Update vom 25.08.2021: Im Unternehmensregister wurde am 24.08.2021 der Jahresabschluss für 2019 der Palantir Technologies GmbH, bestehend aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, sowie Lagebericht und Anhang veröffentlicht.
Palantir Technologies GmbH, der deutsche Ableger des umstrittenen US-Anbieters und Favorit deutscher Polizeibehörden bei Big Data-Analyse- und Auswertungssystemen, ist der Offenlegungspflicht für seinen Jahresabschluss 2019 bisher nicht nachgekommen. Das zuständige Bundesamt für Justiz hat deshalb nach Auskunft des Amtes gegenüber POLICE-IT ein Ordnungsgeldverfahren eingeleitet..
Grund für diese Ordnungswidrigkeit könnte die seit gegenüber 2017 geradezu explodierte Bilanzsumme im Geschäftsjahr 2018 sein: Sie schnellte hoch auf rund 72 Millionen Euro, fast das Neunfache des Vergleichswerts aus 2017!. Doch schon ab 20 Mio Euro Bilanzsumme und einem entsprechenden Umsatz in zwei aufeinanderfolgenden Jahren qualifiziert sich ein Unternehmen als ‚Große Kapitalgesellschaft‘: Das zieht die Verpflichtung zur besonders ausführlichen Offenlegung nach sich, wozu neben der Bilanz auch die Gewinn- und Verlustrechnung gehören, ein Anhang zum Jahresabschluss und ein Lagebericht. Das ist neu, denn bis zum Jahr 2018 durfte Palantir als ‚Kleine Kapitalgesellschaft‘ nur sehr verkürzte Informationen zur geschäftlichen Entwicklung und finanziellen Situation offenlegen.
Offensichtlich haben die aktuellen Kunden von Palantir, die Polizeibehörden aus Hessen (Projekt Hessendata) bzw. Nordrhein-Westfalen (Projekt DAR) diese Ordnungswidrigkeit entweder nicht bemerkt oder die Nicht-Einhaltung der Offenlegungspflicht durch Palantir stillschweigend ignoriert. Gleiches gilt für das Landeskriminalamt Bayern, dem federführenden Auftraggeber für das Projekt VeRA (= „Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform“), für das aktuell ein Teilnahmewettbewerb läuft, der bis zum Jahresende 2021 entschieden werden soll. Als Ergebnis von VeRA soll ein Rahmenvertrag abgeschlossen werden mit dem LKA Bayern als ‚Primärauftraggeber‘, den drei Polizeibehörden des Bundes als ‚Sekundärauftraggeber I‘ und beitrittswilligen Behörden aus den 15 anderen Bundesländer als ‚Sekundärauftraggeber II‘.
Das dröhnende Schweigen der deutschen Innenministerien und Polizeibehörden mit Geschäftskontakten zu Palantir verstärkt den Eindruck des einvernehmlichen, kollusiven Zusammenhaltens und Strebens nach maximaler Intransparenz gegenüber der Öffentlichkeit und politischen Kontrollinstanzen durch die aktuellen und zukünftigen Auftraggeber und Palantir als Auftragnehmer und favorisierten Vertragspartner für das zukünftige Analyse- und Auswertungssystem für sämtliche Polizeibehörden in Deutschland. | Lesedauer: Ca. 10 Minuten
Maximale Intransparenz bei Aufträgen deutscher Polizeibehörden an Palantir
Selbst wenn Palantir auch 2019 eine Bilanzsumme von lediglich mehr als 20 Millionen Euro (ein gesetzlich festgelegter Schwellenwert) erreicht haben sollte und einen Umsatz von mehr als 40 Millionen, dann gilt das Unternehmen nach §267 Handelsgesetzbuch als ‚große Kapitalgesellschaft‘. Als solche ist auch Palantir verpflichtet, besonders ausführliche Unterlagen zur Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, einen Anhang dazu und einen Lagebericht offen zu legen. Die Palantir-Mutter in den Vereinigten Staaten hat sich in der Vergangenheit jedoch eher durch eine sehr „zurückhaltende Informationspolitik“ ausgezeichnet, wie die Neue Zürcher Zeitung bemerkte [2]. Das gilt bisher in gleicher Weise für die deutsche Tochter.
Im letzten, im Unternehmensregister veröffentlichten Jahresabschluss für 2018 weist Palantir Technologies GmbH liquide Mittel von 71,8 Millionen Euro aus. Ein drohendes Ordnungsgeld von bis zu 25.000 Euro dürfte den im März 2021 neu berufenen Geschäftsführer aus Amerika also kaum beeindrucken. Allerdings ist es übliche Praxis beim Bundesamt für Justiz, so lange weitere Ordnungsgelder zu verhängen, bis die erforderlichen Unterlagen tatsächlich offengelegt sind. Warten wir also ab, wie diese Kraftprobe ausgeht.
Beeinträchtigt von dieser eigenmächtigen Weigerung des gehätschelten Favoriten deutscher Innenminister für polizeiliche IT-Analyse- und Auswertungs-Systeme, sind Wettbewerber, Geschäftspartner, vor allem aber die Steuerzahler. Denn mit deren Geld wurden 2018 Palantir-Analysesysteme in Hessen (Hessendata) [3] beschafft und seit Anfang 2020 in Nordrhein-Westfalen (DAR) [4]. Seit Anfang 2021 läuft ein befremdlich intransparentes Vergabeverfahren des Landeskriminalamts Bayern für das Projekt VerA [5]; ein Teilnahmewettbewerb, dessen wesentliche Mindestanforderungen auf Palantir zugeschnitten sind und der bis zum Jahresende 2021 entschieden werden soll [6]. Mit dem siegreichen Auftragnehmer, aller Voraussicht nach also mit Palantir, soll ein Rahmenvertrag abgeschlossen werden, dem sich die Polizeibehörden des Bundes (BKA, Bundespolizei, Zollkriminalbehörden) als „Sekundärauftragnehmer I“ anschließen können, sowie die 15 Polizeibehörden der anderen Bundesländer (außer Bayern) als „Sekundärauftragnehmer II“ [7]. Faktisch geht es also bei dem Projekt VerA um die Beschaffung des zukünftigen Analyse- und Auswertungssystems für sämtliche Polizeibehörden in ganz Deutschland. Da wäre es sinnvoll, an den Auftragnehmer besonders strenge Anforderungen an dessen Zuverlässigkeit zu stellen!
Doch es bleibt nicht bei diesem intransparenten, kollusiven Vergabeverfahren sämtlicher Polizeibehörden des Bundes und der Länder bei der Vergabe eines Rahmenvertrages in dreistelliger Millionenhöhe. Auf diese Größenordnung schätzen wir das Auftragsvolumen hochgerechnet für die nächsten Jahre. Auch die Mindestanforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in der VerA-Auftragsbekanntmachung sind zugeschnitten auf den Favoriten Palantir. Verlangt wird nämlich ein Referenzsystem für die „verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform“ für „mindestens 100 Benutzer“ an/für eine deutsche oder kerneuropäische Sicherheitsbehörde, welches „mängelfrei abgenommen“ ist und sich „im Wirkbetrieb“ befindet. Dieses Leistungsportfolio kann – den Innenministern Beuth in Hessen und Reul in Nordrhein-Westfalen sei Dank für ihre Beauftragung seit 2018 – wohl nur Palantir vorweisen.
Die gleichen aktuellen und zukünftigen Nutzerbehörden, die die Anschaffung von Palantir-Systemen nach Kräften fördern, scheint nicht im Mindesten zu interessieren, dass ihr Favorit die im (§325 des) Handelsgesetzbuchs verankerte Pflicht zur Offenlegung seiner Finanz- und Wirtschaftsdaten und zur Vorlage eines ausführlichen Lageberichts bisher (Stand: 19.08.2021) ignoriert und aussitzt.
Dieses ostentative Wegsehen könnte auch im eigenen Interesse dieser Auftraggeberbehörden liegen: Denn transparent offengelegte Geschäftszahlen, insbesondere eine Gewinn- und Verlustrechnung mit Umsätzen und Kosten für das Geschäftsjahr 2019, könnten darüber aufklären, wie es Palantir seit 2017 geschafft hat, zur ‚großen Kapitalgesellschaft‘ im Sinne des §267 des HGB zu werden. Dies umso mehr, als wir weder für 2018 noch für 2019 aus dem Sektor der deutschen Sicherheitsbehörden relevante BEKANNTMACHUNGEN ÜBER AUFTRÄGE an Palantir gefunden haben. Woher stammen also die liquiden Mittel, die die Bank und Kassenkonten von Palantir von 2017 auf 2018 um das Neunfache auf rund 72 Millionen Euro haben wachsen lassen?
Die aktuellen Auftraggeber und alle zukünftigen deutschen Polizeibehörden, die mit Palantir-Systemen ausgestattet werden, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie diese Ordnungswidrigkeit des Auftragnehmer-Favoriten tatsächlich nicht bemerkt haben oder ob dies Teil einer gemeinsamen Intransparenzstrategie von Auftraggebern und des Unternehmens Palantir ist. Um auf diese Weise geheim zu halten, dass und wieviel Geld die deutschen Sicherheitsbehörden seit 2018 tatsächlich bereits in dieses Unternehmen gepumpt haben und wozu sie sich für die nächsten Jahre vertraglich verpflichtet haben.
- Völlig offen ist übrigens auch, wie das „Öllampen-Geschäftsmodell“ von Palantir [8] in der mittleren Zukunft in die Haushalte der deutschen Polizeibehörden passen soll. In den Vereinigten Staaten jedenfalls haben mehrere große Polizeibehörden sich wieder von Palantir gelöst, weil sie die ständig steigenden Kosten nicht aufbringen konnten bzw. wollten [in 8].
- Zwischen dem New York Police Department (NYPD) und Palantir entstand eine Debatte darüber, wer eigentlich Eigentümer der Analyse-Ergebnisse ist, die mit dem Palantir-System produziert wurden. Wohl gemerkt: Es geht hier nicht um die DATEN, die das NYPD in das System eingespeist hat, sondern um die Analyse-ERGEBNISSE, die das Palantir-System daraus gewonnen hat. [in 8]
- Und dann bliebe für die deutschen Polizeibehörden – trotz ihrer ausschweifend weit (im Hinblick auf Palantir?!) abgefassten neuen Polizeiaufgabengesetze – noch die Kardinalfrage, die heute schon die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern und zunehmend mehr Bürger umtreibt: Was diese Systeme eigentlich mit den personenbezogenen Informationen über die Menschen in Deutschland anstellen [9].
ZUVERLÄSSIGKEIT, wozu neben der Einrichtung von Steuern und Abgaben auch die Einhaltung der in diesem Lande geltenden Gesetze zählt, war früher einmal ein wichtiges Kriterium für Auftragnehmer öffentlicher Beschaffungen. Diese Anforderung wurde offenbar ersetzt durch gemeinsames Streben nach höchstmöglicher Intransparenz und Geheimhaltung durch Auftraggeber und Auftragnehmer. In einem Maße, das man aus dem Glashaus deutscher Politik und Leitmedien sonst gerne anderen Ländern im Kontext möglicher Korruptionsrisiken vorwirft.
Hintergründe und Fakten zur Offenlegungspflicht der Palantir Technologies GmbH
Rechtsgrundlage für die Offenlegung
§325 des Handelsgesetzbuches verpflichtet deutsche Kapitalgesellschaften, also auch die Palantir Technologies GmbH, spätestens ein Jahr nach Ende eines Geschäftsjahres zur Offenlegung des festgestellten Jahresabschlusses. Die Unterlagen sind beim Bundesanzeiger einzureichen und werden nach Prüfung i.d.R. innerhalb weniger Tage im Unternehmensregister veröffentlicht. Dort können sie von jedermann online eingesehen werden.
Mehr Transparenz durch Offenlegung
Mit der Offenlegung soll „die Transparenz und Öffentlichkeit der buchhalterischen und finanziellen Situation des Unternehmens erhöht werden. Ferner stellt sie einen Ausgleich zur Haftungsbeschränkung von Kapitalgesellschaften dar und dient der Verwirklichung eines effektiven Gläubigerschutzes, sowie eines wirksamen Schutzes des Geschäftsverkehrs.“
Schwellenwerte für eine große Kapitalgesellschaft
Der Umfang der offenzulegenden Unterlagen richtet sich nach der in §267 HGB definierten Unternehmensgröße. Große Kapitalgesellschaften müssen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden drei Merkmale überschreiten:
- 20 Mio Euro Bilanzsumme,
- 40 Mio Euro Umsatz im Geschäftsjahr,
- im Jahresdurchschnitt mehr als 250 Arbeitnehmer.
Im Geschäftsjahr 2018 wies Palantir Technologies GmbH erstmals eine Bilanzsumme oberhalb des Schwellenwertes aus, nämlich 72,825 Mio Euro; das ist rund das Neunfache der Bilanzsumme des Jahres 2017. Eine Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) war in diesem ersten Jahr als ‚große‘ Kapitalgesellschaft noch nicht zu veröffentlichen. Der Jahresumsatz, dedr sich nur aus der GuV ablesen lässt, bliebt also – getreu dem Palantir-Motto – „so wenig Transparenz wie nur möglich“ – geheim.
Wir gehen davon aus, dass Palantir Technologies GmbH auch im Geschäftsjahr 2019 die Schwellenwerte von 20 Mio Euro Bilanzsumme und einen Umsatz zwischen 12 und 40 Mio Euro überschritten hat. Damit gilt das Unternehmen als mittelgroße Kapitalgesellschaft und ist demzufolge verpflichtet, folgende Unterlagen beim Bundesanzeiger einzureichen:
- Bilanz
- Gewinn- und Verlustrechnung
- Anhang zum Jahresabschluss
- sowie den Lagebericht
- und den entsprechenden Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers
Die Offenlegungspflichten für eine deutsche Kapitalgesellschaft dieser Größenklasse sind also im Umfang vergleichbar mit den Publizitätspflichten für eine börsennotierte US-Kapitalgesellschaft, der das amerikanische Mutterunternehmen von Palantir seit dem Börsengang im Spätsommer 2020 unterliegt und anscheinend auch nachkommt.
Die steilen Wachstumskurven der deutschen Palantir-Tochter ab 2018
Am letzten, zulässigerweise in verkürzter Form veröffentlichten Jahresabschluss der deutschen Palantir-Tochter (für 2018) fiel der steile Zuwachs zum Vorjahr auf. Die Bilanzsumme explodierte förmlich von 8,221 Mio auf 72,825 Mio Euro. Aus einem Verlust von -167.400 Euro im Jahr 2017 wurde ein Jahresüberschuss von immerhin 669.615 Euro. Das Stammkapital blieb beim Minimum für eine deutsche GmbH von 25.000 Euro. Der Bestand an liquiden Mitteln belief sich auf 71,8 Mo Euro. Dem standen Verbindlichkeiten an ungenannte Gläubiger mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr von 58,1 Mio Euro entgegen.
Ungelöstes Rätsel: Wer bzw. was sorgte in 2018 für das erhebliche Liquiditätswachstum der deutschen Palantir-Tochter?
Die Verbindlichkeiten von Palantir Technologies GmbH haben in 2018 um 52 Millionen Euro zugenommen. Die liquiden Mittel sind um 69,4 Millionen angewachsen.
Mögliche Erklärungen
Dafür sind theoretisch zwei Erklärungen denkbar:
- Die amerikanische Muttergesellschaft hat Geld in die deutsche Tochter gepumpt. Eine MÖGLICHKEIT, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass Palantir-US selbst seinerzeit den Börsengang in den Vereinigten Staaten angestrebt hat und chronisch bis heute keine Gewinne gemacht hat.
- Palantir Deutschland hat Einkünfte aus nicht öffentlich bekanntgemachten Aufträgen erhalten. Erhebliche Kostenblöcke wurden von der US-Gesellschaft getragen. Dafür spricht, dass Palantir Deutschland laut offengelegtem Jahresabschluss 2018 „durchschnittlich“ nur 13 Arbeitnehmer beschäftigte und die Mieten für die Geschäftsräume ausweislich deren Veröffentlichungen gegenüber der amerikanischen Börsenaufsicht SEC von der US-Mutter getragen werden. Es wäre üblich, solche Kosten, Lizenzgebühren und ähnliches als Verbindlichkeiten gegenüber der US-Mutter auszuweisen.
Erklärungvariante 2 hat eine höhere Plausibilität als die erste theoretische Möglichkeit. Allerdings sind die Liquiditätszuwächse mit veröffentlichten Vergabebekanntmachungen durch deutsche Behörden, insbesondere aus dem Sicherheitsbereich, nicht zu erklären. Denn 2018 wurde überhaupt nur EIN relevanter Auftrag auf der Europäischen Vergabeplattform TED veröffentlicht: Nämlich der (erste) Auftrag für Hessendata, die „Analyseplattform zur effektiven Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und der schweren und organisierten Kriminalität“.
Dieser Auftrag war freihändig vergeben worden mit der Begründung: „Nach einer Marktanalyse,“ [die auf eine „Geschäftsreise“ von Innenminister Beuth, der Frankfurter Polizeipräsident Bereswill und deren Tross an den damaligen Palantir-Firmensitz im Silicon Valley folgte / d. Verf.], „ist einzig diese am Markt verfügbare und sofort einsatzbereite Analyseplattform in der Lage, die fachlichen Anforderungen der hessischen Polizei vollständig zu erfüllen, insbesondere als integrierte Gesamtlösung.“ [] Eine Aussage, der Zeugen im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages widersprochen haben.
Neben dieser Behauptung ging es auch hinsichtlich des Auftragswertes für den ersten Hessendata-Auftrag reichlich geheimniskrämerisch zu. Der war in der Vergabebekanntmachung mit 0,01 Euro angegeben, ein Platzhalter, wenn der Auftraggeber meint, das Vertragsvolumen nicht offenlegen zu müssen. Dank der schwarz-grünen Regierungsmehrheit in Hessen blieb dieses Vorgehen für den hessischen Innenminister Peter Beuth auch nach Untersuchung durch den Landtagsausschuss ohne Konsequenzen [11].
Wer sonst, von privatwirtschaftlicher oder behördlicher Seite, für einen solchen Zuwachs an Kassen- und Bankguthaben sorgte, lässt sich weder aus dem offengelegten, verkürzten Jahresabschluss für 2018 herauslesen, noch aus entsprechenden Vergabebekanntmachungen.
Zu erwartende Erkenntnisse aus dem bisher nicht veröffentlichten Palantir-Jahresabschluss für 2019
Vom Jahresabschluss für 2019 könnten sich Geschäftspartner, Auftraggeber (sic!) und Wettbewerber Erkenntnisgewinne versprechen: Wäre Palantir doch als große Kapitalgesellschaft verpflichtet, umfangreich Unterlagen über seine finanzielle Situation, das Umsatzvolumen, die Kostenstruktur und die Verwendung seines Gewinnes öffentlich zu machen. .
Im bisher überhaupt noch nicht veröffentlichten Lagebericht wäre (nach §289 HGB) auch einzugehen auf das Risikomanagement der Gesellschaft, die Absicherung wichtiger Transaktionen, Preisänderungs-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken, sowie die Risiken aus Zahlungsstromschwankungen, denen die Gesellschaft ausgesetzt ist, jeweils in Bezug auf die Verwendung von Finanzinstrumenten durch die Gesellschaft und sofern dies für die Beurteilung der Lage oder der voraussichtlichen Entwicklung von Belang ist, sowie für den Bereich Forschung und Entwicklung.
DAR – Datenbankübergreifende Analyse und Auswertung für das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen
„Still ruht der See“ – jedenfalls im Hinblick auf veröffentlichte Auftragsvergaben aus Sicherheitsbehörden im Jahr 2019. Im Juni 2019 machte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen zwar einen Auftrag bekannt für das DAR, die „datenbankübergreifende Analyse und Auswertung“. 14 Millionen Euro wurden als „grober Schätzpreis“ genannt.
Erst am 15.01.2020 erschien dazu auf der EU-Vergabeplattform TED die Vergabebekanntmachung: Palantir Technologies GmbH hatte diesen Auftrag erhalten. Ein genauer Auftragswert wurde auch hier nicht veröffentlicht. Wohl aber ein ambitionierter Umsetzungsplan: Demzufolge das DAR im dritten Quartal 2020 – also dieser Tage – in den Wirkbetrieb gehen soll.
Unerwartete und unplausible Nachschlagsforderung des NRW-Innenministers
Ging das alles viel schneller als geplant?! Oder war das ursprünglich beantragte Budget (bewusst?) zu klein und daher schon bald erschöpft?! Beide Fragen stellen sich, denn im März 2021 stellte das NRW-Finanzministerium einen Antrag an den Haushalts- und Finanzausschuss unter der Überschrift „Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Polizei in der Corona-Pandemie“ [sic!] mit der folgenden Begründung:
„Digitale Analyse- und Rechercheplattform (7.000.000 EUR)
Der Betrieb der eingerichteten verfahrensübergreifenden Analyseplattform muss sichergestellt werden, weil die vermehrten Anforderungen an die Verfügbarkeit von Homeoffice-Plätzen und kontaktreduzierten Arbeitsformen den persönlichen Austausch hemmt. Nur durch den Ausbau der Plattform ist es möglich, die in den verschiedenen Anwendungen und Systemen (z. B. Vorgangsbearbeitungssystem, Fallbearbeitungssystem, Telekommunikationsüberwachungssoftware oder Falldatenbank) gespeicherten Daten zusammenzuführen. Gerade bei zeitkritischen Ermittlungsmaßnahmen wie beispielsweise Anschlagsdrohungen muss unverzügliches Handeln auch in Zeiten durch Corona-Maßnahmen eingeschränkter unmittelbarer Kommunikation in Präsenz gewährleistet werden.“
Nicht aufgeklärt wurde der Widerspruch zur ursprünglichen Planung:
- Die Bedarfsdarstellung machte deutlich, dass das DAR-System bereits im Wirkbetrieb und damit auch mit Echtdaten verwendet wird („eingerichtete verfahrensübergreifende Analyseplattform“ / „zeitkritische Ermittlungsmaßnahmen“ / „Anschlagsdrohungen“ / „unverzügliches Handeln“). Für diese Nutzung fehlt jedoch die Rechtsgrundlage; der Einsatz mit Echtdaten ist rechtswidrig, sagt die Landesdatenschutzbeauftragte (LDI) des Landes NRW [in 9].
- Die Beschreibung des Zugangs von Nutzerarbeitsplätzen vom Home-Office aus dürfte das LDI dazu veranlassen, sich zeitnah anzusehen, wie eigentlich die Sicherheit der Übermittlung hochgradig kritischer, personenbezogener Daten an den heimischen Schreibtisch eines DAR-Nutzers gewährleistet ist und wie der Abfluss von Informationen von einem solchen Arbeitsplatz aus an andere Mitbewohner des Homeoffice-Nutzers wirksam verhindert wird.
Die eigenmächtige Erweiterung des Nutzungszwecks, wie auch der geforderte kräftige Schluck aus der Geldpulle waren wohl zu viel für die an Überraschungen gewöhnten Mitglieder des Landtages: Denn am 25.03.2021 informierte Innenminister Reul den Innenausschuss darüber, dass der Antrag seines Hauses auf weitere 7 Millionen Euro nur ein Jahr nach der Erstbeschaffung des Palantir-Systems nicht aufrechterhalten werde. „In der Kürze der Zeit“ sei es nicht möglich gewesen, eine genaue Überprüfung dieser Anmeldung vorzunehmen und dazu eine ausführliche Begründung zur Verfügung zu stellen.“ Eine bemerkenswerte Begründung für einen Finanzierungsantrag von weiteren 7 Millionen Euro, doch Versuchen konnte man’s ja mal … [in https://police-it.net/ueber-den-tellerrand-2021.16#a03]
Hat ‚Zuverlässigkeit‘ als Eignungskriterium für Auftragnehmer inzwischen ausgedient?!
In Vergabeverfahren, die sich an den Regularien des europäischen Vergaberechts orientieren, war bisher die ZUVERLÄSSIGKEIT des Auftragnehmers ein wesentliches Kriterium für die Auftragsvergabe.
Zur Zuverlässigkeit gehört z.B., dass Steuern und Abgaben pünktlich bezahlt werden. Aber auch die Beachtung anderer Gesetze ist ein wesentliches Zuverlässigkeitskriterium. Unüblich war es bisher, dass ein Auftragnehmer für Rahmenverträge im dreistelligen Millionenbereich wesentliche, gesetzlich verankerte Transparenzpflichten einfach ignorieren konnte, OHNE dass dies für ihn Konsequenzen gehabt hätte.
Sowohl die Palantir-Kunden NRW und Hessen, als auch das LKA Bayern, der Bund als Sekundärauftraggeber I, wie auch die 15 weiteren Bundesländer als Sekundärauftraggeber II für den Rahmenvertrag aus dem Vergabeverfahren VerA sind dringend aufgefordert, bei ihrem offensichtlichen Auftragnehmerfavoriten Palantir zeitnah auf Offenlegung der Unterlagen zu den Finanz- und Wirtschaftsdaten, dem Anhang und Lagebericht zu veranlassen. Um nicht weiterhin den Eindruck zu bestärken, sie würden – ggf. aus eigenem Interesse – diese gesetzeswidrige Intransparenz gutheißen und fördern und durch Wegsehen bzw. Duldung gemeinsame Sache mit Palantir machen.
Quellen und Belege
[1] Mitteilung des Bundesamts für Justiz auf Anfrage von POLICE-IT vom 03.08.2021 [2] Umstrittene Datenfirma mit Verbindung zu Geheimdiensten wird an der Börse mit 18 Milliarden Dollar bewertet, 30.09.2020, Neue Zürcher Zeitung [3] Palantir in Hessen – vereint Daten von Facebook & Co mit polizeilichen Datenbanken??, 2.11.2018https://police-it.net/hessendata-auftragserteilung-systembetrieb [4] LKA NRW erteilt Palantir für 14 Mio Euro den Auftrag für DAR, 16.02.2020
https://police-it.net/dar-palantir-auftragserteilung [5] VeRA – die gefährlichste Entwicklung in der IT der Sicherheitsbehörden seit 75 Jahren, 12.02.2021
https://police-it.net/vera-verfahrensuebergreifende-recherche-und-analyse [6] Geplante Polizeisoftware beunruhigt Datenschütze, 28.05.2021, Spiegel Online
https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/vera-geplante-polizei-software-beunruhigt-datenschuetzer-a-9c74754d-919b-47c0-bcef-5c3cf42194df [7] 2021/S 011-023694, Auftragsbekanntmachung, Lieferauftrag
https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:23694-2021:TEXT:EN:HTML&src=0 [8] Wie Palantir (in Amerika) mit Kunden, Daten und Rechten umgeht, 23.12.2018
https://police-it.net/palantir-usa-polizei-kunden
23. Dezember 2018 [9] Polizei NRW betreibt rechtswidrig das Data-Mining-System DAR von Palantir, 16.04.2021
https://police-it.net/palantir-dar-rechtswidrig [10] Vergabebekanntmachung für ‚Hessendata‘ (1) vom 02.02.2018
https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:48139-2018:TEXT:EN:HTML&src=0&tabId=1 [11] Hessendata-Untersuchungsausschuss: Keine Fehler festgestellt, 22.01.2019
https://police-it.net/hessendata-untersuchungsausschuss-keine-fehler
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1 Gedanke zu „Offenlegungspflicht für Jahresabschluss verletzt. Ordnungsgeldverfahren gegen Palantir“
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