In den letzten Monaten gab es ja einigen medialen Rummel unter dem Stichwort „Bundes-VeRA“: Es versuch(t)en da die Vertreter verschiedener Interessengruppen, die Einführung des Big-Data Analysesystems des umstrittenen US-Herstellers Palantir bei den Polizeibehörden des Bundes zu hintertreiben.
Vergangene Woche fand dazu im Innenausschuss des Bundestages eine Anhörung von Sachverständigen statt. Auslöser war ein Antrag der CDU/CSU und ein recht ähnlicher der AfD, für die die Fraktionsvertreter in ihren jeweiligen Stellungnahmen den Eindruck erweckten, als könne die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nur gerettet werden, wenn unverzüglich das für Bayern angepasste Palantir-Produkt VeRA, beim BKA und der Bundespolizei eingesetzt wird.
Interessant war übrigens der Modus Operandi in diesen Anträgen: Innenministerin Faeser soll da mit einem Bundestagsbeschluss unter Druck gesetzt werden, ihre Entscheidung zu revidieren, Palantir NICHT bei den BKA und Bundespolizei einzusetzen. Auch wenn sich das Haus BMI dazu nicht klar äußert, gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2023, das den Einsatz dieses Analysewerkzeugs nur in sehr engen Grenzen für verfassungskonform erachtet, eine deutliche Rechtfertigung. Und die soll jetzt per Bundestagsbeschluss „revidiert“ werden. Pardon, Messieurs. Dobrindt, Krings, Rhein & Co: Das wirft ein befremdliches Bild auf Ihr Verständnis von Demokratie und Gewaltenteilung.
Mehr über die Bundestags-Anträge von CDU/CSU und AfD
20. April .2024
Am 1.12.2023 beriet der Bundestag über den Antrag der CDU/CSU, mit dem die Entscheidung von Bundesinnenministerin Faeser revidiert werden soll, zunächst auf den Einsatz der Palantir-Software für BKA und Bundespolizei zu verzichten.
21. April.2024
Zwei Tage vor der Beratung im Innenausschuss wurde der US-Foreign Intelligence Surveillance Act (702/FISA) wesentlich:
Nach der Auswirkungen der Beauftragung der deutschen Palantir-Tochter hatte kein Abgeordneter und auch kein Sachverständiger gefragt.
Am Tag, an dem im Bundestag-Innenausschuss der Antrag beraten wurde, erklärt die Leiterin der Kölner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft, die die Cum-Ex-Verfahren führt, ihren Rückzug vom Amt. Es fehle an der politischen Unterstützung, am Personal und an der notwendigen Behördenstruktur.
Mit einer Zusammenfassung der Stellungnahmen der Sachverständigen
Die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“, ein übliches Kriterium für solche Vergabeverfahren
Üblicherweise legt das zuständige Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums bei Vergabeverfahren für IT-Werkzeuge bei BKA und Bundespolizei großen Wert auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers.
- Im funktional überschaubaren Projekt „Asservatenmanagement“ bekamen Bewerber mit mehr als 30 Mio Euro Gesamtumsatz und 15 Mio Euro Umsatz im relevanten Geschäftsbereich die Höchstpunktzahl.
- Im Projekt „Generalunternehmer zur Umsetzung der digitalen Transformation Polizei20/20“ mit einem geschätzten Gesamtwert von rund 139 Mio Euro musste ein Auftragnehmer Mindestanforderungen von 120 Mio Euro Gesamtumsatz und „im relevanten Geschäftsbereich“ mindestens 40 Mio Jahresumsatz nachweisen können.
Über die fachlichen Statements der Sachverständigen und die Diskussion im Ausschuss hinaus hielt ich es daher für lohnend, der Frage nachzugehen, wie es eigentlich mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Palantir Technologies GmbH, einer hundertprozentigen Tochter des US-Mutterkonzerns, bestellt ist.
Beim Unternehmensregister fanden sich die Jahresabschlüsse aus den Jahren 2020 mit 2022 des Unternehmens, die, anders als 2019, diesmal jeweils fristgerecht offengelegt worden waren. Das Ergebnis bot einige Überraschungen:
Erkenntnisse aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen 2020 – 2022
Jahresergebnisse
Das Unternehmen weist 2021 und 2022 Gewinne aus, nämlich
- 8.229 TEuro für 2021, von dem allerdings ein erheblicher Anteil auf Erträge aus Währungsumrechnung zurückgeht und
- 2.207 TEuro für 2022.
Lediglich 2020 fällt aus der Reihe mit einem ausgewiesenen Verlust von 1.875 TEuro. Das könnte mit dem Gang des Mutterunternehmens an die Börse zu tun haben, wofür auch andere Kennzahlen in diesem Jahr sprechen.
Erlöse
Die Erlöse steigerten sich nominell von
- 35.663 TEuro in 2020
- 40.864 TEuro in 2021 auf
- 46.012 TEuro in 2022.
Bei der Frage, ob diese recht stattlichen Beträge allein aus Geschäften mit deutschen Kunden herrühren, kam es zur ersten Überraschung:
Rund die Hälfte der Erlöse trägt die US-Konzernmutter bei
Denn zur Quelle der Erlöse schreibt das Unternehmen
- 2021 und 2022 in seinem Jahresbericht: „Die Haupttätigkeit …. bestand in der Erbringung allgemeiner Unterstützungsleistungen für die Muttergesellschaft.“
- und 2020 noch ausführlicher: „Die Haupttätigkeit … bestand in der Erbringung von Marketing- und Vertriebsunterstützungsdiensten, Entwicklungsunterstützung, technischer Implementierung und Geschäftsunterstützungsdiensten einschließlich bestimmter Vertragsdienstleistungen, für die oberste Muttergesellschaft.“
Mit „oberster Muttergesellschaft“ ist die amerikanische Konzernmutter gemeint.
Für diese Leistungen, heißt es übereinstimmend in den Lageberichten, erhält die Gesellschaft von der Muttergesellschaft „Dienstleistungsgebühren“. Diese belaufen sich auf
- 14.134 TEuro für 2020
- 22.248 TEuro für 2021 und
- 22.748 TEuro für 2022.
Konzernexterne Erlöse
Nicht aus dem eigenen Konzern stammende Erlöse betragen demzufolge nur rund die Hälfte der ausgewiesenen „Umsatzerlöse“, da die Erlöse abzuziehen sind, die Palantir Deutschland an Dienstleistungen für die US-Mutter erbringt und abrechnet. Zieht man also von den Gesamterlösen, die „Dienstleitungsgebühren“ ab, die die US-Mutter an die deutsche Tochter bezahlt, so ergeben sich folgende konzernfremden Umsatzerlöse:
- 35.663 TEuro ./. 14.134 TEuro = 21.529 TEuro in 2020,
- 40.864 TEuro ./. 22.248 = 18.616 TEuro in 2021
- 46.012 TEuro ./. 22.748 TEuro = 23.264 TEuro in 2022
In Summe ergibt dies für 2020 bis 2022 einen Betrag von 63.408 TEuro an konzernfremden Erlösen.
Fehlen da Angaben im Lagebericht?
Aufgrund ihres Gesamtumsatzes aus dem Vorjahr und ihrer Bilanzsumme gehört die deutsche Palantir GmbH 2022 zu den „großen Kapitalgesellschaften“ im Sinne des §267 HGB. Demnach müsste sie im Lagebericht für 2022 die Umsatzerlöse aufgliedern nach Tätigkeitsbereichen
„Aufgliederung der Umsatzerlöse nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geografisch bestimmten Märkten, soweit sich unter Berücksichtigung der Organisation des Verkaufs, der Vermietung oder Verpachtung von Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft die Tätigkeitsbereiche und geografisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden““Aufgliederung der Umsatzerlöse nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geografisch bestimmten Märkten, soweit sich unter Berücksichtigung der Organisation des Verkaufs, der Vermietung oder Verpachtung von Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft die Tätigkeitsbereiche und geografisch bestimmten Märkte untereinander erheblich unterscheiden“
§285 Abs. 4 HGB
Denn die „Haupttätigkeit“ laut Palantir-Lagebericht, die „allgemeine Unterstützungsleistungen für die US-Muttergesellschaft“, dürfte sich von der Überlassung von Softwarelizenzen für Gotham, oder der Anpassung und Entwicklung von Schnittstellen für HessenData, DAR bzw. VeRA durchaus „erheblich unterscheiden„.
Keine Transparenz über Palantir-Umsätze mit deutschen Polizeibehörden
Wie viel davon auf Erlöse mit den bisher als Palantir-Kunden bekannt gewordenen deutschen Polizeibehörden Hessen, NRW und Bayern entfällt, ergibt sich aus den Jahresabschlussunterlagen nicht.
Es gibt auch keine Aufschlüsselung der Umsätze nach den drei Software-/Systemplattformen, die Palantir in Deutschland anbietet, nämlich
- Foundry für die „Integration, Analyse und Operationalisierung von Daten in modernen Unternehmen„
- Gotham “das Betriebssystem für moderne Sicherheitsbehörden“
- Apollo, „das Betriebssystem für Continuous Delivery“
Die nicht im Konzernverbund erzielten Erlöse der deutschen Palantir-Tochter belaufen sich im Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2022 auf 21.136 TEuro. Und zwar für Umsätze aus allen drei Produktsparten – Foundry, Gotham und Apollo.
Das ist meiner Ansicht nach überraschend wenig: Mal angenommen, dass die Hälfte der Erlöse mit Gotham, also den Polizeibehörden generiert wird und die andere Hälfte mit Unternehmenskunden. Dann entfielen weniger als 12 Mio Euro auf den deutschen Polizeimarkt. Selbst wenn man gedanklich dem deutschen Polizeimarkt 15 Mio Euro zubilligte, wären dies im Durchschnitt 5 Mio Euro jeweils für HessenData, VeRA und DAR:
Das erscheint mir relativ wenig, gemessen an den in großen Vergabeverfahren für Bundesbehörden verlangten Umsatzzahlen: Wie oben erläutert, verlangte das Beschaffungsamt des BMI schon für ein überschaubares Asservatenmanagementsystem vom erfolgreichen Bewerbern 15 Mio Euro und zwar allein im „relevanten Geschäftsbereich“: Bei Polizei 2020 waren es schon 40 Mio Euro.
Die rechnerische Verdoppelung, die im Jahresabschluss der Palantir GmbH mit Erlösen aus Gebühren für allgemeine Unterstützungsleistungen gegenüber der US-Konzernmutter generiert wird, steigert zwar nominell den Gesamtumsatz. Allerdings ist dieser Trick offenkundig und löst eben auch nicht das Problem des geforderten „Umsatzes im relevanten Geschäftsbereich“.
Vermutungen und Gerüchte über Palantir-Erlöse im deutschen Polizeimarkt
Irgendwie wollen diese Daten auch nicht passen zu den Zahlen, die sonst so bekannt wurden oder kolportiert werden im Markt:
So wurde z.B. bei der Anhörung zu Bundes-VeRA am 22.4.2024 im Bundestags-Innenausschuss geäußert, dass in Bayern „von Anfang an“ pro Jahr 5 Mio Euro Lizenzgebühren zu zahlen waren, obwohl VeRA dort noch nicht im Wirkbetrieb ist.
Wenn die Behauptung stimmte, würde ein wesentlicher Teil fehlen: Denn für VeRA in Bayern dürften in der aktuellen Projektphase – also vor Einführung zum Wirkbetrieb – nicht nur – ggf. jährliche – Nutzungsentgelte, also „Lizenzgebühren“, für die Software und Systeme „as is“ zu bezahlen sein. Sondern vor allem die projektspezifischen Anpassungen und die Entwicklung Schnittstellen zu unterschiedlichen Datenquellsystemen: Das wären in Bayern (mindestens)
- das neue und ggf. auch noch das alte bayerische Vorgangsbearbeitungssystem,
- das Fallbearbeitungssystem EASY (Rola),
- INPOL-BY, das ja ausweislich des Fotos auf der Seite des Innenausschusses definitiv schon für Personenabfragen in VeRA genutzt wird, sowie
- INPOL-Zentral.
Für Nutzungsentgelte und alle diese Dienstleistungen zusammen erscheinen mir 5 Mio Euro ziemlich preisgünstig. Gerade dafür ist Palantir bisher allerdings nicht aufgefallen:
siehe: Wie Palantir (in Amerika) mit Kunden, Daten und Rechten umgeht
Der Auftragswert für DAR in NRW, das „datenbankübergreifende Analyse- und Recherche-System“ von Palantir für Nordrhein-Westfalen war bei der Vergabekanntmachung im Januar 2020 auf 14 Mio Euro beziffert. Schon im Folgejahr wurden weitere 7 Mio Euro beantragt, u.a. für die Nutzung an Homeoffice-Plätzen [wohl der Polizeibeamten (sic!)] und für weitere Schnittstellen zu „Vorgangsbearbeitungssystem, Fallbearbeitungssystem, Telekommunikationsüberwachungssoftware oder Falldatenbank)“ [, von denen man anscheinend bei der Auftragsvergabe noch nichts wissen konnte …. / d. Verf.] Dieser Antrag auf einen gehörigen Nachschlag aus dem Finanztopf scheiterte allerdings am Widerstand aus den Reihen des Landtags NRW.
Konzerninterne „bezogene Aufwendungen“
Neben den oben erwähnten Erlösen, die die deutschen Palantir-Tochter von der US-Konzernmutter für „allgemeine Unterstützungsleistungen“ erhält, hat sie neben den üblichen Aufwendungen – für Personal, Abschreibungen, Raum-, Reise- und Sonstige Kosten – allerdings auch „Aufwendungen für konzernintern bezogene Leistungen zu tragen. Dabei handelt es sich um Zahlungen von der deutschen Tochter an die US-Konzernmutter, die sich gewinnmindernd auswirken.
Über die Art dieser „bezogenen Leistungen“ schweigen sich die Lageberichte aus. Es könnte sich um Lizenzgebühren handeln und um Anteile an den Wartungs- und Pflegegebühren der deutschen Kunden an die deutsche Tochter, an denen die US-Mutter ihren Anteil erhält.
Bereinigt – ohne konzerninterne Verrechnungen
Für die Bewertung der „wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“, wie sie in öffentlichen Vergabeprojekten anzugeben ist, dürfen diese konzerninternen Verrechnungen keine Rolle spielen. Weder die Verdopplung der Erlöse durch Erbringung der „Haupttätigkeit“ = allgemeine Unterstützungsleistungen für die US-Konzernmutter“. Noch die im Durchschnitt pro Jahr darüber noch hinausgehenden „bezogenen Aufwendungen„, von denen nicht erläutert wird, wen oder was die deutsche Tochter da von der US-Konzernmutter bezieht.
Saldiert man diese beiden Positionen jeweils miteinander, so ergibt sich ein klareres Bild über die Ertragsveränderung von Palantir aufgrund dieser konzerninternen Verrechnungen:
2022 | 2021 | 2020 | |
Konzerninterne Erlöse | 22.748 TEuro | 22.248 TEuro | 14.134 TEuro |
Konzerninterne bezogene Aufwendungen | -23.840 TEuro | – 23.349 TEuro | -18.812 TEuro |
Saldo | – 1.092 TEuro | – 1.101 TEuro | – 4.678 TEuro |
zum Vergleich das ausgewiesene Jahresergebnis im gleichen Jahr | 2.207 TEuro | 8.229 TEuro | -1.875 TEuro |
Verbindlichkeiten gegenüber der US-Konzernmutter
Abhängigkeit spiegelt sich auch in der Bilanz wieder, und zwar im Vergleich der Forderungen AN die US-Konzernmutter bzw. der Verbindlichkeiten GEGENÜBER der Konzernmutter.
2022 | 2021 | 2020 | |
Forderungen an US-Konzernmutter | 7.886.882 € | 3.078.621 € | 40.107.670 € |
Verbindlichkeiten gegenüber US-Konzernmutter | 19.778.398 € | 5.474.347 € | 28.714.619 € |
Saldo | –11.891.516 € | – 2.395.726 € | 11.393.051 € |
Mein Fazit zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der deutschen Palantir-Tochter
Die Jahresabschlüsse der Jahre 2021 und 2022 zeigen ein wirtschaftliches stabiles Gesamtbild bei guter Liquiditäts- und Ertragslage eines mittelgroßen IT-Unternehmens ohne wesentliches Wachstum. Die Verbindlichkeiten gegenüber der US-Mutter sind allerdings stark angewachsen.
Denoch finde ich die Daten bemerkenswert – und zwar im Hinblick auf die sonst in Beschaffungsverfahren für vergleichbare IT-Projekte der Polizeibehörden geforderte wirtschaftliche Größe erfolgreicher Bewerber. Auch wenn Palantir (möglicherweise) darauf reagiert hat und den Gesamtumsatz des Unternehmens durch konzerninterne Erlöse nahezu verdoppelt. So ergibt sich doch bei Bereinigung dieser konzerninternen Erlöse und Aufwendungen das Bild eines allenfalls mittelgroßen Unternehmens.
Wofür übrigens auch die Zahl der Mitarbeiter zum Jahresende spricht, die von 51 (2020), über 57 (2021) auf 82 im Jahr 2022 gestiegen ist. Setzt man (großzügig) mit 70% der Personalstärke die der Mitarbeiter für produktive IT-Dienstleistungen an (somit 30% für Administration, Vertrieb, Marketing, etc.), so bleiben (für 2022) 57,4 Mitarbeiter für den technischen Bereich von drei Produktsparten, von denen allein die für Polizeibehörden, sicher alle entsprechend „sicherheitsüberprüften“ (?) Forward Deployed Engineers und Kollegen drei große Behörden zu versorgen haben in Millionenprojekten und mit sehr großem Dienstleistungs-Hunger!
Palantir muss also im technischen Bereich großartige Mitarbeiter haben, und wer wollte das schon bezweifeln …
Warum hat Bayern im VeRA-Vergabeverfahren einen so ungewöhnlich geringen Gesamtumsatz verlangt?
Bayern hat als Primär-Auftraggeber das VeRA-Beschaffungsverfahren durchgezogen, dem sich der Bund anschließen könnte für seine drei (!) Polizeibehörden, nämlich Zollkriminalamt, Bundespolizei und Bundeskriminalamt als Sekundärauftraggeber I und die noch nicht mit Palantir-Systemen versorgten 15 Länder als Sekundärauftraggeber.
siehe: Dammbruch! Palantir gewinnt den Rahmenvertrag für Data Mining in der deutschen Polizei
Bayern hat in der Auftragsbekanntmachung für VeRA einen ungewöhnlich niedrigen GESAMTumsatz von 5 Mio Euro während der letzten drei Geschäftsjahre verlangt. Das entspricht einem Drittel der Umsätze für eine kleine Kapitalgesellschaft nach §267 HGB.
Gemessen an Umsatzforderungen allein für „den relevanten Geschäftsbereich“ von 15 Mio Euro für das neue Asservatenmanagement der Bundespolizeibehörden oder von 40 Mio Euro für die Generalunternehmerschaft im Projekt P20 stellt sich die Frage, warum ausgerechnet für die verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA) für die Polizei des zweitgrößten Bundeslandes und optional der Bundespolizeibehörden und vieler Länderbehörden so „mickrige“ Anforderungen in diesem Bereich gestellt wurden.
Ist „nationale Souveränität“ nur ein Slogan fürs politische Schaufenster?
Haupttätigkeit = allgemeine Unterstützungsleistungen für die US-Konzernmutter
Wie oben gezeigt und wie in den Jahresabschlüssen von Palantir auch unverhohlen ausgedrückt, ist die Haupttätigkeit der Deutschen Palantir-Tochter die Unterstützung der US-Mutter durch nicht näher bezeichnete „Dienstleistungen“.
Hohe finanzielle Abhängigkeit von der US-Konzernmutter
Auch ohne die Kenntnisse eines Wirtschaftsprüfers ist aus den Jahresabschlüssen eine starke finanzielle Abhängigkeit der deutschen Tochter von der Konzernmutter zu sehen. Die Erlöse von der Mutter machen mehr als die Hälfte der Gesamterlöse aus. Die nicht näher erläuterten „bezogenen Aufwendungen“, die an die US-Mutter zu bezahlen sind, übersteigen diese Erlöse und schmälern das Jahresergebnis.
Die Absichtserklärungen des US-Konzernchefs Dr. „Alex“ Karp
Firmen-Mitgründer und CEO von Palantir Dr. Karp pflegt seine Sicht der Welt in einem Jahresbrief (an Gesellschafter) mitzuteilen. Der für 2022 lässt, gerade für Deutschland, keinen Raum für Missverständnisse oder naive Fehleinschätzungen.
Das ist entweder zynisches Kokettieren oder eine ungeheuerliche Anmaßung. Denn wer verfügt über die Befugnisse Menschenleben „mit Hilfe von Software“ auszulöschen??
„America first“
Verschärfte gesetzliche Verpflichtungen für US-Firmen und ihre Töchter durch den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA/Section 702)
Am Wochenende vor der Anhörung im Bundestags-Innenausschuss verlängerte und verschärfte der US-Senat den FIS-Act, Section 702. Diese Bestimmung erlaubt es US-Diensten wie der National Security Agency (NSA), die elektronische Kommunikation außerhalb der USA praktisch ohne Einschränkungen zu überwachen und US-Firmen und deren Tochterunternehmen im Ausland zur Mithilfe zu verpflichten. Das gilt also auch für Palantir Technologies GmbH, eine Firma, die z.B. in Hessen mit dem BETRIEB von HessenData beauftragt ist!
Spielte „nationale Souveränität“ irgendeine Rolle?
Die Verschärfung von FISA/Section 702 spielte in der Anhörung vor dem Innenausschuss keine Rolle. Keine Frage eines Abgeordneten dazu, kein Hinweis darauf von Seiten eines Sachverständigen.
Nicht thematisiert wurde die Tatsache, dass der Wunsch-Dienstleister und Betreiber dieser Systeme (1) über die Fähigkeiten verfügt, (2) die Möglichkeiten, sowie (3) den erklärten Willen; hinterfragt wurde auch nicht, ob er (4) durch behördliche Aufträge aus dem Heimatland gezwungen werden kann, Daten aus deutschen Polizeisystemen oder von deutschen Polizeibehörden auch für solche Aufträge zu beschaffen.
„Nationale Souveränität“, das Stichwort fiel durchaus, aber nur als Konzeptbezeichnung für mehr staatliche Förderung inländischer Unternehmen.
Insofern war diese ganze Veranstaltung aus meiner Sicht vor allem ein Theaterstück. Gespielt wurde „So geht parlamentarische Befassung mit Fragen der Inneren Sicherheit“.
Relevante Kernthemen, wie die fehlende, aber zwingend notwendige Kennzeichnung von Informationen in Datenquellsystemen, bevor sie zur Analyse überhaupt herangezogen werden, sowie die Beauftragung einer US-Firma, die amerikanischer Gesetzgebung unterliegt, blieben ausgespart. Getreu dem Motto: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ …
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