Visafreiheit für Georgien und die Polizeiliche Kriminalstatistik

Die Europäische Union hat schon mit mehr als 50 Ländern Visa-Freiheit vereinbart. Georgien, die ehemalige Sowjetrepublik an der Grenze zwischen Europa und Asien, sah bis vor kurzem gute Chancen, eines der nächsten Länder zu sein, dessen Einwohner kein Visum mehr brauchen, wenn sie in die EU einreisen möchten. Das Land hat alle 35 Bedingungen erfüllt, die die EU zur Voraussetzung für die Visa-Liberalisierung gemacht hat [1]. Bundesaußenminister Steinmeier sah noch Anfang Juli „realistische Möglichkeiten“ für eine positive Entscheidung bis Ende September [2]. Das allerdings geht zahlreichen Politikern der Unionsfraktion entschieden zu weit. Gemeinsam mit willfährigen Helfershelfern suchten und fanden sie eine Lösung, wie die Visumsfreigabe für georgische Bürger wirksam verhindert werden kann. Das war erfolgreich: Nach aktuellem Status – Ende August 2016 – wird die EU die Visa-Pflicht für Georgien nämlich nicht wie geplant aufheben [in 1].

Was Visafreiheit für Georgien mit dem EU-Türkei-Flüchtlingsdeal zu tun hat …

Vorausgeschickt werden muss, dass auch die Türkei seit vielen Jahren auf die Aufhebung der Visa-Pflicht für ihre Bürger bei der Einreise in die EU pocht. Der türkische Präsident Erdogan droht, den Flüchtlingsdeal mit der EU platzen zu lassen, sollte nicht bis spätestens Ende Oktober die Visa-Freiheit für türkische Bürger umgesetzt sein. Deutschland und Frankreich haben sich bei diesem Deal allerdings ein Hintertürchen offen gehalten, welches es der EU erlaubt, von einer versprochenen Visa-Freiheit einen Rückzieher zu machen: Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Dazu zählen auch organisierte Kriminalität und Wohnungseinbruchdiebstähle, insbesondere dann, wenn diese dargestellt werden können, als seien sie von bandenmäßig begangen worden.

Georgien hat den Schaden

Nun hat die politische Führungsebene der EU und allen voran die deutsche Regierung derzeit wenig Veranlassung, sich als unfreundlich gegenüber der türkischen Regierung zu gerieren. Das bekommt zur Zeit Georgien zu spüren, das sich so große Hoffnungen auf baldige Visa-Freiheit gemacht hatte:

Meinungsmache durch ‚Welt‘, den BDK-Vorsitzenden und das BKA

Der Plot, mit dem dies geschah, wurde am 31. März 2016 sichtbar in einem (ersten) Artikel in der ‚Welt‘ [3] unter der reißerischen Überschrift „Georgische Mafia schleust Einbrecher als Asylbewerber ein“:

„Angesichts von Berichten über einen Anstieg der Wohnungseinbruchsdiebstähle in Deutschland hat der Bund Deutscher Kriminalbeamten (BDK) die georgische Mafia für große Teile der Einbrüche verantwortlich gemacht. Die Täter seien Teil der organisierten Kriminalität, sagte der BDK-Vorsitzende André Schulz der „Bild“-Zeitung. „Dahinter steckt in vielen Fällen die georgische Mafia, die in Georgien gezielt Verbrecher anspricht und sie nach Deutschland schickt.“

Und zur Bekräftigung wurde in einem zweiten Artikel in der ‚Welt‘ am gleichen Tag [4] auch noch das BKA als Zeuge aufgeboten:

„Das Bundeskriminalamt (BKA) macht verstärkt Banden aus Georgien für Wohnungseinbrüche in Deutschland verantwortlich. Es sei auffällig, dass im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten die Zahl georgischer Asylbewerber zunehme. „Es liegt also nahe, dass diese Personen den Asylantrag nur stellen, um sich zur Begehung von Straftaten vorübergehend in Deutschland aufhalten zu können“, teilte das BKA der „Welt“ auf Anfrage mit.

BMI-Pressestelle: „Die PKS 2015 ist überhaupt noch nicht fertig …“

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für 2015, aus der sich diese Schlussfolgerungen ergeben sollen, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht. Wir fragten daher noch am gleichen Tag bei der Pressestelle des Bundesinnenministeriums, welcher Anteil an den in der PKS 2015 erfassten Wohnungseinbrüchen der georgischen Mafia bzw. dieser zuzurechnenden Täter zugeschrieben wird. Die Antwort aus dem BMI kam prompt und lautete:
„Die PKS 2015 ist überhaupt noch nicht fertig und daher auch noch nicht veröffentlicht …“

Aus dieser Mitteilung konnten wir zumindest ersehen, dass es dem BKA freigestellt ist mit Schlussfolgerungen aus der offiziellen Kriminalstatistik an die Presse zu gehen, bevor diese überhaupt fertiggestellt und veröffentlicht ist. Und dass der Vorsitzende der kleinsten Polizeigewerkschaft – des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) – nicht nur über beste Beziehungen verfügt, um sich solche Daten zu beschaffen. Sondern dass er auch mit Erklärungen von erheblicher politischer Brisanz an die Presse gehen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Dem Betrachter bleibt die Frage: Wem nützt das?

Die Zahlen aus der PKS 2015 belegen die veröffentlichten Meinungen gerade nicht …

Wir warteten also geduldig ab, bis die PKS 2015 [5] dann schließlich veröffentlicht war und schauten uns die Zahlen näher an: Dort heißt es, dass im Jahr 2015 167.136 Fälle von Wohnungseinbruchdiebstahl polizeilich registriert wurden. Nach Auffassung des Experten Schulz „werden nur rund 75% aller Wohnungseinbrüche überhaupt angezeigt“ [6]. Sollte dies zutreffen, läge die tatsächliche Fallzahl also bei rund 223.000 Fällen, was die Aufklärungsquote noch schlechter aussehen ließe.

Apropos Aufklärungsquote! Es gelang der Polizei bei lediglich 15,2% die Aufklärung, also die Feststellung eines Tatverdächtigen. Das ist der schlechteste Wert seit 2008. Insgesamt wurden 17.670 Tatverdächtigen bekannt. Es versteht sich von selbst, dass man Aussagen über die Staatsangehörigkeit eines Tatverdächtigen nur dann machen kann, wenn man seiner zumindest einmal habhaft geworden ist.

Die veröffentlichte PKS macht auch Aussagen über die Staatsangehörigkeit der festgestellten (17.670) Tatverdächtigen. Rund 60% von ihnen sind Deutsche. Die restlichen 40%, oder in absoluten Zahlen, 7.096 Personen, sind Nicht-Deutsche. Man macht sich gespannt auf die Suche nach der großen Gruppe von Georgiern … Die Erwartung wird allerdings enttäuscht, denn die Liste wird angeführt von

  1. Serben (804),
  2. Rumänen (769),
  3. Türken (563),
  4. Albanern (505) und
  5. Polen (500).
  6. Erst auf Platz 6 finden sich mit 455 festgestellten Tatverdächtigen die so gescholtenen Georgier.

Die veröffentlichten Zahlenwerte aus der offiziellen Statistik des BKA und Bundesinnenministeriums decken also nicht die zuvor schon aufgestellten Schlussfolgerungen über georgische Einbrecherbanden.
Umgekehrt gibt es keine Aussagen über die „Gefährlichkeit“ von Serben, Rumänen, Türken, Albanern oder Polen, die ja zahlenmäßig vor den Georgiern liegen.

Ähnlich wenig belastbar ist übrigens die Aussage mit den Asylanträgen von Georgiern. Von den rund 442.000 Erstantragsfällen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im letzten Jahr anlegen konnte, stammen 3.196, oder 0,72% von Georgiern.

Wem also nützt die Geschichte von den georgischen Einbrecherbanden?!

Eine gute Frage! Festzustellen ist, dass Innenpolitiker der Union, insbesondere der CSU und federführend der bayerische Innenminister Herrmann nicht müde werden, immer wieder in das Horn von den georgischen Einbrecherbanden zu stoßen.
Geschadet hat die Geschichte auf jeden Fall dem Ansinnen, das der georgische Außenminister formulierte: „Wir wollen in die europäische Familie“. Damit sieht es auf absehbare Zeit schlecht aus.

Geschadet hat sie allerdings auch der Glaubwürdigkeit von Zahlen aus dem Bundeskriminalamt und dem Bundesministerium des Innern. Denn von dort wären strikt unparteiische, objektive Sachverhalt zu erwarten. Geliefert wurden jedoch emotionalisierte und aufgepuschte Behauptungen, deren Kernaussagen von den veröffentlichten Daten aus dem eigenen Hause nicht gedeckt sind.

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Quellen

[1]   ‚Wegen Einbrüchen: EU vertagt Visa-Freiheit für Georgien, 09.06.2016, euroactiv.de
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/wegen-einbruechen-eu-vertagt-visa-freiheit-fuer-georgien/

[2]   ‚Steinmeier will Visumsfreiheit für Georgier‘, 01.07.2016, n-tv.de
http://www.n-tv.de/politik/Steinmeier-will-Visumsfreiheit-fuer-Georgier-article18097486.html

[3]   ‚Georgische Mafia schleust Einbrecher als Asylbewerber ein‘, 31.03.2016, Welt
http://www.welt.de/politik/deutschland/article153828683/Georgische-Mafia-schleust-Einbrecher-als-Asylbewerber-ein.html

[4]   ‚Intensive Straftaten während des Asylverfahrens‘, 31.3.2016, Welt
http://www.welt.de/politik/deutschland/article153841628/Intensive-Straftaten-waehrend-des-Asylverfahrens.html

[5]   ‚Polizeiliche Kriminalstatistik 2015‘, Seite 73ff, Staatsangehörigkeiten auf Seite 79, 23.05.2016, Bundeskriminalamt
über: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2015/pks2015_node.html

[6]   ‚BDK: Kriminalstatistik 2015 vorgestellt: Politisches Versagen im Kampf gegen den Wohnungseinbruch …“‚. 23.05.2016, Pressemitteilung des BDK
https://www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/pressemitteilungen/kriminalstatistik-2015-vorgestellt-politisches-versagen-im-kampf-gegen-den-wohnungseinbruch-straftaten-gegen-asylbewerberheime-mehr-als-verfunffacht-steigerung-der-gewaltdelikte-besorgniserregend

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1 Gedanke zu „Visafreiheit für Georgien und die Polizeiliche Kriminalstatistik“

  1. Zu: Wem nützt das?
    Natürlich dem, wer Probleme mit Georgien hat und Seehofer bezahlen kann!
    Mögliche Kandidaten: Obama, Merkel oder „Friedensliebhaber“ Putin.
    Das kann nur BKA beantworten.

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