Die einzige und wesentliche Aufgabe einer „‚Vorstudie‘ besteht darin, objektive Gründe dafür zu liefern, warum der Top-Kandidat das Rennen macht. Die so genannte Fachlichkeit [das sind die Leute, die später mit dem Top-Kandidaten arbeiten dürfen] verlangt solche Begründungen. Paradoxer Weise auch die Entscheider im Vorstand oder Ministerium: Die haben ERST ihre Entscheidung getroffen und DANN die Vorstudie in Auftrag gegeben. Doch im Hinblick auf solche lästigen Formalien, wie das Vergaberecht, ist es immer gut, später Beweise dafür vorlegen zu können, dass fachliche, wirtschaftliche und technische Kriterien gar keine andere Wahl ließen, als den Wunsch-Kandidaten zum Sieger zu machen.
Damit Sie, als betroffener Verantwortlicher, für die nächste Vorstudie methodisch, fachlich und rechnerisch noch besser gerüstet sind, haben wir die wichtigsten Empfehlungen hier für Sie zusammengefasst:
Allgemeines
- Schon beim Titel Ihrer Vorstudie können Sie punkten: Verwenden Sie keine Begriffe, die präzise definiert sind oder die von allen Beteiligten in gleicher Weise verstanden werden. Suchen Sie sich Modewörter der Branche, unter denen jeder etwas anderes versteht.
- Vermeiden Sie ungesunden Zeitdruck: Lassen Sie etliche Monate verstreichen, nachdem Sie den Auftrag erhalten haben, selbst zwei Jahre und mehr schaden nicht. Sie demonstrieren damit, dass Sie und Ihr Team viel beschäftigt sind.
- Finger weg von der Erstellung von „Leistungskatalogen“: Woher sollen Sie schließlich wissen, mit welchen [u.U. hunderten von] Merkmalen ein solcher Kandidat fachlich, technisch, rechtlich bzw. wirtschaftlich zu bewerten ist?! Die Tatsache, dass Kollegen in anderen Behörden solche Kataloge erstellt haben, sollte Sie nicht irritieren. Wahrscheinlich hatten die armen Teufel zu dieser Zeit gerade nichts Besseres zu tun und mussten ihre Daseinsberechtigung unter Beweis stellen.
- Schenken Sie sich die Messung von „harten“, messbaren Leistungsanforderungen; das kostet nur Zeit und verursacht Aufwand. Setzen Sie vielmehr auf subjektive Empfindungen und das Bauchgefühl Ihrer Gesprächspartner. Fragen Sie nach „weichen“ Kriterien, wie „Zufriedenheit“, „Zuverlässigkeit“ oder „Stabilität“. Dazu wird jeder gerne was sagen, und eine breite Plattform von Befragten steigert zusätzlich die Glaubwürdigkeit Ihrer Vorstudie
- Sprechen Sie vornehmlich mit Nicht-Betroffenen, also Leuten, die mit der Sache bisher gar nichts zu tun hatten. Das gibt Ihrer Arbeit den notwendigen überparteilichen Anstrich. Noch besser ist es, wenn diese Nicht-Betroffenen Entscheider sind – auf die Hierarchieebene kommt es da gar nicht an – denn schließlich verleiht die Stimme eines Managers / „Leiters“ Ihrer Vorstudie noch viel mehr Autorität.
- Befragen Sie bloß keine Praktiker oder sonstige Leute, die vom Einsatzgebiet und den fachlichen Anforderungen tatsächlich Ahnung haben. Die erzählen Ihnen Details, die Sie weder hören wollen noch verstehen und die zum optimierten Ergebnis ohnehin nichts beitragen. Diese Leute werden sich in Zukunft anzupassen haben! Je früher die das kapieren, desto besser!
- Seien Sie nicht kleinlich, wenn es um sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit geht. Fakten kann man bekanntlich einpassen in das Gerüst der eigenen Argumente. Mangelnde Vollständigkeit kann Ihnen auch keiner vorwerfen, der nicht weiß, welche Sachverhalte Sie weggelassen haben. Und schließlich erwarten die „Kunden“ Ihrer Vorstudie das optimierte Ergebnis und Papier ist bekanntlich geduldig.
Wie Sie Ihren Flop-Kandidaten möglichst schlecht aussehen lassen
- Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit dem Flop-Kandidaten oder seinem Anbieter. Wozu auch?! Nach Erreichen des optimierten Ergebnis spielen die ohnehin keine Rolle mehr.
- Versuchen Sie auch nicht, dessen Leistungsmerkmale oder Vorteile zu ergründen. Das kostet nur Zeit und trägt zum optimierten Ergebnis nichts bei. Dass das Ding bisher ohne Problem lief und funktionierte, kann nur daran gelegen haben, dass sich Fachleute wie Sie nicht um den Einsatz gekümmert haben.
- Ignorieren Sie Anwender, die am bisherigen, also dem Flop-Kandidaten, festhalten wollen. Die haben einfach noch nicht kapiert, wozu Change Management gut ist und was man damit machen kann …
- Malen Sie den Teufel an die Wand: Sprechen Sie von „hohen Risiken“ für den Flop-Kandidaten. Verzichten Sie jedoch darauf, diese Risiken zu benennen oder gar zu begründen. Und: Führen Sie negative Argumente ins Feld, auch wenn sie mit der Sache, d.h. dem Flop-Kandidaten, gar nichts zu tun haben.
Solche Sachverhalte treffen zwar alle Kandidaten, negativ wahrgenommen werden sie allerdings dort, wo Sie sie taktisch effektiv platziert haben, also beim Flop-Kandidaten. - Werden Sie persönlich, diffamieren Sie den Flop-Kandidaten und seine Vertreter, vor allem dann, wenn die bisher zusammengetragenen, negativen Sachargumente noch etwas dünn sind. Bewährt haben sich zu diesem Zweck Argumente, wie
„befremdliches Kommunikationsverhalten“,
„mangelnde Kooperation“,
Alter der Firma,
Kundenstruktur,
Firmengröße , usw. usw. Ob das stimmt oder nicht, prüft ohnehin niemand, insofern: Seien Sie phantasievoll!
Wie Sie Ihren Top-Kandidaten an die Spitze befördern
- Loben Sie Ihren Top-Kandidaten in den höchsten Tönen und zwar bevorzugt auf Gebieten, die keiner nachprüfen kann und wird. Bewährt haben sich Formulierungen, wie z.B. „… hohe Akzeptanz der Benutzer …“, „hohe Anzahl der im System angelegten Vorgänge …“, sehr passend sind auch Konjunktiv-Formulierungen, wie „…damit könnten (!) Verbund- und Größenvorteile realisiert werden …“ u.ä.
- Vergeuden Sie Ihre Zeit auch nicht mit dem Top-Kandidaten: Der macht nicht das Rennen, weil er so viel kann, sondern weil er das optimierte Ergebnis aus Sicht der Entscheider darstellt. Das ist auch für Sie Grund genug, für „mehr Gründe“ werden Sie nicht bezahlt.
- Kümmern Sie sich auch nicht um technische Einzelheiten, wie Leistungsmerkmale oder besondere Fähigkeiten. Darum können sich die Techies kümmern, wenn das Ding erst mal beschafft ist. Das Schöne an dieser Arbeitsteilung ist: Sollte es dann nicht laufen, sind SIE garantiert nicht schuld!
Weitere Tipps, wie Sie mit Zahlen und Grafiken belegen, was SIE sagen möchten
- Natürlich muss Ihre Vorstudie vor Zahlen und Grafiken nur so strotzen. Das wirkt ungemein seriös, verleiht dem Dokument die Aura von Belastbarkeit und hebt Ihr Ansehen. Da Sie Tipp 4 und Tipp 9 beherzigt haben, brauchen Sie Zahlenwerte aus anderen Quellen: Fragen Sie z.B. „Vorgesetzte“ nach der „Zufriedenheit zur Weiterentwicklung“. Solche Fragen schaffen hübsche Zahlenwerte und die Tatsache, dass „Vorgesetzte“ bei der „Weiterentwicklung“ weder mitzureden haben, noch Zufriedenheit damit empfinden können, weil sie weder das ursprüngliche, noch das weiterentwickelte Produkt kennen und beurteilen können – ist: Geschenkt“!: Sie haben Ihre Zahlen und ansonsten kräht kein Hahn mehr nach solchen Angaben.
- Seien Sie großzügig beim Rechnen. Ob die Zwischensummen in Zahlentabellen stimmen oder nicht, prüft sowieso keiner nach. Hauptsache der Top-Kandidat erhält die notwendigen Werte.
- Denken Sie immer dran: Wirtschaftlich ist, was dem Ergebnis nützt! Seien Sie daher generös bei der Nicht-Ansetzung von Aufwand für den Top-Kandidaten. Woher sollen schließlich heute schon wissen, was das Ganze später kosten wird?!
Ebenfalls großzügig können Sie die Kosten ansetzen für den Flop-Kandidaten. Da Sie auch die nicht kennen, extrapolieren Sie mit gehörigem Risiko-Zuschlag! So schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Denn da keiner vorhat, für den Flop-Kandidaten noch Geld auszugeben, handelt es sich rechnerisch um Einsparungen. Die können Sie dem Top-Kandidaten gutschreiben. Mit diesem eleganten Kniff wird selbst das teuerste Projekt wirtschaftlich! - Lassen Sie Worte sprechen statt dürrer Zahlen: Wenn also z.B. „81% der Anwender keine Probleme“ melden, so formulieren Sie „Annähernd 20% der Anwender berichten über …Probleme!“ Wow! Was für ein schlechtes Produkt! Zumal Sie – siehe Tipp 7 – – doch hoffentlich darauf verzichtet haben, näher einzugrenzen, welche „Probleme“ diese Anwender vermeldet haben bzw. zu untersuchen, ob diese Probleme mit dem untersuchten Produkt überhaupt irgendetwas zu tun hatten.
- Und wenn Sie Grafiken erstellen: Geizen Sie nicht mit rot, machen Sie alles knallrot, was aus Ihrer Sicht negativ ist. Da es auf genaue Zahlenwerte ohnehin nicht ankommt: Verwenden Sie schwarze, kleine Schrift auf dunkelroter oder dunkelgrüner Fläche. Und halten Sie sich nicht mit Kleinigkeiten auf, wie relativen Größendarstellungen. Zwei vollkommen gleich große Flächen reichen vollkommen aus, dass die eine 20%und die andere 80% repräsentiert, steht schließlich als Zahl in der dunkelfarbigen Fläche. Sie sind ja schließlich kein Grafiker!
Dieser kleine Leitfaden kann natürlich nur ein erster Einstieg ins Thema sein. Wenn Sie Ihre Fähigkeiten weiter ausbauen möchten, empfehle ich Ihnen zum Ein- und Weiterlesen
- Beatrix Baier: Manipulationstechniken – erkennen und abwehren
- Thomas Wilhelm, Andreas Endmüller: Manipulationen erkennen und abwehren
- Gerd Bosbach, Jens Jürgen Korff: Lügen mit Zahlen; – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden