Verstecktes Eingeständnis einer erheblichen Verzögerung beim PIAV-Zentral
Die in der Öffentlichkeit verfügbaren Nachrichten über den PIAV – den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund – und den Stand seiner Realisierung sind nicht gerade als üppig zu bezeichnen. Umso mehr freut man sich, in einer Unterrichtung der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag dazu einige Häppchen zu finden. Und zwar im Bericht über die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses aus der letzten Wahlperiode [1].
Polit-PR und falscher Anschein
Die Ernüchterung folgt jedoch gleich auf dem Fuße: Auf neun der insgesamt dreizehn Zeilen findet sich nichts als Polit-PR: Der PIAV „dient [!] der Verbesserung des polizeilichen Informationsflusses“ wird dort behauptet. „Durch den Austausch von Personen-, Fall- und Sachdaten wird [!] eine effektive Kriminalitätsbekämpfung durch die Polizeien des Bundes und der Länder sichergestellt“ . Die verwendeten Aussagesätze erwecken den Eindruck, als sei dieser PIAV schon heute praktisch nutzbar und würde den beschriebenen Nutzen bringen, nämlich die „Aufklärung nicht nur länder-, sondern auch phänomen- und dateiübergreifender Tat-/Täter- bzw. Tat-Tat-Zusammenhänge“.
Verzögerung von mindestens einem Jahr
Tatsächlich ist jedoch gar nichts realisiert beim PIAV und befindet sich das Projekt schon jetzt erheblich hinter dem Zeitplan. Das erschließt sich allerdings nur dem Eingeweihten, wenn er die letzten vier Zeilen liest. „Die Projektrahmenvereinbarung“ [für die Entwicklung der PIAV-Komponente „Operativ Zentral“ für das BKA / d. Verf.] sei „europaweit ausgeschrieben worden“. Die Zuschlagserteilung solle „nach derzeitiger Planung“ „bis Ende September 2014 erfolgen“.
Bei der „europaweiten Ausschreibung“ handelte es sich um einen Teilnahmewettbewerb aus dem August 2013, der dann noch zweimal nachgebessert wurde [wir hatten in diesem Artikel darüber berichtet]. Abgabetermin für entsprechende Bewerbungen war der 15.10.2013. Völlig offen blieb, bis zu welchem Termin die Teilnehmer zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden. Aus der Unterrichtung der Bundesregierung [1] ergibt sich nunmehr, dass das Bundesinnenministerium als zuständige Entscheidungsinstanz – von Oktober 2013 bis September 2014 – also ein volles Jahr benötigt, um sich für eines der Angebote aus dem Teilnahmewettbewerb zu entscheiden.
PIAV erheblich verzögert: Starttermin völlig offen
In der Auftragsbekanntmachung zum Teilnahmewettbewerb vom 29.08.2013 waren Zieltermine für die Realisierung benannt: Die Stufe 1 des PIAV, nämlich der Phänomenbereich Waffen- und Sprengstoffdelikte, solle bis Ende 2014 abgeschlossen werden, hieß es dort. Ende Februar teilt die Bundesregierung nunmehr mit: „Die 1. Stufe ‚Waffen- und Sprengstoffkriminalität‘ soll bis Ende 2015 abgeschlossen sein“. Bewerber, die sich im August letzten Jahres nicht um die Teilnahme beworben hatten, weil sie für den damals mitgeteilten Realisierungszeitraum keine freien Ressourcen hatten, könnten dies als entscheidungsrelevant ansehen und die Vergabeentscheidung anfechten.
PIAV-Verzögerungen auch in den Ländern
Ferner, sagt die Bundesregierung, solle „die Anbindung der Teilnehmer“ [also der IT-Systeme der Länder und des Bundes / d. Verf.] „bis Ende 2015 abgeschlossen sein“.
Völlig offen ist allerdings, was die Länder dazu sagen. Erkundigungen der Autorin nach dem Stand der Umsetzung des PIAV in den Bundesländern versprechen nichts Gutes, jedenfalls nicht für eine Realisierung der PIAV-fähigen IT-Systeme in den Bundesländern bis Ende 2015.
Wenn jedoch schon der Zeitplan Schall und Rauch ist: Was bedeutet das für die ohnehin exorbitanten Kosten von 62 Millionen Euro, die der PIAV nach Mitteilung der Bundesregierung [2] aus dem letzten Jahr kosten soll?!
Dieser Artikel ist Teil der Serie IT-Systeme und -Projekte |
Neues vom PIAV …
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Quellen zu diesem Beitrag
[1] Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungsstand der Empfehlungen desNSU-Untersuchungsausschusses, 28.02.2014
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/007/1800710.pdf [2] Polizeiliche Datensysteme zur Erfassung und Analyse Politisch motivierter Kriminalität
- rechts, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen,
16.09.2013
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/147/1714753.pdf