Datenschutz vs. Sicherheitsbedarf: Die hitzige Debatte über Bundes-VeRA im Bundestag

Am 1.12.2023 beriet der Bundestag über den Antrag der CDU/CSU, mit dem die Entscheidung von Bundesinnenministerin Faeser revidiert werden soll, zunächst auf den Einsatz der Palantir-Software für BKA und Bundespolizei zu verzichten. |Lesedauer: Ca. 9 Minuten

Was ist doch gleich nochmal „Bundes-VeRA“?!

„Bundes-VeRA“, so wurde inzwischen die Datenanalysesoftware auf Basis des Systems Gotham der US-Firma Palantir getauft.

„Bundes“-, weil interessierte Kreise sie lieber heute als morgen auf Bundesebene, also insbesondere bei BKA einsetzen möchten.

„VeRA“, weil sie hervorgegangen ist aus dem System zur „verfahrensübergreifenden Analyse und Recherche“, das durch die Firma Palantir für die zwecke des bayerischen Landeskriminalamts angepasst wurde.

Eine besondere Konstruktion im Beschaffungsverfahren der Bayern würde es ermöglichen, dass BKA und Bundespolizei als Sekundärauftraggeber sich ebenfalls diesem Beschaffungsverfahren anschließen. Ferner könnte jedes weitere Bundesland, das dazu die Mittel hat und dessen Polizeigesetze dies ermöglichen, sich dieser Beschaffung anschließen.

Zum Verfahrensstand im Bundestag

Am 27.11.23 reichte die CDU/CSU-Fraktion ihren Antrag ein. Polemisch beginnt die Überschrift mit „Handlungsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden sichern – …“, anmaßend geht sie weiter mit „Entscheidung des Bundesministeriums des Innern … bezüglich der polizeilichen Analyse-Software Bundes-VeRA revidieren.“

Dazu zwei Anmerkungen vorweg:

  1. Die Handlungsfähigkeit „der Strafverfolgungsbehörden“ ist nicht, wie unterstellt wird, vom EInsatz einer Software bei BKA und Bundespolizei abhängig. Unter anderem schon deshalb nicht, weil für die Strafverfolgung auf breiter Front die Polizeibehörden der Länder zuständig sind und sowohl BKA als auch Bundespolizei in diesem Zusammenhang jeweils unterschiedliche, jedoch in beiden Fällen begrenzte Zuständigkeiten haben.
  2. Ein Ministerium per Mehrheitsbeschluss des Deutschen Bundestages zur Rücknahme einer getroffenen Entscheidung zu veranlassen, wäre meiner Ansicht nach ein Novum und so im Grundgesetz nicht vorgesehen. Denn ein Bundesministerium ist Teil der Exekutive, der Bundestag ist Teil der Legislative. Er kann nicht direkt in die laufende Verwaltungsarbeit der Exekutive eingreifen und Entscheidungen per Beschluss erzwingen.

Der Antrag liest sich in Teilen wie eines dieser Politpamphlete einer Polizeigewerkschaft, enthält schräge Argumente und unbewiesene Behauptungen, denen man ansieht, aus welchen Quellen sie stammen. Vor allem aber erstaunt mich, warum ausgerechnet CDU/CSU jetzt mit solchen Forderungen aus dem Busch kommen, nachdem sie durchgängig seit 2005 den Bundesinnenminister stellten; in diesen nahe zu zwanzig Jahren aber genau die Misere in der polizeilichen Informationstechnik mitverursacht und damit auch mit zu verantworten haben, deren Folgen sie jetzt scheinheilig beklagen.

Die AfD schloss sich einen Tag später mit einem eigenen Antrag an.

Beratung über den Antrag am 1.12.2023

Schon vier Tage später stand eine Beratung über die beiden Anträge auf der Tagesordnung des Bundestags. Angesetzt war eine Dreiviertelstunde, bei der Mitglieder des Innenausschusses der jeweiligen Fraktion die jeweilige Position unterstrichen.

ChatGPT, für solche Zwecke ein wirklich nützliches Werkzeug, lieferte eine Zusammenfassung der neun Redebeiträge insgesamt (falls Sie die volle Länge interessiert, auf den Seiten 70 mit 82 des Plenarprotokolls vom 1.12.23 ist sie zu finden) und fasste diese Einzelbeiträge anschließend nach politischen Lagern zusammen. Das Ergebnis folgt unten:

Argumente und Forderungen von CDU/CSU und AfD

In den Redebeiträgen von Dr. Stefan Heck, Moritz Oppelt und Alexander Hoffmann der CDU/CSU sowie Dr. Christian Wirth der AfD steht die Verteidigung und Befürwortung des Systems VeRA/Palantir im Mittelpunkt. Alle vier Redner heben hervor, dass die Technologie entscheidend zur Modernisierung und Effizienzsteigerung der polizeilichen IT-Infrastruktur beiträgt und zur Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität wie Terrorismus, Clankriminalität und Kinderpornografie essenziell ist.

Gemeinsame Argumente:

  • Notwendigkeit für Sicherheit: Alle Redner betonen die dringende Notwendigkeit des Systems, um auf aktuelle und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen effektiv reagieren zu können. Sie argumentieren, dass die Verzögerung oder Ablehnung von VeRA/Palantir die Sicherheit Deutschlands gefährdet.
  • Bereits erzielte Erfolge: Mehrere Redner weisen auf konkrete Erfolge hin, die mit VeRA/Palantir erzielt wurden, wie die Verhinderung eines Terroranschlags und die Aufklärung des Missbrauchskomplexes Bergisch Gladbach.
  • Kritik an Alternativplänen: Es wird kritisiert, dass die Pläne der Regierung zur Entwicklung einer eigenen Software zeitaufwendig und ineffizient seien. Die Abhängigkeit von dieser Eigenentwicklung wird als Risiko dargestellt, das die unmittelbare Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden beeinträchtigt.

Unterschiede in den Ansätzen:

  • Politische Kritik und Rhetorik: Während Dr. Stefan Heck und Moritz Oppelt die Regierungsfraktionen für ihre Haltung kritisieren und die Entscheidung des Bundesinnenministeriums infrage stellen, fokussiert Alexander Hoffmann stärker auf die umfassenden sicherheitspolitischen Herausforderungen und die Bedeutung einer modernen Sicherheitsarchitektur. Dr. Christian Wirth (AfD) legt einen speziellen Fokus auf unmittelbaren Ereignisse und Beispiele, die seiner Ansicht nach die Notwendigkeit des EInsatzes von VeRA/Palantir unterstreichen(siehe dazu meinen Kommentar unten).
  • Antiamerikanische Ressentiments: Moritz Oppelt erwähnt angeblich antiamerikanische Ressentiments als einen Grund für die Ablehnung von VeRA/Palantir durch die Ampelkoalition, ein Aspekt, der in den anderen Reden weniger betont wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Redner sich einig sind über die Vorteile und die Notwendigkeit des Einsatzes von VeRA/Palantir, jedoch in der Darstellung der politischen und administrativen Hindernisse variieren.

Argumente und Forderungen der Abgeordneten der Ampel und der Linken

In den Redebeiträgen der Abgeordneten Martina Renner (Die Linke), Sebastian Hartmann und Sebastian Fiedler (SPD), Marcel Emmerich (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Manuel Höferlin (FDP) werden ausführliche Bedenken gegenüber der Nutzung des Systems VeRA/Palantir im Rahmen der Strafverfolgung geäußert. Hier sind die zentralen Argumente und Beispiele, die von den Rednern vorgebracht wurden, sowie die Unterschiede in ihren Ansätzen:

Gemeinsame Argumente:

  1. Kritik am Lobbyismus: Alle Redner kritisieren die CDU/CSU für die wahrgenommene Lobbyarbeit für Palantir. Martina Renner hebt speziell die Finanzierung durch die CIA und die Verbindungen zu umstrittenen Persönlichkeiten hervor, was auch von anderen Rednern als Problem gesehen wird.
  2. Datenschutzbedenken: Durchgehend wird die Sorge um den Datenschutz betont, insbesondere die Bedenken, dass der Einsatz von Palantir die Datenschutzstandards untergraben könnte. Marcel Emmerich und Sebastian Hartmann weisen auf die Notwendigkeit hin, dass jede Lösung hohe Datenschutzstandards erfüllen muss. [Genauer geht allerdings keiner der REde auf diese „Datnschutzproblematk“ ein, siehe dazu meinen Kommentar unten.]
  3. Forderung nach Unabhängigkeit: Die Abgeordneten fordern eine hersteller-unabhängige Lösung, die nicht von außereuropäischen Einflüssen abhängig ist. Dies bezieht sich auf die Souveränität im Bereich der Sicherheitstechnologien und die Notwendigkeit, europäische oder deutsche Lösungen zu bevorzugen.

Unterschiede in den Ansätzen:

  1. Fokus auf politische und historische Kontexte: Martina Renner hebt speziell die historische Unterstützung der CDU/CSU für fragwürdige Sicherheitsunternehmen hervor und verknüpft dies mit einem breiteren Muster entsprechender politischer Entscheidungen.
  2. Technische und strukturelle Erwägungen: Sebastian Fiedler spricht spezifisch über die technischen Herausforderungen bei der Modernisierung der IT-Infrastruktur der Polizei und betont die Notwendigkeit eines eigenen Datenhauses beim BKA zur Verbesserung des Datenschutzes und der Datenverfügbarkeit.
  3. Appell an die Demokratie: Martina Renner schließt ihre Rede mit einem starken Appell an die Demokratie und stellt Lobbyismus als eine ernsthafte Bedrohung für die demokratischen Prozesse dar.

Zusammenfassend zeigen die Redebeiträge eine klare Ablehnung der Nutzung von VeRA/Palantir aus Datenschutzgründen, Bedenken gegenüber der Abhängigkeit von einem umstrittenen amerikanischen Systemhersteller und Kritik an der als solcher wahrgenommenen Lobbyarbeit der CDU/CSU für dieses spezifische System. Die Redner plädieren für eine herstellerunabhängige, datenschutzkonforme Lösung, die die Souveränität und Rechtsstaatlichkeit Deutschlands stärkt.

Mein Kommentar dazu

Es ist ermüdend, immer wieder die gleichen zwei Beispiele angeblicher Erfolgsgeschichten zu hören, wie z.B. vom angeblich verhinderten Terroranschlag 2018 in Hessen durch einen jungen Iraker bei dem 75gr Schwarzpulver gefunden worden waren.

Dass mit mehr Befugnissen für die Polizei und Wunschausstattung angeblich Terroranschläge vermieden, Clankriminalität bekämpft und Kinderpornografie eingedämmt werden könne, hören wir nun seit zwanzig Jahren. Wie passt diese (unbewiesene) Behauptung zum Anschlag vom Breitscheidplatz oder dem in Hanau, zum Verschwinden einer 100kg- schweren Goldmünze aus einem Berliner Museum oder dem Raubzug im Dredner Grünen Gewölbe? Wäre es nicht endlich an der Zeit, solche unhaltbaren „Versprechungen“ sein zu lassen und auf gleicher Höhe zwischen Politik/Polizei und Bürgern über Machbares und Sinnvolles in der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu sprechen?

Warum spielt eine Grundforderung des Verfassungsgerichts – dass nur gekennzeichnete personenbezogene Daten aus Quelldatensystemen zru Datenanalyse herangezogen werden dürfen – überhaupt keine Rolle in allen Beiträgen? Weil das BKA nicht kann, was technisch machbar wäre?!

Die Antragsteller brauchten erstaunlich lange für ihre Initiative: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit deutlichen EInschränkungen zum Betrieb der Palantir-Software lag da schon zehn Monate auf dem Tisch, die vom Verfassungsgericht bis 30.9.23 angemahnte Neufassung einer rechtskonformen Regelung für den Betrieb von HessenData war zum gesetzten Termin veröffntlicht worden.

Mit den Anforderungen des Verfassungsgerichts im Einzelnen hat sich keiner der Redner auseinandergesetzt. Die Oppositionsvertreter erwähnten das Verfassungsgericht nur, wenn es ihnen nützte, z.B. die AfD-Fraktion in ihrem Antrag, dass das Verfassungsgericht „die Nutzung der Palantir-Software nicht grundsätzlich untersagt“ habe.

Sebastian Fiedler (SPD) lieferte den faktenreichsten Beitrag, wies insbesondere auf die Tatsache hin, dass das angekündigte neue „Gemeinsame Datenhaus“ im BKA eine wesentliche Grundlage für die Quelldatensysteme sei, um rechtskonform gekennzeichnete Daten für das Datenanalysesystem zur Verfügung zu stellen.

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