Wie alle Landespolizeibehörden muss auch die Berliner Polizei ihr Informationssystem ausrüsten, damit es ab Mai diesen Jahres klappt mit dem Wirkbetrieb des Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes PIAV. Und wie andere Landes- und die beiden Bundespolizeibehörden [a] in Deutschland setzt die Berliner Polizei auf RSCase, das Fallbearbeitungssystem der Firma Rola Security Solutions GmbH. Im Berlin heißt die spezifisch Berliner Variante dieses Systems CASA, das steht für Computergestützte Anwendung für Sachbearbeitung und Auswertung.
Nachvollziehbar ist, dass ein System, das schon 2006 beschafft wurde, für den Betrieb mit dem PIAV erweitert werden muss. Also müsste ein entsprechender Auftrag an die Firma Rola, den Hersteller von CASA, erteilt worden sein. Die Kosten für solche Erweiterungen liegen im oberen sechsstelligen Bereich: So hat zum Beispiel das Land Mecklenburg-Vorpommern, das nur einen Bruchteil der Personalstärke der Berliner Polizei hat, für die PIAV-Erweiterung seines Fallbearbeitungssystems ZEUS – ebenfalls eine Variante des Grundsystems RSCase – einen Auftrag über 761.000 € vergeben [1].
Wie funktioniert das mit den Vergabebekanntmachungen?! – bzw. wie sollte es funktionieren …
Die Pflicht zur Bekanntmachung von vergebenen Aufträgen ab einem Auftragsvolumen von 207.000 € gilt europaweit für alle Auftraggeber. Die Bekanntmachung erfolgt durch Einreichung eines entsprechend ausgefüllten Standardformulars beim Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft. Alle dort eingegangenen Bekanntmachungen werden zeitnah in der Datenbank TED (Tenders Electronic Daily) publiziert und sind unter der Adresse ted.europa.eu für jedermann einsehbar. Die Datenbank unterhält auch ein Archiv, in dem sämtliche veröffentlichten Bekanntmachungen der letzten fünf Jahre suchbar vorgehalten werden.
Keine Vergabebekanntmachung aus Berlin auffindbar
Also haben wir im TED recherchiert nach einer entsprechenden Vergabebekanntmachung des Polizeipräsidenten in Berlin für einen Auftrag zur Erweiterung von CASA für den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund PIAV: Und fanden dort: Nichts! In Folge haben wir bei der Pressestelle des Polizeipräsidenten in Berlin angefragt. Und wurden vom Leiter der Stabsabteilung Kommunikation zunächst darüber belehrt, dass „die Vergabeverfahren der Polizei Berlin grundsätzlich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften sowie der dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften durchgeführt“ werden. Zum angefragten Sachverhalt hieß es: „Laut Aktenlage wurde eine Mitteilung zur ex-post-Transparenz veröffentlicht.“ Und dann stand da noch, dass die Mitteilung in der Datenbank TED nach sechs Monaten gelöscht wird.
Eine bemerkenswerte Behauptung, möglicherweise aber ein neues Feature?! Denn die Datenbank TED gibt es schon seit vielen Jahren und sie ist vor allem geschätzt, als das, was sie ist: Ein „unbestechliches“ Archiv sämtlicher veröffentlichter Bekanntmachungen aus den jeweils letzten fünf Jahren. Sicherheitshalber haben wir dennoch beim Helpdesk von TED nachgefragt und von dort die Bestätigung erhalten, dass sämtliche veröffentlichten Bekanntmachungen in TED für fünf Jahre gespeichert bleiben. Also haben wir noch einmal die Kernfrage bei der Berliner Polizei wiederholt: Wann und wo ist der Auftrag bzw. die Vergabe eines Auftrages [für die Erweiterung von CASA für den Betrieb im polizeilichen Information und Analyseverbund PIAV] veröffentlicht worden?
Angebliche Ausnahmeregeln, die nur Berlin kennt
Gar nicht! lautete die Antwort diesmal. Denn es gäbe (angeblich) Ausnahmen in der Vergabekoordinierungsrichtlinie, die eine Nicht-Veröffentlichung der Auftragsvergabe erlauben. Das sei geregelt in Paragraf 23 EG VOL/A, Nummer 1, Satz 2: wo (angeblich) Ausnahmen genannt seien, die es möglich machten, von einer Veröffentlichung eines vergebenen Auftrages gänzlich abzusehen. Dumm nur: Auch diese Auskunft stimmt nicht. Das zeigt schon der rasche Blick auf den Text der Verordnung: Der angeführte Satz 2 beginnt mit den Worten „Die Auftraggeber brauchen bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe nicht mitzuteilen …“. Von einer Nicht-Veröffentlichung steht da jedoch gar nichts. Sicherheitshalber zogen wir noch einen weit verbreiteten Standardkommentar zum Vergaberecht [2] zu Rate. Der sich natürlich auch ausführlich mit dem Paragrafen 23 beschäftigt. Dort heißt es:
Die Auftraggeber sind verpflichtet, innerhalb von 48 Tagen nach Vergabe des Auftrags über jeden vergebenen Auftrag .. eine Mitteilung an das Amt für öffentliche Veröffentlichungen der EU zu übermitteln und zwar unabhängig von der Vergabeart. [Fett durch Verf.]
Ausnahmetatbestände, die es rechtfertigen, einen vergebenen Auftrag überhaupt nicht zu veröffentlichen, sieht die Richtlinie also nicht vor, was das Gegenteil dessen ist, was der Pressesprecher des Berliner Polizeipräsidenten geantwortet hat.
Fehlende Bekanntmachungen auch von anderen Polizeibehörden und Kunden von Rola
Kleinigkeit?! Einmalige Panne? Kann schon mal vorkommen?!
Die bisher bekannten Tatsachen sprechen dagegen: Die Firma Rola als Nutznießer dieser Beschaffungsprojekte wies schon für 2013 und 2014 in ihren veröffentlichten Jahresabschlüssen eine Rendite aus von 44 bzw. 43 Euro Rohgewinn bezogen auf jeweils 100 Euro Umsatz [3a, 3b] und erwartet eine weitere Steigerung im Jahr 2015. Sie erlöste nach eigenen Angaben im Jahr 2014 aus den Geschäften mit (vorwiegend deutschen) Polizeibehörden 10,4 Mio Euro (und weitere 6,5 Mio Euro aus Geschäften mit Nachrichtendiensten und „Militärorganisationen“) [3b]. In TED finden sich aus den letzten fünf Jahren (sic!) jedoch nur ganze neun Vergabebekanntmachungen an die Firma Rola Security Solutions (in dieser Schreibweise).
In Sachsen stieß die Vergabe an Rola schon vor Jahren dem Landesrechnungshof sauer auf: Da wurden 3,5 Mio Euro für die Beschaffung und weitere 1,1 Mio Euro für die landesspezifische Anpassung ausgegeben „ohne die Gesamtkosten des Vorhabens zu kennen. Die Auftragsvergabe wies schwerwiegende Mängel auf“ steht im entsprechenden Bericht des Landesrechnunghofs [4].
Ein anderer großer Rola-Kunde, nämlich das Bayerische Landeskriminalamt, machte die Vergabe des Auftrages für eine PIAV-Erweiterung an Rola erst mal gar nicht bekannt und schob die Bekanntmachung nach und zwar just wenige Tage, nachdem wir in Bayern eine entsprechende Anfrage gestellt hatten. Die ex-post-Transparenz wurde in diesem Fall nicht innerhalb der vorgeschriebenen 48 Tage, sondern 770 Tage nach Auftragsvergabe hergestellt [5]. In den insgesamt zehn Veröffentlichungen vergebener Aufträge aus den letzten fünf Jahren aus Bayern an eine Firma Rola taucht der Firmenname sage und schreibe dreimal in unterschiedlicher Schreibweise auf. Das macht es nicht leichter, die richtigen Treffer in der Datenbank zu finden …
Ein weiterer großer Kunde von Rola, die Polizei in Schleswig Holstein [b], verwies uns mit unserer Anfrage an Dataport als „zentrale Vergabestelle“. Dort machte man auf die Anfrage erst mal die Backen breit
„die Beauftragung ist damals unter Beachtung der einschlägigen vergaberechtlichen Regularien ordnungsgemäß erfolgt und dokumentiert … Dataport veröffentlicht Vergabeverfahren grundsätzlich in den dafür vorgesehenen Medien.“
und bezog sich im Übrigen auf angebliche Geheimhaltungsverpflichtungen in Bezug auf Ablauf und Inhalt des Verfahrens. Danach hatten wir allerdings gar nicht gefragt, sondern nur danach, wann und wo ein entsprechender Auftrag veröffentlicht wurde. Auf die entsprechende Nachfrage kam dann ein schmallippiges „die Auftragsvergabe ist nicht veröffentlicht worden“ von der Pressesprecherin von Dataport.
Steht die Polizei beim Vergaberecht über dem Gesetz?
Diese – noch nicht einmal vollständigen – Beispiele belegen, dass es sich nicht um Pannen handelt und auch nicht um einmalige oder seltene Vorgänge.
Sind es Kleinigkeiten?! Die Frage sollten sich politisch Verantwortliche ebenso stellen, wie Parlamentarier und Vertreter der Polizeigewerkschaften. Alle beklagen die unzureichende Leistungsfähigkeit der Polizei und ihrer Informationssysteme. Die Gewerkschaften beschweren sich ständig und lautstark, dass Polizei kaputt gespart wird. Dann muss die Frage erlaubt sein, warum ausgerechnet im Bereich der ohnehin so leistungsschwachen informationstechnischen Ausrüstung der Polizeibehörden in Deutschland [siehe dazu 6] sehr viel Geld ausgegeben wird und weder vorher (z.B. durch offene Vergabeverfahren) noch „ex-post“, also nachher, Transparenz darüber hergestellt wird, welcher Gegenwert diesen Ausgaben gegenübersteht.
Und dann wäre da noch die Frage nach dem Umgang mit Recht und Gesetz bei diesen Beschaffungsmaßnahmen von Polizeibehörden. Lippenbekenntnisse, wie wir sie zuletzt wieder aus Berlin oder von Dataport gehört haben, dass „Vergabeverfahren grundsätzlich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften“ durchgeführt werden, sind das Papier nicht wert auf dem sie gedruckt werden. Wenn Polizeibehörden andererseits, wo es um solche Beschaffungen geht, reihenweise für sich selbst entscheiden, dass deutsches und europäisches Vergaberecht für sie nicht gilt.
Und was ist eigentlich der Grund dafür, dass Polizeibehörden reihenweise Auftragsvergaben an eine Firma verheimlichen, die mit solchen Kunden – ausweislich der eigenen Jahresaschlüsse [in 3a, 3b] – exorbitant hohe Gewinne erzielt?!
Fußnoten
[a] Polizeibehörden des Bundes sind das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei (BPol). Beide setzen das Fallbearbeitungssystem B-CASE der Firma Rola Security Solutions ein.[b] Das Fallbearbeitungssystem der Firma Rola Security Solutions GmbH in Bayern heißt EASY.
[c] Das Fallbearbeitungssystem der Firma Rola Security Solutions GmbH in Schleswig-Holstein heißt MERLIN.
Hinweis in eigener Sache
Die Verfasserin war 2006, zum Zeitpunkt der Erstbeschaffung von CASA in Berlin (und noch bis Mai 2008) Geschäftsführerin der Firma Polygon Visual Content Management GmbH, die sich ebenfalls am Teilnahmewettbewerb für den CASA-Auftrag beteiligt hatte. Polygon kam seinerzeit nicht zum Zug, bzw. konnte noch nicht einmal ein Angebot abgeben, weil in der späteren Ausschreibung, anders als in den Unterlagen zum vorangegangenen Teilnahmewettbewerb, den Polygon erfolgreich passiert hatte, eine Komponente als KO-Kriterium verlangt wurde, die nur von Rola bzw. deren Zulieferanten geliefert werden konnte. Einer entsprechenden Beschwerde beim Polizeipräsidenten in Berlin wurde nicht abgeholfen.
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Quellen
[1] Vergabebekanntmachung des LAiV M-V, Abteilung Beschaffung/Dienstleistungen (Auftraggeber) an die Firma Rola Security Solutions, 07/03/2015, Nr. 2015/S 047-081072http://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:81072-2015:TEXT:DE:HTML&src=0 [2] Kompaktkommentar Vergaberecht / Willenbruch/Wieddekind. Hrsg. von Klaus Willenbruch ; Kristina Wieddekind [3a] Umsatz-/Gewinn-VErhältnis von Rola übertrifft selbst Apple, 04.02.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/pit/projektmanagement/wibe/umsatz-gewinn-verhaeltnis-von-rola-uebertrifft-selbst-apple-8847 [3b] PIAV als Goldgrube, 29.01.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/pit/itsysteme_projekte/rscase/piav-als-goldgrube-10616 [4] Aus dem Jahresbericht des Landesrechnungshofs Sachsen 2013,
dort Seiten 109 – 133, „Fallbearbeitungssoftware der sächsischen Polizei“
http://www.rechnungshof.sachsen.de/jb2013/jb13-I-08.pdf [5] Die seltsamen Vergabebekanntmachungen des Bayerischen LKA, 22.12.2015, POLICE-IT
https://police-it.net/pit/itsysteme_projekte/rscase/die-seltsamen-vergabebekanntmachungen-des-bayerischen-lka-10452 [6] Vorgangsbearbeitung der Polizei: Wie Strafanzeigen nach ‚Silvester 2015‘ in Köln gezählt werden, 10.01.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/pit/informationstechnik/it-polizei/vorgangsbearbeitungssystem-der-polizei-wie-strafanzeigen-nach-silvester-in-koeln-gezaehlt-werden-10482