Unglaublich niedrig! Die Kosten von CRIME

Das IPCC, das Inpol Polas Competence Center, ein lose Kooperationsgemeinschaft von Polizeibehörden, behauptet ja schon seit Jahren, dass Software-Beschaffung, -Weiterentwicklung und -Pflege auf die spezielle Weise des IPCC angeblich wirtschaftlich und investitionssicher ist und standardisierte, moderne und leistungsfähige IT-Verfahren für die tägliche polizeiliche Arbeit hervor bringt. So liest man es auch wieder in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg .

Erstmals werden dort auch für das Fallbearbeitungssystem CRIME die Kooperationspartner benannt und konkrete Zahlen genannt. Die erstaunen im Branchenvergleich. Wo der Wettbewerber, Rola Security Solutions GmbH, im Jahr 2013 17,8 Mio Euro umsetzt, was einem Kostenaufwand von rund 11,8 Milionen Euro entspricht, kommt die Crime-Kooperation gerade mal mit Kosten von 0,5 Millionen Euro aus. Wie kann das gehen?!

Fallbearbeitungssystem CRIME
Partner, Jahresbeiträge und Personalausstattung

Erstmals werden in der genannten Antwort [1] und einem Vorläuferpapier, der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage vom 21.10.2011 [2], auch Kooperationspartner und konkrete Zahlen genannt. Demnach waren an der Crime-Kooperation zwischenzeitlich sechs Partner beteiligt, nämlich Hessen, Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen-Anhalt, das Zollkriminalamt und seit 2014 Brandenburg. Angaben zu den Entwicklungskosten vor 2006 kann Hamburg nicht vorlegen, seit 2006 brachten alle Kooperationspartner zusammen pro Jahr diese Pflege- und Weiterentwicklungskosten auf:

Jährliche Ausgaben der Crime-Kooperation für Pflege und Weiterentwicklung (in Euro)
Jährliche Ausgaben der Crime-Kooperation für Pflege und Weiterentwicklung (in Euro)

Das sind Gesamtkosten von rund 3,9 Mio Euro, Brandenburg zahlt seit 2014 einen Anteil von 47.619 Euro.

Diese Zahlen sind bemerkenswert, bedeuten sie doch für 2014 und 2015, dass für die Softwarepflege und Weiterentwicklung von CRIME in sechs großen Landes- bzw. Bundesbehörden und mit tausenden von mit CRIME ausgestatteten Arbeitsplätzen insgesamt angeblich nur 500 Manntage pro Jahr abgerechnet werden (499.999 Euro Pauschale pro Jahr dividiert durch den branchenüblichen Manntagessatz von 1.000 Euro [a] ergibt 500 Manntage). Das entspricht einer Personalkapazität von (500 Manntage / 220 Arbeitstage pro Jahr), also rund 2,3 Vollzeitäquivalenten pro Jahr. Und das ist erstaunlich wenig für die Pflege und Weiterentwicklung eines Fallbearbeitungs- und Informationssystems vom verlangten Funktionsumfang.

Notwendige Weiterentwicklungen für Fallbearbeitungssysteme aufgrund gestiegener Anforderungen

Umso mehr, als für solche Systeme in den vergangenen Jahren und kommenden Jahren ganz erheblicher Weiterentwicklungsaufwand zu leisten ist:

  • Da war bzw. ist noch die Integration des Informationsmodells XPolizei zu stemmen. Auch wenn CRIME, wie die Polizei Hamburg so zutreffend erklärt, mit dem generischen Datenmodell ein hochflexibles Datenmodell verwendet, bedeutet es doch Aufwand, sämtliche Objekttypen, die Merkmalstypen zu jedem Objekttyp und – vor allem – die zahlreichen Kataloge für Merkmalsbegriffe einzuarbeiten, um das Fallbearbeitungssystem kompatibel zu machen mit XPolizei bzw. dem späteren PIAV(-Landessystem).
  • Immer wieder sind Anpassungen vorzunehmen, die sich insbesondere aus Gesetzesänderungen ergeben: Erst vor wenigen Monaten wurden das Gesetz für die Antiterrordatei und für die Rechtsextremismusdatei geändert, was entsprechende Anpassungen in den Fallbearbeitungssystemen der Länder nach sich zieht.
  • Immer gut für Anpassungsbedarf ist das BKA mit seiner BLDS-Schnittstelle, die berücksichtigen muss, wer in der Lage sein will, z.B. im BAO-Fall Informationen direkt aus dem Landessystem an das BKA zu übertragen, ohne sie erneut zu erfassen.
  • Und dann gibt es fachliche Anforderungen an die Weiterentwicklung im Sinne einer echten funktionalen Weiterentwicklung für die tägliche polizeiliche Arbeit..

Dass das alles für fünf Landes- und eine Bundesbehörde mit einer Personalstärke von 2,2 Mann pro Jahr zu bewerkstelligen sein soll, grenzt an ein Wunder!

Aufwand für die notwendige Unterstützung von PIAV

Unter anderem deswegen, weil die Behörden, die sich zur Crime-Kooperation zusammengeschlossen haben, auch samt und sonders PIAV-Landessysteme zu betreiben haben. Nun ist aus der Ausschreibung für die PIAV-Zentralkomponente beim BKA bekannt [3], dass man dort einen Anbieter suchte, der – obwohl er vorhandene und bei deutschen Polizeibehörden eingeführte Standardsoftware ins Projekt einbringt – hohe Entwicklerkapazität ins Feld führen kann: Beim BKA dachte man so an die 200 Software-Entwickler, die der erfolgreiche Bewerber aufbieten können sollte. Und nicht zuletzt hat ja auch die Firma Rola, von Hause aus schon um ein Vielfaches größer als das Crime-Entwicklerbüro, den Zuschlag für PIAV Operativ Zentral erst nach der Firmenübernahme durch die Telekom/T-Systems und die damit verbundene Stärkung der personellen Basis erhalten.

Oder ob bei der Crime-Kooperation etwas ganz falsch aufgefasst bzw. gegenüber Politik und Öffentlichkeit falsch dargestellt wird? Wenn man dort angibt, für sechs Behörden für die normale Softwarepflege, Weiterentwicklung und Neu-Entwicklung der PIAV-Landessysteme mit einer Personalstärke von 2,2 Mann pro Jahr auszukommen. Da fragt man sich dann schon, ob beim BKA maßlos übertrieben wird, wenn am besten 200 Entwickler verfügbar sein sollen für die Anpassung einer vorhandenen Standardsoftware „in geringem Umfang“ an die Erfordernisse von PIAV-Zentral. Oder ob mit den Zahlen aus Hamburg etwas nicht stimmt.

Stimmen die Angaben des hamburgischen Senats?

Natürlich wollen wir der Antwort des Senats in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg nicht unterstellen, dass falsche Zahlen angegeben worden sind. Aber möglicher Weise waren die Zahlen ja nicht vollständig: Möglicher Weise gibt es ja weitere Kostenpositionen für die Softwarepflege bzw. Weiterentwicklung von CRIME bzw. der notwendigen Weiterentwicklung von CRIME für den Einsatz im Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV), die in der Antwort des Senats nicht berücksichtigt sind.

Oder aber die Zahlen sind richtig und vollständig: Dann allerdings bleibt nicht viel Raum für fachliche Weiterentwicklungswünsche, es sei denn diese werden – an der IPCC-Kooperation vorbei – direkt von der jeweiligen Polizeibehörde oder deren beauftragtem Generalunternehmer (Dataport) an das Entwicklerbüro bezahlt. Oder aus sonstigen „Kassen“, die in der Antwort im Hamburgischen Senat nicht berücksichtigt sind. Ein Sachverhalt, der plausibel wäre, jedoch die, zuletzt gerade in Brandenburg so vehement betonte (angebliche) ‚Wirtschaftlichkeit‘ der Einführung von CRIME in einem anderen Licht erscheinen ließe. Und die Frage aufwerfen würde, wie solche Beschaffungsmaßnahmen vergaberechtlich zu beurteilen sind.

Wirtschaftlichkeit von CRIME aus der Sicht von Brandenburg

Die angesetzten jährlichen Einzahlungen von Brandenburg an die Crime-Kooperation belaufen sich für 2014 und 2015 auf jeweils 47.619 Euro. Dabei handelt es sich offensichtlich um anteilige Umlagebeträge, denn irgendwelche Sonderaufwendungen für die Einführung von CRIME in Brandenburg sind darin erkenntlich nicht enthalten. Was allerdings sehr verwunderlich ist. Denn mit der Einführung eines solchen Systems in einer Landesbehörde sind erhebliche einmalige Anpassungsaufwendungen verbunden, so z.B.

  • Der Katalog aller Dienststellen (der Polizei des Landes Brandenburg) muss eingepflegt werden,
  • im Katalog für die polizeilichen Maßnahmen ist das Landespolizeigesetz einzuarbeiten,
  • dann muss die gesamte Nutzerverwaltung aufgebaut werden
  • und nicht zuletzt gibt es vermutlich auch fachlichen Bedarf für die Weiterentwicklung von CRIME, um den Funktionsumfang zu erreichen, den man sich vorstellt, bzw. kennt.

Das alles kostet Geld – in einem Umfang, der in den Kostenansätzen der Antwort aus Hamburg nicht zu erkennen ist. Schwer vorstellbar, dass dies mit dem Gegenwert von 47.619 Euro, also rund 48 Manntagen pro Jahr leistbar sein soll. [b]

Wie sind völlig unterschiedliche Kosten und Gewinne für Fallbearbeitungssysteme zu erklären?

Da gibt es einen Anbieter, nämlich die Firma Rola Security Solutions, der Haus- und Hoflieferant ist der Bundesbehörden und zahlreicher Landesbehörden. Der sich mit den Mühen der Auftragsakquisition im offenen Wettbewerb seit Jahren gar nicht mehr herumzuschlagen braucht. Denn die Auftraggeber an die Firma Rola vergaben ohnehin meist freihändig und ohne Wettbewerb. Das lohnt sich für die Firma und zwar so, dass sie im Jahresabschluss stolz verkünden kann, dass der Anteil des Gewinns am Umsatz im Jahr 2013 auf 44% gestiegen ist [4]. Von jeweils 100 Euro Umsatz blieben also 44 Euro Gewinn hängen.

Ganz anders die Crime-Kooperation bzw. generell das Geschäftsmodell des IPCC: Sie erlöste 2013 mit allen Produkten (also nicht nur mit CRIME …) nur rund ein Drittel des Umsatzes der Firma Rola, also rund 5,8 Mio Euro im Vergleich zu über 17 Mio Euro. Das Auftragsvolumen ist jedoch durchaus vergleichbar. Beide Anbieter haben mehrere Bundes- bzw. Länderbehörden(RSCase und Derivate ./. COMVOR/CRIME und AddOns) zu bedienen und beide Anbieter haben Zentralsysteme beim BKA (B-CASE / GED/in Zukunft PIAV Operativ Zentral ./. INPOL / POLAS) zu betreuen. Dass der eine Anbieter dabei einen dicken Gewinn macht, steht auf einer Seite des Blattes: Man kann diesen Gewinn allerdings herausrechnen und kommt dann bei Rola zu einem (um den Gewinn verminderten) Umsatz von 11,8 Mio Euro. Das Inpol Polas Competence Center „macht“ die Hälfte davon. Wie kann es sein, dass von der Menge (und Qualität?) her vergleichbare Leistungen um 100% auseinanderliegen?! Das ist plausibel nicht zu erklären. Die einzige mögliche Erklärung ist: Es liegen längst nicht alle Informationen auf dem Tisch.

Übereinstimmung herrscht bei beiden Beschaffungsvarianten nur auf einem Gebiet: Sie sind weder transparent, noch vergaberechtskonform, noch wirtschaftlich für die öffentliche Hand.

Fußnoten / Anmerkungen

[a]   Zum durchschnittlichen Manntagessatz von 1.000 Euro: Der Betrag von durchschnittlich 1.000 Euro pro Manntag für großvolumige Rahmenverträge ergibt sich z.B. aus der Vergabebekanntmachung von Dataport für einen Auftrag an Trivadis [4].

[b]   Hinweis in eigener Sache: Die Autorin dieses Artikels war als Projektleiterin der Firma Polygon tätig. Deren Informationssystem POLYGON ist ebenfalls als Fallbearbeitungs- und Informationssystem für die Polizei Brandenburg im Einsatz.

Dieser Artikel ist Teil der Serie Akteure | IPCC und Konsorten

Hier finden Sie eine Liste sämtlicher Artikel dieser Serie.

Quellen zu diesem Beitrag

[1]   Polizeifachliche Softwareprojekte und Dataport,Schriftliche Kleine Anfrage und Antwort des Senats vom 16.09.2014, Drs-Nr. 20/12989

[2]   Kriminalität und Einsatz moderner Fahndungsmethoden, Schriftliche Kleine Anfrage und Antwort des Senats vom 21.11.2011, Drs-Nr. 20/1841

[3]   Beschaffungsvorhaben für polizeiliche IT 2013, 29.07.2013, Police-IT
https://police-it.net/beschaffung-vergabe/beschaffungsvorhaben-fuer-polizeiliche-it-2013-3366

[4]   Bekanntmachung des von Dataport an Trivadis vergebenen Auftrags, 18.12.2013,
     TED, Nr. 2013/S 245-427428

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