Immer wieder sonntags – betreibt Bundesinnenminister De Maizière Polit-PR: Diesmal mit seiner Forderung nach Gesichtserkennung, Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ. Immer wieder sonntags – finden sich Online-Redaktionen, die willfährig abdrucken, was das Ministerium bzw. Agenturen dazu liefern. Dass es schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gibt, kommt in diesen „Informationen“ nicht vor, auch nicht, dass diese Forderung nach Gesichtserkennung blühender Unsinn und damit reiner Populismus ist. | Lesedauer: Ca. 4 Minuten
Ministerielle Forderungen in den Sonntagszeitungen
Alles nahm seinen Anfang mit einem Interview des Bundesinnenministers, das in der Sonntagsausgabe des Tagesspiegels [1] erschien. Das war thematisch facettenreich, nicht unkritisch gegenüber dem Minister und ist insofern vom Vorwurf der Polit-PR nicht erfasst. Schon am Samstag Mittag brachten die FAZ [2] und die Welt [3] in ihren Online-Ausgaben einen wesentlich kürzeren Beitrag, in dem sich zumindest die FAZ noch auf den Tagesspiegel vom Sonntag bezog. Viele weitere Online-Ausgaben zogen am Sonntag nach. Von den Facetten im langen Interview des Tagessspiegels waren nur noch die Forderungen von De Maizière übrig geblieben: Nach Einführung der Online-Durchsuchung und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung [A], sowie nach der Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flugplätzen. Dann könne man, so der Minister, „das Bild von einem flüchtigen Terroristen in die Software einspielen, so dass ein Alarm angeht, wenn er irgendwo an einem Bahnhof auftaucht.“
Zeitnahe Polit-PR orchestriert die politischen Absichten des Ministers, von ausgewogener Information keine Spur!
Alle drei Forderungen waren aus Sicht des Ministers dringend: Denn tags zuvor hatten sechs große Bürgerrechtsorganisationen in einer gemeinsamen Presseerklärung [4] dieses Gesetzgebungsvorhaben als „handstreichartiges Verfahren“ bezeichnet. „Beide Maßnahmen stellen schwerste Grundrechtseingriffe dar, die in den vergangenen Jahren nicht nur die öffentliche Debatte, sondern auch das Bundesverfassungsgericht intensiv beschäftigt haben.“
Wenn Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Neue Richtervereinigung, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen so schwerwiegende Bedenken veröffentlichen, sollte das auch in FAZ, Welt, Bild und bei t-online bemerkt und in Artikeln zum Thema erwähnt werden. Doch davon keine Spur!
Vielmehr wurden die Notwendigkeiten aus dem Haus De Maizière für Polit-PR bedient. Denn am Montag drauf sollte die Frühjahrstagung der Innenminister beginnen. Und in der Woche darauf der letzte Sitzungsturnus im Bundestag vor der Bundestagswahl. Dabei soll diese Gesetzesänderung dann durch den Bundestag gewunken werden. Und es wird dann, so das Kalkül aus dem Bundesinnenministerium, wie schon bei Vorratsdatenspeicherung und BKA-Gesetz, wieder Jahre dauern, bis das mit Sicherheit auch diesmal angerufene Bundesverfassungsgericht zu einem Urteil gelangen wird.
Die Vision des Innenministers von der Gesichtserkennung
Bemerkenswert ist, welchen blühenden Unsinn der Minister hier verbreitet: Denn das Bild vom flüchtigen Terroristen, das mal schnell – landesweit?! – in „die Software“ eingespielt wird und dann ein Alarm ausgelöst wird, wenn der Betroffene in die Erkennungsfalle geht, ist Wunschdenken – im besten Fall – oder Vergackeiern der Öffentlichkeit – im schlechtesten. Wir haben in diesem Artikel [B] schon einmal ausführlich begründet, dass es sich allenfalls um „Science-Fiction-Visionen des Bundesinnenministers“ handelt. Die Idee hatte er schon im Sommer 2016 – im Umfeld der damaligen Innenministerkonferenz – öffentlich ventiliert. Weder genügt die Aufnahmequalität, z.B. in Bahnhöfen, den Anforderungen für eine erfolgreiche Gesichtserkennung, noch gibt es ein flächendeckend im Einsatz befindliches System für die Gesichtserkennung, es gibt auch keine einheitliche Systemausstattung, schon gar nicht bei den Polizeien des Bundes und der 16 Länder. Die Videokameras an Bahnhöfen sind Sache der Bahn AG. Und selbst, wenn dann ein „Terrorist“ erkannt werden würde: Wie (schnell) wird die Polizei alarmiert und wie lange braucht eine Streife bzw. das dann anzufordernde Spezialeinsatzkommando (SEK), um rechtzeitig vor Ort zu sein, um „den Terroristen“ dingfest zu machen?!
Bemerkenswert ist außerdem, dass es sich Online-Ausgaben führender Zeitungen offensichtlich leisten zu können glauben, solche ministerielle Meinungsmache ungeprüft wiederzugeben. Oder ist das der Preis, den wir, die gern gut informierte Öffentlichkeit, dafür zu zahlen haben, dass in Zeitungen nicht mehr viele echte Journalisten arbeiten und Agenturmeldungen einfach zu reproduzieren sind?!
Die angeblichen analogen Befugnisse der Polizei
Zumal es mit dem Unsinn der Gesichtserkennung noch nicht getan war: In allen oben genannten und vielen weiteren Online-Ausgaben wird der Minister auch zitiert mit seiner Begründung für die angebliche Notwendigkeit der Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung: Der Maßstab müsse sein: „Was die Polizei im analogen Bereich dürfe, das muss sie auch im Digitalen rechtlich dürfen und technisch können.“
…auch die Pressestelle des Ministers vermag nicht zeitnah zu erklären, was das sein soll …
Wir haben lange gegrübelt, was er wohl meinen könnte mit vergleichbaren, angeblichen Befugnissen der Polizei „im analogen Bereich“. Denn das heimliche Eindringen der Polizei in eine Wohnung, das Durchstöbern und vollständige Ablichten (sic!) aller Akten, Briefe und Tagebücher – das wäre der passende Vergleich für die Online-Durchsuchung aus der analogen Welt – ist der Polizei heute nun doch noch nicht erlaubt. Unsere Grübelei blieb ohne Ergebnis.
Wir fragten daher noch am Sonntag bei der Pressestelle des BMI an, was der Minister wohl gemeint haben könnte und baten um eine zeitnahe Antwort. Auf Nachfrage erfuhren wir am Montag Nachmittag dann, dass man in der Pressestelle offensichtlich ebenfalls noch grübelt. Ob an der Bedeutung selbst oder an einer zitierfähigen Erklärung, blieb offen. Wir könnten „bis Mitte der Woche“ mit einer Antwort rechnen, hieß es. Womit dann genug Zeit vergangen wäre, um das heiße Thema vom Wochenende genügend abzukühlen. Und hängenbleibt, was sollte: Der Minister hat angeblich glaubhafte und gute Gründe für eine weitere wesentliche Einschränkung von Grundrechten, die – sicherheitshalber – in den
Quellen
[1] De Maizière will Überwachung ausweiten, 10.06.2017, Tagesspiegel
[Online nur in einer Kurzform erhältlich, daher kein Link gesetzt]
[2] De Maizière will Zugang zu WhatsApp-Nachrichten, 10.06.2017, FAZ Online
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/innenminister-de-maiziere-will-zugang-zu-whatsapp-nachrichten-15055364.html
[3] De Maizière will staatliche Befugnisse im Anti-Terror-Kampf ausweiten, 10.06.2017, Welt Online
https://www.welt.de/newsticker/news1/article165405675/De-Maiziere-will-staatliche-Befugnisse-im-Anti-Terror-Kampf-ausweiten.html
[4] Bundesregierung will schwere Grundrechtseingriffe im Eilverfahren durch die Hintertür einführen, 09.06.2017, Gemeinsame Presseerklärung der Bürgerrechtsorganisationen
Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Neue Richtervereinigung, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/bundesregierung-will-schwere-grundrechtseingriffe-im-eilverfahren-durch-die-hintertuer-einfuehren/
[5] [Science-Fiction-Visionen des Bundesinnenministers, 25.08.2016, CIVES
http://cives.de/science-fiction-visionen-des-bundesinnenministers-3632
Thematisch verwandte Beiträge
[A] Ohne Maas und Ziel – Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ sollen zu Standardwerkzeugen der Strafverfolgungsbehörden werden, 01.06.2017, CIVES
http://cives.de/ohne-maas-und-ziel-5292
[B] Science-Fiction-Visionen des Bundesinnenministers – De Maizière und seine Vorschläge für Gesichtserkennungssysteme an Flughäfen und Bahnhöfen, 25.08.2016, CIVES
http://cives.de/science-fiction-visionen-des-bundesinnenministers-3632
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