Der Big Brother Award 2022 in der Kategorie ‚Verwaltung und Behörden‘ wurde gestern Abend an die deutsche Polizei verliehen, vertreten durch das Bundeskriminalamt (BKA). Diesen „Oscar für Datenkraken“ verleiht die Datenschutz-Organisation Digitalcourage jährlich nach Auswahl durch eine fachkundig besetzte Jury. Laudator für den Preis an Polizei und BKA war der frühere Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Thilo Weichert.
Sowohl die Polizei, als auch das BKA haben sich den Preis redlich verdient. Auch die aufsichtsführende Behörde, das Bundesministerium des Innern (BMI), sollte dabei nicht vergessen werden. Den von ihm ging aus, was jetzt zur Preisverleihung führte: Fast genau auf den Tag vor fünf Jahren, am 27.04.2017, wurde das neue BKA-Gesetz verabschiedet, nachdem im April 2016 das Bundesverfassungsgericht das alte Gesetz aus dem Jahr 2008 in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig bzw. nichtig erklärt hatte. Statt diese Erinnerung an das Grundgesetz ernst zu nehmen, sah man im BMI und bei den Innenpolitikern der damals regierenden Koalition aus CDU/CSU und SPD die Chance gekommen, um eigene Interessen im neuen Gesetz stärker zu berücksichtigen. Kennzeichnungspflichten für personenbezogene Informationen von (Millionen von) Menschen, die in den Verbundsystemen der deutschen Polizei gespeichert werden, gehörten allerdings nicht zu deren „eigenen Interessen“. Und so fand man eine trickreiche Möglichkeit, den Schein zu wahren und das Gegenteil von dem zu tun:
Vorne im Gesetzestext, in §14 wurden unter der Überschrift „Kennzeichnungen“ entsprechende Auflagen für die Behörden im Gesetz verankert. Und so auch am 27.4.2017 vom Bundestag mit der Mehrheit der Großen Koalition verabschiedet. Einen Tag zuvor war allerdings mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen im Innenausschuss noch ein §91, eine „Übergangsvorschrift“, im Gesetz angefügt worden. Damit wurde die Einschränkung (aus §14, Abs. 2) ausgesetzt, dass nicht gekennzeichnete Daten solange nicht weiterverarbeitet oder übermittelt werden dürfen, solange sie nicht gekennzeichnet sind. Denn das hätte alle gemeinsamen Verbundsysteme von Bund und Ländern betroffen. Anders, als vom BMI selbst dargestellt und in juristischen Kommentaren – oder auch vom Laudator des Preises – vertreten, betrifft die Übergangsvorschrift auch nicht nur Daten in den Altsystemen, die beim Inkrafttreten des Gesetzes im Mai 2018 gespeichert waren. Im Änderungsantrag steht ausdrücklich, dass der §91 auch gilt für künftig [, also nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes] zu erhebende Daten, sofern die dafür eingesetzten Systeme die technischen Möglichkeiten zur Umsetzung der Kennzeichnung noch nicht bieten.
Das war fein ausgedacht: Denn sowohl die Bundesländer und ihre IT-Spezialisten, als auch beim BMI und BKA wusste man seit Jahren, dass solche Kennzeichnungserfordernisse für alle personenbezogenen Einzeldaten von den eingesetzten IT-Systemen der Polizei nicht zu leisten sind. Der dafür gewählte Ausweg in letzter Minute war also ebenso wirksam, wie unverfroren und respektlos.
Sie hatten ihn doch nicht etwa überlesen? Solange man nämlich dafür sorgt, dass „die eingesetzten Systeme die technischen Möglichkeiten zur Kennzeichnung noch nicht bieten“, ist aus der Sicht von Polizei und BKA alles in bester Ordnung. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass unbotmäßige Eile bei der Entwicklung und Einführung neuer Systeme – ohnehin nichts, womit die deutsche Polizei bisher aufgefallen wäre – geradezu kontraproduktiv ist. Man müsste sich dann ja – im Jahre fünf nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes – tatsächlich ans Gesetz halten.
Sollten Sie zu den Menschen gehören, die mehr zu diesem Thema wissen möchten: Noch eine Viertelstunde Leseaufwand und Sie haben den kompletten Überblick: ‚Kennzeichnungspflichten im BKA-Gesetz – unbefristet ausgesetzt‘
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