Einheitliches Asservatenmanagementsystem eAMS – Aktueller Stillstand, fragliche Zukunft

Auch das Projekt eAMS, ein Teilprojekt von Polizei2020, liegt hinter dem Zeitplan. Zu einem sechzehn Monate alten Teilnahmeaufruf an interessierte Bewerber ist bis heute keine Entscheidung bekannt gemacht. Meine Presseanfrage an das BMI wurde erst ausgesessen, dann ignoriert. Grund genug also für eine Reihe von Fragen sowohl zum Gebaren der Projektleitung im BMI, als auch zur Sinnhaftigkeit, Wirtschaftlichkeit und den Erfolgsaussichten des Projekts eAMS an sich … | Lesedauer: Ca. 10 Minuten

1 Das BMI antwortet nicht

1.1 Presseanfrage zum eAMS an das BMI

Im Juni 2021 hatte das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Inneren einen Teilnahmewettbewerb veröffentlicht für Bewerber um die Lieferung eines einheitlichen Asservatenmanagementsystems (eAMS) für die deutschen Polizeibehörden (, bzw. zumindest jene, die an dem Verbundprojekt Polizei2020 teilnehmen, also alle Landespolizeibehörden und die Bundespolizeibehörden) [1]. Das allein wäre keiner besonderen Nachricht wert, denn solche Auftragsbekanntmachungen gehören zu den Standardaufgaben einer der größten deutschen Beschaffungsorganisationen für Behörden.

Was allerdings Nachrichtenwert hat in diesem Verfahren, ist das Schneckentempo, selbst für die bekanntermaßen nie an den Tag gelegte Schnelligkeit in solchen Dingen des Bundesinnenministeriums. Sechzehn Monate nachdem interessierte Bewerber zur Teilnahme aufgefordert wurden, erfuhren bisher weder der Markt, noch Polizeibeamte, noch Medien oder die Öffentlichkeit etwas über das Ergebnis des Verfahrens:

Fanden sich, wie beabsichtigt, drei interessierte und geeignet qualifizierte Bewerber? Wenn ja, warum gibt es dann nicht schon längst eine finale Ausschreibungsrunde, mit der zur Abgabe von konkreten Angeboten aufgefordert wird? Wenn nein, warum hat der Teilnahmewettbewerb keine geeigneten Bewerber identifizieren können?

Zu diesen und weiteren Fragen bat ich daher vor mehr als drei Wochen bei der Pressestelle des Bundesministeriums des Inneren um Antworten …

1.2 Ausreden und falsche Versprechen anstelle von Antworten

Wie bei Anfragen an die BMI-Pressestelle nicht unüblich, vergingen viele Tage ohne jegliche Reaktion. Erfahrungsgemäß wartet man diese Zeit besser ab, denn eine zu frühe Erinnerung provoziert allenfalls die Auskunft, dass die Anfrage im sachbearbeitenden Referat noch in Arbeit sei. Auf meine Nachfrage nach Ablauf dieser Schonfrist wurde ich diesmal beschieden damit, dass man erst einmal feststellen müsse, wo sich die Anfrage eigentlich befindet. Das spricht für Optimierungsmöglichkeiten beim Dokumentenmanagement und ist mir nicht unbekannt. Anscheinend gehört es inzwischen zum Standardrepertoire der Ausreden für lange Antwortfristen.

Bei der nächsten Nachfrage einen Tag später hörte ich, dass die „dafür zuständige Pressesprecherin“ des BMI den ganzen Tag noch nicht im Büro greifbar gewesen sei. Man werde aber – es war Freitag – ganz sicher „heute noch“ antworten. Darauf wartete ich bis zum späten Abend – allerdings vergeblich. Und auch in der laufenden Woche – heute ist Donnerstag – hielt man es nicht für nötig, diese Zusage einzulösen.
Was mich zu der Annahme bringt, dass es wieder einmal Gründe gibt, auch dieses Beschaffungsprojekt für polizeiliche IT-Infrastruktur so geheimniskrämerisch und intransparent abzuwickeln, wie dies inzwischen zum Markenzeichen geworden ist in Bund-Länder-Verbundprojekte unter der Führung des BMI.

2 Abteilungsleiter Dr. Christian Klos und seine Markenzeichen

2.1 Zur Person und Funktionen des Dr. Christian Klos

Das Gesamtprojekt Polizei2020 beherrscht ein gewisser Dr. Christian Klos und das gleich in mehrfacher Funktion: Der ist nicht nur Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit (AL ÖS) im BMI und bestimmt damit die politischen Leitvorgaben für Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Bundesamt für Verfassungsschutz. Gleichzeitig ist Dr. Klos Vorsitzender des Verwaltungsrates des Polizei2020-Gesamtprogramms und damit der Herr sowohl über die Marschrichtung in diesem Mammutprojekt, als auch – drittens – über die Vergabe von Steuergeldern aus dem Fonds, mit dem der Bund sich an der Finanzierung der vielen Teilprojekte von Polizei2020 beteiligt.

Bundesinnenministerin Faeser von der SPD hat Dr. Klos, wie wenige andere Abteilungsleiter, die intern zu den heimlichen Herrschern im BMI gezählt werden, aus dem Personalportfolio von sechzehn Jahren CDU-/CSU-FÜhrung im BMI übernommen. Innenpolitiker der SPD, dem Koalitionspartner der Union aus zwei Legislaturperioden Großer Koalition, sind mit Dr. Klos also wohlvertraut. Doch selbst bei denen rührt sich inzwischen Kritik an der selbstherrlichen Amtsführung dieser faktischen Führungsfiguren im BMI („Mir ist egal, wer unter mir Minister wird“) [prof.]. Sie würden, lautet der Vorwurf, die Unions-Politik der Inneren Sicherheit einfach weiterführen als eine Art politischer U-Boote an entscheidenden Positionen im Führungskader des BMI [welt].

2.2 Fortwährende Komplizierung und Erweiterung um Teilprojekte

Neben Geheimniskrämerei und Intransparenz seines Handels, das Dr. Klos automatisch auch in den Ruch der Mauschelei bringt, zeichnen sich die von ihm geleiteten IT-Projekte aus durch eine fortwährende Komplizierung von ursprünglich überschaubaren Aufgaben: Mit der Saarbrücker Agenda mahnten die Innenminister der Länder im Herbst 2016 an, dass endlich eine funktionierende Lösung dafür geschaffen werden muss, dass Polizeibehörden der Länder und des Bundes miteinander RELEVANTE Informationen teilen können. Auf dieses „Pferd“ ist das BMI erst nach langer Bedenkzeit geklettert, hat sich mit dem dort entwickelten Konzept von Polizei2020 jedoch an die Spitze der Bewegung gesetzt und sattelt seither eins ums andere weitere Teilprojekt auf den armen Gaul auf. Das stellt zumindest sicher, dass das BMI – dank dort übernommener „Gesamtprogrammleitung“ und dank der bundesbeteiligung an der FInanzierung – immer ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat bei Entscheidungen über die zukünftige IT-Ausstattung der Polizeibehörden auch der Länder.

Wenn die Bezeichnung Polizei2020 ursprünglich einmal signalisieren wollte, dass mit ersten funktionsfähigen Lösungen ab 2020 zu rechnen sei, redete man sich in den letzten Jahren schön, dass die neue Bezeichnung Polizei 20/20 gewählt wurde, weil daran 20 Teilnehmerbehörden an 20 Teilprojekten parallel mitwirken. Nach jüngster Umbenennung heißt das ganze nur noch „P20“, was bedeuten könnte, dass irgend etwas für die Polizei in der Zeitspanne bis 2099 getan werden wird.

2.3 Angekündigte Termine werden zuverlässig NICHT eingehalten

Drittes Markenzeichen der IT-Projekte unter der Leitung von Dr. Klos ist, dass vom Projekt selbst angekündigte Termine zuverlässig NICHT eingehalten werden. Bezüglich des Projekts eAMS etwa präsentierte das P2020-Projektteam im September 2021 auf dem Europäischen Polizeikongress „wesentliche Meilensteine“. Und darin die Absicht, dass der Zuschlag für (die Lieferung und Inbetriebnahme) des einheitlichen Asservatenmanagementsystems bis Ende 2020 (sic!) erfolgen solle.
Jetzt, im Oktober 2022 ist noch nicht einmal bekannt, ob der Teilnahmewettbewerb überhaupt geeignete Bewerber für den Auftrag identifiziert hat. Eine konkrete Ausschreibung für den Rahmenvertrag für die Lieferung und Dienstleistungen an alle Teilnehmerbehörden von Bund und Ländern ist nicht veröffentlicht. Selbst wenn die absehbarer Zeit erscheinen sollte, erscheint ein Zuschlag noch in diesem Jahr ausgeschlossen. Womit sich der gesamte Terminplan für das eAMS definitiv verzögert.

2.4 Intransparenz, abgehobenes Gehabe und Folgen für die Betroffenen

Beim Projekt eAMS geht es darum, dass zigtausende von Polizeibeamten in der ganzen Republik mit dieser weiteren Krone der Schöpfung gigantomanischer IT-Projekte für die deutsche Polizei beglückt werden sollen. Dr. Klos und seine Entourage machen mit abgehobenen Gebaren deutlich dass die so Beglückten, getreu dem Konzept vom Management by Champignons, es hinzunehmen haben, dass man sie nicht informiert, sie aber zu akzeptieren haben, was man ihnen vorsetzt.

Machen die Länder dabei freiwillig mit oder wurden sie durch die Schuldenbremse dazu gezwungen?

Müssen die an sich in Polizeiangelegenheiten vom Bund unabhängigen Länder sich dieses absolutistische Gehabe wirklich bieten lassen? Und/oder sind ihre Fähigkeiten zu Kooperationen untereinander bzw. ihre Finanzierungsmöglichkeiten für solche Zukunftsprojekte aufgrund der „Schuldenbremse“ (des insofern äußerst weitsichtigen früheren Bundesinnenministers Dr. Schäuble!) inzwischen so begrenzt, dass es ohne die Finanzspritzen aus dem BMI nicht geht? Und sie sich daher den Vorgaben aus dem BMI fügen müssen?

Der Steuerzahler kann der Geldverbrennung nur zusehen

Noch wesentlich weniger Möglichkeiten zur Kontrolle oder Gegenwehr hat die Gemeinschaft der Steuerzahler, deren Geld hier verbrannt wird, ohne dass irgendeine Instanz die Chance hätte auf eine effektive Kontrolle der fortwährend Geldvernichtung.

Bemerkungen des Bundesrechnungshofs an den Bundestag werden „zur Kenntnis genommen“ und ad acta gelegt

Dem Bundesrechnungshof jedenfalls fehlen dazu offenkundig die Methoden und Mittel, denn er begnügt sich seit Jahren mit harscher Kritik am Management für IT-Projekte aus dem BMI. Diese seine Bemerkungen legt er in regelmäßigen Abständen vertrauensvoll in die Hände des Bundestages, der diese mit Mehrheit zur Kenntnis nimmt, ohne dass auf diese Kritik weitere Konsequenzen folgen würden. Auch das ist eine Folge eines aufgeblähten parlamentarischen Systems, das seine Aufgaben zur Kontrolle der Legislative und Exekutive längst eingetauscht hat gegen den Komfort unkontrollierter Scheinaktivismen.

2.5 Eine Schattenarmee von „Beratern“ vergrößert den eigenen Personalstab

Meine oben schon geäußerte Kritik am Ruch der Mauschelei begründen sich damit, dass längst nicht mehr klar ist, welche Ergebnisse mit den bisher schon ausgegebenen dreistelligen Millionenbeträgen im Gesamtvorhaben Polizei2020 erzielt wurden bzw. noch erzielt werden sollen. Polizei2020 ist insofern ein „würdiger“ Nachfolger des Vorläuferprojekts PIAV (Polizeilicher Informations- und Analyseverbund).

Es profitieren FIrmen aus einem Kleinen, exklusiven Kreis von Begünstigten

Erkennbar ist nur, dass unter der Verantwortung von Dr. Klos das BMI seit Jahren üppig finanziell ausgestattete Rahmenverträge für Dienstleistungen an einen exklusiven Kreis von Begünstigten vergeben hat: Wie zuletzt vor wenigen Monaten einen Rahmenvertrag über eine Laufzeit von fast zehn Jahre und mit einem Auftragsvolumen zwischen 138 und 207 Millionen Euro an die amerikanisch-stämmige Beratungsfirma Accenture als Generalunternehmer für Polizei2020.

Bezahlt wird der Zeitaufwand, nicht ein zuvor vereinbartes Ergebnis

Diese Auftragnehmer werden bezahlt dafür, dass sie – letztlich nach Weisungen aus dem BMI, das einzelne (sic!) Aufträge aus dem Rahmenvertrag abrufen kann – DIENSTLEISTUNGEN erbringen müssen, die nach Zeitaufwand abgerechnet und bezahlt werden. Die Vergabe von WERKVERTRÄGEN, bei denen der Lieferant haften müsste für den ERFOLG zugesicherter Leistungen, wurde vom Bundesrechnungshof schon vor Jahren angemahnt. Dennoch gibt es Werkverträge in den IT-Beschaffungsprojekten des BMI schon lange nicht mehr.

Die personelle Aufblähung durch externe Berater setzt sich auch unter der Ampel fort

Was es umso leichter macht, mit einer Schattenarmee von weisungsabhängigen „Beratern“, die neben dem Personalstand in der Ministeriums-Abteilung oder untergeordneten Bundesbehörde aufgebaut und unterhalten wird, viel Aktivismus und noch viel mehr Formalismen und Dokumentationsaufwand zu entfalten. Während gleichzeitig Ergebnisse in der Sache – wie z.B. die Entwicklung und Inbetriebnahme eines funktionierenden Austausches relevanter Informationen für die Polizeibehörden von Bund und Ländern – allenfalls im Krebsgang vorankommen. Diese Unsitte aus alten Unions-Zeiten setzt sich auch unter der Ampel nahtlos fort, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag im August belegte [3]. Kein Wunder! Der Verantwortliche für viele davon, Dr. Klos, ist ja nach wie vor derselbe.

3 Weitere Fragen zum Projekt eAMS

Darüber hinaus stellen sich aus meiner Sicht weitere, generelle Fragen an das Projekt eAMS:

3.1 Auf wessen Initiative wurde ein einheitliches Asservatenmanagementsystem zum Teilprojekt von Polizei2020? gemacht

Ob es tatsächlich die Länder waren, die das Projekt eAMS als eines unter vielen auf die mit Polizei2020 beschriftete Werkbank gehievt haben, weiß ich nicht (und wäre dankbar für kundige Aufklärung). Die Erfahrung spricht allerdings eher dagegen, weil die Länderpolizeibehörden in der Vergangenheit unter Beweis gestellt haben, dass sie in der Lage und willens sind, zur Lösung IHRER Aufgaben, eigenständig Lösungen, ggf. mit Partnerländern, zu finden und umzusetzen und dazu – bisher jedenfalls – nicht die Unterstützung des Bundes brauchten.

3.2 Fehlende Rechtsgrundlage für BMI bzw. BKA für eine „Datenverarbeitung im Auftrag“

Bisher ist mir keine Rechtsgrundlage dafür bekannt, dass es die Aufgabe des Bundesinnenministeriums wäre, für andere Polizeibehörden (vor allem solche Bundesländer) als Datenverarbeiter im Auftrag ein Asservatenmanagementsystem entwickeln zu lassen und bereitzustellen.

Und ganz sicher steht eine solche Aufgabe nicht im aktuell veröffentlichten BKA-Gesetz. Woraus folgt, dass diese Aufgabe auch nicht zum gesetzlichen Auftragsportfolio des BKA gehört.

3.3 Ist Zentralisierung und Vereinheitlichung wirklich die angemessene Lösung?

Jeder kennt die Redewendung, wer einen Hammer hat, sieht in vielem einen Nagel.

Es könnte also sein, dass die aktuelle politische Modewelle von mehr eGovernment, mehr Digitalisierung der Verwaltung und weiterer Zentralisierung der „Register“ die Entscheidung für ein einheitliches (sic?!) Asservatenmanagementsystem für alle (sic?) geprägt hat; ohne dass die Sinnhaftigkeit und wirtschaflichen Vorteile des Ansatzes zuvor OBJEKTIV bewertet wurden.

Sicherlich wurde eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung (WiBe) dazu erstellt: Doch wer solche Projekte von innen kennt, weiß doch bestens, dass bei den in Behörden produzierten WiBes rauskommen kann, was von den Entscheidern gewünscht wird und keiner diese Bewertungen jemals nachprüft. Hauptsache das Papier liegt vor!

In einer eher investitionsschwachen Zeit ist ein solches Zielvorhaben für Anbieter aus der IT-Industrie ein willkommener Glücksfall. Dass es mit der Ausgabe von relativ inhaltsleeren Zielen allein nicht getan ist und dass solche Projekte viel Kompetenz, Zeit und eben gründlich bedachte Zielsetzungen benötigen, beweist sich aktuell an der Umsetzung der Vorgaben aus dem Onlinezugangsgesetz oder bei der Registermodernisierung; zwei anderen Mammutprojekten unter Beteiligung des BMI, deren Umsetzung – vorsichtig gesagt – klemmt und aktuell weit hinter dem Zeitplan liegt.

3.4 Müssen wirklich neue Verfahren entwickelt werden oder genügt nicht auch eine Standardisierung von Schnittstellen und Ergebnissen?

Sinnvoll ist es selbstredend, dass sämtliche Polizeibehörden auch beim Umgang mit Asservaten und der Auswertung von kriminalistisch relevanten Spuren nach einheitlichen STANDARDS und mit Schnittstellen arbeiten, wo behördengreifend zusammengearbeitet werden muss, also z.B. bei der Dokumentation und Bezeichnung von Untersuchungsmaterial und der Erteilung von Untersuchungsaufträgen.

Warum dazu die Behörden in allen Ländern nach dem gleichen VERFAHREN arbeiten müssen, also ein einheitliches System zum Einsatz bringen müssen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn entscheidend ist doch das Ergebnis und nicht der Weg, auf dem dieses Ergebnis erreicht wird.

3.5 Wie (effektiv) werden bestehende Lösungen in den Teilnehmerbehörden mit dem eAMS integriert?

In allen Behörden sind entsprechende Systeme mit, zugegeben, unterschiedlichem Funktionsumfang und -komfort – seit langem im Einsatz. Die Bediener sind darauf geschult und damit vertraut. Im Projekt eAMS wird jedoch vom erfolgreichen Bewerber verlangt, dass er

  • erstens Schnittstellen zu vorhandenen Systemen bereitstellt. Nicht nur zu den Systemen, die in u.U. 16-fach verschiedener Ausführung in den Polizeibehörden im Einsatz sind. Sondern auch zu den x Systemen, die von den kriminaltechnischen Laboren der Länder verwendet werden und in denen fachspezifische Subsysteme (z.B. für die Schuhspuren) eingesetzt sind.
  • zweitens, dass er bereit und in der Lage ist, „kundenspezifische Anpassungen“ vorzunehmen. D. h. doch nichts anderes, als dass doch wieder auf ein einheitliches Asservatenmanagementsystem eine MeVo- oder NRW- oder Sachsen- oder Bayern-Locke aufgesetzt werden kann [die beispielhaft genannten Länder sind hier wirklich nur als „Platzhalter“ zu verstehen und nicht etwa persönlich „diskreditiert“!].

Waren die veröffentlichten Anforderungen nur Zugeständnisse an die „Individualität“ der Länder?

Diese Anforderungen ergeben sich aus dem Dokument, mit dem der Teilnahmewettbewerb öffentlich bekannt gemacht wurde, stammen also aus einer Zeit vor dem Juni 2021. Es mag sein das die Diskussionen zwischen Bund und Ländern zu diesem Thema zum damaligen Zeitpunkt es erforderlich machten, dass der Bund den Ländern deutlich signalisiert, dass ihre Spezifika berücksichtigt werden sollen. Ob, abgesehen von diesem dokumentierten Bekenntnis dahinter auch der Wille bzw. die Möglichkeit der tatsächlichen Umsetzung steckt, ist zu bezweifeln.

3.6 Gibt es eine objektiv überprüfte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung?

Das eAMS wurde, soweit mir bekannt, bisher vom Bund damit beworben, dass eine einheitliche, zentralisierte Lösung für die Länder eigene Entwicklungs- und Wartungskosten einsparen werde.

Angesichts der enormen Komplexität für das vom BMI ausgeschriebene Vorhaben drängt sich inzwischen allerdings die Frage auf nach einer objektiv überprüften Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für BEIDE Alternativen, also zwischen den Kosten und Folgen für die Umsetzung dieses Vereinheitlichungs­verfahrens und denen für die Beibehaltung der funktionierenden und ggf. ausbaubaren Individual­lösungen mit allmählichem Übergang auf einheitliche Schnittstellen und Standards. An der pauschalen, unbelegten Behauptung, dass die zentralisierte Lösung (des eAMS) Kosten für die Länder einsparen würde und daher langfristig wirtschaftlicher sei, hätte ich jedenfalls meine Zweifel. Die begründet sind aus Erfahrungen mit solchen Behauptungen seit langem.

3.7 Wer soll diesen unrealistischen Kostenaufruf von 25 Mio Euro für neun Jahre glauben?

Aus der Bekanntmachung des Projekts stammt die Angabe, dass sich der Bund eine Rahmenvereinbarung vorstellt für die Lieferung und Dienstleistungen über einen Zeitraum von fünf Jahren mit der Möglichkeit der bis zu zweimaligen Verlängerung um jeweils zwei Jahre. Für den Auftragnehmer in diesem Projekt Jahren ist für einzeln zu erteilende Aufträge [schafft Planungssicherheit für jeden Auftragnehmer! / Ironie aus] insgesamt ein Betrag von 30 Millionen Euro brutto ausgelobt, also etwas über 25 Millionen Euro ohne Umsatzsteuer.

Die vergleichweise simple Corona-Warn-App des Bundes hat ein Vielfaches gekostet

Angesichts der erheblichen Komplexität des Projekts eAMS ist dieser Kostenaufruf unglaubwürdig. Die Corona-Warn-App des Bundes ist, im Vergleich zum Funktionsumfang und zur Zahl der aktiv gestaltenden Beteiligten bei eAMS, eine sehr überschaubare Anwendung. Doch selbst die hat für Entwicklung und Betrieb bis Januar 2022 schon rund 116 Millionen Euro verschlungen [2]. Wer sollte also diesen geradezu lächerlichen Betrag von 25 Mio Euro für das eAMS für bis zu neun Jahre glauben? Das sind 2,7 Mio Euro pro Jahr, ein Betrag der bei den üblichen Manntagessätzen im Behördengeschäft gerade ausreicht, um durchschnittlich 13 Personen pro Jahr einzusetzen.

Wenn es bei diesen Kosten bleiben sollte: Unwirtschaftlich für den Auftragnehmer!

Es erschließt sich bei diesen Ansätzen nicht, woher für den Auftragnehmer noch die notwendige, finanzielle Amortisation kommen soll für die vom erfolgreichen Bewerber ja verlangte Überlassung der Nutzungsrechte für die gesamte bundesdeutsche Polizei an dem bisher von ihm schon entwickelten Asservatenmanagementssystem. Denn NACH diesem Projekt wird er in der BRD keine einzige Lizenz davon mehr verkaufen! Auch das macht deutlich, wie wenig im BMI über die wirtschaftlichen Notwendigkeiten von Auftragnehmern in solchen Projekten nachgedacht wird.

Die eindimensionale Beschaffungspolitik des BMI hat den Markt für originär deutsche Anbieter vernichtet

Diese Denke – Herr Dr. Klos ist ja seit Jahren an ihrer Umsetzung beteiligt! – ist maßgeblich verantwortlich dafür war, dass ein funktionierender Markt für IT-Produkte für Polizeibehörden in Deutschland maßgeblich durch diese Politik des BMI in den letzten zwanzig Jahren vernichtet wurde.

Auch das ist ein Grund dafür, dass zunehmend ausländische Unternehmen die Begünstigten solcher Aufträge sind. Abgesehen von T-Systems und seiner Tochter Rola Security Solutions ist weit und breit kein originär deutscher Anbieter mehr zu sehen, der sich solche Geschäftspartner wie das BMI leisten UND langfristig überleben kann. Anders bei den ‚Ausländern‘, die die finanzielle Power der ausländischen Mutter im Kreuz haben UND den strategischen Willen, im deutschen Markt eine Position zu besetzen.

Der viel zu häufig genutzte Dreh mit viel zu niedrigen Kostenbehauptungen …

Wie es zum Aufruf eines solchen, viel zu niedrigen Kostenansatzes kommt, ist natürlich klar. Wieder einmal und schon viel zu häufig angewandt wird der Dreh mit viel zu geringen Kostenbehauptungen für solche Projekte; in der Hoffnung, damit die Zustimmung der politischen Entscheider bzw. der beteiligten Partner einzuheimsen. Die dann ebenso zuverlässig später ihr blaues Wunder erleben und zähneknirschend einem Nachschuss von Geldern zustimmen.

4 Ein Rest von Hoffnung liegt auf dem Bundestag …

Wäre es nicht an der Zeit, dass im Bundestag als letzter möglicher Kontrollinstanz eine – idealerweise fraktionenübergreifende – IT-Kompetenz aufgebaut wird und politischer Wille dafür sorgt, dass es mit dem selbstherrlichen Gehabe bei völlig unzureichendem Output und gleichzeitiger Maximierung der Kosten für den Steuerzahler endlich ein Ende hat?! Zumindest einen Funken Hoffnung wird man ja noch haben dürfen …

Quellen

[1] Bekanntmachung zum Teilnahmewettbewerb für das eAMS vom 11.06.2021
https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:295411-2021:TEXT:EN:HTML&src=0&tabId=1

[2] Kosten für die Corona-Warn-App des Bundes in Antwort der Bundesregierung vom 14.01.2022 ‚Die Corona-Warn-App des Bundes – Erfolg, Nutzung, Perspektiven‘, dort zu Frage 2
https://dserver.bundestag.de/btd/20/004/2000431.pdf

[3] Ausgaben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat für externe Berater, Antwort der Bundesregierung vom 08.08.2022
https://dserver.bundestag.de/btd/20/030/2003098.pdf

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