Es ist ja in letzter Zeit häufig die Rede von der „Presse als der vierten Gewalt“. Diese Aufgabe kann ausgesprochen zäh werden, wie die folgenden drei Episoden zeigen, die uns in den letzten Wochen beschäftigt haben: Konkrete Anfragen an das Bundesinnenministerium wurden – nicht zum ersten Mal – mit Allgemeinplätzen abgespeist. Aus einer Presseanfrage nach einer „trojanischen Auftragsvergabe“ im Projekt Polizei2020 erwuchs inzwischen eine mit Höchstgebühr von fünfhundert Euro belegte Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz, jedoch noch immer keine Antwort. Und eine ausdrücklich als solche bezeichnete Presseanfrage an eine Staatsanwaltschaft wurde von der Generalstaatsanwaltschaft eigenmächtig „umgewidmet“ zur Dienstaufsichtsbeschwerde.
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Anfrage beim Bundesinnenministerium wegen der ‚Kontrolle unrechtmäßiger Datenbankabfragen durch Sicherheitsbehörden des Bundes‘
Auslöser war eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Deutschen Bundestag von Ende August. Bis die Antwort der Bundesregierung vorlag und für jedermann im Volltext lesbar war, vergingen fünf Wochen. Die Antworten aus dem Bundesinnenministerium ließen, bei genauem Lesen, und in Kenntnis der Informationssysteme, nach denen gefragt worden war, doch einige Kontroll-Lücken erkennen. Das war der Anlass, eine konkrete Presseanfrage beim BMI einzureichen. Und dabei dort, wo technische Kenntnisse zum Verständnis erforderlich sind, auch entsprechende Erläuterungen über den Hintergrund unserer Frage(n) mitzugeben.
- Unsere Fragen betrafen z.B. die Protokollierung im Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV). Oder in der gemeinsamen Ermittlungsdatei im Staatsschutz (GED). Denn aus der Antwort auf die Kleine Anfrage war der Eindruck entstanden, dass in diesen polizeilichen Informationssystemen unter Umständen gar keine Protokollierung von Datenbankabfragen realisiert ist.
- Eine ähnliche Frage betraf die Protokollierung im Fallbearbeitungssystem der Bundespolizei [also B-CASE bzw. eFBS / d. Verf.] und in dessen Vorgangsbearbeitungssystem [@rtus / d. Verf.]. Denn laut Antwort auf die Kleine Anfrage „sind in den Fall- und Vorgangsbearbeitungssystemen [der Bundespolizei], sowie im Fahndungs- und Auskunftssystem [also INPOL-Teilnehmersystem der Bundespolizei / d. Verf.] keine Stichprobenkontrollen vorgesehen.
- Eine weitere Frage betraf die Angabe einer Begründung für die Abfrage von Polizeidatenbanken. Eine solche Begründung ist gesetzlich vorgeschrieben – in Par. 76, Abs. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes. Aus anderem Zusammenhang wissen wir allerdings, dass anstelle einer konkreten Begründung häufig auch solche Gemeinplätze verwendet werden, wie „Strafverfolgung“ oder „Gefahrenabwehr“. Das kommt mir so vor, als würde ein Rechtsanwalt in den Regiebericht über seine Tätigkeiten als Begründung „Mandantenvertretung“ schreiben. Wir wollten daher vom BMI wissen, wie konkret spezifiziert eigentlich eine solche Begründung sein muss, zum Beispiel durch die Angabe einer Tagebuchnummer oder eines Aktenzeichens.
- In der Antwort auf die Kleine Abfrage war an diversen Stellen die Rede davon, dass in den Bundessicherheitsbehörden ein Stichprobenverfahren eingeführt worden ist: Das darin besteht, dass jeweils eine von tausend Abfragen mit einem sogenannten Sperrbildschirm belegt wird: Der den Benutzer dazu auffordert, eine Begründung für seine Abfrage einzugeben. Auch dazu fragten wir nach: Denn die Vorgangsbearbeitungssysteme in Polizeibehörden stellen eine Oberfläche zur Verfügung, in der man EINE Suchabfrage formulieren kann, aus der dann aber gleichzeitig Anfragen an MEHRERE Polizeidatenbanken zur Beantwortung weitergeleitet werden, also z.B. an das INPOL-Teilnehmersystem dieser Behörde [hier also INPOL-BKA oder INPOL-BPol], an das Schengen-Informationssystem oder auch Abfragen bei den Einwohnermelderegistern oder beim Ausländerzentralregister. Insofern macht es schon ein Unterschied, ob bei den genannten „tausend Abfragen“ DIE tausend gemeint sind, die im Frontend des Vorgangsbearbeitungssystems formuliert werden oder das MEHRFACHE davon, nämlich die Abfragen, die bei INPOL oder AZR oder SIS ankommen.
Weder die Erläuterungen für den Hintergrund unserer Frage, noch die konkrete Formulierung verhalfen zu einer Antwort: Ein Sprecher des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat konnte uns mitteilen, dass „Abfragen im polizeilichen Informationsverbund durch Polizeien des Bundes und der Länder unter Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften erfolgen“ müssen.
Das ist leider übliche Praxis bei der Beantwortung von Presseanfragen oder auch Kleinen Anfragen durch das BMI: Statt Antworten auf die konkret gestellten Fragen werden Ausflüchte gewählt in der Versicherung einer Selbstverständlichkeit: „Wir halten uns an die Gesetze“. Mit ähnlichen Plattitüden ging es weiter.
Wir unternahmen einen letzten Versuch: Teilten in einer Nachfrage mit, dass die dezidierten Fragen nicht beantwortet sind, die wir nach gründlicher Lektüre der Antwort auf die Kleine Anfrage erst formuliert hatten. Unsere erneuerte Bitte allerdings, diese Fragen zu beantworten, blieb ohne Reaktion.
Ergebnis also: Viel Aufwand ohne dass etwas Verwertbares rausgekommen wäre.
Vergabebekanntmachung für einen Auftrag über 3,7 Millionen Euro an den Gesamtprogrammleiter für Polizei2020
Holger Gadorosi – der Projektleitungs-Joker des BMI
Zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Freiberufler Holger Gadorosi besteht schon seit ca. 20 Jahren eine geradezu symbiotische Beziehung. Gadorosi wurde ab 2003 eingesetzt als Projektleiter zur Rettung des gescheiterten INPOL-Neu. Daraus wurde unter seiner Leitung und dem Verzicht auf wesentliche Funktionen, die INPOL-Neu eigentlich haben sollte, dann INPOL-Neu-Neu. Ab ca. 2013 war Gadorosi dann – als Freiberufler – Co-Projektleiter im Projekt ‚Netze des Bundes‘ neben einem Ministerialdirigenten aus dem BMI. Auffallend an diesem Auftrag war die geradezu fürstliche Entlohnung von 8,7 Millionen Euro für insgesamt 30 Monate Tätigkeit.
Holger Gadorosi als Gesamtprogrammleiter für Polizei2020
Ohne explizite Auftragsvergabe wurde Gadorosi dann ab 1.7.2019 beauftragt mit der Übernahme der Gesamtprogrammleitung für Polizei2020. Das sei, hatten wir schon aus einer früheren Anfrage beim BMI erfahren, „aufgrund zeitlicher Notwendigkeit“ „kurzfristig interimsweise“ erfolgt und bis zum 31.12.2019 befristet. Im April 2020 erschien dann eine Vergabebekanntmachung über Beratungsleistungen zur Übernahme der Gesamtprogrammleitung und fachlichen Leitung des Programms Polizei2020 durch das BMI-Beschaffungsamt an Holger Gadorosi: Mit einem Volumen für 3,708 Millionen Euro für einen Zeitraum von 20 Monaten (Mai 2020 bis Ende 2021).
Widersprüche in der Begründung der Auftragsvergabe
Als Begründung für die – wieder einmal freihändige – Vergabe wurde angeführt, dass der Auftrag „aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden“ könne.
Das wollten wir genauer wissen und fragten beim BMI nach. In der Antwort hieß es, dass das in der Vergabebekanntmachung veröffentlichte Beschaffungsvolumen NICHT auf eine technische Begründung zurückzuführen sei, sondern auf den Leistungsumfang. Die Vergabe beinhalte nämlich zwei Teilleistungen, die als „zwei Rollen durch die Firma Gardarosi Consulting wahrgenommen“ werden. Zur Wahrnehmung beider Teilleistungen bedient sich die Firma Holger Gadorosi Consulting eines Unterauftragsverhältnisses.“
Ja, was denn nun?! Erst „technische Gründe“, auf Nachfrage dann ein versteckter weiterer Dienstleister … Ein Experte für Vergaberecht bezeichnete dieses Vorgehen des Beschaffungsamts des BMI als der größten deutschen Beschaffungsstelle schlichtweg als „Witz“.
Trojanische Auftragsvergabe
Die Auftragshöhe von 3,708 Mio Euro für 20 Monate bzw. aus dem früheren Vertrag von 8,7 Mio Euro für 30 Monate nährt die Vermutung, dass Aufträge an den Freiberufler Holger Gadorosi eben nicht nur dessen Leistungen vergüten, sondern auch verwendet werden für die Beschaffung von anderen Lieferungen bzw. Leistungen, die im Vertrag der Holger Gadorosi Consulting mit dem BMI-Beschaffungsamt versteckt werden.
Diese Vermutung bestätigte sich im Bezug auf den Vertrag über die Polizei2020-Programmleitung. Nach einigem Hin und Her mit dem Beschaffungsamt des BMI, kamen wir mit Presseanfragen nicht weiter: Und stellten also eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz beim Beschaffungsamt (als Vertragspartner von Gadorosi). Sieben Wochen später lag eine erste Antwort vor: Mit einer teilweisen Ablehnung des Antrags und einigen weiteren Informationsfragmenten. Eine ausführliche Laudatio der Kompetenzen und Fähigkeiten von Herrn Gadorosi nahm die eine Hälfte des Informationsteils ein.
Doch die andere Hälfte erläuterte, warum im Vertrag mit Gadorosi ein Vertrag mit einem ungenannten aber „bestimmten“ Menschen inkludiert ist, der Herrn Gadorosi als Programmleiter zur Seite gestellt werde. Es soll sich um den bisherigen Projektleiter für die Einführung des eFBS handeln, des einheitlichen Fallbearbeitungssystems. Doch warum braucht man dafür externe Dienstleister? Und warum diese klandestine, intransparente und nicht zu kontrollierende Auftragsvergabe??
Wir begannen zu verstehen, dass dieser, und gegebenenfalls auch schon der frühere Auftrag an Gadorosi ein neues Vertragskonstrukt etablieren, das sich passend vielleicht mit „trojanische Auftragsvergabe“ überschreiben ließe: Im „Bauch“ des einen Vertrages wird die Lieferung/Leistung für einen weiteren Auftragnehmer verborgen.
Ab jetzt wird für die IFG-Anfrage der Höchstgebührensatz fällig
Wir fragten also erneut nach, baten insbesondere um die Vergabedokumentation, die Vergabeunterlagen und um Mitteilung der Grundlagen für die Schätzung dieses Auftragswertes. Drei Wochen später fragte das Justiziariat des Beschaffungsamtes an, ob wir an unserer Anfrage festhalten wollten: Denn jetzt seien Gebühren fällig: Für angemessen halte man den Höchstsatz von fünfhundert Euro angesichts des erforderlichen Verwaltungs- bzw. Arbeitsaufwandes, der auf insgesamt etwa 8,5 Arbeitsstunden geschätzt werde. Denn es müsse „eine umfangreiche Zusammenstellung, Prüfung und Schwärzung der angefragten Dokumente“ durch einen Beamten der Besoldungsgruppe A13 durchgeführt werden.
Wir hielten dennoch an unserem Antrag fest. Als bisher letzten Zug teilte man uns weitere zwei Wochen später mit, „dass sich die Bearbeitung Ihrer Anfrage leider etwas verzögert. Dies liegt insbesondere an der zeitweisen Abwesenheit der zuständigen Bearbeiter.“
Wie aus einer Presseanfrage eine Dienstaufsichtsbeschwerde gemacht wurde
Die dritte unserer kleinen Episoden betrifft den Fall einer Flüchtlingsfamilie in Hessen. Dort prallen folgende Interessen aufeinander: Die Familie mit inzwischen kleinen Kindern auf der einen Seite, die darauf hofft, doch noch eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Und eine Ausländerbehörde auf der anderen Seite, die der Linie des hessischen Innenministeriums folgt und bisher die Ausreise der Familie betrieben hat.
Offene Diskussionspunkte sind Straftaten des Familienvaters vor Jahren: Einige Ladendiebstähle bzw. Fahren ohne Führerschein sind unbestritten, wurden abgeurteilt und die entsprechenden Geldstrafen sollen bezahlt sein. Strittig sind weitere Straftaten, die verknüpft sind mit einer anderen Personalien als der rechtmäßigen und polizeilich auch seit Jahren bestätigten – anderen – Personalie des Familienvaters.
Ein Beispiel für den mitunter variantenreichen Umgang von Polizei und Justiz mit Identitäten
Nicht zum ersten Mal kam ich auch in diesem „Fall“ damit in Berührung, dass der Umgang von Polizei bzw. Justiz mit den Identitäten von Flüchtlingen, vorsichtig formuliert, variantenreich sein kann:
Im vorliegenden Fall steht die rechtmäßige Personalien des Familienvaters aufgrund eines Personenfeststellungsverfahrens seit 2015 fest. Dessen ungeachtet wurde im Jahr 2019 ein Haftbefehl ausgestellt, der sich gegen eine Person anderen Namens richtet: Namensidentisch mit einer Personalie, die dem Familienvater früher zugeordnet war – und wie polizeilich seit 2015 festgestellt sein soll, eben gerade NICHT sein rechtmäßiger Name ist.
Wir nahmen diesen Sachverhalt zum Anlass, bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eine Presseanfrage zu stellen: Denn in Deutschland gelten die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV), in deren §13, Abs.1 klar geregelt ist, dass die Namensangaben sorgfältig festzustellen und richtig geschrieben zu verwenden sind.
Eine gute Woche lang tat sich gar nichts. Wir fragten bei der Staatsanwaltschaft nach, wann mit einer Beantwortung unserer Presseanfrage zu rechnen sei. Und erfuhren, dass diese dort nicht vorläge, möglicherweise „versehentlich abhanden gekommen“ sei. Also übersandten wir sie erneut, warteten danach aber weiterhin auf Antwort. Im nächsten Schritt wandten wir uns an die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft, die postwendend mitteilte, dass sie die Anfrage an die zuständige Fachabteilung im Hause weitergegeben habe.
Unsere Presseanfrage wird als Dienstaufsichtsbeschwerde „aufgefasst“
Weitere acht Tage später schrieb uns dann eine Oberstaatsanwältin: Unsere – klar als solche bezeichnete – Presseanfrage werde dort als Dienstaufsichtsbehörde aufgefasst und sei daher der ursprünglich angeschriebenen Staatsanwaltschaft „zwecks Prüfung und weiterer Veranlassung in eigener Zuständigkeit“ übersandt worden.
Dem haben wir widersprochen und ein weiteres Mal bei der ursprünglich angefragten Staatsanwaltschaft um Beantwortung unserer – inzwischen mehr als drei Wochen alten – Presseanfrage gebeten.
Und nachdem wir – in allen drei genannten Episoden – derzeit nur warten können bzw. müssen, war wieder mal die Zeit, einen, nämlich diesen Artikel zu schreiben …
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[A] Gadorosi – Joker des BMI für strategische IT-Projektsteuerung, 25.07.2019
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