Trotz des Aufgebots von rund 20.000 Polizisten ist es den Polizeibehörden beim G20-Gipfel nicht gelungen, die Sicherheit von Hamburger Bürgern und Demonstrationsteilnehmern und die Unversehrtheit des Eigentums von Anwohnern und Geschäftsinhabern zu gewährleisten. Viel Aufwand wurde im Vorfeld in Datenbanken über angeblich linke Gewalttäter gesteckt. (Falsche) Einträge dort haben bis zu 32 Journalisten den Entzug der Akkreditierung noch während des Gipfels eingebracht.
Wir erläutern aus fachlicher und technischer Sicht, wie Informationen im polizeilichen Staatschutz gewonnen bzw. generiert werden und zu welchen Entscheidungen und polizeilichen Aktivitäten solche ‚Erkenntnisse‘ führen. Denn es besteht die Gefahr, dass die Informationen in diesen Datenbanken eine kriminalfachliche Kompetenz und strafprozessuale ‚Beweislage‘ vorgaukeln, die mit den Tatsachen wenig bis gar nichts mehr zu tun hat.
1 Die Vorgeschichte: 32 akkreditierte Journalisten fliegen beim G20-Gipfel raus
Wenn die Bundesregierung zu internationalen Großveranstaltungen lädt, wie 2015 zum G7-Gipfel in Elmau oder im Juli diesen Jahres zum G20- Gipfel nach Hamburg, ist das Bundespresseamt für die Journalisten zuständig. Es verlangt die namentliche Anmeldung eines hauptberuflichen Journalisten und eine Bestätigung (Akkreditiv) durch dessen Redaktion. Darauf folgt eine Sicherheitsüberprüfung durch das BKA und, wenn die keine Beanstandungen ergeben hat, erhält der Journalist seine Zulassung zur Veranstaltung. Circa fünftausend Journalisten hatten diese Hürde zum G20-Gipfel genommen. 32 von denen fielen aus allen Wolken, als man ihnen während der Veranstaltung plötzlich den weiteren Zugang verwehrte. Der Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamts, Steffen Seibert, rechtfertigte dieses Vorgehen vehement: Vom Bundeskriminalamt (BKA) seien gravierende Sicherheitswarnungen gekommen, sodass es verantwortungslos gewesen wäre, die Akkreditierungen nicht nachträglich zu entziehen. Das Bundesinnenministerium sprach von „etlichen Straftätern“ unter den 32 Journalisten. Doch sechs Wochen danach gibt es noch immer keine belastbaren Beweise für diese ruf- und berufsschädigenden Behauptungen.
1.1 Die inzwischen bekannten Details
Von vier der Fälle sind inzwischen mehr Details bekannt. Die belegen vor allem eines: Nicht zu tolerierende Pannen und Schlampereien und einen extrem fahrlässigen Umgang mit „Informationen“ auf Seiten der Sicherheitsbehörden:
- Ein Journalist hatte das Pech, den gleichen Namen zu haben wie ein ‚Reichsbürger‘. Namensübereinstimmung kann, gerade mit einem häufiger vorkommenden Namen (hier war es: Wolf), durchaus passieren. Dass Datensätze in polizeilichen Informationssystemen mit übereinstimmenden Namen sich auch tatsächlich auf ein und dieselbe real existierende Person beziehen, wird in solchen Systemen allerdings nur dann angenommen, wenn nicht nur Familien- und Vorname(n) übereinstimmen, sondern darüber hinaus auch noch das Geburtsdatum und der Geburtsort. War das im Falle des Journalisten und des Reichsbürgers C.W. tatsächlich so?!
- Über einen anderen, Fr. Br., Polizeireporter in Hamburg und seit 28 Jahren als Journalist tätig, „wusste“ das BKA, dass dieser an einem 1. Mai als Angehöriger einer „gewaltbereiten Bewegung“ angeblich festgenommen worden sei. Die Information stammte vom Verfassungsschutz in Hamburg. Sie war falsch! Was dem Betroffenen wenig nützt, denn für ihn war der G20 Gipfel lange vor seinem Ende beruflich gelaufen. Warum berichtet der Verfassungsschutz eines Landes dem Bundeskriminalamt über eine angebliche Festnahme, die doch ohnehin nur von der Polizei vorgenommen worden sein könnte? Warum wurde dieser Bericht ungeprüft übernommen und zur Grundlage für den Entzug der Akkreditierung gemacht?
- Ein Dritter, Fl. Bo., Fotograf aus Berlin, war doch tatsächlich im März 2016 – als Fotograf – auf einer Demonstration. Dort hatte ihn eine Polizistin unsanft angerempelt, er hatte sich daraufhin erst bei ihr, dann beim Pressesprecher beschwert, woraufhin die Polizistin den Fotografen anzeigte. Auch im Weg stehen, wenn die Polizei kommt, kann schon strafrechtlich relevanter Widerstand sein … Der Richter sah das nicht ganz so, das Verfahren gegen Fl. Bo. wurde im Mai 2017 mit einem Freispruch erster Klasse eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt war der Fotograf in der Verbunddatei ‚Gewalttäter Links‘, die beim BKA geführt wird, schon als einschlägig Auffälliger gelistet. Warum wurde zwar die Anzeige gegen ihn, nicht aber die Einstellung des Verfahrens in der Verbunddatei erfasst?! Denn die Einstellung hätte umgehend zur Löschung des Datensatzes führen müssen?!Für Fl. Bo. kam es noch toller: Ein Datensatz über ihn fand sich auch in der Zentraldatei ‚Politisch motivierte Kriminalität‘ (PMK) des BKA. Wer hat aus welchen Gründen den Eintrag in dieser Datei veranlasst?
- Auch der vierte Fall betrifft einen Fotojournalisten, C.G., der für Spiegel Online vom G20-Gipfel berichten sollte. Über ihn gab es sogar acht Einträge aus verschiedenen Bundesländern in den Datensystemen bei BKA. Der älteste war zehn Jahre alt, ein anderer, aus Mecklenburg-Vorpommern, war im Informationssystem des Landes längst gelöscht, aber beim BKA nach wie vor abrufbar, auch hier wieder in der Zentraldatei „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK).
1.2 Kritik von Juristen und Datenschützern
Das alles berichtete die Tagesschau am 19.08.2017 [1] über diese vier Fälle. Sie zitiert auch den früheren Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar: Der sieht „einen eklatanten Verstoß gegen den Datenschutz“ und fordert „immer wieder zu prüfen, ob die Speicherung noch erforderlich“ ist. Ob diese Forderung in der Praxis so durchführbar ist, wird unten noch zu beleuchten sein. Richtig ist auf jeden Fall, dass Prozesse organisatorisch und technisch möglich sind, die unzulässige Speicherungen verhindern und dafür sorgen, dass Informationen gelöscht werden, wenn es keine Grundlage für die weitere Speicherung mehr gibt. Der Rechtswissenschaftler Professor Tobias Singelnstein ist der Ansicht, dass die Angelegenheit weit über den Fall der 32 Journalisten hinausgeht.
2 Der wahre Grund für das Versagen
Dieser Ansicht schließen wir uns an. Wir sind der Meinung, dass die beschriebenen Fälle deutliche Hinweise liefern für ein organisatorisches, vor allem aber technisches Versagen auf Seiten der Polizeibehörden, für dadurch verursachte chaotische Verfahrensabläufe und für eine Kette von Medienbrüchen.
Das dadurch verursachte, für viele Außenstehende unglaubliche Tohuwabohu hat zur Folge, dass die Datenbanken beim BKA Informationen enthalten, von denen niemand mehr sagen kann, ob sie aktuell stimmen, ob sie jemals gestimmt haben, ob sie jemals hätten gespeichert werden dürfen oder ob sie nicht längst hätten gelöscht werden müssen. In Kürze also: Dieses Informationsmaterial ist ungeeignet, um darauf Entscheidungen zu stützen und Aktivitäten zu entwickeln. Wer das dennoch tut, handelt fahrlässig gegenüber dem betroffenen Einzelnen und gaukelt der Öffentlichkeit und politischen Entscheidern eine kriminalfachliche Kompetenz und strafprozessuale Beweislage vor, die mit den Tatsachen nichts zu tun hat.
2.1 Wie der polizeiliche Staatsschutz Informationen sammelt und bearbeitet
Doch bevor ich auf diese Probleme näher eingehe, möchte ich Ihnen – denn SIE gehören vermutlich zu den „Außenstehenden“, die nicht beruflich mit polizeilichen IT-Systemen zu tun haben – gerne erläutern, wie das eigentlich so läuft im polizeilichen Staatsschutz: Woher stammen die Informationen? Wer erfasst und bearbeitet sie? Und an wen werden diese Informationen weitergegeben?
2.1.1 Welche Behörden sammeln und erfassen staatsschutzrelevante Informationen?
Staatsschutz-relevante Informationen werden vor allem von den Polizeibehörden der Länder und von der Bundespolizei gesammelt und erfasst. Das Bundeskriminalamt selbst spielt bei der Sammlung und Erfassung nur eine untergeordnete Rolle. Denn das BKA selbst hat ja eine Doppelfunktion:
- Es ist vor allem „Zentralstelle für das kriminalpolizeiliche Informationswesen“ und betreibt in dieser Funktion als Dienstleister die Datenbanken (im Polizeijargon fälschlich als „Dateien“ bezeichnet) des gemeinsamen polizeilichen Informationsverbunds INPOL der Polizeibehörden von Bund und Ländern. Auch die oben erwähnten beiden Datenbanken, Gewalttäter Links und Politisch motivierte Kriminalität (PMK) gehören zum INPOL-Verbund.
- Als eigenständig operativ tätige Polizei hat das BKA nur einen sehr eingeschränkten Aufgabenbereich. Der ergibt sich aus dem BKA-Gesetz und umfasst insbesondere die „Abwehr terroristischer Gefahren“. Die eigenständige Ermittlungstätigkeit in einfachen Staatsschutzangelegenheiten, wie sie hier eine Rolle spielen, gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des BKA. Das wird im weiteren Verlauf dieser Erörterung insofern eine Rolle spielen, als keine Grundlage gegeben ist für „eigene Erkenntnisse des BKA“ zu den hier beschriebenen (angeblichen) Aktivitäten der Journalisten, jedenfalls dann nicht, wenn sich diese auf angebliche „Straftaten“ beziehen. Wenn überhaupt kann das BKA kraft seines Gesetzes im Bereich der Gefahrenabwehr eigenständig Informationen sammeln und erfassen.
Hierarchische und regionale Organisationsstruktur der Behörden
Die Länderpolizeibehörden und die Bundespolizei sind regional und hierarchisch gegliedert, z.B. in Direktionen oder Präsidien, von denen jede für eine regionale Gruppe kleinerer Dienststellen zuständig ist. Für Staatsschutzaufgaben, also für die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung von so genannten Staatsschutzdelikten, sind spezialisierte Einheiten der Kriminalpolizei zuständig. Man findet sie nicht unbedingt in jeder lokalen Dienststelle, jedoch in der Regel auf regional übergeordneter Ebene und immer in einer eigenen Staatsschutzabteilung „ganz oben“, also im Landeskriminalamt.
2.1.2 Was sind Staatsschutzdelikte und „staatsschutzrelevante“ Informationen?
Staatsschutzrelevant sind Informationen, die im Zusammenhang mit Straftaten [sic!] der politisch motivierten Kriminalität stehen. Dazu zählen „echte“ Staatsschutzdelikte (§§80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a, 241a StGB), sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die der politisch motivierten Kriminalität zuzurechnen sind („unechte Staatsschutzdelikte“), also Straftaten, die politisch motiviert sind. In die letztere Gruppe zählen z.B. Körperverletzungen gegenüber Ausländern oder Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte aus ausländerfeindlichen Motiven.
2.1.3 Der kriminalpolizeiliche Meldedienst für politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK)
Es existiert für alle Polizeibehörden eine Meldepflicht für solche echten oder unechten Staatsschutzdelikte. Dazu hat die Innenministerkonferenz im Jahr 2001 den kriminalpolizeilichen Meldedienst für politisch motivierte Kriminalität, abgekürzt KPMD-PMK, beschlossen. Die entsprechenden „PMK“-Richtlinien werden periodisch von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe evaluiert und bei Bedarf aktualisiert.
2.1.4 Die Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit (IF-IS)
Der Zweck des KPMD-PMK besteht darin, eine zentrale Datenbank zu speisen, in der relevante Informationen über Staatsschutzdelikte von über den lokalen Bereich hinausgehendem Interesse von allen Polizeibehörden gesammelt werden und für alle berechtigten Nutzer aus den genannten Polizeibehörden abrufbar sind. Diese Datenbank heißt Inpol-Fall Innere Sicherheit (IF-IS) und wurde im Jahr 2007 beim BKA in Betrieb genommen. Drei Gruppen von Staatsschutzdelikten finden Eingang in die IF-IS: Das sind Staatsschutzdelikte aus dem „linken“ bzw. aus dem „rechten“ Phänomenbereich, sowie „politisch motivierte Ausländerkriminalität“.
Personen / Datensätze in der Datei Inpol-Fall Innere Sicherheit
Im Jahr 2013 waren knapp 87.000 Datensätze über Personen in der IF-IS gespeichert, davon entfallen
- auf PMK-rechts 50.107 Personen/Datensätze,
- auf PMK-links 22.837 Personen/Datensätze und
- auf Politisch motivierte Ausländerkriminalität 7.160 Personen/Datensätze
[2, Frage 9]
Im September 2015 war die Zahl der Personen / Datensätze noch einmal angewachsen
Sie waren von den Polizeibehörden eingeteilt in
- 89.700 Beschuldigte
- 2.687 Verdächtige/Störer
- 3.564 Kontakt-/Begleitpersonen
- 2 Hinweisgeber, potenzielle Zeugen
- 1.291 Potenzielle Geschädigte/Opfer/Gefährdete
- 1.211 Sonstige Personen
2.1.5 Wie sollte der Meldedienst KPMD-PMK funktionieren?
Wie der KPMD-PMK funktioniert, ist von der Organisationsstruktur und von der informationstechnischen Ausstattung der jeweiligen Landespolizeibehörde abhängig. Diese Einzelheiten spielen hier jedoch – zunächst – keine Rolle, vielmehr soll hier zunächst die „ideale“ Funktionsweise beschrieben werden:
- Für die Erst-Aufnahme einer staatsschutzrelevanten Straftat ist die örtliche Polizeidienststelle zuständig. Sie nimmt insbesondere die Strafanzeige auf und führt den „Ersten Angriff“ am Ereignisort durch. Damit ist diese Dienststelle auch zuständig für die erste Erfassung der Informationen über die Straftat, deren Umstände, die Sachverhalte und die beteiligten Personen.
- Vielfach bleibt die örtlich zuständige Dienststelle auch die „sachbearbeitende Dienststelle (SBD)“, d.h. sie führt die Ermittlungen und bemüht sich um die Aufklärung des Falles. Bei komplexeren Delikten kann auch eine übergeordnete oder auf Staatsschutzdelikte spezialisierte Dienststelle die Sachbearbeitung übernehmen und damit zur sachbearbeitenden Dienststelle werden.
- Nach den Richtlinien des KPMD-PMK hat die sachbearbeitende Dienststelle innerhalb einer bestimmten Frist eine PMK-Erstmeldung über die Straftat abzugeben. Diese Erstmeldung geht an die Staatsschutzabteilung im übergeordneten Landeskriminalamt. Man kann sich diese Meldung vorstellen wie ein vorgegebenes Formblatt von ein paar Seiten Umfang, das mit den entsprechenden Informationen ausgefüllt werden muss.
- Die eigentliche kriminalistische Sachbearbeitung, also Ermittlung und Aufklärung der entsprechenden Straftat, ist und bleibt weiterhin Angelegenheit der zuständigen sachbearbeitenden Dienststelle im Land. Über die Erkenntnisse, die diese im Zuge ihrer weiteren Ermittlung bzw. Aufklärung gewinnt, hat sie entsprechende PMK-Ergänzungsmeldungen zu fertigen und, wenn der Fall im polizeilichen Sinne „aufgeklärt“ ist, eine entsprechende PMK-Abschlussmeldung. Auch diese Meldungen gehen von der sachbearbeitenden Dienststelle an das LKA und von dort – nach entsprechender Bearbeitung – an das BKA. Damit soll erreicht werden, dass die Informationen in der zentralen Datenbank (IF-IS) möglichst zeitnah für alle anderen Behörden zur Verfügung stehen.
- Die Staatsschutz-Abteilung im LKA bearbeitet zeitnah alle bei ihr eingehenden PMK-Meldungen. Dazu wird der Sachverhalt und die sonstigen Informationen geprüft, mit anderen Fällen abgeglichen und, wiederum innerhalb kurzer Fristen, zu einer (Erst-)Meldung an das BKA gemacht. Aufbau und Struktur dieser Meldung sind bundeseinheitlich standardisiert, für die Beschreibung von Sachverhalten, Tatumständen u.ä. gibt es umfangreiche, immer wieder aktualisierte Begriffskataloge. Es ist u.a. Aufgabe der Sachbearbeiter im LKA für eine sprachlich korrekte und möglichst rechtschreibfehler-freie Sachverhaltsdarstellung zu sorgen und für die fachlich möglichst korrekte Wahl des am besten passendsten Begriffs aus den zahlreichen Begriffskatalogen. Der gleiche Prozess ist auch für jede Ergänzungs- und Abschlussmeldung zu durchlaufen.
Nachdem die jeweilige Meldung inhaltlich und fachlich bearbeitet wurde, ist sie an das BKA zu übermitteln. - Beim Bundeskriminalamt werden die eingetroffenen PMK-Meldungen aus allen Länderbehörden und von der Bundespolizei in die Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit übernommen. Sie stehen dort für berechtigte Nutzer aus allen deutschen Polizeibehörden zur Suche und Abfrage zur Verfügung.
2.1.6 Voraussetzungen für den reibungslosen Ablauf des Meldedienstes
Dieser Ablauf beschreibt den Idealfall. Der gekennzeichnet ist durch
- die fristgerechte Einhaltung der Meldepflicht durch alle beteiligten Dienststellen (die organisatorische Komponente) und
- durch das Vorhandensein eines Informations- bzw. Kommunikationssystems, das die Erstellung und Bearbeitung der entsprechenden Meldungen in allen beteiligten Dienststellen, sowie die Übermittlung zwischen den Dienststellen effektiv, d.h. ohne Mehrfacherfassung, möglich macht (die technische Komponente).
Dieser Idealfall ist sowohl organisatorisch als auch technisch realisierbar und wurde in einigen wenigen Bundesländern schon vor Jahren realisiert. Mehr dazu in [a]. Die Wirklichkeit in der Mehrzahl der Länder und bei der Bundespolizei ist jedoch weit entfernt von diesem „Idealzustand“. Dort, wie auch beim BKA, dominieren Störungen im Verfahrensablauf, unnötige Mehrfacherfassungen und Medienbrüche an jeder Schnittstelle zwischen verschiedenen Verfahrensbeteiligten die alltägliche Arbeitssituation im polizeilichen Staatsschutz.
2.2 Medienbrüche im PMK-Meldewesen und deren Ursachen
Ob der Meldedienst, wie vorgesehen funktioniert und zu brauchbaren Informationen führt, steht und fällt mit der informationstechnischen Ausstattung. Daran hapert es allerdings in den allermeisten Polizeibehörden. Um diese Schwächen zu substituieren und vorhandene Medienbrüche zu überwinden, müssen die beteiligten Sachbearbeiter an sich vorhandene und bereits erfasste Informationen wiederholt erfassen. Das belastet nicht nur erheblich die Personalressourcen und die Motivation der Polizisten. Es hat vor allem auch Auswirkungen auf die Informationen selbst, die sich mit jeder weiteren Erfassung bzw. Bearbeitung verändern und damit immer weiter von den ursprünglich erfassten Fakten entfernen.
2.2.1 Ersterfassung der Informationen
Als positiv kann vermerkt werden: Es gibt wohl keine Polizeidienststelle in Deutschland mehr, die darauf angewiesen ist, nur mit Schreibmaschine zu arbeiten. In jedem Bundesland und auch bei der Bundespolizei gibt es ein Vorgangsbearbeitungssystem. Darin werden die polizeilichen Standardvorgänge erfasst und bearbeitet, wozu auch die Aufnahme von Strafanzeigen und die Bearbeitung von einfachen Straftaten gehört. Alle staatsschutzrelevanten Sachverhalte werden also bei der örtlich zuständigen Dienststelle erstmals im Vorgangsbearbeitungssystem erfasst. Aus dem ganz einfachen Grund, dass jeder „Vorgang“ eine Tagebuchnummer braucht; das ist eine Art polizeiliches Aktenzeichen, das vom Vorgangsbearbeitungssystem für jeden neuen Vorgang vergeben wird.
2.2.1.1 Der erste Medienbruch: Vorgangsbearbeitungssysteme „können“ keine PMK-Meldungen
Vorgangsbearbeitungssysteme (@rtus bei der Bundespolizei, diverse in den Bundesländern) sind nicht darauf ausgelegt, PMK-Meldungen im vorgeschriebenen Format, mit der Struktur und den Katalogwerten zu erstellen, die in einer KPMD-PMK-Meldung verlangt werden.
Informationsverluste sind daher nicht ausgeschlossen: Denn für so manchen polizeilichen Sachbearbeiter zählt die Erfüllung von Meldepflichten gegenüber einem weit entfernten LKA bzw. BKA nicht zu den wichtigsten Aufgaben. Dass es sich bei einer Straftat um ein (meldepflichtiges) Staatsschutzdelikt handelt, kann dann schon mal unter den Tisch fallen: Denn ob die Straftat wirklich einen „politisch motivierten“ Hintergrund hat, ist ja zunächst einmal auch eine Frage der Einschätzung des Sachbearbeiters. Eine angenommene, eher unpolitische Motivlage hat für den Sachbearbeiter nämlich den erheblichen Vorteil, dass er sich viel Arbeit sparen kann. Weil dann keine PMK-Meldung auszufertigen ist.
Die Ursache dieses Problems ist nicht der PMK-Meldedienst. Sondern die fehlende IT-Unterstützung bei der Bearbeitung von PMK-Meldungen. Die hat zur Folge, dass der Sachbearbeiter die Informationen erneut erfassen oder irgendwie kopieren, zusammenstellen, daraus den Input für eine PMK-Meldung fabrizieren und diese an die zuständige Stelle im LKA übermitteln muss. Wie dieser Input für eine PMK-Meldung dann tatsächlich ins LKA geschickt wird, ist von Land zu Land verschieden: Es geht via EPOST [epost] oder per Email im abgeschotteten Intranet der Polizeibehörde oder auch per Fax.
2.2.1.2 Wie dieser Medienbruch überwunden werden kann …
Es geht allerdings auch anders: Man braucht dazu im polizeilichen Informationssystem, mit dem die Informationen erstmals erfasst werden, eine wenig mehr Intelligenz: In Form einer Software, die aus den erfassten Informationen zur Straftat die notwendigen Informationen für die PMK-Meldung extrahiert, mit diesen Informationen sozusagen das PMK-Meldeformular ausfüllt. Das ist keine hehre Theorie, sondern wurde vor Jahren bereits entwickelt, erfolgreich in einem Bundesland in den Betrieb gebracht und dort jahrelang sehr erfolgreich – und effektiv aus der Sicht der Sachbearbeiter – angewendet.
Laut bundesweiter PMK-Statistik [4] gab es in der Bundesrepublik im Jahr 2016 41.549 PMK-relevante Straftaten. Dafür waren rund 83.000 Erst- und Abschlussmeldungen zu fertigen und eine weitere unbekannte Anzahl von Ergänzungsmeldungen bei längerer Bearbeitungszeit. Der Zeitaufwand dafür ist riesig. Rechnet man pro Meldung mit rund 20 Minuten Bearbeitungszeit und damit, dass jede Meldung mindestens dreimal erfasst bzw. bearbeitet wird (auf Ebene der sachbearbeitenden Dienststelle, des LKA und des BKA), so beschäftigen diese PMK-Meldungen pro Jahr 50 Vollzeitkräfte! [c]
2.2.2 Die Bearbeitung von PMK-Meldungen im LKA
Jede PMK-Meldung aus jeder sachbearbeitenden Dienststelle muss innerhalb der vorgegebenen Fristen an die Staatsschutzabteilung im LKA übermittelt werden. Nur in wenigen Bundesländern arbeiten LKA und sachbearbeitende Dienststelle mit dem gleichen IT-System und können die Informationen quasi innerhalb des Systems „weiterleiten“. [d].
2.2.2.1 Der zweite Medienbruch: Erfassung und Bearbeitung von PMK-Meldungen im LKA
In den anderen Fällen erhält das LKA ein Textdokument oder eine Datei. Die erste Aufgabe wird darin bestehen, die Rohinformationen aus diesem Dokument in das im LKA verwendete IT-System zu übernehmen.
In der Staatsschutzabteilung des LKA wird in aller Regel mit einem Fallbearbeitungssystem gearbeitet. Das ist das informationstechnische Werkzeug der Kriminalpolizei. Es ist also nur sinnvoll, wenn der erste Schritt im LKA darin besteht, den Input aus der sachbearbeitenden Dienststelle zu übertragen in das Fallbearbeitungssystem. Schließlich will man im Land auch einen kompletten Bestand sämtlicher Staatsschutzdelikte im landeseigenen Fallbearbeitungssystem haben.
Sobald die Daten erfasst sind, muss daraus eine PMK-Meldung gezimmert werden. Dazu ist es erforderlich, ein „Formular“ bzw. ein Textdokument zu erstellen, das im Aufbau den Vorgaben des KPMD-PMK entspricht. Man kann sich das so vorstellen, als würde ein entsprechendes Formular ausgefüllt. Beim Ausfüllen müssen Sachverhalte und Umstände mit Katalogbegriffen beschrieben werden. Dazu zählen die Umstände der Tat, etwaige Hinweise zum Auftreten der Tatverdächtigen und eine Kategorisierung der Straftat selbst und was daran „politisch motiviert“ war. Diese Zuordnungen werden später benötigt, um statistische Aussagen für die bundesweite Jahresstatistik der politisch relevanten Straftaten zu generieren. Und nicht zuletzt muss der Sachbearbeiter im LKA noch überprüfen, ob der beschriebene Sachverhalt der Tat überhaupt die Tatbestandsmerkmale für die angegebene Straftat erfüllt; bzw. andernfalls den „richtigen“ StGB-Paragraphen einsetzen. Wenn der Sachbearbeiter im LKA all dies erledigt hat, ist einige Zeit vergangen. Doch jetzt steht ein Entwurf für eine PMK-Meldung, die den Vorgaben der PMK-Richtlinie entspricht. Die entsprechenden Informationen sind im landeseigenen Fallbearbeitungssystem ebenfalls erfasst. Und somit ist ein großer Schritt nach vorne geschafft – für diese einzelne PMK-Meldung.
2.2.3 Die Übermittlung von PMK-Meldungen vom LKA an das BKA
Rein theoretisch besteht die Möglichkeit der elektronischen Übertragung richtlinienkonformer PMK-Meldungen vom LKA an das BKA. Dazu stellt das BKA eine Übertragungsmöglichkeit über die BLDS-Schnittstelle (blds) zur Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit (IF-IS) zur Verfügung. Das macht nur Sinn, wenn PMK-relevante Sachverhalte überhaupt im Fallbearbeitungssystem des LKA erfasst und aufbereitet sind (siehe oben). Und wenn das (Fallbearbeitungs-)System im LKA diese Schnittstelle korrekt „beliefern“ kann.
Ein PMK-Modul für das Fallbearbeitungssystem UND die entsprechende Transferoption via BLDS zu IF-IS ist dem Vernehmen nach eine sehr teure Angelegenheit. Die meisten Länder haben daher darauf verzichtet, sich diese Option zu beschaffen.
2.2.3.1 Medienbrüche 3 – bei der Übermittlung zwischen LKA und BKA
Die Nutzung der BLDS-Schnittstelle zur IF-IS ist die einzige Möglichkeit, um Informationen direkt aus dem Fallbearbeitungssystem des Landes „elektronisch“ von Datenbank zu Datenbank an das BKA zu übermitteln – und damit die erneute Erfassung zu ersparen. Diese Möglichkeit ist die am seltensten genutzte. Statt dessen werden die PMK-Meldungen mit einem dieser beiden Verfahren übermittelt:
- Erneute Erfassung direkt am IF-IS-„Terminal“ – umständlich und zeitaufwändig: In jeder Staatsschutzabteilung jedes LKA steht mindestens ein Rechner mit direktem Zugang zur Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit. Berechtigte Nutzer können über dieses „Terminal“ nicht nur Suchfragen stellen, sondern auch Informationen erfassen. Das eröffnet die Möglichkeit, die PMK-Meldungen des Landes an diesem Terminal einzugeben. Die Eingabe ist nicht sonderlich komfortabel und daher zeitaufwändig. Jede Straftat (mit Tatort, Tatzeit, Sachverhaltsbeschreibung und Tatumständen), jede verdächtige bzw. geschädigte Person, jede Adresse usw. bildet ein eigenes ‚Informationsobjekt‘. Die werden zunächst – jedes für sich – als „Objekte“ angelegt. Und in einem zweiten Schritt miteinander verknüpft, um anzugeben, wo eine Tat geschehen ist oder wer Geschädigter bzw. Tatverdächtiger der Straftat ist usw.
- Übermittlung als Textdokument vom LKA an das BKA: Es geht – aus Sicht des LKA – auch wesentlich einfacher: Man erstellt, wie oben beschrieben, eine PMK-Meldung entsprechend den Richtlinien, druckt das so ausgefüllte, mehrseitige Formular aus bzw. macht daraus ein Textdokument und übermittelt es – via Epost, Email oder Fax – an das BKA.
2.2.4 Wie PMK-Meldungen an das BKA die Datenbanken beim BKA speisen
Bei rund 41.500 PMK-Straftaten im vergangenen Jahr und mindestens einer Erst- und einer Abschlussmeldung pro Straftat laufen beim BKA pro Arbeitstag zwischen dreihundert und vierhundert PMK-Meldungen auf. Nur einen kleinen Teil davon liefern (wenige) Länder direkt über die BLDS-Schnittstelle bei der Inpol-Fall-Datei Innere Sicherheit an. Ein anderer kleiner Teil wird von den Ländern direkt ins Inpol-Fall-Terminal eingetippt.
2.2.4.1 Der vierte Medienbruch: Erneute Erfassung der PMK-Meldungen zur Aufnahme in die Verbund-Datenbank IF-IS
Doch das Gros der PMK-Meldungen kommt in Form von Textdokumenten beim BKA an – über Epost, per Fax oder Email. Doch wie wird aus diesen formularbasierten Texten ein Eintrag in der Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit?! Darüber herrscht Stillschweigen. Da Zauberkräfte ausgeschlossen werden können und eine vollautomatische Extraktion aus den Texten und Import in eine Datenbank (von uns jedenfalls) als nicht wahrscheinlich angenommen wird, bleibt nur ein Weg: Die Informationen werden abgetippt und so in die Verbund-Datenbank IF-IS übernommen. Dieses Verfahren ist wahrscheinlich, jedoch offiziell nicht bestätigt. Mit großem Interesse warten wir auf den oder die, die diese Fragen stellt UND darauf ehrliche Antworten vom BMI bzw. BKA erhält. Allerdings ist damit das Rätsel um die Journalisten und wie die Behauptung, sie seien linke Gewalttäter in BKA-Datenbanken kommt, noch lange nicht gelöst … Bevor wir uns dieser Frage wieder zuwenden, sei ein vorläufiges Résumé gezogen:
2.2.5 Ein vorläufiges Resumé: Die Medienbrüche im PMK-Meldeverfahren und ihre Folgen
Bis sie beim BKA angekommen ist, hat eine PMK-Meldung vier oder mehr Medienbrüche zu überwinden: Von der lokalen bzw. sachbearbeitenden Dienststelle bis zum LKA, beim LKA in eine den Richtlinien entsprechende Form und Struktur, dann vom LKA ins BKA und eventuell erneut im BKA durch nochmalige Erfassung dort – für die Aufnahme in die Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit.
An jeder Bruchstelle kommt es zu Veränderungen der Ausgangsinformationen, sei es durch Verkürzungen, Schreibfehler, versehentliche oder absichtliche Weglassungen, Umphrasierungen oder Umformulierungen und durch den Zwang, mit vorgegebenen Katalogbegriffen Umstände und Sachverhalte zu beschreiben, ohne die tatsächlichen Umstände und Sachverhalte selbst zu kennen und den Zwang aus unter Umständen mehrfach veränderten Tatbestandsmerkmalen den richtigen Paragraphen aus dem Strafgesetz zu bestimmen.
Fatal ist: Man sieht dem Endergebnis – der Information in der Datenbank beim BKA – auch gar nicht mehr an, wie eigentlich die Ausgangsinformation (der sachbearbeitenden Dienststelle) ausgesehen hat. Man kann auch nicht erkennen, wer wann, was und warum verändert, hinzugefügt oder weggelassen hat.
Somit bleibt als Fazit: Was in den Datenbanken des BKA an staatsschutzrelevanten Informationen steht, hat allenfalls noch teilweise etwas mit dem zu tun, was an Erkenntnissen auf der lokal zuständigen bzw. sachbearbeitenden Ebene vorhanden war und aufgenommen wurde. Ist es dann zulässig, solche Informationen zur Grundlage von politischen bzw. polizeilichen Entscheidungen zu machen, die für die Betroffenen weitreichende persönliche, finanzielle und berufliche Auswirkungen haben?! Gegen die sich die Betroffenen nicht wehren können, weil sie noch nicht einmal informiert werden über die Speicherung?! Wir meinen: Nein! Dieser Umgang mit personenbezogenen Informationen durch die Staatsschutzbehörden muss sich ganz dringend ändern! Das geht über die Forderung nach „Datenschutz“ in polizeilichen Informationssystemen weit hinaus. Hier geht es vielmehr um die Frage, ob Informationen in polizeilichen Datenbanken überhaupt noch in ausreichendem Umfang Fakten und objektiv festgestellte Sachverhalte wiedergeben.
3 Wie aus Journalisten linke Gewalttäter (gemacht) werden
In den Berichten über die vier Journalisten war von zwei BKA-Datenbanken die Rede: Eine mit dem Namen „Politisch motivierte Kriminalität“ und eine mit dem Namen „Gewalttäter Links“. Über diese beiden Datenbanken muss man sich Informationen zusammenkratzen, vor allem aus Antworten auf Anfragen im Deutschen Bundestag in den letzten zwei Wahlperioden. Daraus – und aus den oben beschriebenen Kenntnissen über den Weg von Informationen im polizeilichen Staatsschutz – ergeben sich weitere Hinweise, Anmerkungen und Fragen:
3.1 Inpol-Fall Innere Sicherheit
Im Bericht der Tagesschau Online [1] sind nur zwei Datenbanken namentlich bezeichnet: Eine Datei namens ‚Politisch motivierte Kriminalität‘ und die Daten „Gewalttäter Links‘.
Die Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit kommt in den Berichten über die Fälle dieser Journalisten gar nicht vor. Wir wissen aus den Beschreibungen des Meldeverfahrens für Politisch motivierte Kriminalität jedoch, dass und wie PMK-Meldungen entstehen und dass die entsprechenden Informationen in der Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit landen.
Es stellt sich also die Frage, wie, wann und durch wen dann eigentlich die inkriminierten Informationen über die genannten Journalisten in die Datenbanken PMK Links Zentral bzw. Gewalttäter Links gelangt sind. Ob sie überhaupt aus dem PMK-Meldeverfahren stammen. Und, wenn nicht, wer diese Informationen „erhoben“ und aufgrund welcher Rechtsgrundlage in den beiden Datenbanken gespeichert hat.
3.2 Die Zentraldatei PMK-links-Z
Eine Datei mit dem Namen „Politisch motivierte Kriminalität“ gibt es nicht. Wohl aber eine Datei „PMK-links-Z“, ausführlich „Politisch motivierte Kriminalität-links – Zentralstelle“. Zu dieser Datei findet man, dank einer Initiative von FragDenStaat, im Internet auch eine Errichtungsanordnung [5].
3.2.1 Zweck der Datei
Dazu heißt es in der Errichtungsanordnung: „Die Datei dient dem beim Bundeskriminalamt mit der Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität-links- beauftragten Referaten zur Sammlung und Auswertung der im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung anfallenden Informationen.“ [Weiter zum Zweck in 5, Ziff. 2.2]
3.2.2 Historische Rechtsverstöße in der Daten PMK-links-Z
Peter Schaar, der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, hatte 2012 einen Prüfbericht seiner Behörde zu dieser Datei vorgelegt und darin „zahlreiche Kritikpunkte und Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen“ aufgeführt. So seien in der Datei Personen gespeichert worden, ohne dass eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine Speicherung vorlag. Es wurden daraufhin interne Prüfungen beim BKA veranlasst mit der Folge, dass die Anzahl der Personen/Datensätze von 3.819 Personen/Datensätzen im März 2012 auf 331 Personen [sic!] zum Juli 2015 gesunken war. Im Rahmen dieser Überprüfung (beim BKA) habe man festgestellt, dass „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verantwortlichen Stellen in der Abteilung polizeilicher Staatsschutz hinsichtlich der bekannt gewordenen Defizite in der Bewertung der Personenkategorisierung“ sensibilisiert werden müssten [= 3].
3.2.3 Relationen! Relationen?!
Aus der gleichen Quelle ergibt sich die Zahl der Personen/Datensätze in der anzunehmenden Quelldatei, nämlich der IF-IS. Sie liegt im gleichen Zeitraum bei über 90.000 Personen. Aus einer vergleichbaren Angabe gegenüber dem Deutschen Bundestag [= 2] weiß man, dass rund ein Viertel der in der IF-IS gespeicherten Informationen dem linken Spektrum zugerechnet werden, das sind als rund 22.500 Personen/Datensätze. Lediglich 331 diese Personen, also gerade mal 1,5% waren auch in der PMK-links-Z enthalten.
Warum nun, zwei Jahre später, im Juli 2017, ausgerechnet Demonstrationsbeobachter und Fotojournalisten in dieser Datei gespeichert sind, wirft außerordentlich kritische Fragen auf. Und lässt darauf schließen, dass die angeblich erfolgte Sensibilisierung der Mitarbeiter im polizeilichen Staatsschutz hinsichtlich der Personenkategorisierung, dringend vertieft werden muss. Denn in der öffentlich gewordenen Errichtungsanordnung für diese Datei vom 02.04.2008, die sich im Internet findet [= 5], ist der „Personenkreis, über den Daten gespeichert werden“ [5, Ziff. 3] ausführlich beschrieben. Es bleibt den betroffenen Journalisten bzw. ihren Rechtsanwälten überlassen, die Speicherung schon deswegen anzugreifen, weil die Voraussetzungen der Errichtungsanordnung im jeweiligen Fall (wohl) nicht zutreffen. Und damit die gleichen Verstöße offenkundig werden, die der Bundesdatenschutzbeauftragte bereits vor fünf Jahren heftig kritisiert hat.
3.2.4 Die PMK-links-Z als Zentraldatei
Ausweislich der Errichtungsanordnung ist die Datenbank PMK-link-Z eine „Zentraldatei„. In Zentraldateien speichert das BKA selbst die von anderen Behörden übermittelten Daten ein und stellt sie anderen Behörden gegebenenfalls im automatisierten Abruf nach § 10 Abs. 7 BKAG bereit.“ [Fettung d. Verf.]
Die Informationen in der PMK-links-Z stammen also „von anderen Behörden“, wurden jedoch „vom BKA“ in die Datei eingespeichert. Wie oben beschrieben, ist angesichts der zahlreichen Medienbrüchen im PMK-Meldeverfahren überhaupt keine Aussage mehr möglich, ob und inwieweit die beim BKA ankommenden Informationen von anderen Behörden noch übereinstimmen mit dem, was die sachbearbeitende Dienststelle ursprünglich einmal abgeschickt hat. Es kann auch niemand mehr kontrollieren, was „das BKA einspeichert“ und was das zu tun hat mit dem, was beim BKA angekommen ist.
Dieses Verfahren der Erkenntnisgenerierung zum Zwecke der Vorbereitung von politischen bzw. polizeilichen Entscheidungen und Aktivitäten ist hochgradig anfällig für willentliche und unwillentliche Fehler und Manipulationen. Entscheidungen, die wie in den vorliegenden Fällen, einschneidende Auswirkungen auf die Person, ihren finanziellen Status und ihre Berufstätigkeit haben, auf so wenig gesicherte und auch nicht durch Akten, Fakten, Dokumente belegte Informationen zu stützen, ist fahrlässig, widerspricht dem Grundgesetz und der Strafprozessordnung und rechtsstaatlichen Prinzipien.
3.2.5 Schon wieder ein Medienbruch – diesmal in der Datei PMK-links-Z
Dass es bei Fahrzeugen „unter der Motorhaube“ erhebliche Unterschiede gibt, weiß inzwischen jeder Autofahrer und Zeitungleser. Diesel / Benziner dürften reichen als Stichworte. Ganz ähnlich ist das bei den Datenbanken. Auch dort gibt es „unter der Motorhaube“ Unterschiede (Fachleute sprechen von unterschiedlichen Datenbankstrukturen), die dafür sorgen, dass Datenbanken sehr inkompatibel werden, wenn es um den Austausch von Informationen geht. Die Verbund-Datenbank Inpol-Fall Innere Sicherheit, aus der die PMK-relevanten Informationen stammen, arbeitet mit Inpol-Fall, das impliziert eine so genannte generische Datenstruktur. Die Datenbank PMK-links-Z dagegen basiert auf dem Fallbearbeitungssystem b-case einer Variante von RSCase von Rola Security Solutions). Das verwendet eine andere, nicht generische Datenbankstruktur. Daraus folgt: Die Datenbanken von Inpol-Fall Innere Sicherheit und PMK-links-Z sind SEHR inkompatibel, verstehen sich also überhaupt nicht gut, wenn es um den (automatischen) Austausch von Informationen geht.
Aus dieser Tatsache und aus den gegenüber dem Bundestag angepriesenen, extrem geringen Zahlen an Personen/Datensätzen, die angeblich nur in dieser Datei gespeichert sind, ist zu folgern, dass sich die Entwicklung eines automatisierten Datentransfers von der IF-IS in die PMK-links-Z nicht gerechnet hat. Dass also die Übernahme „gewollter“ Daten von der IF-IS in die PMK-links-Z durch Mitarbeiter des politischen Staatsschutzes im Bundeskriminalamt intellektuell/händisch erfolgt. Und das wirft ein weiteres Mal die Frage auf, wer die Inhalte dieser Datenbank eigentlich aufgrund welcher belegten Sachverhalte bzw. nach welchen Interessen gestaltet.
Für eine Zentraldatei heißt es ja allgemein, dass das BKA die darin enthaltenen Informationen „anderen Behörden gegebenenfalls [sic?] im automatisierten Abruf nach § 10 Abs. 7 BKAG bereit.“ Wir unterstellen, dass im Falle von PMK-links-Z ein „automatisierter Abruf durch andere Behörden“ nicht verwirklicht ist. Denn keine andere Behörde – in den Ländern – hat das System b-case, um auf diese Zentraldatei zuzugreifen. Das bedeutet, dass jede Auskunft aus dieser Datei gegenüber Behörden außerhalb des BKA durch eine Anfrage beim BKA geschehen muss. was den Mitarbeitern im BKA eine exzellente Möglichkeit bietet, anhand der Anfragen mitzubekommen welche Behörde sich für welche Person interessiert.
3.3 Die Verbunddatei Gewalttäter Links
Über diese Daten heißt es in den Dokumenten des Bundestages: „Die Datei dient der Verhinderung und Verfolgung politisch motivierter Straftaten – Phänomenbereich „links“, insbesondere zur Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstigen Straftaten i.Z. mit Veranstaltungen und Nukleartransporten.“
Sie ist als Verbunddatei ausgewiesen: Solche Datenbanken führt das BKA nach § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) als Zentralstelle für das polizeiliche Informationswesen (INPOL); in diese Datenbanken können die Verbundteilnehmer [Polizeibehörden der Länder, Bundespolizei] die jeweils in eigener Zuständigkeit gewonnenen Daten selbst unmittelbar eingeben; in einer Verbunddatei werden Daten zum unmittelbaren Abruf für die Verbundteilnehmer bereitgehalten.
Aus [= 3] ist ferner bekannt, dass in dieser Datei im Juli 2015 1.193 Personen/Datensätze gespeichert waren. Eine Errichtungsanordnung zu dieser Datei ist bisher nicht öffentlich. Damit ist auch nicht bekannt, welcher Personenkreis aufgrund welcher Rechtsgrundlage in dieser Datei gespeichert wird. Es ist auch nicht bekannt, auf welcher technischen Grundlage – Inpol-Fall oder b-case – diese Datei eigentlich geführt wird und wie die Anlieferung entsprechender Informationen zur Einspeicherung in die Datenbank beim BKA eigentlich von statten geht.
Aus dem Fall des Fotografen Fl. Bo., über den die Tagesschau Online am Wochenende berichtete, ist jedoch bekannt, dass dieser das zweifelhafte Vergnügen hat, in dieser Datei unter verschiedenen Aktenzeichen und mit einer Speicherfrist bis 2026 (also eingestellt 2016!) gespeichert zu sein. Bekannt ist ferner, dass ihm sein angeblicher Widerstand gegen eine Polizistin, von der er sich nicht ohne jeglichen Protest hat anrempeln lassen, deren Strafanzeige einbrachte. Das alles könnte plausibel erklären, dass der Eintrag in ‚Gewalttäter links‘ durch den Verbundteilnehmer, das Land Berlin, erfolgt ist und zwar in Folge dieser Strafanzeige. Ob es tatsächlich so war, wird sicher der Anwalt des Fotografen Fl. Bo. klären, genauso wie die Frage, warum der Datensatz nach dem Freispruch für den Fotografen durch das Land Berlin nicht rückstandslos gelöscht wurde.
3.4 Zum Schluss
Beim G20-Gipfel ist es den Polizeibehörden dieses Landes, trotz des Aufgebots von rund 20.000 Polizeibeamten, nicht gelungen, die Sicherheit von Bewohnern und Demonstrationsteilnehmern und die Unversehrtheit des Eigentums von Anwohnern und Geschäftsinhabern zu gewährleisten. Die jetzt und nur stückchenweise ans Tageslicht kommenden Informationen über den Umgang mit Journalisten belegen eine völlig verschobenen Wahrnehmung vermeintlicher Risiken solcher Veranstaltungen in den Sicherheitsbehörden, und insbesondere in der Staatsschutzabteilung beim BKA. Mit geheim und von rechtstaatlicher jeglicher Kontrolle unabhängig agierender Staatspolizei hat dieses Land in den letzten achtzig Jahren schon zwei Mal sehr ungute Erfahrungen gemacht. Es darf sich dies nicht ein drittes Mal wiederholen …
Fußnoten
[a] Disclaimer: Die Autorin dieses Artikels war zwischen 1993 und 2013 Projektleiterin der Firma Polygon Visual Content Management GmbH für das polizeiliche Informationssystems Polygon und in diesem Zusammenhang leitende Entwicklerin von Fachanwendungen für den polizeilichen Staatsschutz.
[b] Epost in der Polizei eine Art Telexübermittlung via PCs und Datennetzen
[c] 83.000 Meldungen mal 20 Minuten mal 3 Verfahrensbeteiligte Dienststellen / 60 / 8 (Arbeitstunden pro Tag) / 210 (Arbeitstage pro Jahr)
[d] siehe auch ‚Workflow in polizeilichen Informationssystemen‘, 04.02.2016, Polygon
http://blog.polygon.de/pit/workflow-in-polizeilichen-informationssystemen-13471
Quellen
[1] Verwechslungen und Jugendsünden, 19.08.2015 – Stand: 05.04 Uhr, Tagesschau Online
https://www.tagesschau.de/ausland/g20-journalisten-101.html
[2] Umfang der zum Zwecke der Prävention geführten polizeilichen Daten, DBT-Drs. 17/14735, Deutscher Bundestag
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/147/1714735.pdf
[3] Staatsschutzdateien von Sicherheitsbehörden des Bundes, DBT-Drs. 18/5659, Deutscher Bundestag
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/056/1805659.pdf
[4] Polizeiliche Kriminalstatistik und Fallzahlen Politisch Motivierte Kriminalität 2016 vorgestellt, 24.04.2017, Bundesministerium des Innern
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/04/pks-und-pmk-2016.html
[5] Errichtungsanordnung für die Zentraldatei PMK-links-Z, 02.04.2008, Bundeskriminalamt, veröffentlicht über FragDenStaat
https://fragdenstaat.de/files/foi/603/ifg_bka_pmk-links_eao.pdf
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2 Gedanken zu „Wie Journalisten zu Gewalttätern (gemacht) werden“
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