MEHR SICHERHEIT ist nicht gefragt

Im Herbst, wenn die Haushaltsberatungen anstehen im Deutschen Bundestag, läuft die PR-Maschine der Sicherheitsbehörden zur Hochform auf: Denn sie wollen jedes Jahr MEHR: MEHR Personal, MEHR Ressourcen und – vor allem – MEHR BEFUGNISSE. Ob im Gegenzug dafür auch MEHR SICHERHEIT gewährleistet wird für Bürger und Touristen vor Anschlägen auf Weihnachtsmärkten, für Ausländer vor dem Totgeschlagenwerden oder Brandstiftungen oder für Juden vor Amokläufen in der Synagoge: Von diesem selbstverständlichen Gegenwert für uns Bürger im Handel um MEHR für die Sicherheitsbehörden ist schon gar keine Rede mehr. Willfährige Journalisten lassen sich gerne und unkritisch einspannen in die PR-Maschinerie: Lassen sich einladen zu exklusiven Hintergrundgesprächen mit den Präsidenten von BKA und BfV, veröffentlichen Werbeartikel des BKA-Präsidenten unter der irreführenden Bezeichnung eines ‚Interviews‘ oder verbreiten Fake News, wie zuletzt der Chefkommentator Krauel in der ‚Welt‘. | Lesedauer ca. 15 Minuten

Der alljährliche Ruf nach MEHR für die Sicherheitsbehörden

Immer wenn es Herbst wird, steht für das Bundesinnenministerium das Ringen um MEHR auf dem Plan: MEHR Personal für Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Ein Zuwachs von 740 soll es diesmal sein. [011-048] MEHR Geld für deren technische Ausstattung. Vor allem aber MEHR Befugnisse, für weitere Überwachungstechniken, die jedermann betreffen, MEHR Zentralisierung bei den Bundesbehörden zu Lasten der Polizeibehörden Länder. Weg also mit dem föderalen Prinzip der Polizeibehörden! Auch soll es MEHR Kooperation geben zwischen BKA und BfV. Weg also mit dem Trennungsgebot!

Für die Wünsche nach MEHR werden Gründe benötigt, die sowohl der Öffentlichkeit, als auch einer Mehrheit der Abgeordneten im Parlament gut zu vermitteln sind. Dass vor kurzem in Halle ein Anschlag auf eine Synagoge verübt wurde und zwei Menschen ermordet wurden, ist sicher Zufall. Kommt aber dennoch wie gerufen zur Begründung für die Wünsche nach MEHR. In diesem Jahr wird als Ziel also ausgegeben: Bekämpfung des Antisemitismus, verursacht durch Rechtsextreme: Denn das liegt voll im Trend.

Die CDU setzt weiter auf MEHR Innere Sicherheit

Verlassen konnten sich die Sicherheitsbehörden wieder einmal auf den Bundesvorstand der CDU: Der eröffnete den PR-Feldzug am Montag, 14.10. mit einem Beschluss unter dem markigen Titel ‚Rechtsextremismus und Antisemitismus entschlossen und tatkräftig bekämpfen – Unsere wehrhafte Demokratie verteidigen‘ [011-050]. Schon im ersten Satz wird ‚Halle‘ thematisiert. Und die Tatsache, dass „in unserem Land Menschen rechtsextremistischem Terror zum Opfer gefallen sind“. Das war – nur am Rande bemerkt, schon in den letzten zwanzig Jahren der Fall.
Im Mittelteil des Beschlusses dann eine große Wolke aus leeren Worten. Die man schon häufig gehört hat. Das leitet dann über zu den ‚Eckpunkten einer Handlungsoffensive gegen rechtsextremistischen Terror‘.

Die aktuelle Liste der Forderungen der CDU für MEHR bei den Sicherheitsbehörden

Und dort findet sich das ganze Arsenal der Befugnisse für die Sicherheitsbehörden des Bundes wieder, die nach Meinung des CDU-Bundesvorstands unumgänglich sind. Das meiste steht schon seit Jahren in entsprechenden Papieren der CDU bzw. der von ihr geführten Regierungen [A]. So insbesondere

  • eine deutlich bessere Ausstattung der Bundessicherheitsbehörden [a],
  • Instrumente der Sicherheitsbehörden „auf der Höhe der Zeit“,
  • Nutzung von auf Vorrat gespeicherten Daten der Telekommunikation [aller Bürger] durch die Polizei UND den Verfassungsschutz [sic!, das ist bisher nicht erlaubt],
  • die Einführung neuer Software zur Analyse und Auswertung von Big Data (die einzige, wirklich neue Forderung, wenn auch nicht überraschend …) [b],
  • die (weitere) Ausweitung von Löschfristen für gespeicherte Daten,
  • Möglichkeiten für Ermittlungen der Behörden im Darknet,
  • bei der Überwachung von Messenger-Diensten,
  • sowie bei Online-Durchsuchungen

Verkappt aber vorhanden: Angriff auf den Datenschutz und die Forderung nach dem gläsernen Menschen

Die Liste schließt ab mit dem populistischen Slogan, den man bisher vor allem von rechts zu verortenden Polizeigewerkschaftern kannte: „Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden!“

Eine dümmliche Forderung, der jeder Beleg für die innewohnende Unterstellung fehlt: Dass nämlich Datenschutz eine wirksame Kriminalitätsprävention bzw. Strafverfolgung beeinträchtigen würde. Aber solange die geistigen Väter solcher Slogans sicher sein können, dass Leitmedien und deren Kommentatoren schon kritiklos für entsprechende Verbreitung sorgen werden, ist ja das eigentliche Ziel erreicht: Das richtet sich nämlich nicht gegen den Datenschutz als solchen. Sondern gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das vom Bundesverfassungsgericht in den Rang eines Grundrechts erhoben worden war.

Was eigentlich hinter dem Slogan steckt, ist der Wunsch nach dem gläsernen Menschen, über den Polizeibehörden und Verfassungsschutz alles wissen dürfen.

Hintergrundgespräch für ausgewählte Journalisten mit den Präsidenten von BKA und BfV

Während also Peter Beuth, der hessische Innenminister und Herbert Reul, sein Amtskollege aus NRW mit ihren Kollegen aus dem Bundesvorstand der CDU noch feilten am Beschluss, waren die Präsidenten von BKA und BfV schon aktiv: Holger Münch und Thomas Haldewang hatten einen illustren Kreis von Journalisten zu einem ‚Hintergrundgespräch‘ geladen. Offizielle Verlautbarungen, z.B. in Form einer Pressemitteilung des BKA oder BfV, waren auch nachträglich nicht zu bekommen. Am Tag nach dem Ereignis fand die Öffentlichkeit einen Strauß von Meldungen in den Medien vor, von denen Mitarbeiter zum Hintergrundgespräch gebeten worden waren. Über die Herkunft dieser Mitteilungen, also das klandestine Hintergrundgespräch, schwiegen sich die Beiträge in der Mehrzahl aus. Die meisten Beiträge erschöpften sich in der Meinung, dass die Polizeibehörden irgendwie unfähig und auf dem rechten Auge blind seien. Hätten sie doch „nur“ 43 rechtsextreme als rechte Gefährder eingestuft.
Wir fragten zeitnah bei den Pressestellen von BMI, BKA und BfV an. Zwei Tage später lagen dann auch uns zwei ‚Handouts‘ vor, die an die handverlesenen Gästen bei dem Hintergrundgespräch verteilt worden waren:

  • Ein Handout des BKA zur ‚Lage politisch motivierter Kriminalität (PMK) rechts‘ [011-052] und
  • das ‚Konzept zur Weiterentwicklung der Bekämpfung des Rechtsextremismus‘ des Bundesamts für Verfassungsschutz [011-051].

Begriffliche Verwirrspiele: Gefährder, gewaltbereite oder doch nur „gewaltaffine“ Rechte?!

Das BKA platziert in seinem Handout eine nur schlecht verhohlene Schuldzuweisung: Die ‚POLIZEIEN DER LÄNDER hätten nämlich im Phänomenbereich PMK rechts „zurzeit“ [nur] 43 Gefährder und 115 relevante Personen eingestuft. Das „Personenpotential der sonstigen Gewalttätigen und Gewaltaffinen ist jedoch weitaus höher“, heißt es im BKA-Handout weiter. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beziffert in seinem aktuellen Verfassungsschutzbericht das gewaltbereite Personenpotential Rechts derzeit auf 12.700 Personen (2014: 10.500, 20500: 1.800, 2016: 12.100, 2017: 12.700).“ Das schreibt das BKA! Und transportiert damit eine wesentliche Aussage: Unser eigentlicher Kooperationspartner, die POLIZEIEN DER LÄNDER sind unfähig bei der (richtigen) Einschätzung des Gewaltpotentials von rechts.

Diese Zahlenspiele verfingen bei den geladenen Journalisten: Die Mehrzahl der Artikel, die ich am nächsten Tag finden konnte, erregte sich über die unfähige Polizei, die anscheinend auf dem rechten Auge blind ist und nur 43 rechte Gefährder ausmachen kann.

Ich halte diese Zahlenspiele darüber hinaus für Spiegelfechterei und zwar aus zwei Gründen:

1. Künstliche Statistikwerte vernebeln die Sicht
Wieder einmal kann kein Außenstehender feststellen und ist es auch uns trotz Rückfragen nicht gelungen zu klären, was eigentlich „Gefährder“ beim BKA sind und wie das BfV „gewaltbereite“ von „gewalttätigen“ bzw. von „gewaltaffinen“ Rechten unterscheidet. Zumal die Polizei ja mit anderen Kriterien arbeitet als das BfV, nämlich den ‚Verfahrensregeln zur Erhebung von Fallzahlen im Bereich der Politische motivierten Kriminalität‘ (=KTA-PMK), die nahezu jährlich in neuer Fassung herausgegeben werden vom BKA und als Verschlusssache eingestuft sind.

2. Die tatsächlichen Fallzahlen geben ein dramatisch schlechtes Bild. Warum wurden sie seit Jahren ignoriert?
Das BKA listet in seinem Handout die Gesamtfallzahlen der politisch motivierten Kriminalität auf, darunter die für PMK rechts und die Gewalttaten von Rechten. Es sind im Durchschnitt der letzten fünf Jahren PRO JAHR rund eintausenddreihundert Gewalttaten also Körperverletzungen oder Tötungsdelikte, die von rechtsorientierten Tätern an anderen Menschen verübt wurden.

Das sind die Zahlen, die jeden human denkenden Menschen aufschrecken müssen. Diese Zahlen liegen dem BKA vor, denn diese Behörde sammelt die Fallzahlen aus allen Ländern. Man fragt sich entgeistert, warum Bund und Länder nicht schon seit Jahren energischer gegen rechte Gewalttäter vorgegangen sind? Denn die muss es ja gegeben haben. Was soll die Fokussierung auf Gefährder, also POTENZIELLE Gewalttäter, wenn man sich NICHT mit umso größerer Intensität um TATSÄCHLICHE Täter kümmert?! Man fragt sich auch, warum eigentlich für die Angriffsziele, die das BKA ausdrücklich nennt, nämlich „Ausländer, Juden, der politische Gegner, Politiker, Personen des öffentlichen Lebens, die sich insbesondere kritische mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen oder in der Flüchtlingshilfe engagieren“ – nicht schon seit Jahren für MEHR SICHERHEIT durch vorbeugenden Schutz, z.B. von Synagogen am höchsten Feiertag im jüdischen Kalender, gesorgt wird.

Verkappter Angriff auf die föderale Struktur der Polizeibehörden

Die Zahlenspielerei von Herrn Münch über die angeblich nur 43 aus den Ländern gemeldeten rechtsextremen Gefährder sind ein ziemlich scheinheiliges Manöver, weil die tatsächlichen Fallzahlen über von Rechten verübte Gewalttaten im BKA seit Jahren bestens bekannt sind – und ignoriert werden. UND weil Münch hier populistisch und meinungsheischend agiert. Getreu dem Motto, dass die rechtschaffenen Demokraten in diesem Land doch ohnehin ahnen, dass und wie sehr die Länderpolizeien von rechts unterwandert sind. Ich möchte diese Möglichkeit keineswegs kleinreden. Doch wenn dies als tatsächliche Gefahr, auch in der Politik und bei BKA und BfV erkannt worden wäre: Hätte man dann nicht längst ganz andere Maßnahmen einleiten müssen, als, wie jetzt wieder, WENIGER Föderalismus und WENIGER Trennungsgebot und dafür MEHR Überwachungsbefugnisse gegen ALLE MENSCHEN IN DIESEM LAND zu verlangen??

Laut Frank Jansen vom Tagesspiegel [011-045] habe Münch (beim Hintergrundgespräch?) angekündigt, die Zahl der rechten Gefährder mit den Ländern in ‚Fallkonferenzen‘ zu prüfen. Das heißt: Ab zum Rapport! für die Länder. Man darf gespannt sein auf deren Reaktion auf diese als Angriff auf die föderale Eigenständigkeit aufzufassende Maßnahme.

Um die Gefährdereinstufung auf objektive Kriterien aufzusetzen, will das BKA außerdem sein Risikobewertungs-Werkzeug RADAR, weiterentwickeln, um damit nicht nur Islamisten, sondern in Zukunft auch das Risiko von Rechtsextremen bewerten zu können. Man fragt sich auch dabei allerdings: Warum geschieht das erst jetzt angesichts der seit Jahren vierstelligen Zahlen von Gewalttaten durch Rechtsextreme?!

BKA-Präsident Münch legt nach in einem als ‚Interview‘ ausgegebenen Werbepapier in der Rheinischen Post

Am 23.10.2019 brachte die Online-Ausgabe der Rheinischen Post (=RP-Online) dann ein exklusives Interview mit dem Präsidenten des BKA, Holger Münch [011-045]. Es bestand aus 14 jeweils kurzen Fragen, die Herrn Münch die Stichworte lieferten, um seine Meinungen oder Absichten kundzutun. Ein Dialog zwischen den InterviewerInnen und dem Präsidenten fand nicht statt. Zu seinen, durchaus hinterfragenswerten Behauptungen gab es keine einzige Rückfrage. Zum Beispiel, wenn er behauptete „Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir (wer ist wir?) sieben Anschläge in Deutschland verhindert.“
Oder die Aussage „Wir hatten nicht den Raum, den Bereich PMK-rechts mit der gleichen Intensität zu bearbeiten, wie wir den islamistischen Terrorismus bearbeitet haben.“ Da hätte man sich gewünscht, dass die InterviewerInnen einhaken und wissen wollen, wer denn eigentlich einen solchen „Raum“ vorgibt für das BKA. Und warum die rechtsextremistisch motivierte politische Kriminalität und insbesondere durchschnittlich rund 1.300 Gewalttaten aus diesem „Phänomenbereich“ pro Jahr – das ist ALLE SIEBEN STUNDEN EINE GEWALTTAT IRGENDWO IN DEUTSCHLAND, VERÜBT VON RECHTEN – bisher „keinen Raum“ einnahm in der Befassung des BKA.

Während das Gros der Polizeikräfte [im polizeilichen Staatsschutz] auf den islamistischen Extremismus angesetzt ist und dennoch der Anschlag im Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt in Berlin nicht verhindert wurde.

Sondern ganz im Gegenteil am Beispiel dieses Anschlages und des Versuchs seiner Aufklärung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse und entsprechende Medienberichte immer deutlicher wird [c], dass und wie die Sicherheitsbehörden dieses Landes hier gerade NICHT die Verhinderung eines Anschlages als oberste Priorität hatten. Sondern in Kauf nahmen, dass der Täter, Anis Amri, ein von mehreren polizeilichen Staatsschutzabteilungen und Verfassungsschutzbehörden erkannter und so eingeschätzter Gefährder erst den polnischen Lastwagenfahrer erschoss und dann mit dessen 30-Tonner einen Weihnachtsmarkt und zahlreiche Menschen dort platt zu walzen versuchte. 11 Besucher haben diesen Anschlag nicht überlebt, 55 Menschen wurden verletzt. Aus den bisher öffentlich gewordenen Erkenntnissen über das Verhalten der Sicherheitsbehörden ist zu schließen, dass diese möglichst lang „dran“ bleiben wollten an der Quelle Anis Amri. Um daraus mehr Erkenntnisse zu gewinnen über seine „Kennverhältnisse“. Diese neue Wortschöpfung ist, wie wir aus den jüngsten PR-Aktionen von BKA und BfV erfahren, der neubürokratische Ausdruck für die Beziehungen oder das Netzwerk einer Person. Dazu gibt es unten noch spannende weitere Erkenntnisse …

Obwohl diese Sachverhalte zum Fall Amri inzwischen öffentliches Allgemeingut sind, unterließen die beiden JournalistInnen auch dazu jegliche kritische Frage. Vielmehr erhielt Herr Münch genügend Raum, um seine Meinungen und Forderungen ausführlich auszubreiten. Was ich, ganz ausdrücklich, nicht den beiden MitarbeiterInnen der RP-Online persönlich ankreide. Sondern davon ausgehe, dass die Situation in Redaktionen großer Zeitungen einem Journalisten heutzutage keine andere Wahl lässt als weitgehend unkritisch und konformistisch aufzutreten, jedenfalls solange er/sie den Job behalten will.

Die Münch’schen Forderungen

Herr Münch kam dann im Interview zu seinen wesentlichen Forderungen, die er als „Maßnahmen“ bezeichnete:

Fokussierung auf Personen

Da wäre – erstens – die als bahnbrechende verkaufte Neuerung, sich bei der Bewertung von als solchen erkannten und eingestuften Gefährdern auf „die Personenebene“ zu fokussieren. Bitte?! Geht’s noch? Auf was denn sonst? Etwa auf die Farbe und Form der üblicherweise getragenen Unterhosen??

Personenverbindungen

Weiter geht es mit der nächsten Plattitüde: Maßnahme zwei betrifft „die Frage, welche Personenverbindungen eine Rolle spielen“. Da gäbe es nämlich „Kennverhältnisse“ [siehe oben] und „strukturelle Verbindungen“. Potzblitz! Wer hätte das gedacht, dass Personen in einem terroristischen Netzwerk (sic!) strukturelle Verbindungen haben. Anstatt jedoch diesen Worthülsen die Luft rauszulassen und mal nachzufragen, lassen die beiden Damen Herrn Münch weiter schwadronieren:

Enge Kooperation mit dem Verfassungsschutz – der verkappte Angriff auf das Trennungsgebot

Er erklärt es zu „unserer“ Aufgabe, diese Verbindungen IN ENGER KOOPERATION MIT DEM VERFASSUNGSSCHUTZ besser aufzuklären“. Doch wozu braucht das BKA den Verfassungsschutz, um die Strukturen von Terroristen-Netzwerken (technisch allgemein als Link Analysis bezeichnet) aufzuklären?! Auch diese Forderung bleibt einfach so stehen. Und verstärkt damit den Angriff von BKA-Präsident Münch und den Leuten, die ihm politisch den Rücken stärken, nach einer Schleifung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. [B]

Exkurs über die Analyse von Personenbeziehungen und –Netzwerken beim BKA in den letzten zwanzig Jahren

Analyst’s Notebook für die Link Analysis

Seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts setzt(e) das BKA, nahezu jede Landespolizeibehörde in Deutschland und auch Europol Analyst’s Notebook als erprobtes Werkzeug für die Analyse solcher Netzwerke ein. Zugegeben: Dieses Software-Werkzeug malte zwar hübsche grafische Netze, hatte aber den großen Nachteil, dass es immer nur intellektuell zusammengestellte Teilmengen von Daten (darin Personen und Beziehungen) dargestellt hat und nie das Bild vom Großen Ganzen liefern konnte.

Hauptziel des PIAV, des Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes war die Erkennung und Auswertung von Beziehungen

Aber dieses Manko wurde ja, auch beim BKA, spätestens 2007 erkannt. Damals begannen die ersten Überlegungen zum PIAV, dem Polizeilichen Informations- und Analyseverbund. Nachdem man sechs Jahre lang überlegt und konzipiert hatte [C] ließ das BMI im Jahr 2013 durch die halbstaatliche T-Systems eigens einen Anbieter kaufen [D]. Der hatte jahrelang Analyst’s Notebook exklusiv in der BRD vertrieben und war im Übrigen der Hersteller des marktführenden Fallbearbeitungssystems, das eingesetzt war (und nach wie vor ist) beim BKA, der Bundespolizei, dem BfV, allen Landes-Verfassungsschutzbehörden und 12 von 16 Polizeibehörden der Länder. Rola Security Solutions heißt die Firma immer noch. Die sollte das Zentralsystem, genannt PIAV Operativ Zentral, für den PIAV entwickeln und in Betrieb nehmen [E]. Das wesentliche Ziel dieses PIAV, vom damaligen BKA-Präsidenten Ziercke benannt und vielfach im Bundestag wie ein Mantra wiederholt, bestand darin „Tat-Tat- und Tat-Täter, sowie Täter-Täter-Beziehungen aufzudecken“ [F].

Daraus wurde bisher allerdings nichts. Vielmehr wurde kleinlaut auf einer Fachtagung, dem diesjährigen Europäischen Polizeikongress, von einem Vertreter des BKA erklärt, dass der so vehement von dieser Firma beschaffte PIAV-Server (, also PIAV Operativ Zentral) nicht erfüllen kann, was man von ihm gefordert hat und daher durch ein anderes, bisher unbekanntes bzw. noch nicht „entdecktes“ System ersetzt werden muss [G]. Aus dem allen folgt: Anstelle von Fortschritten zeigt sich beim Projekt PIAV eine Menge Arroganz und Betriebsblindheit, technischer Unfähigkeit und Inkompetenz beim Projektmanagement der Projektleitung beim BKA bzw. BMI. Davon aber, dass „der Gesetzgeber“ „nicht will“, dass Beziehungsnetzwerke in polizeilichen Datenbanken gespeichert werden, war – bisher jedenfalls – noch nicht die Rede. Das ist ein durchaus neuer Zug an den jüngsten Aussagen des BKA-Präsidenten Münch. Sollte der ernsthaft Schwierigkeiten bekommen wegen des PIAV-Fiaskos?!

Doch zurück zur Behauptung von Herrn Münch, dass es „unsere“ Aufgabe sei, diese Verbindungen IN ENGER KOOPERATION MIT DEM VERFASSUNGSSCHUTZ besser aufzuklären“.
Bisher jedenfalls hat „die Polizei“ den Verfassungsschutz nicht gebraucht für eine funktionierende Link Analysis. Sie hätte – siehe Trennungsgebot – das auch nur in ganz engem Rahmen, z.B. in Form Gemeinsamer Dateien, tun dürfen. Auch diese Argumentationskette von Herrn Münch ist also ein vorgeschobenes Argument, das er – und das ist das Tragische an der Sache – nur deshalb so ungestraft und unverblümt ausbreiten kann, weil er sicher sein kann, dass ihm weder seine Interview-Partnerinnen, noch das Gros der Leserschaft folgen kann – geschweige denn misstraut bei seinen hehren Absichten. Denn der BKA-Präsident genießt ein großes Maß an Vertrauensvorschuss und nur wenigen ist bisher klar geworden, dass der Mann seine Politik und die seiner Vorgesetzten vertritt und NICHT an vorderster Front für MEHR SICHERHEIT FÜR DIE BÜRGER in diesem Lande kämpft. [Siehe dazu auch ‚BKA-Präsident Münch informiert – leider irreführend‚ und ‚Fake News vom BKA-Präsidenten und der Welt Online‚]

Chefkommentator Torsten Krauel verbreitet Fake News in der ‚Welt‘

Man muss das Interview in der RP-Online als Glied einer Kette von PR-Maßnahmen der Bundessicherheitsbehörden sehen im Rahmen ihrer allherbstlichen Initiative zur Untermauerung der Forderung nach MEHR – Manpower, Geld und vor allem Befugnissen. Den Anfang der Kette bildeten die konzertierte Aktion im Hintergrundgespräch für handverlesene Journalisten durch BfV und BKA am 14.10.2019. Den bisherigen Mittelteil liefert die Rheinische Post mit ihrem Interview des BKA-Präsidenten, das treffender als vier Seiten unentgeltlichen Werberaums für politische Forderungen der politischen Mehrheitsfraktion im Bundestag und der von ihr geführten Bundessicherheitsbehörden aufzufassen ist.

Und dann kam als (bisher) letztes Glied in der Kette noch die ‚Welt‘ daher in Form eines Beitrags ihres Chefkommentators Torsten Krauel. Der machte sich in der Ausgabe vom 23.10. stark mit einem Meinungsstück unter der Überschrift „Eine Bankrotterklärung unseres naiven Rechtsstaats“ [011-075]. In dem er sich mit seinen Aussagen und Schlussfolgerungen ausschließlich abstützte auf das (oben genannte) Interview in der RP-Online vom gleichen Tage. Wenn man als Schreiberling erst mal den Eindruck erweckt hat, dass das alles ja im Interview der anderen Zeitung steht, kann man ungestraft auch Behauptungen verbreiten, die zwar gut zur Meinung des Kommentators passen. Sich aber gar nicht wiederfinden im Text des Interviews. Der Chefkommentator Krauel schiebt da dem BKA-Präsidenten nämlich Aussagen in den Mund, die sich so im Interview mit der RP-Online gar nicht finden lassen. Besonders steil ist dieses angebliche Zitat:

„Wenn es darum geht herauszufinden, wer in den Terrorszene wen kennt, auch und besonders in der rechten Terrorszene, dürfen die Sicherheitsbehörden solche Beziehungsnetze nicht in ihren Datenbanken speichern. Sagt Holger Münch. Der Gesetzgeber will es so.“

Keine Antwort (aus dem BKA) ist auch eine Antwort

Fachlich ist diese Aussage einfach hanebüchen. Wir haben daher unverzüglich beim BKA angefragt, ob dieses Zitat tatsächlich von Herrn Münch stammt. Denn dann wäre es eine unterirdische, fachliche Fehlleistung. Wenn man weit mehr als hundert Millionen Euro in die (letztlich nicht wirklich erfolgreiche Entwicklung) eines PIAV steckt mit der Begründung, damit „Tat-Tat- und Tat-Täter, sowie Täter-Täter-Beziehungen aufdecken“ zu wollen, kann man nicht Jahre später behaupten, dass genau dies vom Gesetzgeber nicht gewollt werde.

Wir haben auch gefragt, was denn das BKA unternimmt, um diese Fehlinformation in der ‚Welt‘ richtigstellen zu lassen, wenn es denn eine Fehlinformation war. Und wir wollten – drittens – wissen, durch welches Gesetz denn (angeblich) erschwert bzw. verunmöglicht wird, dass Beziehungen zwischen Personen gespeichert und ausgewertet werden. Auf eine Antwort zu all diesen Fragen warten wir bisher vergeblich.

Und werten daher dieses ganze Schauspiel, das Politik, Behördenleiter und willfährige Medien da seit Mitte Oktober der Öffentlichkeit bieten, als das, was es ist: Eine PR-Masche, um, wie in jedem Jahr, auch diesmal wieder MEHR zu bekommen an Befugnissen, Geld und Personal.

Persönliche Bemerkung zum Schluss

Das allein ist schon eine ungute Erkenntnis: Wenn ich allerdings an die Veranstaltungen denke zum Gedenken an die Opfer des Oktoberfestattentats, an die Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU oder die für die Toten vom Weihnachtsmarkt in Berlin, wenn ich mich zurückerinnere an die Versprechungen der Kanzlerin nach umfassender Aufklärung gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer des NSU und derer vom Breitscheidplatz: Versprechungen, die hohl und leer geblieben sind. Und dann erfahre, wie diese gleichen Sicherheitsbehörden und das ihnen übergeordnete Innenministerium in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich keine eigenen Fehler erkennen, im Übrigen zentnerweise Unterlagen schwärzen, tricksen und mauern, um nicht bekannt werden zu lassen, dass sie ihre höchstpersönliche, widerwärtig menschenverachtende Strategie verfolgt haben und ein MEHR AN SICHERHEIT FÜR POTENZIELLE OPFER keine Rolle spielte: Dann weiß ich, dass es bisher einfach nur Glück war und nicht das Verdienst dieser Sicherheitsbehörden und ihre Führungsebenen, dass mir, meinen Freunden und Bekannten und vielen anderen Menschen in diesem Land bisher (noch) nichts Schlimmes zugestoßen ist.

Fußnoten

[a]   Bei dem Wunsch nach immer MEHR Geld und Ressourcen für den Bund wird geflissentlich unterschlagen, dass die Länder dank der Föderalismusrefom und damit einhergehender Grundgesetzänderungen finanziell immer mehr ausgetrocknet werden. Umso einfacher ist es dann, auf die Länder als angeblich säumige und unfähige Kantonisten darzustellen.

[b]   Der hessische Innenminister Peter Beuth und der NRW-Innenminister Herbert Reul sind beide Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Beide haben in ihren Ländern Polizeigesetze auf den Weg gebracht, die den Einsatz solcher Big-Data-Systeme für die polizeiliche Arbeit ermöglichen. In Hessen ist das System Palantir Gotham unter dem Namen Hessendata seit 2017 eingeführt [H]. NRW hat eine Ausschreibung für ein entsprechendes System veröffentlicht, über den bisher bekannten Status haben wir in diesem Artikel [I] berichtet.

[c] Thomas Moser liefert dazu seit Jahren einen um den anderen gut recherchierten Artikel auf Telepolis. Siehe https://www.heise.de/suche/?q=Thomas+Moser+Amri&rm=search&sort_by=date

Verwandte Beiträge

[A]   Eine Bestandsaufnahme: Politik der Inneren Sicherheit 2007 – 2017, 28.06.2017, POLICE-IT
https://police-it.net/politik-der-inneren-sicherheit-2007-2017

[B]   Herkunft, Bedeutung und Hintergründe zum Trennungsgebot sind in diesem Beitrag im Glossar erklärt:

[C]   Das PIAV-Dossier: Wie verlief die Entwicklung des PIAV?
https://police-it.net/dossiers-2/piav_dossier/wie-verlief-die-bisherige-entwicklung-des-piav

[D]    T-Systems übernimmt PIAV-Wunschkandidaten Rola Security Solutions, 23.06.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/telekom-uebernimmt-piav-wunschkandidaten-rola

[E]   siehe ‚Was Bundesregierung und BKA seit Jahren über den PIAV versprechen …‘ in ‚Der Status Ende 2016 und wann soll(te) der PIAV (eigentlich) fertig sein?‘, mit Update vom 14.12.2016, POLCIE-IT
https://police-it.net/dossiers-2/piav_dossier/aktueller-status-fertigstellungv-fertig-sein

[F]    PIAV-Wunschkandidat Rola mit traumhaften Gewinnen, 26.10.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-wunschkandidat-rola-mit-traumhaften-gewinnen

[G]   Polizei 2020 – die Zukunft der deutschen Polizei entwickelt sich – allmählich, 16.05.2019, POLICE-IT
https://police-it.net/polizei-2020-die-zukunft-der-deutschen-polizei-entwickelt-sich_allmaehlich

[H]   Das Palantir-Dossier, Teil 4: Palantir in Hessen – vereint Daten von Facebook & Co mit polizeilichen Datenbanken??, 02.11.2018, POLICE-IT
https://police-it.net/dossiers-2/das-palantir-dossier/palantir-in-hessen-vereint-daten-von-facebook-und-co-mit-polizeilichen-datenbanken

[I]   14 Millionen für DAR – Datenbankübergreifende Analyse und Recherche, 14.06.2019, POLICE-IT
https://police-it.net/14-millionen-ausgeben-fuer-dar-datenbankuebergreifende-analyse-und-recherche

Quellen

Die Recherche der Quellen zu einem solchen Artikel und ihre Verarbeitung ist eine zeitaufwändige Angelegenheit, die wir bisher mit Akribie betrieben haben. Das war auch für diesen Artikel der Fall und gehört weiterhin zu unserem Arbeitsstandard. Nicht länger akzeptieren wollen wir allerdings, dass sich manche „Kollegen“ bzw. „-Innen“ die eigene Arbeit etwas zu einfach machen: Bei POLICE-IT die Quellen und Sachverhalte abgreifen, in eigene Texte einsetzen und Verweise auf den Ursprung beim POLICE-IT großzügig vergessen. Daher legen wir die Quellen zu unseren Artikeln und die Links dazu nicht mehr, wie bisher offen. Sie erkennen eine Referenz auf von uns verwendete Quellen an einer offen im Text angegebenen Referenznummer, z.B. ‚011-051‘. Sie verweist auf den entsprechenden Artikel in unserem Archiv. Gerne sind wir bereit, auf konkrete bzw. begründete Email-Anforderung von Lesern die Bibliografie bzw. den Link zu der so referenzierten Quelle zu benennen. Bis auf weiteres wird es jedoch bei dem hier beschriebenen Verfahren bleiben. Was ich persönlich für ebenso bedauerlich wie unabdingbar halte.

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