Vertrag mit Polizei2020-Gesamtprogrammleiter Gadorosi auf fast 4 Mio Euro erweitert

Die Vertragskonstruktion zwischen dem Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums und dem Freiberufler Holger Gadorosi ist ein bemerkenswertes Beispiel kreativer Vergabepraxis: Da wurde im April 2020 der Einzelunternehmer Holger Gadorosi mit „Beratungsleistungen zur Übernahme der Gesamtprogrammleitung und fachlichen Leitung des Programms Polizei2020 im BKA“ beauftragt; zu einem Auftragswert von netto 3,708 Mio Euro [2]. Begründet wurde die freihändige Vergabe damit, dass der Auftrag „aus technischen Gründen nur VON EINEM BESTIMMTEN Unternehmen erbracht werden“ könne [A].

Der „trojanische“ Auftragnehmer: Wie aus EINEM BESTIMMTEN Auftragnehmer ZWEI werden

POLICE-IT fragte nach beim Beschaffungsamt. Erst gegen 500 Euro „Maximalgebühren“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz kam nach vielen Wochen ein Packen weitgehend nichtssagender, allgemeiner Vertragsbedingungen. Weniges, was diesen individuellen Vertrag betrifft. Aus dem Wenigen ergibt sich allerdings, dass im Vertrag mit dem EINEN BESTIMMTEN Einzelunternehmer „verpackt“ noch EIN ZWEITER Auftragnehmer enthalten ist, ein geheimnisvoller „Mister eFBS“ (meine Bezeichnung). Gadorosi stellt also einen im Vergaberecht nicht vorgesehenen „trojanischen Auftragnehmer“ dar, meines Wissens eine Novität im Vergaberecht [B].
(Zur „Key-Person-Problematik in Projekten, die im Fall Gadorosi konsequent ignoriert wird, siehe [a]).

Tagessatz mehr als 1.800 Euro

Nur eineinhalb Jahre nach Abschluss des Grundvertrages [2] reichte das ursprüngliche Vertragsvolumen von 3,708 Mio Euro für 55 Monate – Mai 2020 bis 12.2024 – schon nicht mehr aus: Es wurde daher um 262.828,80 Euro (ohne Mehrwertsteuer) erweitert auf nunmehr 3.968.711,15 Euro (ohne Mehrwertsteuer). Das sind rein rechnerisch 72.158 Euro pro Monat bzw. 1.804 Euro pro Abrechnungstag (bei 2 Auftragnehmern und 20 Arbeitstagen pro Monat – jeweils ohne jegliche Urlaubs- und Fehlzeiten).

Programmänderungen – bei aller Vorsicht nicht vorhersehbar?!

Die Änderung am Vertrag sei notwendig geworden „aufgrund von Umständen, die ein öffentlicher Auftraggeber bei aller Umsicht nicht vorhersehen konnte“, liest man weiter in der Vergabebekanntmachung [1]. Es seien nämlich „Änderungen der Programmvorgaben erfolgt, die der Verwaltungsrat auf einer einberufenen Sondersitzung am 11.03.2021 beschlossen“ habe.

Der Polizei2020 bzw. Polizei-IT-Fonds Verwaltungsrat

Aha! Da haben wir also den bösen Buben: Der Verwaltungsrat wars! Ihm gehören der Bund und jedes Bundesland mit jeweils einer Stimme an.

Muss der Verwaltungsratsvorsitzende über Programmänderungen Bescheid wissen oder diese vorhersehen?

Vorsitzender des Verwaltungsrats ist der Abteilungsleiter Öffentliche Sicherheit (AL ÖS) im BMI. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der beiden Verträge war das Dr. Christian Klos.
In dieser Abteilung ist auch die Projektgruppe/Geschäftsstelle des Programms Polizei2020 angesiedelt mit einer Personalstärke von 35 Vollzeitäquivalenten [6]. Der AL ist der Repräsentant des Auftraggebers BMI im Hinblick auf die Vertragserweiterung mit Gadorosi. Und für ihn war eine Programmänderung bei aller Vorsicht nicht vorhersehbar. [in 1]

Muss der Gesamtprogrammleiter über Programmänderungen Bescheid wissen oder diese vorhersehen?!

Vermutlich war dieses Risiko für den Abteilungsleiter mit seinen vielen Aufgaben auch ein wesentlicher Grund, warum das BMI für diesen den EINEN BESTIMMTEN Gesamtprogrammleiter eingekauft hat. Als Leiter des Programms Polizei2020 müsste der BESTIMMTE über Änderungen der Vorgaben für Polizei2020 eigentlich Bescheid wissen. In anderen Projekten, die mir bekannt sind, war es sogar so, dass die Spezifikation und Dokumentation solcher Änderungen vom Projektleiter gesichtet und abgezeichnet werden musste, BEVOR sie einem Gremium zur Abstimmung vorgelegt wurden. Doch das war vermutlich „old school“ und macht man heute nicht mehr so …

Folie aus der Präsentation auf dem Stand des Projekts Polizei 20/20: „Polizei 20/20 – auf dem Weg zu einer digitalen und vernetzten Polizei“, 14./15.09.2021 Europäischer Polizeikongress

„Governance“ und Fristen im Verwaltungsrat zur Vorbereitung von Abstimmungsthemen

Wenn diese Programmänderung dem EINZIGEN BESTIMMEN also nicht in seiner Eigenschaft als Gesamtprogrammleiter zur Kenntnis kam, bestand noch eine Chance via Verwaltungsrat: Denn auch dort ist der Gesamtprogrammleiter ständiges Mitglied (§5, Abs. 1 in [3]). Also müsste er, spätestens 10 Tage vor Beginn der Sondersitzung mit der Einladung auch die fristgerecht eingereichten Tagesordnungspunkte erhalten haben (§4 in [4]).

Möglichkeiten zur Erkenntnisgewinnung anstelle reiner Vorsehungen für den Gesamtprogrammleiter

Deren Einreichung durch die stimmberechtigten Mitglieder des Verwaltungsrates spätestens bis 25 Werktage vor Sitzungsbeginn erfolgt sein muss (§5, Abs. 1 in [4]). Wozu ein weiteres Panel, das so genannte, Beratungsgremium, dann bis spätestens 15 Werktage vor Sitzungsbeginn Stellung nehmen muss. Das wäre die nächste Möglichkeit gewesen, die dem Gesamtprogrammleiter die Vorhersehbarkeit erleichtert hätte: Denn auch im Beratungsgremium ist er ständiges Mitglied (§10, Abs. 1 in [4]).

Trotz bester „Governance“ – zwei Verantwortliche hatten keine Ahnung!

Es ist wirklich zu dumm, dass diese ganze ausgeklügelte Projektstruktur nicht verhindern konnte, dass der verantwortliche Veraltungsratsvorsitzende und sein Gesamtprogrammleiter buchstäblich keine Ahnung hatten von der sich anbahnenden Programmänderung.

Sie sollen von ungenannten Umständen förmlich überrollt worden sein, wie wir jetzt aus der Bekanntmachung zum Nachtragsvertrag [1] erfahren: Wie das eben so ist mit Multi-Millionen-IT-Projekten im Geschäftsbereich des BMI. Da ändert eine unbekannte Macht mit Stimmbefugnissen im Verwaltungsrat quasi über Nacht und an allen Fristen vorbei die Programmvorgaben und nicht einmal die obersten Manager dieses Projekts konnten das – bei aller Umsicht – vorhersehen.

Vielleicht hilft noch bessere Bezahlung …

Man sollte darüber nachdenken, diese Leute noch viel besser als bisher zu bezahlen, angesichts solcher Bürden, denen sie standzuhalten haben! Denn solche Programmänderungen stürzen offensichtlich immer wieder mal über sorgfältig modellierten IT-Großprojekte zusammen. Ähnlich unvorhersehbar, wie die Hochwässer im Ahrtal! Besonders gerne in Programmen, die aus mehr als 30 Einzelprojekten bestehen und an denen sechzehn Landes- und drei Bundespolizeien und auch noch das Zollkriminalamt (nichts für ungut!) mitwirken (dazu mehr in [5]).

Änderung der ProgrammZIELvorgaben in der laufenden Entwicklung – ein altes Lied beim BMI

In Berichten des Bundesrechnungshofs [C] wurde über Jahre hinweg ganze Liederreigen davon gesungen. Erfahrenen Projektführungsexperten, wie Herrn Gadorosi, sind solche Programmänderungen – in der internationalen Projektmanagement-Szene werden sie auch gerne als „Moving Target Situations“ bezeichnet – daher auch bestens bekannt.

Und somit auch die Chancen, die sich für einen Gesamtprogrammleiter daraus eröffnen … Noch viel besser, wenn er einen verständnisvollen Mitstreiter auf der Auftraggeberseite im Ministerium hat: Weil dann die Nachverhandlung und -zahlung problemlos möglich wird.

Existieren Dokumente, die diese Begründungen stützen?

Spannend fände ich es, mal einen Blick in die ursprüngliche und die aktuelle Dokumentation der hier ursächlichen „Programmvorgaben“ zu werfen. Daraus müsste sich bei der hier tätigen Projektführung – allein die Geschäftsstelle für Polizei2020 bzw. für den Polizei IT-Fonds im BMI ist mit 30 plus 5 Vollzeitäquivalenten bestückt [6] – rasch ersehen lassen, welche Programmvorgaben geändert werden mussten, warum eigentlich, wer dafür den Anstoß gab und welche Auswirkungen diese Änderungen auf das Projekt und dessen Gesamtprogrammleiter haben.

Wenn nicht: Was sagt denn das Protokoll der Sondersitzung des Verwaltungsrats

Falls es solche Dokumente nicht geben sollte, was nach Berichten aus dem Bundesrechnungshof bei großen Projekten dieser Art schon mal vorgekommen sein soll [C], würde es auch genügen, in die doch sicher protokollierten Beschlüsse der Sondersitzung vom 11.3.2021 zu schauen. Oder auch in die Anmeldung von Tagesordnungspunkten zu dieser Sondersitzung (fällig spätestens 25 Werktage vor Sitzungsbeginn – §5, Abs. 1 in [4]). Oder in die schriftliche Stellungnahme des Beratergremiums (fällig 15 Werktage vor Sitzungsbeginn – §5, Abs. 1 in [4]).

Aber man weiß ja, wie unvorhergesehen blitzschnell fünf oder auch drei Arbeitswochen bei aller Umsicht ins Land gehen können. Und bis die vorgeschriebenen Unterlagen dann gesehen wurden und gelesen wurden und bis verarbeitet ist, was da drinsteht und welche Konsequenzen das hat, kann es eben schon mal eng werden: Und so sind – auch in Zukunft – solche bei aller Umsicht unvorhersehbaren Umstände nicht ausgeschlossen. Was Gottlob durch einen Nachschlag aus dem Bundeshaushalt zuverlässig und relativ geräuschlos ausgeglichen werden kann. Und das Projekt Polizei2020 dem Schicksal seiner Vorgänger wieder einen Schritt näher bringt …

Fußnote

[a]   Die Abhängigkeit von einem bestimmten einzelnen Spezialisten (Key-Person) ist nicht nur in großen Projekten, sondern auch in der freien Wirtschaft ein hohes Risiko. Selbst der Gesetzgeber verlangt, z.B. im KonTraG vorbeugende Analysen und Maßnaauch das BMI in vergleichbaren Dienstleistungsprojekten (z.B. für den aktuell gesuchten „Generalunternehmer für Polizei 2020 [D] auch die Benennung von Ersatzleuten für Schlüsselpersonen im Projekt-Management.

Gadorosi muss SEHR spezielle Fähigkeiten an seiner Schlüsselstelle haben, wenn darauf in seinem Fall wiederholt verzichtet wurde und immer noch wird.

Quellen

[1]   Bekanntmachung einer Änderung des Auftrages über Dienstleistungen zur „Leitung des Programms Polizei2020“ zwischen dem Beschaffungsamt des Bundesministerium des Innern und Holger Gadorosi Consulting, Gauting, TED-Nr. 2021/S 221-583597, veröffentlicht am 15.11.2021 [„Nachtragsvertrag“]

[2]   Bekanntmachung des vergebenen Auftrags über Dienstleistungen zur „Leitung des Programms Polizei2020“ zwischen dem Beschaffungsamt des Bundesministerium des Innern und Holger Gadorosi Consulting, Gauting, TED-Nr. 2020/S 082-193999, veröffentlicht am 27.04.2020 [„Grundvertrag“]

[3]   Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung eines Polizei-IT-Fonds und über die Grundlagen der Zusammenarbeit bei der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens von Bund und Ländern – Vereinbarung zur Ausführung von Artikel 91c, Absatz 1 und Absatz 2, Satz 1 und Satz 4 GG, Stand vom 15.09.2019

[4]   Geschäftsordnung des Verwaltungsrates zur Verwaltung eines Polizei-IT-Fonds und zur Gestaltung der Zusammenarbeit bei der Modernisierung des polizeilichen Informationswesens von Bund und Ländern, Stand: 15.05.2019

[5]   aus der Folien-Präsentation auf dem Stand des Projekts Polizei 20/20: „Polizei 20/20 – auf dem Weg zu einer digitalen und vernetzten Polizei“, 14./15.09.2021 Europäischer Polizeikongress

[6]   Antwort des Sprechers des Bundesministeriums den Innern vom 11.11.2021 auf Presseanfrage von POLICE-IT vom 14.10.2021

Auch interessant …

[A]   Siehe „Vergabebekanntmachung für einen Auftrag über 3,7 Millionen Euro an den Gesamtprogrammleiter für Polizei2020“ in ‚Wie eine Presseanfrage zur Dienst­aufsichts­beschwerde wurde‘, 30.10.2020

[B]   Tricks bei der Auftragsvergabe für den Polizei2020-Programmleiter Gadorosi, 08.01.2021,

[C]   Zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs über IT-Projekte im Geschäftsbereich des BMI

[D]   BMI sucht Generalunternehmer für Polizei2020 für 138 Mio Euro, 05.01.2022

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