Bundesinnenminister de Maizière hat im Bundestag einen weiteren Gesetzentwurf ‚zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus‚ eingebracht: Diesmal ist sein Mittel der Wahl gegen Terroristen der Informationsaustausch zwischen deutschen und ausländischen Nachrichtendiensten. Zu diesem Zweck sollen so genannte gemeinsame Dateien beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten eingerichtet werden. Umgekehrt soll sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auch an gemeinsamen Dateien beteiligen dürfen, die von ausländischen Nachrichtendiensten errichtet wurden. Damit wird die formelle, gesetzliche Basis dafür geschaffen, dass Informationen aus deutschen Sicherheitsbehörden – das sind Polizei und Nachrichtendienste ! – faktisch weitgehend unkontrolliert an ausländische Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. Ein aus verfassungsrechtlicher Sicht extrem zweifelhaftes Vorhaben!
Was sind ‚Gemeinsame Dateien‘
Als ‚Gemeinsame Dateien‘ werden Informationssysteme bezeichnet, in die Nachrichtendienste [a] und Polizeibehörden [b] gemeinsam Informationen einspeisen. Der Begriff leitet sich ab aus dem ‚Gemeinsame-Dateien-Gesetz‘, einem Bundesgesetz, das 2006 in Kraft trat. Damit wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen für die Errichtung der Antiterrordatei (ATD) beim Bundeskriminalamt und für gemeinsame, projektbezogene Dateien zwischen den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder, dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundesnachrichtendienst (BND). Als Reaktion auf die Enttarnung der NSU-Terrorgruppe kam 2012 noch die Rechtsextremismus-Datei (RED) hinzu, ein Pendant zur Antiterrordatei für Informationen über gewaltbezogenen Rechtsextremismus.
Neben den beiden namentlich benannten Dateien – ATD und RED – gibt es auch noch projektbezogene gemeinsame Dateien , über die die Öffentlichkeit oder Kontrollbehörden so gut wie gar nichts erfahren. Diese geheimen Datentöpfe sollen befristete gemeinsame Projekte der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), des BND, der Polizeibehörden des Bundes und der Länder unterstützen, um „phänomenbezogene Erkenntnisse auszutauschen, zu analysieren und Bekämpfungsansätze zu entwickeln“. Im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist aus der anfänglichen „Befristung“ eine Dauer von fünf Jahren geworden, das ist eine unter Datenschutzaspekten „sehr lange“ Aufbewahrungsfrist!
Die sehr allgemeine Definition der Aufgaben, die Geheimhaltung rund um diese Dateien und die Tatsache, dass Polizei und Nachrichtendienste hier sehr eng zusammenarbeiten und Informationen austauschen, ruft bei vielen Beobachtern heftige Bedenken hervor. De Maizière und seine Mannen pflegen solche Argumente beiseite zu wischen mit der Begründung, sie seien die „Guten“ und würden schon selbst aufpassen, dass Informationen streng nach Recht und Gesetz erhoben, gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden. Leider fehlt es bisher an jeglichem Nachweis für diese Behauptung. Denn insbesondere die Datenschutzbeauftragen sagen freimütig, dass sie weder die Ressourcen, noch die Kompetenzen, noch die Befugnisse haben, um die Datentöpfe der Polizeibehörden des Bundes oder die der Nachrichtendienste zu prüfen. Die „prüfen „sich also nach wie vor ausschließlich selbst. Und nichts im neuen Gesetzentwurf spricht dafür, dass sich das mit dem neuen Gesetz ändern wird.
Speicherung in und Nutzung von Gemeinsamen Dateien
Speicherungspflicht
Für die Antiterrordatei und Rechtsextremismusdatei besteht eine Speicherungspflicht, d.h.: Die beteiligten Behörden sind verpflichtet, relevante und bereits erhobene Informationen aus ihrem jeweiligen sachlichen bzw. räumlichen Aufgabenbereich bei der jeweiligen Datei anzuliefern. Relevant sind – hier sehr allgemein formuliert – eigentlich alle Informationen, die in einem sehr weit gefassten Bezug zu terroristischen Vereinigungen bzw. zu rechtswidriger Gewaltanwendung (im Falle der ATD) bzw. zu gewaltbezogenem Rechtsextremismus (im Falle der RED) stehen. [In den §§2 des ATD- bzw. RED-Gesetzes finden Sie bei Bedarf die ganz präzise Definition]. Der Kreis der von einer Speicherung betroffenen Personen und damit zusammenhängenden, ‚personenbezogenen Informationen‘ über andere Personen, Unternehmen und Gruppierungen, Adressen, Telefonanschlüsse, Fahrzeuge und sonstige Sachen ist also extrem weit gefasst.
Grunddaten und erweiterte Grunddaten
In der ATD und RED wird zwischen ‚Grunddaten‘ und ‚Erweiterten Grunddaten‘ unterschieden.
Grunddaten sind die wichtigsten Angaben zur Person (Personalie – im Deutsch der Sicherheitsbehörden), also die Namensangaben, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Personenbeschreibung und aktuelle und frühere Anschriften.
Die erweiterten Grunddaten sind dagegen das ‚Salz in der Suppe‘, jedenfalls für die – informationstechnische Analyse – solcher Informationen. Dazu gehören alle weiteren ‚personenbezogenen Informationen‘, also alle Informationen, die direkt mit einer Person in Beziehung stehen, wie Telefonanschlüsse, genutzte KFZs, Familienmitglieder und Kontaktpersonen, Unternehmen und sonstige Organisationen, mit denen die Person in Beziehung steht u.v.m.
Chancen und Schwächen einer Analyse solche Beziehungen
Bei einer Analyse solcher Beziehungen mit geeigneten Analyseprogrammen ergeben sich meist grafische Darstellungen, die alle Personen, Adressen, Ereignisse und Sachen als benannte grafische Symbole und die Beziehungen untereinander als benannte Verbindungslinien in Szene setzen. Man nennt solche Grafiken gemeinhin Beziehungsnetze.
Die Aussagen, die sich aus solchen Analysen ergeben, bedürfen immer einer Interpretation. Denn Analyseprogramme visualisieren zwar „automatisch“ und zeigen grafisch eine „Beziehungs“linie zwischen zwei Personen (oder sonstigen Informationsobjekten). Die Bewertung der Relevanz fehlt jedoch. Da steht eine grafische Linie, unabhängig davon, ob sich zwei Personen seit Jahren eine Wohnung teilen oder ob sie zeitgleich von einem Überwachungsteam beim Bäcker gesehen wurden.
Insofern bedürfen Rohanalysen, wie sie durch solche Analyseprogramme produziert werden, der kriminalistischen bzw. nachrichtendienstlichen Überprüfung. Ein in Fachkreisen allgemein akzeptierter Sachverhalt, für den jedoch gemeinhin die personellen Ressourcen fehlen.
Verwendet werden solche Rohinformationen, die zugrunde liegenden Informationen und die sich daraus ergebenden „Erkenntnisse“ allerdings trotzdem. Wenn das Ergebnis einer solchen „Analyse“ dann den Falschen trifft: Pech gehabt für den Betroffenen! Der muss dann selbst zusehen, wie er sich wirksam gegen den automatisch generierten Verdacht zur Wehr setzt, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein.
Was sehen die beteiligten Behörden nach einer Suche / Abfrage?
Die beteiligten Behörden können in der ATD und RED bzw. einer „gemeinsamen Datei“ lediglich fragen, ob eine namentlich bekannte Person gefunden wird im Bestand der Grunddaten.
Wenn ja, ist es Sache der Behörde, die die Informationen eingespeist hat, ob die anfragende Behörde zu einer Trefferperson auch die erweiterten Grunddaten zu sehen bekommt oder nicht.
Honey Pot oder Verdeckte Speicherung
Eine Besonderheit der ATD, RED und der gemeinsamen Dateien besteht in der – aufhübschend so bezeichneten – „verdeckten Speicherung“. Das kann man sich vorstellen, wie einen Honigtopf: Die einspeisende Behörde stellt den Topf auf (=der Topf), füllt ihn mit Informationen über eine Person (=der Honig) , an der sie interessiert ist – und wartet. Sobald eine andere Behörde nach dieser Person sucht, erhält die einspeisende Behörde einen Hinweis: Wer hat sich für „ihren Honigtopf“ interessiert. Der Anfrager sieht erst mal gar nichts. Er könnte kontaktiert werden, wenn die einspeisende Behörde dies für opportun hält – oder eben auch nicht … Auf diese Weise bekommen insbesondere die Nachrichtendienste mit, welche Polizeibehörde sich interessiert für Personen, die sich der besonderen Aufmerksamkeit der Nachrichtendienste erfreuen.
Kritik an den Gemeinsamen Dateien
Schon die Nutzung von gemeinsamen Dateien von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden innerhalb Deutschlands ist verfassungsrechtlich höchst umstritten: Kernproblem ist die Frage, ob neben einer organisatorischen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, wie sie das „Trennungsgebot“ vorsieht, auch eine informationelle Trennung geboten ist.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Aus diesem und anderen Gründen wurde das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet, um die Rechtmäßigkeit von ATD und RED und der Gemeinsamen Dateien zu überprüfen. Das Urteil dazu aus dem Jahr 2013 [Urteil vom 24.04.2013, Az 1 BvR 1215/07] kommt zum Ergebnis,
- dass ein Austausch von Daten zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten „nur ausnahmsweise“ zulässig ist und zwar „zum Schutz herausragender öffentlicher Interessen“.
- Das Gericht beanstandet außerdem, dass die beteiligten Behörden nicht hinreichend bestimmt sind,
- den erfassten Personenkreis – im Hinblick auf Bezug zum Terrorismus – als zu weitgehend
- die Erfassung von Kontaktpersonen
- und verlangt eine wirksame datenschutz- und Verfassungsrechtliche Aufsicht über die Nutzung.
Neues Gesetz verabschiedet
Ein Jahr nach diesem vernichtenden Urteil lag ein neuer Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, den der Bundestag am 16.10.2014 angenommen hat.
Bundesdatenschutzbeauftragte sieht weitere Verschlechterung im neuen Gesetz
Die Bundesdatenschutzbeauftragte sieht darin keine Verbesserung im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, sondern ganz im Gegenteil eine weitere Verschlechterung: Sie sagt dazu in ihrem 25. Tätigkeitsbericht [S. 72 – 75]
„Meines Erachtens entspricht der Gesetzentwurf nicht den Vorgaben, die das [Bundesverfassungs-]Gericht in Bezug auf die Änderungen des ATDG erlassen hat. Insoweit bestehen gravierende Umsetzungsdefizite. Dies wurde auch in der zu diesem Gesetzentwurf am 20. September 2014 durchgeführten öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages deutlich.
Kritisch zu bewerten ist insbesondere der erfasste Personenkreis. Obgleich das Bundesverfassungsgericht die in Paragraf 2, Satz 1, Nummer 3ATD G normierte Definition der Kontaktpersonen als verfassungswidrig bewertet hat, taucht diese in dem beschlossenen Gesetzentwurf … unverändert wieder auf.Erstaunlich und zu kritisieren ist zudem, dass die Bundesregierung … eine gänzlich neue, gravierende Befugniserweiterung (betreffend Analysen und Recherchen) vorgenommen hat. Damit wird der Charakter der Antiterrordatei entscheidend verändert. Die Datei ist damit nicht mehr nur eine reine Nachweis- bzw. Hinweis-Datei. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung jedoch auf diese beschränkte Hinweis-Funktion gestützt. Ohne diese Funktionsbeschränkung hätte das Gericht nicht nur Teile des ATDG, sondern unter Umständen das gesamte Gesetz als verfassungswidrig bewertet. Deswegen erstaunt es, wenn die Bundesregierung ihr Vorgehen damit begründet, die bei der Evaluierung des ATDG befragten Nutzer hätten diese Befugnis als „sinnvoll“ erachtet. Dies reicht nicht aus. Jede neue Befugnis muss – neben weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen – immer auch zwingend erforderlich sein. Wünsche von Dateinutzern begründen keine verfassungsrechtliche Erforderlichkeit.“
Doch der so beanstandete Gesetzentwurf ist – unbeschadet der Kritik – verabschiedet worden und stellt seitdem die Grundlage dar für den Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten innerhalb der Bundesrepublik. Es folgt dies der schon wiederholt angewendeten Praxis der Innenminister aus dem Kabinett Merkel, dass man Gesetze erlässt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Verfassungsgericht später wieder kassiert werden. In der Zwischenzeit aber, bis eine solche Klage entschieden ist, lässt sich ein solches Gesetzt wunderbar nutzen. Gleichzeitig schiebt die stete und bewusste Verletzung verfassungsrechtlicher Grenzen diese immer weiter hinaus in die von den Machern solcher Gesetze gewünschte Richtung.
Der jüngste Gesetzentwurf des Innenministers
In dieser Situation legt Innenminister De Maizière also im Juni 2016 einen weiteren Gesetzentwurf vor, der im engen Zusammenhang steht mit den Gemeinsamen Dateien, der Antiterror- und der Rechtsextremismus-Datei innerhalb der Bundesrepublik:
Kritik des Bundesverfassungsgerichts tangiert ihn nicht, die Bundesdatenschutzbeauftragte und ihre Bedenken ignoriert er vollkommen: De Maizière will jetzt die Informationen aus den Gemeinsamen Dateien, die Polizei und Nachrichtendienste in der Bundesrepublik zusammengetragen haben, mit ausländischen Nachrichtendiensten teilen. Zu welchem Zweck das erfolgen soll, ist nebulös formuliert. Wer das kontrollieren soll? Wurde bisher nicht festgelegt! Ob das dem behaupteten Zweck = Bekämpfung des internationalen Terrorismus dient?! Steht im Gesetzentwurf nicht drin: Überhaupt kommt der Begriff „internationaler Terrorismus“ nur einmal in der Überschrift des Gesetzentwurfs vor!
Aber De Maizière und seine Mannen wissen: Steter Tropfen höhlt den Stein! Und bis sich Kläger gefunden haben gegen diesen neuen Anschlag auf Bürgerrechte und Datenschutz, bis die Klage eingereicht, begründet und verhandelt ist und bis dann endlich zum wiederholten Mal ein Urteil gefällt ist, das auch den Kern dieses Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, werden Jahre vergangen sein. Das weiß der Innenminister, der sich gerne auch als „Verfassungsminister“ bezeichnen lässt, weil er angeblich der oberste Wächter ist für die Einhaltung der Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz.
In den vielen Monaten, bis ein weiteres, solches Urteil vorliegt, können Minister vom Schlage eines De Maizière und seine Behörden tun und lassen, was sie wollen: Je nach Gusto: Harte, technisch/wissenschaftlich untersuchbare Beweismittel, wie Handies und SIM-Karten in irgendwelchen Panzerschränken oder staubigen Archiven verschwinden lassen oder „Erkenntnisse“ generien aus Informationen aus „gemeinsamen Dateien“ mit Polizeien und Nachrichtendiensten im Inland: Von denen hinterher keiner mehr sagen kann, woher diese Information eigentlich stammte und durch was sie eigentlich belegt ist.
olche Behörden und ihre Chefs verlassen sich noch immer darauf, dass Politik – insbesondere in den diversen Untersuchungsausschüssen – glauben muss, was die Behörde ihnen auftischt. Dass man mit dümmlichen Strategien der Hetze und Desinformation einen Stich macht bei denkenden Menschen. Und mit solcher Hetze („Snowden – russischer Spion“ / wie jüngst geschehen) ablenkt vom eigentlich Kernthema: Dem Versagen der deutschen Dienste, wenn es um eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus geht …
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