Der Bundesinnenminister sah heute, nach der Besichtigung eines Testprojekts für Gesichtserkennung, einen „unglaublichen Sicherheitsgewinnn für die Bevölkerung“. Die notwendigen, zahlreichen Voraussetzungen, bis das wie vorgesehen funktioniert, fielen unter den Tisch.
Wie wäre es, Herr Minister, wenn die Polizei endlich mal digital funken könnte in großen Bahnhöfen oder wenn Bund und Länder Informationen miteinander teilen könnten, statt sie viermal neu abzuschreiben?! Bevor Sie weiter solchen Phantasien nachhängen?
… und Zitronenfalter falten Zitronen …
Ist es technische Inkompetenz und De Maizière weiß gar nicht, was er da erzählt?! Oder verkündet der Innenminister Maizière bewusst diesen Unsinn, weil er Medien und Öffentlichkeit für dumm genug hält, ihm das abzukaufen?! Heute hat er sich am Berliner S-Bahnhof Südkreuz, wo seit drei Wochen ein Testprojekt zur Gesichtserkennung läuft, ein Bild gemacht. Und dabei kundgetan: „Videoüberwachung ist sehr wichtig, um Straftaten im Nachhinein aufzuklären. Durch diese neue Technik werden Unbeteiligte nicht zusätzlich gespeichert. Innerhalb von Sekunden [sic?!] wird nur abgeglichen, ob sie in einer Fahndungsdatei stehen. Und nur in einem Trefferfall wird die Person gespeichert und dann hoffentlich verhaftet….“ [1].
Ah, ja! Wirklich?!
Wenn das Wörtchen „Wenn“ nicht wär …
Was De Maizière da erzählt, wäre – vielleicht – so,
- wenn – gerade nach Terroranschlägen – von allen Verdächtigen dieses Anschlags sehr zeitnah verwertbare Fotos vorhanden wären,
- wenn diese Fotos ebenso zeitnah in der richtigen „Fahndungsdatei“ eingespielt wären,
- wenn diese Fahndungsdatei gekoppelt wäre mit dem Gesichtserkennungs-Auswertungssystem,
- wenn zigtausende von Videokameras an zu überwachenden Verkehrsknoten, in Bahntunnels, auf Straßen und Plätzen – auch bei Regen und Dunkelheit – eine für die Auswertung ausreichende Bildqualität liefern würden, was die derzeit installierten Kamerasysteme nicht tun,
- wenn alle diese Kameras über ultraschnelle und sichere Datenleitungen mit dem Gesichtserkennungs-Auswertungssystem verbunden wären,
- und wenn dieses Gesichtserkennungs-Auswertungssystem die Leistungsfähigkeit besäße, zigtausende von Bildern, die u.U. gleichzeitig auflaufen „innerhalb von Sekunden“ mit den zigtausenden von Vergleichsbildern in der „Fahndungsdatei“ abzugleichen.
WENN alle diese Voraussetzungen erfüllt wären, ja dann KÖNNTE die Person vielleicht verhaftet werden. VORAUSGESETZT,
- sie bleibt dort, wo sie aufgenommen wurde und wartet,
- bis über die [welche eigentlich?] Alarmierungskette
- eine verfügbare Streife [welcher Bundes- oder Länderpolizei eigentlich?] in Marsch gesetzt ist,
- die relativ zeitnah, also nicht erst nach 30 oder mehr Minuten
- am Ort der Aufnahme eintrifft,
- dort den Gesuchten noch antrifft
- UND verhaftet.
Warum das so ist und wie Gesichtserkennungssoftware eigentlich funktioniert, haben wir in einem eigenen Artikel [2] zusammengefasst.
Minister De Maizière allerdings erzählt uns, dass seine schlichte Vorstellung „einen unglaublichen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung in Deutschland“ bedeuten würde [in 1].
Mit seinen wiederholten Tricks und Täuschungen schürt das BMI Misstrauen
De Maizière hatte seine Vision von der Gesichserkennng schon vor einem Jahr ventiliert. In diesem einen Jahr hat es seine Behörde zumindest geschafft, das Testprojekt am Berliner Südkreuz mit drei Anbietern softwaregestützter Gesichtserkennung zu organisieren. Dafür wurden Testpersonen bezahlt. Sie wurden mit Transpondern ausgestattet, von denen sich jetzt, im laufenden Testbetrieb herausstellt, dass es sich „nicht um passive RFID-Chips, sondern um aktive Bluetooth-Transponder mit iBeacon-Funktion handelt. Letztere senden dauerhaft und überall Informationen, die nicht nur von den Lesegeräten der Bundespolizei am Bahnhof, sondern von jedermann mit einem Smartphone, auf dem eine entsprechende App installiert ist, empfangen werden können. Über diesen Umstand wurden die Teilnehmer im Vorfeld der Abgabe ihrer Einwilligung nicht informiert.“ [3] Das ist wesentlich mehr, als den Testpersonen bekannt war und wozu diese eingewilligt hatten. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat die Bundespolizei daher aufgefordert, das Testverfahren auszusetzen, bis von den Testteilnehmern entsprechend erweiterte Einwilligungen vorliegen [in 3].
Mit solchen Tricks und Hinter-dem-Berg-Halten von wichtiger Information, was beides im Hause De Maizière inzwischen leider die Regel ist, baut man kein Vertrauen auf, sondern schürt tiefes Misstrauen. Das Misstrauen wird nicht geringer, wenn der verantwortliche Minister solchen blühenden und leicht zu durchschauenden Unsinn von sich gibt, wie es heute wieder einmal geschehen ist. Und wenn unterstellt werden kann, dass nach Einführung einer flächendeckenden Videoüberwachung unserer aller Ausweisbilder, die wir dank biometisch lesbarem Personalausweis und Pass seit geraumer Zeit abliefern durften, zum „Abgleich“ verwendet werden [dazu mehr in 2]. Es wäre die typische Salamitaktik, die CDU und De Maizière schon seit Jahren anwenden …
Statt Science-Fiction-Visionen erst einmal überfällige Aufgaben erledigen!
Der ganze Wirbel, den Bundesinnenminister de Maizière hier veranstaltet, diesmal unter dem Slogan von ‚Gesichtserkennungssoftware‘, ist Ausdruck seiner Schaufensterpolitik.
Im Dekorieren von Schaufenster ist er groß: Doch wenn’s ums Liefern geht, um die Umsetzung seiner markigen Ankündigungen findet sich wenig bis gar nichts in der Realität. Was immer dieses Bundesinnenministerium – und seine untergeordneten Behörden – in den vergangenen Jahren an technischen Projekten angefasst hat, ist entweder völlig gescheitert, war uneffektiv, kam viel zu spät und war viel zu teuer. Das vernichtende Zeugnis, das der Bundesrechnungshof dem Bundesinnenministerium für sein Management von IT-Projekte ausstellte, dürfte in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmalig sein. Es heißt dort [4]:
„Die Bundesregierung wird komplexe IT-Projekte … nur dann im zeitlichen und finanziellen Rahmen erfolgreich beenden, wenn sie ihre IT-Steuerung grundlegend verändert. Sie muss eigenes Know-How stärken, …“
Beispiele für überfällige Projekte
Die Beispiele für völlig oder in wesentlichen Teilen gescheiterte Projekte des BMI sind ebenso zahl- wie folgenreich:
- Der BOS-Digitalfunk – um Jahre verspätet. Das wäre ein dankbares Projekt und würde einen „unglaublichen Sicherheitsgewinn“ bedeuten, wenn Polizei und Rettungskräfte in Bahnhöfen und anderen großen Gebäuden bei ihren Einsätzen überhaupt digital kommunizieren können. Dank eines BOS-Projekts im Hause De Maizière ist der heutige Standard, dass ein Polizist quer durch den Bahnhof rennen muss, um Kollegen zu informieren – oder zum privaten Handy greift. [5]
- Oder das polizeiliche Informationssystem Inpol-Neu. Ein komplettes Fiasko, das weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit durch ein komplett anderes System (=Inpol-Neu-Neu) ersetzt wurde; das war allerdings schon lange vor De Maizière …
- Oder der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV) – um Jahre zu spät, mit großen Ankündigungen gestartet und in einer geradezu peinlichen Minimalversion in den „Probe-Wirkbetrieb“ gegangen. Inzwischen sang und klanglos eingestampft. Nach wie vor sind die Polizeibehörden von Bund und Ländern – gerade auch im Anschlagsfall – nicht in der Lage elektronisch Informationen miteinander zu teilen [6]. Der Skandal um den Entzug der Akkreditierungen von Journalisten beim G20-Gipfel hat aufgedeckt, dass Informationen aus einem Land bis zum Bund bis zu viermal von Hand neu erfasst werden müssen! [7].
- Der Minister dagegen verkündete Ende letzten Jahres schon wieder etwas bahnbrechend Neues: Nach dem Motto: Groß, größer, am größten, wurde es jetzt die „grundlegende Modernisierung und Vereinheitlichung des Informationswesens der deutschen Polizei“, was für Fachleute bedeutet: Das bisherige IT-Verbundsystem der Polizeibehörden [=INPOL] muss (angeblich) eingestampft und völlig neu aufgebaut werden. Dieses Eingeständnis hört man vom sonst so vollmundigen Bundesinnenminister allerdings nicht.
Wenn alle diese Selbstverständlichkeiten für den Polizeiapparat in einem föderalen Staatswesen vorhanden wären und fuktionierenwürden, dann könnte man sagen, dass der zuständige Minister die Aufgaben seines Amtes gut erledigt hat.
Die Erfolgsbilanz dieses Innenministers – nichts Gutes für Sicherheit oder Bürgerrechte …
Über den Noch-Innenminister De Maizière wird man rückblickend jedoch nur sagen können, dass er gut war in Ankündigungs- und Schaufensterpolitik. Die Sicherheit ist nicht besser geworden, eine wichtige logistische Aufgabe, wie die Registrierung der vielen Flüchtlinge wurde grandios versemmelt [8] und mit den Grundrechten geht der „Verfassungsminister“ um, als habe er allein darüber zu befinden.
Gut gemacht hat er dagegen seinen Job als auch Vorstandsmitglied der CDU, indem er versucht hat, das Thema Angst vor Terrorismus, Abgrenzung gegenüber Ausländern und dem Islam und generell ‚Innere Sicherheit‘ nach Kräften zu schüren mit immer neuen Vorschlägen. Dafür wird er allerdings nicht vom Steuerzahler bezahlt …
Allein die IT-Projekte des BMI haben mindestens dreistellige Millionenbeträge verschlungen. Doch im Zuge des Hype um die Innere Sicherheit, den maßgeblich die CDU und De Maizière angefacht und geschürt haben, wurde das BMI geradezu zugeschüttet mit Haushaltsmitteln. Auch das war also ein Erfolg, wenn auch nicht für die Polizei oder die Bürger. Diese Mittel wurden und werden mit Sicherheit auch weiterhin ausgegeben, nicht selten an den Vorschriften des Vergaberechts vorbei. Ob den hunderten von Millionen tatsächlich auch einmal sicht- und messbare Erfolgen führen, danach fragt leider niemand …
Quellen
[1] “Ein Test ist richtig“, 24.08.2017, Bundesministerium des Innernhttp://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2017/08/sicherheitsbahnhof.html
[2] Was Sie schon immer über Gesichtserkennung wissen wollten …, 24.08.2017, CIVES
http://cives.de/was-sie-schon-immer-ueber-gesichtserkennung-wissen-wollten-6086
[3] Biometrische Gesichtserkennung nur mit wirksamer Einwilligung, 24.08.2017, Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2017/15_BiometrischeGesichterkennungSuedkreuz.html
[4] ’Massive Kritik des Bundesrechnungshofs an IT-Projekten des Bundes‘, 23.10.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/massive-kritik-des-rechnungshofs-an-it-projekten-des-bundes
[5] Funkstörungen – wenn 4 Millionen Menschen täglich reisen, 117.08.2016, POLICE-IT
http://cives.de/funkstoerungen-wenn-4-millionen-menschen-taeglich-reisen-3577
[6] Fakten zum Informationsaustausch der Polizeien in Deutschland: Die aktuelle Situation ist ein Desaster‘, 19.06.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/die-aktuelle-situation-ist-ein-desaster
[7] Wie Journalisten zu Gewalttätern (gemacht) werden, 21.08.2017, CIVES
http://cives.de/wie-journalisten-zu-gewalttaetern-gemacht-werden-6038
[8] Nicht-Identifizierung von Flüchtlingen – das ganz große Versagen des Bundesinnenministers, 06.01.2017, CIVES
http://cives.de/nicht-identifizierung-von-fluechtlingen-das-ganz-grosse-versagen-des-bundesinnenministers-4097
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