Ende 2015 sollte es soweit sein und der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund – PIAV – seinen Wirkbetrieb aufnehmen. Ab da wollten Bund und Länder eine ganz neue, dynamische Form der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen ihren Polizeibehörden praktizieren.
Ein solches Großprojekt, zumal wenn 16 Länder und 2 3 Bundesbehörden, nämlich BKA, Bundespolizei und Zollkriminalamt [Update vom 21.12.2015], daran beteiligt sind, hat natürlich eine lange Vorlaufzeit. Bei PIAV waren es satte acht Jahre. Und eigentlich sollte es auch schon vor einem Jahr, nämlich Ende 2014, losgehen. | Lesedauer: Ca 4 Minuten
Verzögerungen im BKA um mindestens ein Jahr
Doch da war die Firma Rola, der Wunschkandidat des Bundesinnenministeriums noch nicht in der Verfassung, die sich das Ministerium gewünscht hat [wir haben darüber hier ausführlich berichtet]. Nachdem Rola Security Solutions GmbH dann unter die Fittiche des großen, teilstaatlichen IT-Konzerns T-Systems genommen worden war, erhielt die Firma den Zuschlag für das PIAV-Zentralsystem im BKA. Das wurde am 02. Juni 2015 abgenommen, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag mitteilte [2]. Und ‚Abnahme‘ bedeutet, dass das System zumindest für die Stufe 1 von PIAV, also für den Bereich Waffen- und Sprengstoffdelikte, seitdem funktionsfähig sein müsste.
Vorbereitungen für den PIAV in den Ländern
Diese Verzögerung beim BKA gab auch den Ländern mindestens ein Jahr mehr Zeit, um ihre Fallbearbeitungssysteme fit zu machen für den PIAV. Dafür wurden zwei Fallbearbeitungssysteme in Betracht gezogen, die für PIAV aufgerüstet werden sollten:
- RSCase der Firma Rola, das unter vielfältigen Namen (CASA, CASE, EASY, EFAS, KRISTAL, MERLIN, SAFIR, ZEUS) in mehr als der Hälfte der Bundesländer, sowie unter dem Namen B-CASE beim BKA und der Bundespolizei eingesetzt ist und
- CRIME, das System der Wahl der so genannten IPCC-Kooperation
Auftragsvergaben an Rola – intransparent wie üblich
Alle Betreiber waren anscheinend der Ansicht, dass Weiterentwicklung des vorhandenen Systems schon ausreichend sein werde, um ihr jeweiliges Fallbearbeitungssystem zu ertüchtigen für den Betrieb mit PIAV. Die entsprechenden Aufträge wurden, wie bei Aufträgen an Rola seit Jahren üblich, nicht ausgeschrieben. Dass zumindest die erfolgte Vergabe eines solchen Auftrages im Amtsblatt der EU-Kommission zu veröffentlichen ist, wurde ebenfalls mehrheitlich geflissentlich ignoriert. Denn Aufträge mit einem Volumen von über 210.000 Euro sind dort zwingend zu veröffentlichen. Und dass es sich in jedem einzelnen Land um wesentliche größere Beträge gehandelt haben dürfte, ist z.B. an einer von nur zwei Vergabebekanntmachungen zu erkennen, die es zu diesen Aufträgen bisher gibt. Sie stammt aus Mecklenburg-Vorpommern und belegt, dass allein dieses kleine Land 761.000 Euro aufwenden musste, um sein Rola-Fallbearbeitungssystem für den PIAV aufzurüsten [3].
Auftragsvergaben für CRIME für PIAV – nicht existent?!
Auch aus den CRIME-Ländern sind keine PIAV-relevanten Ausschreibungen oder Auftragsvergaben bekannt geworden. Dieses CRIME, vom Bundesvorsitzenden des BDK, André Schulz, in einem Artikel im Behördenspiegel [4] als ‚veraltet‘ bezeichnet, ist nach Meinung seiner Betreiber anscheinend noch immer gut genug, um daraus auch noch ein CRIME für PIAV zu machen. Anders, als bei Rola, scheint das bei CRIME auch sehr preisgünstig zu sein: Denn öffentlich bekannt ist lediglich, dass die CRIME-Kooperationspartner zusammen pro Jahr rund 500.000 Euro ausgeben für die Pflege des Systems. Was aber die Weiterentwicklung von CRIME zu einem ‚CRIME für PIAV‘ kostet, darüber hüllt sich die IPCC-Kooperation in Schweigen.
Also alles paletti beim PIAV?!
Wenn also das Zentralsystem beim BKA und die meisten Teilnehmersysteme in den PIAV-Ländern vom gleichen Hersteller, nämlich Rola, stammt und nur wenige Teilnehmersysteme von einem zweiten Hersteller [welche Firma oder Entwicklergruppe eigentlich beauftragt ist mit der Entwicklung und Pflege von CRIME konnten wir bisher nicht in Erfahrung bringen / d. Verf.], sollte man annehmen, dass mit der Einführung von PIAV alles planmäßig läuft.
Steht die geplante (verschobene) Einführung des PIAV auf der Kippe?!
Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein: Schon im Sommer, im Zuge der Haushaltsplanungen für das Jahr 2016, äußerte das Bundesinnenministerium ebenso vorsichtig, wie verklausuliert: „Es ist beabsichtigt, bis Mai 2016 alle noch erforderlichen technischen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Wirkbetriebsaufnahme (a) der ersten Stufe zu erfüllen.“
Nachdem seitdem ein weiteres halbes Jahr ins Land gegangen ist, wollten wir vom Bundesinnenministerium wissen, wie es aktuell aussieht mit der Aufnahme des Wirkbetriebs. Und erfuhren von einer Sprecherin des BMI, dass „die Programmplanung eine Wirkbetriebsaufnahme zum 01.05.2016 vorsieht“.. Wesentlich klarer ist diese Aussage auch nicht: Ein Satz wie „PIAV wird am 01.05.2016 seinen Betrieb mit allen Teilnehmern aufnehmen“, wäre jedenfalls konkreter.
Update am 21.12.2015: Auf nochmalige Nachfrage teilt uns die Sprecherin des BMI jetzt mit: „Ab Mai 2016 sollen Waffen- und Sprengstoffdelikte direkt über die Teilnehmersysteme im PIAV bereitgestellt werden.“
Die PIAV-Teilnehmersysteme brauchen mehr Zeit
Zumal die Sprecherin des BMI als Grund für die erneute Verzögerung angegeben hat, dass die 19 Teilnehmer „für die technischen und fachlichen Anbindungstests“ (an die Zentrale beim BKA) mehr Zeit brauchten und auch bekommen haben. Bei technischen Tests wird geprüft, ob Teilnehmer- und Zentralsystem überhaupt miteinander kommunizieren können. Beim fachlichen Test wird geprüft, ob die beiden Systeme sich auch verstehen, ob es also Sinn macht, was der eine Partner dem anderen an Daten bzw. Mitteilungen schickt.
Es stimmt bedenklich, dass die PIAV-Teilnehmersysteme vier Monate vor geplanter Inbetriebnahme der Stufe 1 von PIAV noch nicht in der Lage sind, den ohnehin funktional recht simplen Einsatz im Bereich Waffen- und Sprengstoffdelikte zu meistern. Dies gilt ganz besonders für die Rola-Systeme, die bei BKA und BUndespolizei, sowie – nach unserer Zählung – in neun Bundesländern eingesetzt werden. Denn ein Grund für die Entscheidung für Rola / RSCase war doch die Annahme, dass man nicht falsch liegen kann, wenn man das nimmt, was auch im BKA im Einsatz ist. Ein zweiter Grund ist, dass Rola als Hersteller des Zentralsystems PIAV Operativ-Zentral auch die Weichen stellen kann für die Art der technischen und fachlichen Anbindung. Was es leichter machen sollte für die Teilnehmersysteme aus dem gleichen Hause. Kommt man dort mit den eigenen Spezifikationen nicht klar?!
Für die Erfolgsgeschichte des PIAV lässt das nichts Gutes befürchten. Vom eigentlich versprochenen „Erkennen von Tat-Täter und Tat-Tat-Zusammenhängen“, was auch nach den Anschlägen von Paris wieder gebraucht worden wäre, sind die deutschen Polizeibehörden offensichtlich noch meilenweit entfernt.
[Mit Update vom 21.12.2015]
Quellen zu diesem Beitrag
[1] Neues vom PIAV – alle Artikelhttps://police-it.net/dossiers/pit-piav-alle-beitraege [2] Antwort des Bundesinnenministeriums vom Juli 2015, Arbeitsnummer 7/87, auf die schriftliche Frage des Abgeordneten André Hunko im Deutschen Bundestag vom 10.07.2015 [3] Vergabebekanntmachung 2015/S 047-081072 vom 07.03.2015 des LAiV M-V Schwerin [4] Polizeiliche IT ist Flickenteppich, André Schulz im Behördenspiegel 01.2015, Seite 40