Die Fallzahlen und Schadenssumme im letzten Jahr für Organisierte Kriminalität waren so „hervorragend“, dass der neue Bundesinnenminister Seehofer glatt konstatieren konnte, dass „Deutschland kein Raum für OK ist“. Der BKA-Präsident hatte auch nichts Substanzielles und breitete sich aus über die „notwendige gemeinsame digitale Plattform für die polizeiliche Zusammenarbeit“. An der sein Haus seit fünfzehn Jahren ebenso federführend, wie im Ergebnis bisher vergeblich arbeitet, was er allerdings nicht erwähnte.
Es ist ein quasi limbischer Reflex, dass ein BKA-Präsident warnen muss vor dem „hohen Bedrohungs- und Schadenspotenzial“ durch OK. Obwohl die durchschnittlichen Fallzahlen der letzten Jahre nur bei 75% der Jahre bis 2005 liegen. Damals begann der personelle Kahlschlag in der Polizei … Und obwohl für 2017 eine geradezu unglaublich niedrige Schadenssumme – Peanuts würden bestimmte Banker sagen – von nur 209 Millionen Euro ausgewiesen wurden. Im Jahr zuvor war es noch über eine Milliarde Euro!
Das herausgeputzte Aussehen im Bundeslagebild OK ist eine Folge des Systems. Denn wo kaum mehr qualifizierte OK-Ermittler tätig sind, wo Plattformen für den flächendeckenden Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden von Bund und Ländern nicht existieren und wo notwendige und vorhandene Werkzeuge für OK-Strukturermittlungen durch softwaretechnische Universalwerkzeuge ersetzt wurden: Da kann man keine validen Aussagen über aktuelle Aktivitäten, Bedrohungen oder den angerichteten Schaden durch Organisierte Kriminalität in Deutschland mehr treffen.
Immerhin gibt es noch interessante Informationen von Europol … | Lesedauer: Ca. 10 Minuten
Vorstellung des Bundeslagebilds OK beim BKA
Beim Bundeskriminalamt wurde in der vergangenen Woche das „Bundeslagebild 2017“ vorgestellt. Dieses Ereignis findet alle Jahre wieder statt und soll wohl eine Art Leistungsschau darstellen für die Arbeit der Polizeibehörden im Bereich der Organisierten Kriminalität.
Laut neuem Bundesinnenminister ist „Deutschland kein Raum für OK“
In der Pressemitteilung des BKA [1] war kein Platz für eine differenzierte Betrachtung der Leistungen im abgelaufenen Jahr. Kritische Rückfragen der Teilnehmer an der Pressekonferenz erübrigten sich offensichtlich ebenso. In anschließenden Presseberichten über dieses Schauspiel wurde wiedergegeben, dass der fachlich noch neue Bundesinnenminister dekretiert hatte, dass „in Deutschland kein Raum ist für Organisierte Kriminalität“. Mehrere Mitglieder von Mafia & Co, wie auch Insider aus dem Polizeibetrieb von Bund und Ländern sollen ob dieser ministeriellen Expertise wegen anhaltender Lachkrämpfe in stationäre Behandlung aufgenommen, aber inzwischen wieder entlassen worden sein.
Plattitüden zum polizeilichen Informationsaustausch
Auch vom BKA-Präsidenten kamen vorwiegend Plattitüden, die – zur Schonung der intellektuellen Ansprüche unserer Leserschaft – hier nur auszugsweise zitiert werden: „Eine erfolgreiche OK-Bekämpfung … braucht heutzutage eine gemeinsame digitale Plattform für die polizeiliche Zusammenarbeit. Ein effizientes Informations- und Datenmanagement ist das A und O für polizeiliche Polizeiarbeit. … Wir … treiben die Modernisierung der polizeilichen IT-Landschaft voran … “
Mit solchen Worthülsen kommt das BKA und sein Präsident auch hier wieder [A] ungestraft davon, solange keiner der bei der Pressekonferenz anwesenden Medienvertreter ihn mal fragt,
- was an diesen Banalitäten neu sein soll,
- was das mit OK zu tun hat,
- wieso eigentlich ein vor Jahren schon realisierter Informationsaustausch zwischen Länder- und Bundespolizeibehörden im Deliktsbereich OK (Stichworte für Insider: ADOK/APOK, FUSIO) mutwillig und unter aktiver Federführung des BKA nicht deutschlandweit funktionsfähig gemacht bzw. gehalten wurde
- und warum eigentlich in dem für einige Jahre so hochgelobten Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV), dem Verbundprojekt von Länder- und Bundespolizeibehörden für eine – endlich mal funktionierende Informationsweitergabe zwischen den Polizeibehörden – ausgerechnet der Informationsaustausch im Deliktsbereich Organisierte Kriminalität als allerletzter von insgesamt sieben „PIAV-Clustern“ zur Realisierung vorgesehen war. Nämlich 2022! Nach der Planung von 2016! Inzwischen wissen vermutlich nicht einmal mehr die Götter, ob und wann eine „digitale Plattform für die polizeiliche Zusammenarbeit“ bei Schwerer und Organisierter Kriminalität unter der Ägide dieses BKA jemals realisiert werden wird. [B]
Angeblich „hohes Bedrohungspotenzial“, dabei stagnieren die Fallzahlen seit Jahren auf gleichem Niveau
Ansonsten dominierte in den Wortbeiträgen das übliche Szenebild: Die OK hat angeblich ein „unverändert hohes Bedrohungs- und Schadenspotenzial“ … Doch konnten die Fallzahlen auch in diesem Lagebild, wie schon seit Jahren, diese Behauptung gerade nicht untermauern. Die Fallzahlen, also die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen OK-Gruppierungen, stagnieren nämlich seit zehn Jahren: Die Zahlen für 2017 liegen unter dem langjährigen Durchschnitt von 577 Verfahren pro Jahr. Und zwischen 1996 und 2005, damals wurde noch mit mehr Fachpersonal intensivere OK-Ermittlungsarbeit betrieben, lag der Jahresdurchschnitt um 200 Verfahren pro Jahr HÖHER.Angeblich „hohes Schadenspotenzial“, dabei ist die Schadenssumme für 2017 die niedrigste, die je ausgewiesen wurde
Seit zehn Jahren schon karriolen die Angaben zu den polizeilich bekannt gewordenen Schadenssummen hin und her zwischen Spitzenwerten von 1,6 Milliarden Euro bis hin zum niedrigsten Wert, der je ausgewiesen wurde. Das waren 209 Millionen Euro und zwar im Jahr 2017. Zum Vergleich: In der Polizeilichen Kriminalstatistik für das gleiche Jahr wird allein für Untreue-Straftaten (nach §266 StGB) ein Schadensvolumen angegeben, das mehr als dreimal so hoch, wie die Schäden, die im OK-Lagebild für alle OK-Verfahren ausgewiesen werden. [2]: Da kann doch etwas nicht stimmen, oder?!Es ist so banal: Weniger Personal = (scheinbar) weniger OK!
Den Schlüssel für das Rätsel liefert das BKA selbst, wenn auch in OK-Lagebildern, die schon ein paar Jahre alt sind. Zum Beispiel in dem aus dem Jahr 2002: „Die Lageerkenntnisse sind … vom Ressourceneinsatz und dem Ausmaß und der Intensität der Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden abhängig“ [3, Seite 5]
Es war einmal: OK-Ermittlungsbeamte und OK-Spezialdienststellen
Ressourceneinsatz bei der Polizei für OK, das hieß Ende der neunziger und Anfang der nuller Jahre, dass es deutschlandweit einige tausend spezialisierte Ermittlungsbeamte gab für die Bearbeitung von OK-Verfahren. Kurz vor der Jahrtausendwende war es z.B. in Bayern durchaus noch ein Thema, in einer ‚Soko Goldfisch‚ ein europaweites Netz der Organisierten Kriminalität unter überwiegend asiatischen Kaufleuten zu enttarnen. Oder durch das Polizeipräsidium München der Frage nachzugehen, wer eigentlich hinter dem (damals geschätzt) dreistellig millionenschweren Rauschgift-Geschäft, allein in der bayerischen Landeshauptstadt, steckt und wie das Geschäftsmodell solcher OK-Unternehmen aussieht. Das geschah in der Absicht, mit mehr Verständnis über die Strukturen und Geschäftsmodelle solcher Akteure besser gegen sie vorgehen zu können [a].
Es gab damals in den Landeskriminalämtern und in regional übergeordneten Polizeidienststellen OK-Kommissariate oder -Referate, die die Besonderheiten der Strukturermittlung, Analyse und Auswertung von OK-Verfahren besser kannten als der Kriminalbeamte, der allgemeine oder Massenkriminalität bearbeitete. Und bis zum Jahresbericht für 2004 gab das BKA die Zahlen dieser „Ressourcen“ auch noch bekannt.
Die Zahl der OK-Spezialkräfte war da schon von 3.021 im Jahr 2000 auf 2.586 im Jahr 2004 geschrumpft. Seit 2005 gibt es solche Angaben nicht mehr in den OK-Bundeslageberichten. Was daran liegt, dass die Entwicklung wenig rühmlich ist.
Dazu schreibt vor wenigen Tagen der Landesverband Sachsen-Anhalt des BDK in einer Pressemitteilung [4]:
„Deutschland ist nach wie vor mit seinem Verzicht auf eine einheitliche kriminalpolizeiliche Ausbildung, einer sowohl personell als auch fachlich viel zu schwachen Polizei und Justiz und mit seinen rechtlichen Rahmenbedingungen ein Paradies für Kriminelle und speziell kriminelle Strukturen und Familien aus aller Herren Länder. Daran ändern auch einzelne Ermittlungserfolge nichts. Die Schwäche von Polizei und Justiz, die organisierten Kriminellen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, ist überall greifbar. In Sachsen-Anhalt kann man die ‚Wichtigkeit‘ in der politischen Wahrnehmung sogar an konkreten Zahlen festmachen. Vor der Zentralisierung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gab es in Sachsen-Anhalt, in damals drei Polizeidirektionen, jeweils ein Fachkommissariat ‚Organisierte Kriminalität‘ in der Kriminalpolizei. Diese Dienststellen wurden aufgelöst, ohne dass das jeweilige Personal der nun zentralen Ermittlungseinheit im Landeskriminalamt zugewiesen wurde. Als in Sachsen-Anhalt noch in sechs Polizeidirektionen Dienst geleistet wurde, gab es auch sechs Fachkommissariate mit entsprechender personeller Besetzung. Nicht nur jedem Polizeibeamten ist bekannt, ohne Personal ist eine Bekämpfung jeglicher Kriminalität nicht möglich. Bei speziellen Kriminalitätsphänomenen bedarf es zudem noch einer speziellen Qualifizierung, um den Straftätern das Handwerk zu legen. Während Anfang der 90er Jahre also noch mehr als 100 Ermittler die ‚Organisierte Kriminalität‘ im Lande (hier also Sachsen-Anhalt) bekämpften, sind es heute nur noch ein Bruchteil davon und dies, obwohl die aktiven Täterstrukturen und Clans mehr und vielfältiger geworden sind.“
Diese Entwicklung lässt sich auch in den fortgeschriebenen Zahlen aus den OK-Lagebildern des BKA bestätigen: Im Zeitraum von 1996 bis 2004 wurden im Jahresdurchschnitt in Deutschland 770 OK-Verfahren geführt. Inzwischen ist der Durchschnitt auf 577 Verfahren/Jahr gefallen, das ist ein Schwund von 25%. Wohlweislich schweigt sich das BKA also seither über die dramatisch geschwundenen Ressourcen im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität aus. Und über die Tatsache, dass weniger von der Polizei festgestellte OK noch lange nicht bedeutet, dass es weniger OK in Deutschland gibt.
Wird Polizei bei OK nur im Rahmen der Strafverfolgung tätig?!
Ursache für die Zahlen und Daten des Bundeskriminalamtes über OK in Deutschland, die das behauptete und vorhandene Bedrohungspotenzial gerade nicht belegen können, liegt in den unscheinbaren Wörtchen „polizeilich festgestellt“. Im der Vorbemerkung zu jedem OK-Lagebild heißt es unisono: „Das Bundeslagebild OK bildet die Ergebnisse polizeilicher Strafverfolgungsaktivitäten im Bereich der Organisierten Kriminalität ab. Es stellt eine Beschreibung des Hellfeldes, also der polizeilich bekannt gewordenen Kriminalität dar, ohne … valide Einschätzungen zu Art und Umfang eines möglichen Dunkelfeldes ableiten zu können“.
Dieses unscheinbare Hintertürchen ist fein gewählt. Besagt es doch, dass Polizei nur dort im OK-Bereich tätig geworden ist, wo die für die Strafverfolgung zuständigen Staatsanwaltschaften es überhaupt für aussichtsreich befunden haben, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Was einen entsprechenden Anfangsverdacht voraussetzt, der – vor allem da er gegen Personen gerichtet sein muss – gerade im OK-Bereich nicht ganz einfach zu substantiieren ist. Denn Abschottung nach außen und Verschleierung strafrechtlicher Aktivitäten sind im OK-Bereich besonders ausgeprägt.
Es wird mit diesem Hintertürchen auch effektiv ausgeblendet, dass Polizei im Deliktsbereich OK nur als Erfüllungsgehilfe der Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung von konkret bekannt gewordenen Straftaten vorgeht. Man fragt sich in diesem Zusammenhang, ob nicht der Auftrag an die Polizeibehörden aus dem jeweiligen Landesrecht – nämlich die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit (verkürzt als „Gefahrenabwehr“ bezeichnet) gerade im Bereich der Organisierten Kriminalität geradezu danach schreit, präventiv – im Sinne der Gefahrenabwehr tätig zu werden. Oder ist etwa nicht die öffentliche Sicherheit bedroht, durch Waffenschmuggel, illegalen Handel mit (Gift-)Müll, Schleuseraktivitäten, organisierten Steuerbetrag u.v.m.
Die OK-Definition des BKA (von 1990) und wie Europol aktuell die OK-Lage sieht
Inhalt / Volumen
Im aktuellen OK-Lagebild fällt auf, dass großvolumig gesetzte Bilder und viele Tabellen die 67 Seiten beherrschen. Tiefergehende Informationen über Ursachen von OK oder über aktuelle Trends sucht man vergeblich. Viele Textbausteine kennt man schon aus den Lageberichten der Vorjahre. Es hat sich in den vom BKA in den letzten Jahren vorgelegten Kriminalstatistiken (zu denen wir hier auch die Lagebilder zählen) ja generell der Trend breitgemacht, vor allem die Nationalitäten der Tatverdächtigen akribisch zu zählen. Das macht den Bundesinnenminister und seine Helfershelfer in der ‚Welt‘ glücklich [C], weil dann wieder ganz genaue Zahlen vorliegen über die Kriminalität von Ausländern und Flüchtlingen. Und im OK-Lagebild sind damit 16 der 67 Seiten voll.
Kriminalitätsbereiche im OK-Lagebild des BKA
Was das BKA als Kriminalitätsbereiche in seinem OK-Lagebild ausweist, kommt einem erstaunlich allgemein gehalten vor. An der Spitze stehen
- „Rauschgifthandel/-schmuggel“
- „Kriminalität i.Z. mit dem Wirtschaftsleben“
- „Fälschungskriminalität“
- „Eigentumskriminalität“
- „Schleuserkriminalität“
Die „deutsche“ OK-Definition von 1990
Dass und was daran OK-spezifisch ist, ergibt sich aus der besonderen, in Deutschland seit 1990 unverändert verwendeten und heute noch den OK-Lagebildern zugrunde gelegten OK-Definition [b]. Über diese Definition sagte Hans-Ludwig Zachert, ein ehemaliger BKA-Präsident, im Deutschen Bundestag: „Diese Definition ist selbst Eingeweihten nur in glücklichen Stunden verständlich, und man tut sich da sehr schwer.“ [5]
Damit aus einem „Eigentumsdelikt“ ein OK-Eigentumsdelikt wird, müssen, um es kurz zu machen, da sämtliche generellen Merkmale der offiziellen Definition erfüllt sein, wie auch mindestens eines der speziellen Merkmale. Man kann sich richtig vorstellen, dass und wie lange debattiert und gerauft wird in einer überlasteten Polizeidienststelle, um die wichtige Frage zu klären, ob bei der Serie von jüngst geklauten Landmaschinen auch wirklich „mehr als zwei Beteiligte“ „zusammengewirkt“ haben, ob die auch wirklich von „Macht- und Gewinnstreben“ geleitet waren, was schwer zu konkretisieren ist, wenn man die Freunde der Landmaschinen gerade nicht greifbar hat und daher auch nicht fragen kann, ob das Zusammenwirken auf „längere“ oder gar „unbestimmte Zeit“ angelegt war. Das alles sind „generelle Merkmale“ aus der OK-Definition, die es zu erfüllen gilt, damit eine vorliegende Straftatenserie qualifiziert ist für die Aufnahme in den heiligen Gral der OK-Verfahren. „Typisch deutsch“ würden meine amerikanischen Bekannten dazu sagen.
Wie Europol über aktuelle OK informiert …
Wesentlich greifbarer vorstellbar wird, was moderne Organisierte Kriminalität eigentlich ist, wenn man sich bei Europol informiert. Unter dem Namen „Serious and Organised Crime Threat Assessment“ (SOCTA) gibt die europäische Polizeibehörde jährlich eine wenige Seiten dicke, aber reich bebilderte Broschüre heraus [6], aus der Umfang und Varianten der Bedrohung nachvollziehbar werden. Mehr jedenfalls als mit drögen und alleinstehend unpräzisen Begriffen, wie „Eigentumsdelikte“ oder „Fälschungskriminalität“ im BKA-Lagebild. Hier also eine Kurzfassung dieser SOCTA-Broschüre:
Geschäftsbereiche der organisierten Kriminalität
OK-Gruppierungen
Derzeit werden gegen rund 5.000 OK-Gruppierungen Ermittlungen geführt. Sie beziehen sich auf Beteiligte in mehr als 180 Staaten, also weltweit.
Strukturen, Zusammensetzung, Nationalität und Mobilität
- Die meisten OK-Gruppierungen sind hierarchisch organisiert.
- 30 bis 40% unterhalten lose Netzwerke
- 24% der OK-Gruppierungen bestehen aus bis zu fünf Mitgliedern, 76% haben sechs oder mehr Mitglieder
- 60% aller Tatverdächtigen in Verfahren der schweren oder organisierten Kriminalität in der EU sind ihrerseits EU-Bürger.
- 7 von 10 OK-Gruppierungen sind typischerweise in mehr als drei Ländern aktiv.
Trends
Poly-Kriminalität:
45% aller OK-Gruppierungen im SOCTA-Bericht betätigen sich in mehr als einem kriminellen Geschäftsbereich. Davon ist der Drogenhandel mit Abstand der größte, organisierte Eigentumskriminalität liegt auf Platz 2, gefolgt von Migrantenschleusung, Menschenhandel und Steuerbetrug.
Arbeitsteiliges Wirtschaften
Steigende Zahl von kriminellen Einzelunternehmern, die sich entweder ad hoc für bestimmte kriminelle „Geschäfte“ zusammentun oder die „Kriminalität als Dienstleistung“ (Crime-as-a-service = Cass) anbieten.
Schlussbemerkung
Organisierte Kriminalität, das diente vor zwanzig Jahren noch als die wichtigste Begründung für Forderungen der Politiker nach mehr Überwachung und Kontrolle der gesamten Bevölkerung. Diese Rolle hat – dank der Anschläge vom 11.9.2001 – inzwischen „der Terrorismus“ übernommen. Für eine effektive Bekämpfung der OK, vor allem in den Ausprägungsformen, die besonders hohen Schaden verursachen, hat sich Politik in diesem Lande nie wirklich interessiert. Obwohl ja auch „die Politik“ im Fadenkreuz der OK steht, was sich auch in der offiziellen OK-Definition wiederspiegelt, wo es heißt: „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“ [vollständige Definition in [b].
Der mangelnde Rückhalt in der Politik hatte zur Folge, dass das wenige überhaupt einmal vorhandene Fachpersonal abgebaut wurde auf allen Ebenen, dass Spezialdienststellen eingespart und Spezialwerkzeuge durch softwaretechnische Universalwerkzeuge ersetzt wurden. Steuerhinterziehung spielt im OK-Bereich eine große Rolle, desgleichen Geldwäsche. Wenn Politik wirklich ernsthaft den Kampf aufnehmen würde, gegen das Bedrohungs- und Schadenspotenzial durch OK, dann würde vorrangig Geldwäsche und Steuerhinterziehung angegangen werden. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Eine einigermaßen funktionsfähige Financial Intelligence Unit wurde – auf Betreiben des damaligen Bundesfinanzministers Schäuble vom BKA weg und zum Zollkriminalamt transferiert. Und ist dort sachlich und fachlich unzureichend bestückt und mit dem Anfall der aufgelaufen Geldwäscheanzeigen vollkommen überfordert. Das ist ein Skandal – und interessiert niemanden in der Bundesregierung. Gleiches gilt sinngemäß für die Steuerhinterziehung. Da werden – von Schäuble und jetzt vom neuen Bundesfinanzminister Scholz – wohlfeile Sonntagsreden über die Notwendigkeit zum Kampf gegen die Steuerhinterziehung gehalten. Während im Hintergrund, gerne auch in Brüssel, genau das hintertrieben wird, was Steuerhinterziehung schwieriger bzw. leichter zu fassen machen könnte. Und das Bundesfinanzministerium vor allem darauf erpicht ist, den kleinen Selbstständigen oder das mittelständische Unternehmen zu kujonieren: Mit überzogenen Anforderungen an die Buchhaltung unter dem Stichwort der „GOBD“, um nur ein Beispiel zu nennen.
Mit dieser Doppelzüngigkeit müssen Polizeibeamte leben, die besser als andere wissen, was sich tatsächlich tut in der kriminellen Unterwelt. Und doch nicht das tun können bzw. häufig auch nicht dürfen, denn der Vorgesetzte bzw. das Innenministerium entscheidet, was notwendig und sinnvoll wäre.
Und wir Bürger müssen damit leben. Aber viele haben ja längst aufgehört, an „den Rechtsstaat“ noch zu glauben. Was der eigentliche und allerschlimmste Kollateralschaden dieser politischen Doppelmoral ist.
Fußnoten
[a] Die Autorin dieses Artikels war zwischen 1993 und 2013 Projektleiterin der Firma Polygon Visual Content Management GmbH für das polizeiliche Informationssystem POLYGON und in diesem Zusammenhang leitende Designerin von Werkzeugen zur Strukturermittlung, Analyse und Auswertung für OK-Ermittler und OK-Dienststellen.
[b] Die offizielle OK-Definition (Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei, 1990/RiStBV 1991)
„Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
a)unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
b)unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
c)unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft
zusammenwirken.
Der Begriff umfaßt nicht Straftaten des Terrorismus.
Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund) finden sich – auf der Basis eines Systems persönlicher und geschäftlicher kriminell nutzbarer Verbindungen – Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bindungsgrad der Personen untereinander, deren konkrete Ausformung durch die jeweiligen kriminellen Interessen bestimmt wird.“
Quelle: Anlage E, Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) in der ab 01.05.1991 bundeseinheitlich geltenden Fassung, wiedergegeben in [7]
Quellen
[1a] Organisierte Kriminalität Bundeslagebild 2017, 01.08.2018, Bundeskriminalamthttps://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/OrganisierteKriminalitaet/organisierteKriminalitaetBundeslagebild2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [1b] Pressemitteilung des BKA: BKA stellt Bundeslagebild Organisierte Kriminaltät vor, 01.08.2018
https://www.bdk.de/lv/sachsen-anhalt/aktuelles/2018/august-2018/pm180801_BLB_OK.pdf
[2] Polizeiliche Kriminalstatistik 2017, Jahrbuch 4, Seite 114
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2017/pks2017Jahrbuch4Einzelne.pdf
[3] Organisierte Kriminalität Bundeslagebild 2002, Bundeskriminalamt
https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/OrganisierteKriminalitaet/organisierteKriminalitaetBundeslagebild2002.pdf?__blob=publicationFile&v=5
[4] Bundeslagebild Organisierte Kriminalität durch das Bundeskriminalamt vorgestellt- Wunschdenken eines Bundesinnenministers!, 08.08.2018, Landesverband Sachsen-Anhalt des BDK
https://www.bdk.de/lv/sachsen-anhalt/was-wir-tun-../pressemitteilungen/bundeslagebildes-organisierte-kriminalitaet-durch-das-bundeskriminalamt-vorgestellt-wunschdenken-eines-bundesinnenministers
[5] Quellenangabe in [7] wie folgt: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Rechtsausschuß, Protokoll der 95. Sitzung des Rechtsausschusses am Mittwoch, dem 27. Oktober 1993, 14.00 Uhr, S. 11
[6] Serious and Organised Crime Threat Assessment (SOCTA)
https://www.europol.europa.eu/sites/default/files/documents/leaflet_socta2017.pdf
[7] Organisierte Kriminalität: Definitionen in
http://www.organized-crime.de/okdef.htm
Verwandte Beiträge
[A] BKA-Präsident Münch informiert – leider irreführend, 06.09.2017, POLICE-IThttps://police-it.net/bka-praesident-muench-informiert-leider-irrefuehrend
[B] Wie ist der aktuelle Status und wann soll der PIAV fertig sein?, Mit Update vom 14.12.2016
https://police-it.net/themenseiten_piav_uebersicht/aktueller-status-fertigstellungv-fertig-sein
[C] Meinungsmache mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik, 26.04.2017, CIVES
https://cives.de/meinungsmache-mit-hilfe-der-polizeilichen-kriminalstatistik-4826
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