Neues BKA-Gesetz beschlossen:
Datenbanken der Polizei noch auf weitere Jahre Großbaustelle

Im Bundestag wurde heute mit den Stimmen der Regierungsfraktionen deren Gesetzentwurf für das grundlegend neu strukturierte Gesetz für das Bundeskriminalamt verabschiedet. Mit dem Gesetz werden Regelungen im aktuell noch gültigen Bundeskriminalamtsgesetz abgelöst, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 20. April 2016 für nichtig bzw. für verfassungswidrig erklärt hatte.
Unter dem Schirm dieser vom Verfassungsgericht veranlassten Änderungen wird auch die gesetzliche Grundlage geschaffen wird für ein komplett neues Informationssystem für die Polizeibehörden von Bund und Ländern. Sachverständige bezweifeln dessen Umsetzbarkeit und Verfassungsmäßigkeit. Doch selbst wenn das ehrgeizige Vorhaben gelingen sollte: Die polizeilichen Informationssysteme bleiben für weitere Jahre Großbaustelle; die so oft beschworene Risiken des Extremismus und Terrorismus werden damit keinen Deut kleiner.

(Der hier vorliegende Bericht über die heutigen Beratungen zum Gesetz und die Beschlussfassung beschränkt sich auf Aspekte der polizeilichen IT-Infrastruktur im Gesetz.)

Screenshot von der Übertragung aus dem Bundestag; Abstimmung über das neue BKA-Gesetz am 27.04.2017

Das Bild der Regierungsvertreter über die aktuelle IT-Infrastruktur der Polizei

Bundeskanzlerin Merkel ist seit 2005 die Regierungschefin, die SPD war von 2005 bis 2009 und wieder seit 2013 Mitglied der großen (Regierungs-)Koalition. Die Unionsfraktion stellte während der gesamten Regierungszeit den Bundesinnenminister, dieser wiederum ist der oberste Dienstvorgesetzte für das Bundeskriminalamt und damit auch politisch verantwortlich für die dort derzeit verfügbare IT-Infrastruktur.

PIAV – das letzte IT-Projekt dieses Innenministers …

Seit 2007 wurde unter der Geleitzugführung des Bundeskriminalamts am PIAV, dem polizeilichen Informations- und Analyseverbund gearbeitet. Der PIAV sollte das zentrale System werden, mit dem die Länder- und Bundespolizeibehörden (hier gemeint als die polizeilich-operativ arbeitenden Einrichtungen, Bundespolizei und Bundeskriminalamt (für Terrorbekämpfung) in die Lage versetzt werden, in sämtlichen kriminalpolizeilichen Deliktsbereichen Informationen miteinander auszutauschen. Die Zahl der Dokumente, allein aus dem Bundestag ist Legion, in denen dem Parlament und der Öffentlichkeit erklärt wurde, dass es der PIAV ermöglichen werde, „Tat-Tat-“ bzw. „Tat-Täterzusammenhänge zu erkennen“. Dieses Versprechen gab der Innenminister heute ab für das jetzt völlig neu geplante IT-System.

Für den PIAV wurden allein auf Bundesebene mindestens 60 Millionen € ausgegeben, die Kosten der Länder sind nirgends bekannt gemacht worden (wohl aus gutem Grund) insgesamt dürften sich die bisher aufgelaufenen Kosten nach unseren eigenen Schätzungen auf weit über 100 Million Euro belaufen. Die Einführung des Projekts hatte sich um mehr als zwei Jahre verzögert, letztendlich fanden sich auf der Webseite des BKA erstmals im Februar diesen Jahres vorsichtige Mitteilungen über die Aufnahme des Wirkbetriebs in einem einzelnen und funktional einfachen Deliktsbereich. Zur Technik des PIAV sei lediglich erwähnt, dass die Systemtechnik für das PIAV-Zentralsystem beim BKA vom Bundesministerium des Innern für das BKA erst im Jahr 2013 beschafft wurde. Selbstverständlich handelt es sich um ein Datenbank-gestütztes System, auf der Basis des modernen Datenbanken-Betriebssystems von Oracle und auf entsprechend leistungsfähiger Hardware aufsetzend. (Mehr zum PIAV in [1].)

Wenn man dies alles weiß, kann nur noch Kopfschütteln hervorrufen, welchen Bären Bundesinnenminister De Maizière und Ullrich Grötsch, der Berichterstatter der SPD im Innenausschuss, sowie andere Innenpolitiker der GroKo heute dem Parlament und der (weitgehend uninformierten) Öffentlichkeit aufgebunden haben:

Bär Nr. 1: Die IT-Infrastruktur des BKA stammt aus den siebziger Jahren …“

Die „Dateninfrastruktur des BKA stammt aus den siebziger Jahren“, sie ist „dateigestützt„; „wir sollen mit einer (sic!) zentralen Datenbank“ und mit einer „komplett neuen IT-Architektur“ ins 21. Jahrhundert. Das waren Kernaussagen des Innenministers und von Rednern der Union und der SPD.

Die einzelnen Behauptungen sind schlicht und einfach falsch: Weder beim BKA, noch in den polizeilichen Informationssystemen der Länderpolizeien werden die hier relevanten Informationen in „Dateien“ gespeichert. Richtig ist vielmehr, dass sowohl beim BKA als auch bei sämtlichen Länderpolizeibehörden entsprechende Datenbanksysteme, die allermeisten auf der Basis von Oracle, betrieben werden.

Fragwürdige IT-Kompetenz der Regierungsvertreter

Die Frage muss gestellt werden, ob sowohl der oberste Verantwortliche, nämlich der Bundesinnenminister, als auch ein wichtiger Innenpolitiker der SPD, noch immer nicht verstanden haben, was eine Datei ist und was eine Datenbank. Oder ob dieser Unsinn wider besseren Wissens den anderen Parlamentariern und vor allem der Öffentlichkeit verkauft wird.

Wer ist eigentlich verantwortlich für die (angeblich) so veraltete IT-Infrastruktur und das aktuelle IT-Desaster?!

Geradezu erschütternd ist, dass die Frage nach der Verantwortung nicht gestellt wird. Denn die politische Verantwortung für das bisherige Scheitern des PIAV und dafür, dass es bis heute beim BKA keine zum Informationsaustausch in allen Deliktsbereiche fähigen IT-Infrastruktur gibt, liegt bei dieser Regierung und insbesondere beim unionsgeführten Bundesinnenministerium.

Ist die Beißhemmung aus den Oppositionsfraktionen gegenüber Abgeordneten-Kollegen so groß, dass man es nicht wagt, die Frage nach der Verantwortung zu stellen?! Und auch nicht Rechenschaft dafür verlangt, was eigentlich mit den vielen Millionen erreicht worden ist, die bisher für PIAV ausgegeben worden sind?! Oder ist auch bei der Opposition das notwendige Grundverständnis für informationstechnische Basiskonzepte nicht vorhanden? Was erklären würde, dass man aus den Reihen der Opposition vor allem Anmerkungen zu „oppositions-affinen“ Themen hörte, wie Fußfesseln oder Staatstrojaner / Online-Durchsuchung.

Keine Analyse der bisherigen Fehler: Warum sollte es beim dritten Anlauf nicht wieder ein Flop werden?!

Es gibt das alte Sprichwort, „den Bock zum Gärtner machen“. Das fällt einem zumindest ein, wenn man sich vor Augen führt, dass das Bundesinnenministerium und sein BKA seit den heute mehrfach zitierten siebziger Jahren schon mehrfach vollmundig viel versprochen haben und kläglich gescheitert sind bei der Einführung wirklich funktionsfähiger IT-Verbundsysteme für die Polizeien von Bund und Ländern:

  • Da war der große Flop von INPOL-neu Anfang der 2000er Jahre: Damit sollte die IT-Technik der siebziger Jahre, nämlich Datenbanken auf Großrechnern von Siemens bzw. IBM abgelöst werden durch frei auf dem Markt käufliche Server-Hardware, Arbeitsplatz-Computer und entsprechende System- und Anwendungssoftware. Auch damals hat man komplett neu aufgesetzt (wenn auch klammheimlich und ohne es groß an die Glocke zu hängen) und mit dem Inpol-Neu-Neu über Jahre hinweg dann zumindest ein System auf die Beine gestellt, das in der Lage war, die Fahndungsdatenbanken und sonstige zentrale Auskunftssysteme für sämtliche Polizeibehörden zur Verfügung zu stellen.
  • dann kam der Flop mit INPOL-Fall und der Bund-Länder-Datei-Schnittstelle (BLDS), ein technisch richtiger Ansatz, den das BKA aus befremdlichen Gründen in den Sand gesetzt hat.
  • Der nächste Flop war dann PIAV, über den wir oben schon berichtet hatten.

(Ausführlicher sind diese Flops dargestellt in ‚Eine kurze Geschichte der bisher gescheiterten polizeilichen IT-Projekte‘ in [2].)

Wäre es dann nicht an der Zeit, sich zu fragen, warum eigentlich das Gros aller IT-Projekte unter der Führung des Bundesinnenministers [und zwar nicht nur solche für die Polizeibehörden – siehe 3] regelmäßig ganz scheitern, viel zu viel Geld kosten, erheblich hinter dem ursprünglichen Zeitplan bleiben und in der Regel dann – mühsam verborgen vor der Öffentlichkeit – ein System in Betrieb geht, das im Vergleich zu den ursprünglichen Ankündigungen einen kümmerlichen Funktionsumfang aufweist. Eine solche Fehleranalyse wäre mehr als angebracht in der aktuellen Situation. Wenn schon die Vertreter der Großen Koalition nicht auf die Idee kommen, dass auch in den von ihnen geführten Ministerien und Behörden Fehler passieren, sollte man zumindest von den Vertretern der Oppositionsparteien erwarten können, dass sie diesen Punkt aufs Tapet bringen und auf Aufklärung drängen. Bevor nun zum dritten Mal vollmundige Ankündigungen gemacht werden, deren Ergebnisse – leider – schon heute absehbar sind.

Bär Nr. 2: Der angeblich so gute Datenschutz und die Protokollierung

Bär Nr. 2, den der Minister und seine Mitstreiter aus der großen Koalition heute dem Parlament auf die Nase banden, betraf den Datenschutz und die Protokollierung. Dabei geht es um die zentralen Fragen, wie im zukünftigen polizeilichen Informationssystem mit den personenbezogenen Daten von betroffenen Bürgern umgegangen wird. Und nur am Rande seit erwähnt, dass in Zukunft eigentlich jeder „Betroffener“ werden kann, also Lieferant von Informationen für das polizeiliche Informationssystem.

Der Bundesinnenminister erzählte allen Ernstes, dass im neuen System eine „Vollprotokollierung aller DV Vorgänge“ vorgesehen sei. Oder auch, dass gekennzeichnet wird, „in welchem Umfang das jeweilige Datum weiterverarbeitet werden kann“. Auch diese Behauptungen sind schlichtweg falsch. Entsprechende Regelungen sucht man im Gesetzestext vergeblich.

Gravierende Bedenken gegen den Gesetzentwurf von Experten – wurden einfach ignoriert

Ganz im Gegenteil gab es im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens viele und begründete Zweifel: Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf bereits angezweifelt, „ob das … Datenschutzkonzept die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts überhaupt in ausreichender Weise umsetzt und (ob) die Neustrukturierung des Datenverbundes bzw. der IT-Architektur den verfassungsrechtlichen Anforderungen hinreichend gerecht wird“. In der Anhörung des Innenausschusses hatte Dr. Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin davor gewarnt, dass durch das neue Gesetz die das Datenschutzrecht leitenden Grundsätze der Datensparsamkeit und der Zweckbindung in ihr Gegenteil verkehrt würden. Ein Vertreter der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte in der gleichen Anhörung ausgeführt, dass „all das, was in den letzten Jahrzehnten seit dem Volkszählungsurteil an datenschutzrechtlichen Sicherungen im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt worden sei, jetzt abgelöst werden soll“ und ein dritter Jurist, Professor Dr. Matthias Bäcker, warnte davor, dass die geplante IT-Neustrukturierung ihre Ziele sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in polizeipraktischer Perspektive verfehlen würde und rät daher dringend dazu, zunächst eine umfassende verfassungsrechtliche und gesetzgebungstechnische Analyse durchzuführen. (Ausführlichere Darstellung der Kritik der Sachverständigen in [4]). Solche massiven Warnungen von Sachverständigen verfingen allerdings nicht bei den Vertretern der Regierungsfraktionen. Anhörungen werden anscheinend nur durchgeführt, um formellen Anforderungen Genüge zu tun.

„Besoffen“ von der Vision eines neuen Systems

Die Vertreter der GroKo schienen in ihrem heutigen Auftreten vor dem Bundestag geradezu „besoffen“ zu sein von der Möglichkeit, das Alte raus zu werfen und die gesamte IT-Infrastruktur neu aufzusetzen. POLICE-IT erhielt auf Anfrage vom BMI übrigens die Bestätigung, dass wirklich alles „Alte“ raussoll, also auch das inzwischen gut funktionierende und eingeführte INPOL-System mit den Fahndungsdatenbanken und den Auskunftssystemen. Die Politiker scheinen zu glauben, dass ein neues System automatisch die bisherigen Probleme beseitigt.

Haben Politiker nie gehört: „Carefully change a running system“

Die vielen tausend Menschen in diesem Land, die praktische Erfahrungen haben in der Entwicklung, Einführung und Pflege von Informationssystemen für komplexe Einsatzanforderungen werden mit uns gemeinsam den Kopf schütteln darüber, mit welcher Blauäugigkeit hier Entscheidungen von Personen getroffen werden, die offensichtlich von den technischen Gegebenheiten und der Komplexität der Gesamtaufgabe nur sehr begrenzte Vorstellungen haben.

Bär Nr. 3: Kennzeichnung und Nutzung von vorhandenen Daten

Bär Nr. 3 betraf die Verwendbarkeit von Daten, die – vor allem in den Informationssystemen der Länder – vorhanden sind und im neuen System weiterverarbeitet werden sollen. Vor allem die beiden Redner für die SPD, Ulrich Grötsch und Susanne Mittag, scheinen zu glauben, dass eine von ihnen angestoßene Änderung hier zu einer Verbesserung geführt hat. Grötsch erklärte, es sei darum gegangen, den Aufwand der Länder zur Vorbereitung ihrer Daten für die Aufnahme in das neue IT-System so gering wie möglich zu halten. Das sei gelungen, die neue Regelung sei praxistauglich „wir haben das abgeprüft“.

Wer Scheuklappen aufhat, mag dies so sehen. Wer den heute beschlossenen Gesetzestext – mit den letzten Änderungen – dagegen genau liest, ist vom Blitz getroffen: In der ursprünglichen Fassung war noch vorgesehen, dass personenbezogene Daten hinsichtlich ihrer Verwendung zumindest rudimentär zu kennzeichnen sind. Das ist inzwischen komplett vom Tisch.

Trotz gesetzlicher Anforderung: Fehlende Kennzeichnung in den vorhandenen Systemen

Diese Anforderung ist übrigens nicht neu: Solche rudimentären Kennzeichnungen werden heute schon verlangt – teilweise von der Strafprozessordnung, teilweise von den Polizeigesetzen, die für die jeweilige Bundes- bzw. Landespolizeibehörde gelten: Tatsache ist allerdings, dass so gut wie keines der heute verwendeten polizeilichen Informationssysteme in der Lage ist, diese heute schon gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnungen auch tatsächlich vorzunehmen. Tatsache ist ferner – so meine persönliche Erfahrung -, dass die Verantwortlichen in den entsprechenden Behörden diese gesetzlichen Anforderungen auch geflissentlich ignoriert haben, getreu dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Und wer kann schon als Außenstehender in polizeiliche Informationssysteme hineinschauen?!

Was sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für das neue BKA Gesetz dann getan hat, bestätigt diesen Vorwurf. Denn entsprechende Kennzeichnungen sind in den aktuellen Datenbeständen offensichtlich nicht vorhanden. Im ursprünglichen Gesetzestext wurde aber verlangt, dass nur entsprechend gekennzeichnete Daten verarbeitet und übermittelt werden dürfen. Ein Problem also! Um dieser Anforderung zu genügen, hätten die vorhandenen Systeme aufgerüstet werden müssen, um die (heute schon geltenden) Kennzeichnungsanforderungen überhaupt erfüllen zu können. (Ob dies überhaupt möglich ist, steht auf einem anderen Blatt …) Anschließend hätten die entsprechenden Kennzeichen dann für alle betroffenen Personen-Daten mit entsprechendem personellen Aufwand nachgepflegt werden müssen. Verständlich, dass die Länder Sturm gelaufen sein dürften, gegen diese Kennzeichnungspflicht.

Neu aufgenommene „Übergangsregelung“ erlaubt Nutzung nicht gekennzeichneter Altdaten

Also hat man in den letzten Tagen noch eine Änderung vorgenommen, den die SPD als großen Fortschritt verkauft hat: Er besteht darin dass man eine Übergangsregelung als Paragrafen 91 in das neue Gesetz aufgenommen hat. Während nach der ursprünglichen Fassung Informationen die nicht gekennzeichnet waren, auch nicht hätten weiterverarbeitet oder übermittelt werden dürfen, dürfen sie nach der neuen Regelung durchaus genutzt werden. Details dazu sind in entsprechenden Errichtungsanordnungen (für heute deliktsspezifisch geführte Datenbanken /-sammlungen) zu regeln.

Die Errichtungsanordnungen erstellt das BMI …

Diese bis zum Inkrafttreten des neuen BKA-Gesetzes Ende Mai 2018 auszuarbeiten, ist Sache des Bundesinnenministeriums. Man muss kein Hellseher sein, um davon auszugehen, dass bis dahin Errichtungsanordnungen für sämtliche Datensammlungen vorliegen werden, die so allgemein gefasst sein werden, dass vorhandene, bisher nicht gekennzeichnete Altdatenbestände ohne großen, weiteren Aufwand ins neue System übernommen werden können.

Einwirkungen des Gesetzgebers auf diese Errichtungsanordnungen sind nicht möglich. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat lediglich das Recht gehört zu werden.

Ds neue BKA-Gesetz als Schlussstein im Konzept des „Digitalen Tsunami“

Mit dem heutigen Beschluss hat die in Fragen der Inneren Sicherheit meinungsführende Unionsfraktion den leichteren Teil des Gesetzgebungsverfahrens hinter sich gebracht.

Absehbare Verbesserungen für Polizisten?!

Für mehr als 200.000 Polizeimitarbeiter geht der Kampf und Kampf mit der polizeilichen Informationstechnik für weitere Jahre weiter, wenn dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten sollte.

Absehbare Auswirkungen auf die „Innere Sicherheit“ und den nächsten Anschlagsfall

Stephan Mayer, CSU, sprach in der Aussprache heute von der „größten Terrorgefahr„, der das Land jemals ausgesetzt war. Warum ausgerechnet in dieser Situation komplett ersetzt werden soll, was bisher – mal mehr, mal weniger gut – funktioniert, bleibt das Geheimnis der GroKo. Ob Verbesserungen am bestehenden System überhaupt geprüft worden sind, ist nirgends zu ersehen. Die Entscheidung für etwas „völlig Neues“ ist fahrlässig und völlig unprofessionell in dieser Situation. Sie lässt auch erkennen, dass die so oft beschworene Terrorgefahr ein willkommenes Argument zur Durchsetzung politischer Ziele ist. Und dass es den betreffenden Politikern gar nicht ernsthaft darum geht, Risiken zu erkennen und rasch und effektiv zu begrenzen.

Einschneidende Auswirkungen für alle Bürger

De Maizière sprach heute von einem „besonderen Tag“, an dem „wir die Früchte der Arbeit der vergangenen Monate ernten“. Denn heute wird der Bundestag ja noch eine Reihe weiterer Gesetze beschließen, die im wahrsten Sinne des Wortes einschneidend sind für Bürgerrechte, weil sie die staatliche Überwachung und Speicherung von Daten „auf Vorrat“ enorm erleichtern.

Bürger müssen sich darauf einstellen, dass selbst derjenige, der gutwillig einen Hinweis bei der Polizei abliefert – oder ganz modern ins Hinweisportal beim BKA einstellt – im neuen System gespeichert wird und jegliches weitere Ereignis im Zusammenhang mit seiner Person dazu führen kann, dass der entsprechende polizeiliche Datensatz über ihn weitergeführt und fortgeschrieben wird. Die rechtlichen Möglichkeiten zu erfahren, was Polizei eigentlich über mich gespeichert hat, sind außerordentlich bescheiden. Wenn man gar nicht weiß, was über einen gespeichert ist, demzufolge auch unmöglich, für eine Korrektur falsch gespeicherter Informationen zu sorgen.

Die neue politische Vision: Daten als Rohstoff für das 21. Jahrhundert …

Die Bundeskanzlerin, der Innenminister und z.B. auch der Verkehrsminister Dobrindt haben in den vergangenen Monaten neue Töne angeschlagen, wenn es um Datennutzung geht. Sie reden jetzt von der Notwendigkeit des Abwägens zwischen Datennutzung und Datenschutz, davon, dass es „kein Eigentum“ an Daten gebe und dass Daten der „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ seien.

Mit einem zentralen polizeilichen Informationssystem beim BKA, für dessen Realisierung heute ein erster, formeller Schritt getan wurde, entstünde ein gigantischer Informationspool, der nahezu über jeden Bürger Informationen enthält über Berührungen des einzelnen mit dem Strafrecht, den vielen strafrechtlichen Nebengesetzen, und mit jeglichen Ereignissen, bei denen Kontakte zur Polizei bestanden.

Es wäre dies ein Schlussstein in einer von langer Hand erdachten staatlichen Datenbanken-Infrastruktur, die davon lebt, dass staatliche Stellen – weitgehend unkontrollierbar – über ein lückenloses Bild der Existenz und der Aktivitäten jedes einzelnen verfügen: Denn vieles davon existiert schon längst:

  • Die elektronische Gesundheitskarte,
  • ein zentralisiertes Meldewesen,
  • Waffen- und Kfz-Register,
  • weitgehend vollautomatische Bearbeitung von Steuerklärungen,
  • Protokollierung von Flugreisen (mit dem neuen Fluggastdatengesetz),
  • umfassende Speicherung von Finanztransaktionen (u.a. mit dem neuen Geldwäschegesetz), sowie
  • die in Kürze zu erwartende umfassende Speicherung von KFZ-Bewegungsdaten dank des neuen Maut- bzw. „Infrastrukturabgabengesetzes“.

Da Konzept vom Digitalen Tsunami

Das Konzept dazu ist zehn Jahre alt: Es stammt aus einem offiziellen Dokument des Rats der Europäischen Union [5], das von der so genannten ‚Zukunftsgruppe‘ vorgelegt wurde. Dr. Wolfgang Schäuble, der damalige Bundesinnenminister im Kabinett Merkel I, gilt als der Vater dieser klandestinen Gruppe.

„Jedes Objekt, das ein Mensch benutzt, jede Transaktion, die er macht und beinahe jeder Geschäftsgang oder jede Reise, die er unternimmt, erzeugt einen detaillierten digitalen Datensatz. Dies generiert einen wahren Schatz an Information für öffentliche Sicherheitsorganisationen und eröffnet gigantische Möglichkeiten zur Steigerung der Effektivität und Produktivität der öffentlichen Sicherheit.“

(Fettung durch die Autorin.)

Somit liegt die Hoffnung darauf, dass dieses Gesetz nicht in Kraft tritt, nur noch bei den Ländern: Denn sollte das Gesetz auch den Bundesrat passieren, ist mit weiteren zehn Jahren zu rechnen, bis auch dieses BKA-Gesetz, wie dessen aktuell gültige Fassung, vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden sein wird.

Quellen und verwandte Beiträge

[1]   Alles zum Polizeilichen Informations- und Analyseverbund, POLICE-IT
https://police-it.net/themenseiten_piav_uebersicht

[2]   Unkeusche Begründungen im Entwurf zum neuen BKA-Gesetz, 07.04.2017, CIVES
http://cives.de/unkeusche-begruendungen-im-entwurf-zum-neuen-bka-gesetz-4788

[3]    Massive Kritik des Bundesrechnungshofs an IT-Projekten des Bundes, 23.10.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/massive-kritik-des-rechnungshofs-an-it-projekten-des-bundes

[4]   ’Kritik der Sachverständigen am Entwurf für das BKA-Gesetz‘ in ‚Mit der Brechstange: Wie die GroKo ihr neues BKA-Gesetz durchsetzen will‘, 18.04.2017, POLICE-IT
https://police-it.net/mit-der-brechstange-wie-die-groko-ihr-neues-bka-gesetz-durchsetzen-will

[5]   Public Security, Privacy and Technology in Europe: Moving Forward – Concept paper on the European strategy to transform Public security organizations in a Connected World, Portugal 2007

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