Neues BKA-Gesetz: Polizeiarbeit soll Bundessache werden

Vier Wochen nach seinen ‚Leitlinien‘ für einen starken Staat legt Bundesinnenminister De Maizière nun ein völlig neu konzipiertes Gesetz für das Bundeskriminalamt vor. Es sei die notwendige „rechtliche Grundlage“ für eine Modernisierung des polizeilichen IT-Wesens. Der Blick in die 164 Seiten ergibt ganz anderes: Das Bundeskriminalamt soll faktisch zum Herrn über die Polizeiarbeit gemacht werden. Denn die Länder werden verpflichtet, verbundrelevante Informationen beim BKA abzuliefern. Der Minister macht damit immer deutlicher, dass er daran arbeitet, das Trennungsgebot zu kippen, um Polizei und Verfassungsschutz unter der Führung seines Hauses zusammen zu fassen.

Staatsstreich auf leisen Sohlen wird vollendet: Ein völlig neues Bundeskriminalamtsgesetz macht das BKA zum Herrn der meisten polizeilichen Verfahren

Man ist vom Bundesinnenminister einiges gewohnt: Seine markigen Sprüche vor den Mikrofonen oder seine pompösen Ankündigungen. Wenn wieder einmal die Sicherheitsbehörden in diesem Land krass versagt haben, kann man auf eines wetten: De Maizière und die Behörden seines Hauses waren nicht schuld. Das war so im Falle NSU, das ist so im Falle Anis Amri. Ja, ganz im Gegenteil:


Wie völliges Versagen von BMI und BKA in Profit umgemünzt wird …

Inzwischen begreift De Maizière Fehler als Gelegenheit: Er nutzt sie, um daraus Profit zu schlagen. Auf Kritik des Bundesverfassungsgerichts an Gesetzentwürfen seines Hauses reagiert er mit einem virtuellen Stinkefinger: Das überarbeitete Gesetz, behauptet er, berücksichtige die Kritik, was ja kaum jemand nachprüft. Faktisch kommt eine Fassung raus, die noch weniger verfassungsmäßig ist als die ursprünglich beanstandete Fassung.

Zu beidem lieferte er in diesen Tagen sein Meisterstück ab. Das zunächst harmlos daherkommt in Gestalt einer Presseerklärung des BMI [1] mit dem vollmundigen Titel „Ein übergreifendes Informationssystem in sicherheitspolitisch herausfordernden Zeiten“: Darin wird der Startschuss verkündet für ‚Polizei 2020‘, das Label für eine grundlegende Modernisierung der polizeilichen IT-Systeme. Die ist mit Sicherheit nicht nur notwendig, sondern auch mehr als überfällig.

Denn die aktuelle Situation ist gekennzeichnet durch vertikaler Inkompatibilität zwischen den polizeilichen Informationssystemen innerhalb jeder Polizeibehörde und horizontaler Inkompatibilität zwischen den Fallbearbeitungssystemen der Polizeibehörden von Bund und Ländern. Niemand wird dem Innenminister also widersprechen, dass das polizeilichen Informationswesen dringend zu modernisieren ist.

Das neue BKA-Gesetz stellt die bisherige Architektur und Aufgabenverteilung der Polizei in Deutschland auf den Kopf

Es löst allerdings größte Bedenken aus, dass De Maiziére den gerade genannten, zustimmungsfähigen Sachverhalt dazu missbraucht, seinen Staatsstreich auf leisen Sohlen [2, 3] zu vollenden. Sein Haus hat nämlich ein umfassend geändertes, ja eigentlich ein völlig neu abgefasstes Bundeskriminalamtsgesetz [4] vorgelegt, das gestern bereits vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Dieser Gesetzentwurf ist weitaus mehr als nur „der rechtliche Rahmen für eine grundlegende Modernisierung der polizeilichen IT-Systeme“, wie in der Pressemitteilung behauptet wird.

Vielmehr rüttelt der Gesetzentwurf an der bisherigen Architektur und Aufgabenverteilung der Polizeibehörden von Bund und Ländern.

Polizeiarbeit mag nach wie vor Ländersache sein. Faktisch wird das BMI und das BKA jedoch Herr aller Verfahren: Denn für die Länder besteht nunmehr die Pflicht zur Anlieferung „verbundrelevanter“ Informationen bei dem neuen, ‚einheitlichen Verbundsystem‘, das vom BKA zur Verfügung gestellt wird. Verbundrelevant sind personenbezogene Daten, die für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung von Bedeutung sind. Welche Straftaten „nach allgemeiner krimiminalistischer Erfahrung“ diese Voraussetzungen erfüllen, also die Verpflichtung zur Anlieferung beim Verbundsystem auslösen, sollen „die am Verbundsystem teilnehmenden Stellen unter Beteiligung der jeweils zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden“ selbst festlegen.

Polizeiarbeit ist Ländersache – nur noch bei Ordnungswidrigkeiten und Kleinstkriminalität

Das wird darauf hinauslaufen, dass die Polizeiarbeit nur noch bei Ordnungswidrigkeiten und Angelegenheiten der Kleinstkriminalität tatsächlich „Ländersache“ ist und entsprechende Informationen nur im polizeilichen Informationssystem des jeweiligen Landes gespeichert werden und dort verbleiben.

Das ‚einheitliche Verbundsystem‘ soll ein gigantischer Datentopf werden über alle Personen, die überhaupt mit Polizei zu tun hatten

In allen anderen Fällen sind die Informationen beim Verbundsystem des BKA anzuliefern. Es wird dort also eine gigantischer Datentopf entstehen, der die Daten aller Personen enthält, die mit Polizeiarbeit in Berührung kamen [abgesehen von den oben genannten Fällen der Ordnungswidrigkeiten und der Kleinstkriminalität]. Egal, ob es sich um gefahrenabwehrende Maßnahmen handelt, wozu schon eine Kontrolle gehören kann. Oder um eine Strafverfolgungsmaßnahme.

Auf die Rolle der Person im jeweiligen Verfahren kommt es dabei nicht an: Gespeichert werden können Tatverdächtige und Beschuldigte, Geschädigte, Zeugen und Hinweisgeber, sowie Familienangehörige und Kontaktpersonen.

Zu den personenbezogenen Daten jeder Person gehört nicht nur die eigentliche Personalie und eventuell die biometrischen Merkmale des Individuums. Personenbezogene Daten sind nach aktueller Rechtsprechung vielmehr auch

  • die Adressen von Wohn-, Aufenthalts- und Arbeitsorten,
  • Informationen zum Arbeitgeber,
  • Telefonnummern,
  • Emailkonten,
  • genutzte oder auf die Person registrierte Fahrzeuge,
  • Waffen(rechtliche Genehmigungen), sowie
  • sämtliche Ausweise und
  • sonstige Berechtigungsscheine.

Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten und dem Zollkriminalamt

Das Bundeskriminalamt kann projektbezogene, gemeinsame Dateien mit den Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, sowie dem Zollkriminalamt (= Bundesfinanzpolizei) errichten. Sie dienen dem „Austausch und der gemeinsamen Auswertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen“ und sind anwendbar für einen zwar fest umrissenen, jedoch weit gefassten Katalog von Straftaten.

Weitergabe von Daten an Stellen im In- und Ausland

Das Bundeskriminalamt kann die Daten im innerstaatlichen Bereich an Behörden und andere öffentliche Stellen weitergeben, ferner an öffentliche und nicht-öffentliche Stellen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“, sowie an Polizei- und Justizbehörden, sowie an sonstige für die Verhütung der Verfolgung von Straftaten zuständige öffentliche Stellen in Drittstaaten übermitteln.

Stärkung des Datenschutzes?!

Sowohl im Gesetzentwurf – dort gleich auf Seite 1 – als auch in der Pressemitteilung ist von einer angeblichen Stärkung des Datenschutzes die Rede. Ja, behauptet wird sogar, dass die derzeitigen polizeilichen Informationssysteme eine gesetzeskonforme Beachtung der datenschutzrechtlichen Anforderungen gar nicht erlaubt hätten und daher zu ersetzen sind. Da fragt man sich einerseits, ob eine Speicherung personenbezogener Daten in diesen Systemen, wie sie aktuell zigtausendfach täglich erfolgt, überhaupt zulässig ist.
Der Behauptung vom stärkeren Datenschutz widerspricht die Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfDI) am gleichen Tag ausdrücklich [5]. Sie sagt nämlich:

„Die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Kontrollbefugnisse der BfDI im Bereich Polizei und Justiz und außerhalb des Geltungsbereichs des EU-Rechts wurden deutlich beschränkt. Gerade für heimliche Datenerhebungen ist eine unabhängige Kontrolle jedoch zwingend notwendig. Anstatt jedoch das Vertrauen der Bürger in die staatliche Datenerhebung in diesem Bereich zu verbessern, erhält die BfDI hier keinerlei Durchsetzungsbefugnisse, möglich sind nur nicht-bindende Beanstandungen. Dies ist europarechtswidrig und auch in der Sache falsch. Laut der EU-Richtlinie sollten Datenschutzaufsichtsbehörden zumindest die Möglichkeit haben, die Rechtmäßigkeit bestimmter Verarbeitungsvorgänge gerichtlich überprüfen zu lassen.“

Zweifel an der IT- und Projektmanagement-Kompetenz des Bundesinnenministeriums

Man kann auch nicht großzügig darüber hinwegsehen, dass das Bundesinnenministerium des Innern und das BKA die Hauptverantwortlichen waren für das grandiose Scheitern von zwei Leuchtturmprojekten zur Modernisierung des polizeilichen Informationswesens in Deutschland.

Inpol-Neu-Neu

Die Rede ist von Inpol-Neu, das neue Verbundsystem von Bund und Ländern für Fahndungs- und Auskunftszwecke. Das Projekt müßte eigentlich Inpol-Neu-Neu heißen, musste doch das ursprünglich (beim BKA mit Hilfe von T-Systems) entwickelte Inpol-Neu klammheimlich ersetzt werden durch ein ganz anderes System (Polas aus Hamburg). Wesentliche Anforderungen, die ursprünglich an Inpol-Neu gestellt worden waren, mussten fallen gelassen werden. Dazu gehörte insbesondere die Vereinheitlichung der Datenbanken für die polizeilichen Meldedienste.

Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV)

Gerade letzteres Problem sollte gelöst werden mit dem PIAV, dem Polizeilichen Informations- und Analyseverbund. Auch diese Entwicklung, insbesondere die für das PIAV-Zentralsystem, lag federführend beim BKA. Allein aus Bundesmitteln wurden (mindestens) 62 Millionen Euro in den letzten Jahren in den PIAV gesteckt. Dabei herausgekommen ist so gut wie nichts [7]. Nachdem im Mai 2016 eine erste, funktional marginale Ausbaustufe nach mehrjähriger Projektverzögerung in Betrieb ging, ist von dem weiteren Ausbau auf die ursprünglich geplanten sieben Ausbaustufen inzwischen keine Rede mehr.

Versprechen vom „einheitlichen Fallbearbeitungssystem“ (eFBS)

Die Länder, aufgrund der Föderalismusreform II und der damit verbundenen Schuldenbremse ohnehin knapp mit Investitionsmitteln [mehr dazu in 3], mussten Millionen investieren, um ihre polizeilichen Informationssysteme fit zu machen für den PIAV. Diese Investitionen sind nun weitgehend verloren.

In dieser Situation winkt der Bund, dessen Taschen schier überquellen von Geld (900 Millionen sollen allein für die Informationstechnik der Sicherheitsbehörden im Haushalt eingestellt sein), nun mit einem „einheitlichen Fallbearbeitungssystem“, das den Ländern „kostenneutral“ zur Verfügung gestellt werden soll. Ein Schachzug, der es den Ländern erleichtern soll, einer Überlassung von eigenen polizeilichen Befugnissen an den Bund zuzustimmen. Der angesichts der Haushaltslage, vor allem in kleineren Ländern, aber auch eine schlichte haushalterische Notwendigkeit sein kann.

Kritik des Bundesrechnungshofs

Extrem schlechte Noten vergab vor wenigen Jahren auch der Bundesrechnungshof für andere, nicht-polizeiliche IT-Projekte im Geschäftsbereich des BMI. Egal ob es um Deutschland Online Infrastruktur bzw. die „Netze des Bundes“ ging, oder um BOS, den Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Der Bundesrechnungshof prognostizierte …

„Die Bundesregierung wird komplexe IT-Projekte … nur dann im zeitlichen und finanziellen Rahmen erfolgreich beenden, wenn sie ihre IT-Steuerung grundlegend verändert. Sie muss

  • eigenes Know-How stärken,
  • das Großprojektmanagement professionalisieren,
  • Verantwortung und Kompetenzen in der Verwaltung bündeln,
  • Risiken durch die Vergabe von geeigneten Gewerken abschichten
  • und Verträge durch Leistungsanreize und angemessene Vertragsstrafen durchsetzen.

Diese Erfahrungen und Bewertungen lassen es zweifelhaft erscheinen, ob das BMI die richtige und ausreichend kompetente Behörde für die Umsetzung eines so ambitionierten Vorhabens ist, wie der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens. Umso mehr, als Minister De Maizière mit seinen ‚Leitlinien‘ [6] vor einem Monat eine Zentralisierung der Verfassungsschutzbehörden unter dem Dach des Bundesamts für Verfassungsschutz angeregt hat und mit dem nun vorgelegten BKA-Gesetzentwurf die Führungsrolle des Bundeskriminalamts für die Polizeibehörden der Länder beansprucht.
Eine Trennung von Nachrichtendiensten und Polizei ist im Trennungsgebot aus guten Gründen verankert. Der Minister macht immer deutlicher, dass er daran arbeitet, das Trennungsgebot zu kippen, um Polizei und Verfassungsschutz unter der Führung seines Hauses zusammen zu fassen.

Quellen

[1]   Ein über­grei­fen­des In­for­ma­ti­ons­sys­tem in si­cher­heits­po­li­tisch her­aus­for­dern­den Zei­ten, 01.02.2017, Bundesministerium des Innern
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/02/bkag-neu.html

[2]   Anmerkungen zur den Leitlinien des Bundesinnenministers für einen starken Staat in schwierigen Zeiten: Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 1, 03.01.2017, CIVES
http://cives.de/staatsstreich-auf-leisen-sohlen-teil-1-4054

[3]   Auswirkungen der Schuldenbremse auf die Sicherheitsarchitektur in Deutschland: Staatsstreich auf leisen Sohlen – Teil 2, 13.01.2017, CIVES
http://cives.de/schuldenbremse-sicherheitsarchitektur-staatsstreit-teil2-4220

[4]   Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes, 01.02.2017, Bundesministerium des Innern
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzestexte/Entwuerfe/entwurf-bkag.pdf?__blob=publicationFile

[5]   EU-Datenschutz: Anpassungs- und Umsetzungsgesetz muss nachgebessert werden!, 01.02.2017, Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2017/02_Bundesdatenschutzgesetz_neu.html?nn=5217040

[6]   Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten, 03.01.2017, Abdruck eines „Interviews“ mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf der Webseite des Bundesministeriums des Inneren
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Namensartikel/DE/2017/namensartikel-faz.html

[7]   Übersicht von Artikeln zum PIAV; dem Polizeilichen Informations- und Analyseverbund, POLICE-IT
https://police-it.net/dossiers/pit-piav-alle-beitraege

[8]   Fachbegriffe einfach erklärt: Was ist eigentlich das Trennungsgebot?, POLICE-IT
https://police-it.net/trennungsgebot-fachbegriffe

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