Wie die Große Koalition ihre Gesetze durchsetzt

Die Große Koalition hat das Ziel ihrer sicherheitspolitischen Wünsche mit der gestrigen Abstimmung erreicht. Wie sie vorging, um die Befugnisse für Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ durchzudrücken, dabei „bleibt einem die Spucke weg“, schrieb Heribert Prantl in der SZ. Dieses Vorgehen hat System und Methode. Wir haben die sieben wesentlichen Bausteine des Modus Operandi der Großen Koalition und Regierung bei der Durchsetzung ihrer Gesetzesvorhaben näher analysiert … | Lesedauer: Ca. 10 Minuten

Scheibchenweise, aber im Ergebnis sehr erfolgreich geht der Gesetzgeber vor, wenn es darum geht, der Polizei (und den Nachrichtendiensten) weitere Befugnisse beim Überwachen, Ausspähen, Mithören, Aufzeichnen und Auswerten der Telekommunikation zu verschaffen.

„Telekommunikationsüberwachung?! betrifft mich nicht!“

„Das alles geschieht doch nur, um die Sicherheit weiter zu erhöhen, um Terrorismus abzuwenden, im Kampf gegen schwere Straftaten, bzw. besonders schwere Straftaten, bzw. Straftaten von im Einzelfall erheblicher Bedeutung, … “ erklären die Befürworter solcher Gesetze dann gerne und mit um Vertrauen werbendem Augenaufschlag. Folgt man ihren Beteuerungen, so sind von solchen Maßnahmen nur Personen betroffen, die als Tatverdächtige oder „Teilnehmer“ an solchen Straftaten in das Blickfeld der Polizei geraten. Insofern hält man sich besser fern von solchen Gestalten, im Übrigen hat der deutsche Normalbürger ja auch „nichts zu verbergen“ und insofern betrifft das Thema der Telekommunikationsüberwachung ja vor allem Terroristen und Straftäter. Und denen gehört es nicht anders …

Diesem Argument muss man eine Frage entgegenhalten: Warum hielt es die Große Koalition dann für notwendig und sinnvoll, ihre jüngste, besonders drastische Verschärfung in einer Art gesetzgeberischem Trojaner in den Bundestag einzubringen und im Schnellzugtempo – gestern – zur Abstimmung zu bringen?! Die Rede ist von der Einführung von Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung, die Bundesjustizminister Maas als gesetzgeberische „Formulierungshilfe“ seines Ministerium einpacken ließ und in einem ganz anderen Gesetzgebungsverfahren versteckt hat. So segelten gestern also diese massivsten Verschärfungen der staatlichen Überwachungsmöglichkeiten unter der Flagge ‚Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren‘ durch den Bundestag auf ihrem Weg in das Bundesgesetzblatt. Das Verfahren hat Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung charakterisiert als „eine derartige Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt“.
Wenn diese Maßnahmen tatsächlich zum Wohle der Bürger wären: Warum hat man sie dann nicht diesen Bürgern vorgestellt und mit ihnen diskutiert?!

Analyse des Modus Operandi der Regierung bei der Entscheidung über verfassungsrechtlich grenzwertige Gesetzesvorhaben

CIVES beschäftigt sich ja seit Jahren mit dem Spannungsverhältnis zwischen Staat, insbesondere der Regierung, den Bürgern und Unternehmen und den Medien. Das gestern zur Entscheidung gebrachte Gesetzgebungsverfahren ist ein besonders drastisches Beispiel für das Vorgehen der Großen Koalition und der Regierung bei der Durchsetzung ihrer Vorhaben gegen die Rechte der Bürger dieses Landes. Es ist allerdings kein Einzelfall. Das Vorgehen hat System und Methode. Wir nehmen daher die Gesetzesänderungen der Telekommunikationsüberwachung aus dieser Legislaturperiode zum Anlass, den Modus Operandi von Union und SPD bei der Durchsetzung ihrer Ziele genauer unter die Lupe zu nehmen:

Änderungen der Telekommunikationsüberwachung: Worum es eigentlich geht und wie es hätte gehen können

Das notwendige Ergebnis einer Veränderung der Befugnisse zur Telekommunikatinsüberwachung ist sachlich und einfach zu beschreiben wie folgt: Es muss die Strafprozessordnung (StPO) geändert werden und das Telekommunikationsgesetz (TKG).

  • In den Paragraphen 100a-j der StPO und folgende sind die Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung geregelt, die die Polizeibehörden nutzen dürfen.
  • Im TKG ist festgelegt, wie die Telekommunikations-Provider dabei Unterstützung zu leisten haben. Insbesondere, welche Schnittstellen sie zur Verfügung stellen müssen für Auskünfte an die Sicherheitsbehörden. Und welche Daten sie erheben und „auf Vorrat“ speichern müssen, für den Fall, dass die Polizei solche Daten anfordert.

Eine Möglichkeit wäre es also gewesen, alle in dieser Wahlperiode vorgesehenen Änderungen zur Telekommunikationsüberwachung, wie sie im gemeinsamen Koalitionsvertrag von Union und SPD ja bereits vorgesehen sind, in einem Gesetzentwurf zu formulieren, zur öffentlichen Diskussion zu stellen und mit ausreichend Zeit und Transparenz im Bundestag einzubringen und zu beschließen.

Der Modus Operandi der Großen Koalition und Regierung

Große Koalition und Regierung sind so in keinem einzigen Fall vorgegangen bei den großen Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislatur zur Inneren Sicherheit – das waren das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das BND-Gesetz und das BKA-Gesetz. Und auch nicht bei den Gesetzen zur Verschärfung der Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung. Vielmehr hat sich eine Vorgehensweise eingebürgert ist, deren Bausteine klar zu identifzieren sind:

Modus Operandi, Baustein 1: Verzettelung auf diverse Gesetzgebungsverfahren

Die Große Koalition hat die von Anfang an beabsichtigte Verschärfung der Telekommunikationsüberwachung verteilt auf diverse Gesetzgebungsverfahren, von denen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zu nennen sind

  • das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (VerkDSpG) vom Dezember 2015: Dahinter verstecken sich erheblich erweiterte Speicherfristen für die Vorratsdatenspeicherung.
  • Verschärfungen der Strafzumessung bei Einbrüchen in Privatwohnungen: Die Mindeststrafen wurden so erhöht, dass solche Straftaten in den Katalog der „schweren Straftaten“ aufgenommen werden, die der Polizei eine Funkzellenabfrage ermöglichen. Jeder Besitzer eines Mobiltelefons, das sich im zeitlichen und räumlichen Umfeld eines Wohnungseinbruchs befand, gerät damit automatisch in die Datensammlung der Einbruchs-Ermittler. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei rund 160.000 solcher Einbrüche.
  • das gestern im Bundestag beschlossene Gesetzgebungsverfahren, in dem die Online-Durchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung versteckt wurden.

In all diesen Fällen wurde herumgeschraubt an den §§ 100a-j ff der Strafprozessordnung und an den Pflichten der TK-Provider zur Datenspeicherung, die im Telekommunikationsgesetz geregelt sind.

Modus Operandi, Baustein 2: Verschleierung bei der Benennung von Gesetzen

Man sieht den Gesetzgebungsverfahren am Titel auch gar nicht mehr an, worum es da eigentlich geht. Wer würde schon erwarten, dass

  • die Funkzellenabfrage für alle sich versteckt im ‚Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl‘ oder
  • die Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ im ‚Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens‘?!

Modus Operandi, Baustein 3: Artikelgesetze: Eine Zumutung, angelegt auf maximale Unverständlichkeit

Um Änderungen an bestehenden Gesetzestexten verstehen zu können, müsste man die Änderungen im Kontext lesen können. Das wird (bewusst) verhindert durch ausführlichsten Gebrauch der Form des so genannten Artikelgesetzes: Man erkennt dann nicht mehr den bisherigen Text und seine beabsichtigte Änderung. Als Gesetzentwurf serviert wird vielmehr eine Textform, die beispielsweise so aussieht:

㤠100b Absatz 6 Nummer 2 [der Strafprozessordnung / d. Verf.] wird wie folgt gefasst:
„2. die Anzahl der Überwachungsanordnungen nach § 100a Absatz 1, unterschieden nach Erst- und Verlängerungsanordnungen;“.
7. In § 101b Nummer 2 werden in dem Satzteil vor Buchstabe a die Wörter „unterschieden für die Bereiche Festnetz-, Mobilfunk- und Internetdienste und“ gestrichen.“

Wer sich als Abgeordneter, Bürger oder Journalist darüber informieren möchte, wie die alte und beabsichtigte neue Fassung aussieht, muss selbst die Zeit aufwenden, den bisherigen Gesetzestext herunter zu laden, in ein Dateiformat zu bringen, das sein Textprogramm versteht und die beabsichtigten Änderungen mit Hilfe der Überarbeiten-Funktion des Textprogramms einzuarbeiten und sichtbar zu machen. Die Unsitte dieser Artikelgesetze, die immer mehr um sich gegriffen hat, ist eine Zumutung. Wie soll sie anders verstanden werden, als abschreckend zu wirken. Mit der Folge, dass sich niemand freiwillig mit solchen Gesetzentwürfen befasst. Was, muss unterstellt werden, auch genau die Absicht ist …

Modus Operandi, Baustein 4: Druck erhöhen durch große Textmengen und Verknappung der Zeit

Während der eigentliche Gesetzestexte in den Artikelgesetzen u.U. lang, vor allem aber völlig unverständlich ist, nehmen die Begründungen und Begleittexte in den Gesetzentwürfen sehr breiten Raum ein. Ein Gesetzentwurf, wie z.B. der für das neue BKA-Gesetz, kommt dann leicht auf rund 160 Seiten. Ein geübter Leser schafft es, etwa 200 Wörter pro Minute zu lesen, um einen nicht einfachen Text annähernd zu verstehen, braucht also ca. 2 Minuten pro Seite. Wer einen solchen Gesetzentwurf also tatsächlich vollständig durchlesen würde, bräuchte dafür mehr als fünf Stunden, absolut illusorisch für einen Abgeordneten.

Vor allem, wenn die entsprechenden Entwurfsvorlagen extrem spät im Bundestag eingebracht werden, wie es in den letzten Wochen ständig geschah. Das betrifft sowohl die Gesetzentwürfe, wie auch die Beschlussvorlagen in den Ausschüssen, die meist erst ein bis eineinhalb Tage vor dem angesetztem Beratungstermin im Bundestag verfügbar waren. Die Beschlussfassung im Haushaltsausschuss über die Freigabe der weiteren Finanzmittel aus dem Griechenland-„Hilfspaket“ am Dienstag dieser Woche wurde abgesetzt, weil die Unterlagen zu spät vorlagen. Das räumt sogar der SPD-Fraktionsvorsitzende ein. Für jedes Beschlussorgan einer GmbH oder Aktiengesellschaft wären solche Vorlagefristen undenkbar. Im Bundestag werden sie gerade zur Regel. Sie beeinträchtigen nicht nur die Entscheidungsfindung der Abgeordneten, sondern ganz entscheidend auch die Informationsmöglichkeiten von Bürgern und Journalisten.

Modus Operandi, Baustein 5: Die Öffentlichkeit im Dunkeln halten, Abgeordneten den Zugang erschweren

Dieser Modus Operandi wurde verwendet, als sich die Bundesregierung im Sommer 2015 um eine Zustimmung des (eigens in der Sommerpause einberufenen) Bundestages zum „3. Griechenland Hilfspaket“ bemühte. Abzustimmen war über ein Mandat des Bundestages an einen Regierungsvertreter für Verhandlungen mit der Troika, dem IWF und Griechenland. Die Inhalt des Mandats sollten sich aus Anlagen ergeben, die der Beschlussvorlage (angeblich) beigefügt waren. Bei genauem Hinsehen war zu erkennen, dass drei wesentliche Anlagen – nämlich schriftliche Ergebnisse vorangegangener Verhandlungen – zwar aufgelistet waren. Der eigentliche Text fehlte jedoch, er war in der Bundestagsdrucksache als VS-NfD, also Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch, eingestuft.

So eingestufte Dokumente, erklärte uns die Bundestagsverwaltung auf Anfrage, können nur über ein eigenes IT-System von den Abgeordneten und bestimmten Mitarbeitern abgerufen und angesehen werden. Die Beschlussvorlage trägt das Datum vom 17.08.2015, die Sondersitzung des Bundestages, zu der die Abgeordneten eigens anreisen mussten, fand am 19.08. statt. Der Zugriff auf dieses IT-System für eingestufte Dokumente steht nur in den Bundestagsräumen zur Verfügung. Es ist leider nicht in Erfahrung zu bringen, wir bezweifeln jedoch, dass auch nur ein Bruchteil der Abgeordneten diese Dokumente am geheimen System überhaupt eingesehen hat, bevor sie dem 3. Hilfspaket für Griechenland zugestimmt haben.
Ganz zu schweigen von Medien und Öffentlichkeit, denen man mit solchen Geheimhaltungsklauseln die Möglichkeit zur Information ganz entzieht.

Modus Operandi, Baustein 6: Die Kompetenz von Sachverständigen in Anhörungen wird nur berücksichtigt, wenn es die vorgefertigten eigenen Meinungen bestätigt

Anhörungen von Sachverständigen in den Ausschüssen werden hingenommen, um dem vorgeschriebenen Verfahrensablauf Genüge zu tun. Meinungen von Experten, wie z.B. des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, den die Abgeordneten beauftragen können, werden ignoriert, wenn sie den eigenen Zielen im Wege stehen. Ein Wille zur Befassung mit sachverständigen anderen Meinungen ist weder bei einem Bundesminister Maas oder De Maizière zu erkennen, noch bei den Fraktionsspitzen der Regierungskoalition. Auch die Abgeordneten folgen eher dem Fraktionszwang. Selbst der Hinweis auf ernste und weitreichende Folgen hat keine Wirkung. Es geht längst nicht mehr um die beste Lösung im Interesse aller Betroffenen, sondern vor allem um die Durchsetzung der eigenen Meinung mit der Macht der Mehrheit. Sachkompetenz von Experten hat nur dann eine Wirkung, wenn sie die Ziele der Großen Koalition unterstützt.

Modus Operandi, Baustein 7: Ignorieren der höchstrichterlichen Rechtsprechung und weiteres Verschieben der Befugnisse „an die rechte Leitplanke“

Am begrenzten Beispiel der Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode zur Verschärfung der Telekommunikationsmaßnahmen wird besonders deutlich: Bereits vorliegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs werden ignoriert. Neue Gesetzentwürfe verschieben die Befugnisse nur noch weiter „an die rechte Leitplanke“:

Am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung

  • Das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war vom Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig bzw. für nichtig erklärt worden.
  • Das neue Gesetz mit dem sperrigen Namen ‚Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (VerkDSpG)‘ sollte diese Mängel beseitigen und die Vorgaben aus der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24 EG) rechtskonform umsetzen.
    • Noch bevor dieses neue Gesetz verabschiedet wurde, äußerte die EU-Kommission massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit der neuen Fassung und warnte die Bundesregierung davor, das Gesetz ohne Berücksichtigung der Einwände der Kommission umzusetzen. Dies konnte die Bundesregierung allerdings nur zu minimalen Änderungen bewegen. Im übrigen sah man in Berlin einem möglichen Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gelassen entgegen.
    • Am Tag seines Inkrafttretens ging beim Bundesverfassungsgericht die erste Beschwerde gegen das neue Gesetz ein über die in der Hauptsache bisher nicht entschieden ist.
    • Im Dezember 2016 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten unzulässig ist. Also genau die Vorratsdatenspeicherung, die im neuen Gesetz definiert wurde und die ab dem 1.7.2017 von den TK-Providern erbracht werden soll.
    • Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam in einem vor kurzem erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die deutsche Vorratsdatenspeicherung gleich in mehrfacher Hinsicht gegen die in Luxemburg definierten Voraussetzungen verstößt.
    • Am 22.6.2017 hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom Dezember 2016 entschieden, dass die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für TK-Provider aus dem neuen Gesetz nicht mit EU-Recht vereinbar ist.

Am Beispiel der Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung

Das Bundesverfassungsgericht hat sehr enge Grenzen gesteckt, innerhalb der die so genannte Quellen-TKÜ bzw. Online-Durchsuchung rechtlich zulässig sind. Diese höchstrichterlichen Vorgaben wurden bei der Abfassung des als Gesetzestrojaner eingebrachten Entwurfs allerdings nicht beachtet. In der Anhörung im Rechtsausschuss am 31.5.2017 hat der Sachverständige Dr. Ulf Buermeyer erneut auf diese Sachverhalte hingewiesen:

  • Die vorgesehene Rechtsgrundlage zur Online-Durchsuchung ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, weil der Katalog der Straftaten, bei deren Verdacht eine Online-Durchsuchung durchgeführt werden darf, viel zu weitgehend ist.
  • Die vorgesehene Rechtsgrundlage zur Quellen-TKÜ beziehen sich nicht nur auf die laufende Kommunikation und stellen daher gerade keine Quellen-TKÜ, sondern eine verfassungswidrige Online-Durchsuchung dar.
  • Zum heimlichen Eindringen in die Geräte der überwachten sind so genannten Staatstrojaner notwendig, die durch gezielte Ausnutzen von – nur den Sicherheitsbehörden bekannten und von denen geheim gehaltenen – Sicherheitslücken der Endgeräte dort aufgebracht werden könnten. Ein solches Vorgehen der Sicherheitsbehörden (aus kurzsichtigem eigenem Interesse) würde die Cyber-Sicherheit weltweit massiv schwächen (!), nur um Systeme von Zielpersonen im Fokus der Sicherheitsbehörden gegebenenfalls „hacken“ zu können. Die gesellschaftlichen Folgen einer solchen Kultur der kalkulierten IT-Unsicherheit können erheblich sein, wie jüngst der Ausbruch des „Wannacry“-Trojaners deutlich gemacht hat.

Davon ist im gestern verabschiedeten Gesetz nichts zu finden.

Verschieben der Befugnisse der Sicherheitsbehörden „an die rechte Leitplanke“

Jeglicher Respekt vor den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (bzw. des Europäischen Gerichtshofs) ist abhandengekommen. Besonders deutlich machte das wiederholt der Innenminister, z.B. mit der Bemerkung, es sei nicht Aufgabe des Gerichts, „ständig dem Gesetzgeber in Sachen Sicherheit in den Arm zu fallen“. Das bemerkte er nach dem Urteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht wesentliche Teile des BKA-Gesetzes gekippt hatte. Es musste also ein neues BKA-Gesetz von seinem Ministerium vorgelegt werden, das inzwischen auch verabschiedet ist. Und auch diesem Gesetz prophezeien Fachleute, dass es wieder vor dem Verfassungsgericht landen wird.

Diese Vorgehensweise ist inzwischen ständige Praxis, besonders im Justiz- und Innenministerium und führt durchaus zu Erfolgen: Denn unter den vielen Einzelregelungen eines neuen Gesetzes, sind zahlreiche, die bis an die Grenze des verfassungsmäßig Zulässigen gehen. Alle diese Regelungen können genutzt werden, bis dann – nach etlichen Jahren – eine Klage vor dem Verfassungsgericht verhandelt und entschieden ist. Und in der Entscheidung werden – so das Kalkül dieser Gesetzgeber – dann nicht alle „grenzwertigen“ Einzelregelungen gekippt. Sondern es bleibt immer etwas übrig von den grenzwertigen Regelungen, das nach wie vor Bestand hat im Gesetz.

Quellen und verwandte Beiträge

Die einzelnen Sachverhalte dieser Analyse wurden in zuvor von uns veröffentlichten Beiträgen bereits ausführlicher darstellt. Dort sind auch die wesentlichen Quellen und deren Fundstellen benannt. Die Beiträge führen wir in der Reihenfolge ihres zeitlichen Erscheinens auf.

[A]   Sicherheit in Zeiten der Schwarzen Null – Proaktives bzw. reaktives Handeln von Politikern, 27.07.2016, CIVES
http://cives.de/sicherheit-in-zeiten-der-schwarzen-null-3540

[B]   Beabsichtigte Strafverschärfung bei Wohnungseinbruch kann zu massenhafter Funkzellenabfrage führen, 01.12.2016, CIVES
http://cives.de/beabsichtigte-strafverschaerfung-bei-wohnungseinbruch-ausweitung-funkzellenabfrage-3997

[C]   Papiertiger! Die Beschlüsse der Innenminister zum Wohnungseinbruchdiebstahl – Mehr Telekommunikationsüberwachung für die Polizei, schöne Worte für die Betroffenen, 16.12.2016, CIVES
http://cives.de/papiertiger-die-beschluesse-der-innenminister-zum-wohnungseinbruchsdiebstahl-4044

[D]   Papiertiger! Die Beschlüsse der Innenminister zum Wohnungseinbruchdiebstahl – Mehr Telekommunikationsüberwachung für die Polizei, schöne Worte für die Betroffenen, 16.12.2016, CIVES
http://cives.de/papiertiger-die-beschluesse-der-innenminister-zum-wohnungseinbruchsdiebstahl-4044

[E]   Unkeusche Begründungen im Entwurf zum neuen BKA-Gesetz – Das Bundesverfassungsgericht soll „schuld“ sein, dass das BKA ein neues IT-System braucht, 07.04.2017, CIVES
http://cives.de/unkeusche-begruendungen-im-entwurf-zum-neuen-bka-gesetz-4788

[F]   Mit der Brechstange: Wie die GroKo ihr neues BKA-Gesetz durchsetzen will, 18.04.2017, CIVES
http://cives.de/mit-der-brechstange-wie-die-groko-ihr-neues-bka-gesetz-durchsetzen-will-4799

[G]   Will das BMI mit dem neuen BKA-Gesetz eigene Fehler der Vergangenheit kaschieren?! – Bayerischer Landesdatenschutzbeauftragter hält BKA-Gesetz für hochproblematisch, 26.04.2017, CIVES
http://cives.de/will-das-bmi-mit-dem-neuen-bka-gesetz-eigene-fehler-der-vergangenheit-kaschieren-4849

[H]   Neues BKA-Gesetz beschlossen: Datenbanken der Polizei noch auf weitere Jahre Großbaustelle, 27.05.2017, CIVES
http://cives.de/neues-bka-gesetz-beschlossen-datenbanken-der-polizei-noch-auf-weitere-jahre-grossbaustelle-4854

[I]   Mission almost accomplished – Die CDU hat fast alle ihre innenpolitischen Forderungen für das Superwahljahr durchgesetzt, 09.05.2017, CIVES
http://cives.de/mission-almost-accomplished-4972

[J]   Nach Wohnungseinbruch zukünftig Funkzellenabfrage über jedermann – Dank CDU/CSU: Flächendeckende Funkzellenabfrage verbessert nichts am Wohnungseinbruch, trifft aber jeden, 10.05.2017, CIVES
http://cives.de/nach-wohnungseinbruch-funkzellenabfrage-ueber-jedermann-4999

[K]   Die Kuckuckseier des Justizministers – Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ werden in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren untergeschoben, 23.05.2017, CIVES
http://cives.de/die-kuckuckseier-des-justizministers-5228

[L]   Ohne Maas und Ziel – Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ sollen zu Standardwerkzeugen der Strafverfolgungsbehörden werden, 01.06.2017, CIVES
http://cives.de/ohne-maas-und-ziel-5292

[M]   Tricksereien des Finanzministers in Sachen „Griechenland-Rettung“ – Die unausweichlichen Folgen für den deutschen Steuerzahler sollen erst nach der Bundestagswahl ans Licht kommen, 19.06.2017, CIVES
http://cives.de/tricksereien-des-finanzministers-in-sachen-griechenland-rettung-5404

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