Beabsichtigte Strafverschärfung bei Wohnungseinbruch kann zu massenhafter Funkzellenabfrage führen

Jeder Wohnungseinbruch(sversuch) soll in Zukunft als ’schwere Straftat‘ verfolgt und mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Haft geahndet werden. Mit diesem taktischen Schachzug wollen die Innenminister der Länder und des Bundes erreichen, dass Polizei im Fall des Wohnungseinbruchs eine Funkzellenabfrage durchführen kann.
Bei allem Verständnis für die Nöte von Einbruchsopfern. Doch dieser Vorschlag könnte – bei 160.000 Fällen von Wohnungseinbruch im vergangenen Jahr – auf eine enorme Ausweitung der Telekommmunikationsüberwachung hinauslaufen. Sollen die so gewonnenen Daten in der „Intensivtäterdatei WED“ gesammelt werden?

Beschluss der Innenminister: Funkzellenabfrage nun auch bei minder schwerem Wohnungseinbruch

Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich auf ihrer Herbsttagung darauf verständigt, den Tatbestand des minder schweren Wohnungseinbruchs abzuschaffen. Minister Caffier aus Mecklenburg-Vorpommern erklärt dazu: „Nach Wohnungseinbrüchen bleiben die Opfer oft schwer traumatisiert zurück. Ich kann einem normalen Bürger nicht erklären, was daran „minderschwer“ sein soll. Ein Wohnungseinbruch ist eine schwere Straftat und sollte aus Sicht der Union mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt werden.“ Dazu ist es erforderlich, den §244 des Strafgesetzbuches zu ändern und die Strafprozessordnung anzupassen. Bundesjustizminister Maas, SPD, wurde gebeten, dazu einen Vorschlag vorzulegen. Es ist zu erwarten, dass der mit der satten Mehrheit der Großen Koalition in Kürze den Bundestag passieren wird.

Daraus ergeben sich mögliche Konsequenzen für jeden einzelnen Bürger, zumindest dann, wenn er ein Handy hat. Denn Straftaten, auf die eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis steht, sind im Strafgesetzbuch als ‚Verbrechen‘ eingestuft. [„§12. Abs. 1 StGB: „Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.“]

Für Verbrechen bzw. (in §100a, Abs. 2) ausdrücklich aufgeführte ’schwere Straftaten‘ sieht die Strafprozessordnung die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung vor [§100a StPO), sowie – und das ist hier wichtig – die Möglichkeit der „Erhebung von Verkehrsdaten“, allgemeiner bekannt als Funkzellenabfrage (nach §100g StPO).

Wie funktioniert die Funkzellenabfrage?

Mobiltelefone sind bekanntlich Funktelefone. Da das einzelne Telefon nur eine begrenzte Funkleistung hat, gibt es nahezu flächendeckend im Land verteilt die Mobilfunk(sende)masten der Telekommunikations-Provider. Jeder dieser Masten deckt ein bestimmtes Gebiet ab, das Funkzelle genannt wird. Wenn ein (angeschaltetes) Mobiltelefon in eine Funkzelle verbracht wird, so bucht es sich ohne Zutun seines Besitzers bei der Funkzelle ein. Dieser Vorgang wird routinemäßig vom TK-Provider protokolliert und gespeichert. Um das Mobiltelefon zu identifizieren, wird dessen Gerätenummer gespeichert und die Nummer der SIM-Karte. Man kann also später durch eine Auswertung dieser Protokolle feststellen, welches Mobiltelefon sich zu welcher Zeit in der Funkzelle eingebucht hat und wie lange es dort verblieben ist. Es ist grundsätzlich auch möglich, die Entfernung des Mobiltelefons vom Funkmasten zu ermitteln. Ferner wird natürlich jeder Kommunikationsvorgang protokolliert, der von diesem Mobiltelefon aus in der Funkzelle geführt wird bzw. jeder Anruf und jede SMS, die an dieses Mobiltelefon geschickt wird.

Was bringt die Funkzellenabfrage bei der Ermittlung eines Wohnungseinbruchs?

funkzellenWo der Einbruch passiert ist und in welchem Zeitraum, ist der Polizei aufgrund der Strafanzeige bekannt. Sie kann anhand der Adresse feststellen, in welcher Funkzelle sich diese Adresse befindet. Wenn Polizei also vom TK-Provider die Protokolle dieser Funkzellen erhält (das ist die eigentliche Funkzellenabfrage), gewinnt sie ein umfassendes Bild, welches Mobiltelefon sich in der fraglichen Zeit (samt seinem Besitzer, wie zu vermuten ist …) in dieser Funkzelle aufgehalten hat.
In der Praxis ist es noch etwas komplexer: Denn Mobilfunkversorgung in Deutschland wird nahezu flächendeckend von verschiedenen TK-Providern angeboten, Es ist also die Regel, dass eine bestimmte Adresse gleich von zwei oder mehreren Funkzellen verschiedener Provider abgedeckt ist. Und da Polizei ja nicht weiß, bei welchem Provider ihr gesuchter Tatverdächtiger seinen Vertrag abgeschlossen hat, wird sie routinemäßig die Daten bei allen in Frage kommenden Providern abrufen.

Vorratsdatenspeicherung

Voraussetzung ist natürlich, dass die entsprechenden Protokolldaten beim TK-Provider überhaupt gespeichert werden. Dazu verpflichtet ihn das Gesetz, genauer gesagt, die seit langem diskutierte Vorratsdatenspeicherung. Derzeit müssen die Provider solche Protokolle für zehn Wochen aufheben. Die Innenminister beabsichtigen jedoch jetzt gerade eine Erweiterung der Aufbewahrungsfrist auf sechs Monate.

Rechtliche Voraussetzungen für die Herausgabe der Funkzellendaten an die Polizei

Die Polizei darf dieses Mittel nur verwenden,

  • beim Verdacht einer erheblichen (schweren) Straftat
  • wenn der Verdacht auf einen bestimmten Bereich also ein oder mehrere Funkzellen eingegrenzt werden kann
  • wenn andere Mittel zur „Erforschung des Sachverhalts“ aussichtslos oder wesentlich erschwert sind
  • und wenn sich der Verdacht gegen einen oder mehrere – wenn auch derzeit noch unbekannte – Tatverdächtige richtet.

Ein Richter muss die Maßnahme anordnen. Nur im Fall von „Gefahr im Verzug“ kann die Maßnahme auch durch einen Staatsanwalt angeordnet werden.

Die entsprechenden Anfragen der Polizei an die TK-Provider sind Routineaufgaben im Arbeitsbereich von Ermittlern. Die Fallbearbeitungssoftware druckt ihnen ein entsprechendes Formular quasi auf Knopfdruck aus. Damit wird der TK-Provider aufgefordert, die entsprechenden Protokolle der aktiven Mobiltelefonie für Funkzelle X im angegebenen Zeitraum zu liefern. Und zusätzlich die Rufnummer, Vor-und Zuname, Geburtsdatum, Wohnanschrift und Gerätenummer des Mobiltelefons (zusammengefasst die so genannten Bestandsdaten).

Weitere Informationen, die eine Funkzellenauswertung liefern kann

  • Wenn das Mobiltelefon bewegt wurde, insbesondere von einer in eine andere Funkzelle, werden Zeitpunkt, Bewegung und Richtung deutlich,
  • Wenn das Mobiltelefon auch zum Kommunizieren benutzt wurde (Erfolgsmeldung des Einbrechers an die Freundin?!) ist auch die angerufene Nummer bekannt und deren Anschlussinhaber leicht zu ermitteln.

Wie werden die Funkzellendaten ausgewertet?

Wenn die TK-Provider dann geliefert haben – i.d.R. passiert dies innerhalb weniger Tage – hat der Ermittler ein Bündel von Dateien vor sich. Die müssen in ein einheitliches Datenformat gebracht werden, was ein ziemlich lästiges Unterfangen sein kann, [Haben Sie schon mal Daten aus verschiedenen Datenquellen mit Excel zusammengeführt?! Dann wissen Sie, was gemeint ist …] Für die eigentliche Auswertung gibt es spezialisierte Werkzeuge, wie z.B. Infozoom. Um aus dem Wust von Daten allerdings Hypothesen zu machen – oder konkretes Wissen zu generieren, braucht es nach wie vor den Ermittler mit seinen intellektuellen Fähigkeiten.

Kritische Bewertung

Eine zweischneidige Geschichte, diese Funkzellenabfrage, finden Sie nicht auch?!
Sollte die Polizei bei mehr als 160.000 Fällen von Wohnungseinbruch (das war die Fallzahl im Jahr 2015) jeweils eine Funkzellenabfrage anstoßen?! Darüber wird es sehr geteilte Ansichten geben:
Der vom Einbruch Betroffene wird jede Möglichkeit schätzen, die u.U. dazu hilft, dass der / die Täter gefasst werden.
Von jeder Funkzellenabfrage und -auswertung dieser Art sind jedoch – gerade in dicht besiedelten Gebieten – hunderte bzw. tausende von Mobiltelefonen und deren Besitzer betroffen. Also theoretisch auch Sie und ich. Da kommt schon ein mulmiges Gefühl auf bei dem Gedanken, dass die eigenen Bewegungen und Kommunikationen, der Name und Anschrift usw. aktuell in einem polizeilichen Auswertungsverfahren genutzt wird und man – unfreiwilllig – auf diese Weise zum Verdächtigen wird.

Ob Listen mit hunderten oder tausenden von Namen und Adressen wirklich dazu beitragen, den Einbruch aufzuklären, steht in den Sternen. Unter anderem deshalb, weil Polizei dann auch die entsprechende personelle Ausstattung bräuchte, um die Auswertungen vorzunehmen. Oder soll das alles darauf hinauslaufen, dass ein großer „Datentopf“ gebildet wird, in dem die Protokolldaten aller Einbrüche gesammelt und möglicherweise gerastert werden (siehe unten – Intensivtäterdatei WED)?! Damit man den bandenmäßig vorgehenden Einbrechern auf die Spur kommt, deren Mobiltelefone in den Funkzellen von mehreren Tatorten vorkamen? Fragen über Fragen … Clevere Einbrecher könnten dem Risiko der Entdeckung dadurch begegnen können, dass sie das Tracking Device = Mobiltelefon in ihrer Hosentasche erst gar nicht anschalten oder gleich zu Hause lassen.

Polizei könnte diesem unguten Gefühl abhelfen, wenn sie sich mustergültig genau an die gesetzlichen Vorgaben halten würde. Nicht mehr benötigte Daten unverzüglich und nachweislich löschen würde. Klar sagt, was sie mit den Daten vorhat und macht. Und sich – ganz generell – einen Ruf dafür aufbaut, dass sie auch die Rechte der von solchen polizeilichen Maßnahmen betroffenen Bürger respektiert und schützt. Auf diesem Gebiet allerdings hat Polizei, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, noch einigen Nachholbedarf …

Die „Intensivtäterdatei WED“

Bei ihrer Tagung im Frühsommer 2016 haben die Innenminister „Wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchkriminalität“ beschlossen. Dazu gehörte auch die Absicht, beim BKA eine „Intensivtäterdatei WED“ einzurichten. Deren „vorrangiges Ziel ist es, Strukturen organisierter Kriminalität besser erkennen und nachweisen zu können„. Wir haben seither mehrfach beim BMI angefragt, was es mit dieser Datei auf sich hat. Es finden Abstimmungsgespräche zwischen BMI und BKA statt, die (im Juli) noch andauerten. Das BMI werde „zu gegebener Zeit über die Ergebnisse informieren“, war das letzte, was wir hörten.
Sollte es der Zweck dieser Datei sein, die Protokolle sämtlicher Funkzellenabfragen zusammenzuführen und zu rastern? Das wäre eine spannende Fage – auch an die Datenschutzbeauftragten.

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