Die Fundstücke in dieser Ausgabe:
- Palantir: Big-Data-Systemeinführung in turbulenten Zeiten für die IT der Polizei in Nordrhein-Westfalen
- 27,7 Mio Euro für die Pflege und Weiterentwicklung von ViVA in NRW
- Rola Security Solutions „vorbildlich familienfreundlich“
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Palantir: Big-Data-Systemeinführung in turbulenten Zeiten für die IT der Polizei in Nordrhein-Westfalen
Am 15.01.2020 wurde die Vergabebekanntmachung veröffentlicht: Der Zuschlag für das DAR, das Big Data-System für die datenbankübergreifende Analyse und Auswertung der Polizei in NRW ging an die deutsche Tochter der US-Firma Palantir.
Der geschätzte Auftragswert beläuft sich auf rund 14 Mio Euro. Genaue Angaben sind bei der Form der Auftragsvergabe geheim.
14 Millionen für DAR – Datenbankübergreifende Analyse und Recherche‚
Der vorgesehene Zeitplan ist ambitioniert: Es soll ein „Produktiv-, Entwicklungs- und Testsystem in die bestehende IT-Infrastruktur der Polizei NRW eingebunden werden“ und im dritten Quartal 2020 in den Wirkbetrieb gehen. Dann soll auch die Abnahme erfolgen und das System anschließend für eine „ausgewählte Anzahl an Ermittlern“ mit voller Funktionalität genutzt werden können.
An der Entscheidung aus NRW sind aus meiner Sicht mehrere Aspekte sehr interessant und bemerkenswert:
Bemerkenswert -1: Die Einführung des neuen INPOL-Land- und Vorgangsbearbeitungssystems ViVA in NRW ist noch gar nicht „verdaut“
Dazu hatten wir ja erst vergangene Woche ausführlich hier berichtet (GDP an Innenminister Reul: „Machen Sie ViVA zur Chefsache“ in Fundstücke 02.2020). Ein weiteres System, jetzt also Palantir, soll auf diesen noch schwankenden Boden von ViVA-Version 2.0 = INPOL-Land NRW und ViVA-Version 2.1 = Vorgangsbearbeitung aufgesetzt werden. Das könnte spannend werden, sowohl für mehrere zehntausend Nutzer in der Polizei NRW, wie auch für die Mitarbeiter, die für die technische Einführung zuständig sind – und vor allem auch für die Bürger, die später betroffen sein werden von den ‚Erkenntnissen‘, die diese ‚miteinander integrierten‘ Systeme und die intransparenten Algorithmen in den Tiefen dieser Systeme so von sich geben …
Bemerkenswert -2: Der Auftraggeber für das Palantir-System in NRW ist das LKA und nicht das LZPD
Bemerkenswert ist der Auftraggeber für das Palantir-System in NRW: Es ist das Landeskriminalamt und nicht das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste – LZPD. Was ist der Grund dafür?
- Personelle Überlastung beim LZPD?
- Bessere polizeifachliche / analytische Kompetenz beim LKA?
- ‘Divide et impera‘ – ‚Teile und Herrsche‘ als Konzept des Innenministeriums, das beiden Behörden vorgesetzt ist??
- oder was sonst?
Bemerkenswert -3: Mit der Einführung in NRW erreicht das Big-Data-System von Palantir rechnerisch 30% der deutschen Bevölkerung
Nach Hessen konnte Palantir jetzt auch das bevölkerungsreichste Bundesland NRW als Kunden gewinnen. Bei vollem Ausbau der Systeme wird Palantir also das Big-Data-System sein für knapp 30% der Bevölkerung in Deutschland. Und Bayern, nach NRW das zweitgrößte Bundesland, evaluiert ja ebenfalls bereits die Beschaffung eines solchen Systems. (Mehr dazu in ‚Ein White Paper über die Gegenwart und Prognose für die Zukunft der polizeilichen Informationslandschaft in Deutschland – Big Data, KI und der Weg in eine teil-autonome Polizeiarbeit] VIEL mehr dazu im Palantir-/HesssenData-Dossier
Bemerkenswert -4: Palantir ist damit praktisch in kurzer Zeit sowohl die Integration in die „IPCC-Welt“ als auch in die T-Systems/Rola-Welt gelungen – und damit in ‚fast‘ jeder deutschen Polizeibehörde einsetzbar
Die „Einbindung in die bestehende IT-Infrastruktur der Polizei NRW“, wie sie in der Vergabebekanntmachung genannt ist, bedeutet praktisch, dass Palantir in NRW mit dem Vorgangsbearbeitungssystem ViVA (Version 2.1), dem Inpol-Land-System NRW (=ViVA Version 2.0) und dem Fallbearbeitungssystem CASE von Rola zu tun bekommt.
In Hessen ist mit Hessendata schon seit 2017 – so darf man annehmen – Gleiches geschehen, jedoch mit dem Vorgangsbearbeitungssystem ComVor (der IPCC-Kooperation), INPOL-Land-System POLAS (der IPCC-Kooperation) und – möglicherweise zwar nicht mehr mit dem außer Betrieb zu nehmenden bzw. genommenen Fallbearbeitungssystem CRIME – jedoch seinem Nachfolger, dem eFBS von Rola.
Das bedeutet praktisch, dass die Firma Palantir in wenigen Monaten nun Referenzen für Wirkbetriebsinstallationen in deutschen Polizeibehörden sowohl für IT-Systeme aus der IPCC-Welt (in Hessen), als auch für die der T-Systems/Rola-Welt (in NRW) aufbieten können wird. Für den Anbieter: Ideal!
Für die IT-Landschaft der Polizei in Deutschland: Fatal! Denn wer kann dann eigentlich hier noch kontrollieren, was aus welchen der ‚integrierten‘ Systeme gelesen, abgegriffen, durch Algorithmen (Kreuztreffer!) zusammengeführt oder sonst wie ‚analysiert‘ wird und zur Grundlage für operative polizeiliche Entscheidungen gemacht wird?!
Bemerkenswert -5: Damit wird die Situation auch für Bayern nicht leichter.
Seit Jahrzehnten schon ist Bayern eine Polizeibehörde, die ihre eigenen Vorstellungen zur Entwicklung von polizeilichen IT-Systemen hatte und durch setzte (IGVP und RS-Case=Easy in Bayern, zu dessen Entwicklung das LKA Bayern über Jahre intensiv beigetragen hat) hätte es ohne Bayern nicht gegeben). Mit Hessendata und DAR in NRW wird es für Bayern schwieriger, sich gegen den aktuellen Trend zu stemmen, d.h. nach der im vergangenen Jahr angelaufenen Marktsichtung ein System zu wählen, das NICHT Palantir heißt. Doch warten wir’s ab …
Kardinalfrage -6 …
Und was sollte [wenn nicht Bayern] dann noch verhindern, dass das amerikanische Palantir, dessen Entwicklung auf jahrelange gemeinsame Projekte mit amerikanischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden zurückgeht, auch der neue „Marktstandard“ in Deutschland und beim BKA werden wird?!
Das geradezu aufreizend dröge ‚Geleitzugtempo‚, das der Bund mit seinem Projekt/Konzept Polizei 2020 – und Fehlentwicklungen, wie INPOL-Neu und PIAV seit fast zwei Jahrzehnten an den Tag legt, begünstigt diese Entwicklung. Und das ist in den letzten Jahren – möglicherweise – auch genau die tiefere, politische Absicht, die dahintersteckt …
27,7 Mio Euro für die Pflege und Weiterentwicklung von ViVA in NRW
Einen Tag vor Weihnachten erschien auf der Vergabeplattform der EU die Bekanntmachung eines 27,7 Mio Euro schweren Auftrages des Landesamts für Zentrale Polizeitechnische Dienste (LZPD) in NRW an die Firma T-Systems Information Services GmbH. Der Auftrag betrifft ViVA, das bei der Polizei NRW bereits flächendeckend eingeführt ist. „Zur Aufrechterhaltung bedarf es laufender Pflege-, Wartungs- und Weiterentwicklungsarbeiten durch den Auftragnehmer, der das System in Zusammenarbeit mit der Polizei NRW entwickelt hat“ – so heißt es jedenfalls in der Vergabebekanntmachung.
Nachtrag am 21.01.2020:Auf Nachfrage teilte uns das LZPD mit, dass der Vertrag eine Laufzeit von 72 Monaten ab Januar 2020 hat.
Rola Security Solutions „vorbildlich familienfreundlich“
Als ‚vorbildlich familienfreundliches Unternehmen‘ wurde Rola Security Solutions vom Oberhausener Bündnis für Familie ausgezeichnet .
Rola ist eine hundertprozentige Tochter von T-Systems, dem IT-Zweig der Deutschen Telekom: T-Systems, selbst ein großer Player auf dem IT-Markt für Polizeibehörden, hat z.B. in Berlin das Vorgangsbearbeitungssystem POLIKS und in Nordrhein-Westfalen dessen Variante ViVA entwickelt und betreut. Rola wurde 2013 – wie Insider sagen „auf Wunsch des Bundesinnenministeriums“ von T-System übernommen. Die Firma ist Hersteller des zum Marktstandard gemachten Fallbearbeitungssystem RS-Case, das in den Bundespolizeibehörden und bei zwei Dritteln der Landespolizeibehörden (wenn auch unter jeweils anderen Namen) im Einsatz ist. Und durch NADIR, ein vergleichbares Systems für das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz.
Der Einfluss von Rola ist seither weiter gewachsen: Die Firma hatte -nach der Übernahme durch T-Systems im Jahr 2013 – den Auftrag gewonnen für das operative Zentralsystem des Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes PIAV beim Bundeskriminalamt (=PIAV Operativ Zentral). Auch das eFBS, das einheitliche Fallbearbeitungssystem der Bundespolizeibehörden, das der Bund seit 2017 auch diesbezüglich bedürftigen Ländern zur Übernahme offeriert, stammt von der Rola.
Von 92 Mitarbeitern im Jahr 2013 ist Rola inzwischen auf „rund 250“ Mitarbeiter angewachsen. Vorbildlich familienfreundlich ist Rola wegen seiner besonderen Leistungen für Mitarbeiter mit Familie, wie z.B. bezahlter Sonderurlaub bei Krankheit eines Kindes, individuelle Arbeitszeitmodelle, Sportgruppen innerhalb des Unternehmens und ein Zuschuss zum Fitnessstudiobeitrag.