Hessen vergibt Rahmenvertrag für Polizei2020-relevante Dienstleistungen

Aufträge aus dem hessischen Innenministerium für die IT-Ausstattung der Polizei hatten schon wiederholt diese Gemeinsamkeiten: Es ging um viele Millionen Euro, die Aufträge wurden am Vergaberecht vorbei vergeben und hinterher standen der Rechnungshof und/oder eine Prüfung durch den Landtag auf dem Plan. So geschehen 2011ff, als die IPCC-Geschäftsstelle im Landespolizeipräsidium ganz schnell verlagert werden musste nach Hamburg. So erneut geschehen 2018, als die freihändige Vergabe der Aufträge für Hessendata an die Firma Palantir einen Untersuchungsausschuss auf den Plan riefen. Im Frühjahr 2019 werfen Aufträge an ein Bieterkonsortium Fragen auf, das in den letzten drei Jahren IT-Dienstleistungsaufträge von mehr als 36 Millionen Euro erhalten hat. Zuletzt – und ohne Angabe eines Vertragswertes – den Rahmenvertrag für „Unterstützungsleistungen Polizei 2020 …“ Fängt jetzt alles von vorne an und übernimmt Hessen wieder wesentliche Aufgaben, die eigentlich alle Kooperationspartner des Inpol Polas Competence Center (IPCC) betreffen?! | Lesedauer: Ca. 12 Minuten

Nicht ohne Spannungen: Das problematische Verhältnis zwischen Behörden im Hessischen Innenministerium und dem Vergaberecht

„Nicht ohne Spannungen“ – so lässt sich das Verhältnis bezeichnen zwischen Behörden im Geschäftsbereich des hessischen Innenministeriums auf der einen Seite und dem Vergaberecht auf der anderen Seite: Erst im vergangenen Jahr musste im hessischen Landtag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden, um Merkwürdigkeiten bei der Auftragsvergabe aus diesem Ministerium zu untersuchen. Es ging dabei u.a. um die freihändig vergebenen, millionenschweren Aufträge an die Firma Palantir für den Betrieb (sic!) des Big Data Analysesystems Hessendata.

Die Geschäftsstelle des Inpol Polas Competence Centers im hessischen Landespolizeipräsidium

Schon 2012 gab es einen ähnlichen Eklat, nachdem sich erst der hessische Rechnungshof und dann die Opposition im Landtag (damals SPD und Grüne) für freihändig vergebene Aufträge an die immer wieder gleichen Auftragnehmer interessiert hatten. Im Mittelpunkt standen IT-Verfahren für die Polizei. Denn Hessen hatte ab 2002 – zusammen mit Hamburg und Baden-Württemberg – eine ganz neue Methode entwickelt, wie unter der Ägide des Innenministeriums, quasi „inhouse“, polizeiliche IT-Verfahren entwickelt und gepflegt wurden. Dieses anfänglich so genial erscheinende Perpetuum Mobile der Auftragsvergabe für polizeiliche IT-Verfahren erhielt den Namen IPCC = Inpol Polas Competence Center.

Bezogen auf die Menge der Produkte, aber auch auf die Einsatzzahlen in den beteiligten Behörden, hatte das IPCC schon nach kurzer Zeit ein Aufgabenbündel, das nicht mal ’so eben nebenbei‘ durch eine, mit wenigen Mitarbeitern besetzte Geschäftsstelle im Hessischen Ministerium des Innern (HMDiS) erledigt werden konnte. Professionelle und zahlenmäßig angemessene personelle Unterstützung war also vonnöten: Hessen war bereit zu investieren – nach eigener Darstellung in Form von

„fachlicher Kompetenz […] durch die Bündelung des fachlichen Know-hows der Kooperationspartner im Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung (PTLV) der hessischen Polizei.“ Und in Form der „technischen Kompetenz […] durch ein Architekturteam mit dem Know-how-Trägern des INPOL-Projekts und einem Entwicklerteam mit langjähriger INPOL-Erfahrung in der hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD)“.

Die vielen Hüte des leitenden Polizeidirektors (LPD) Peter H.

Mit der praktischen Umsetzung wurde seinerzeit der leitende Polizeidirektor Peter H. beauftragt. Er vereinte in Personalunion alle Funktionen, die seine Tätigkeit effektiv und wirkungsvoll machen konnten: Im hessischen Landespolizeipräsidium, einer Abteilung des hessischen Innenministeriums,

  • leitete er das Referat für Technik (damals LPP 6), wo sich, wie Innenminister Rhein dies später formulierte“ seit 2002 weitere Aufgaben gebildet haben“ im Zusammenhang mit dem IPCC und deshalb für das IPCC „eine Geschäftsstelle herausgebildet“ hat.
  • H. wurde also auch Leiter dieser IPCC-Geschäftsstelle: Was den Vorteil hatte, dass er, mal mit dem LPP 6-Hut, mal mit dem IPCC-Hut auf dem Kopf, Aufträge erteilen konnte: Vor allem an die landeseigene Zentrale für Datenverarbeitung (HZD), die sowohl mit Bediensteten des Landes für entsprechende Arbeiten tätig wurde, wie auch Aufträge an externe Firmen vergab. Und zwar vorwiegend freihändig, also ohne Rücksicht auf das Vergaberecht.
  • Als stellvertretender Vorsitzender des Unterausschuss Information und Kommunikation (UA IuK) des für sicherheitsbelange zuständigen Arbeitskreises (AK II)
  • und gleichzeitig als Vorsitzender der Kommission IuK-Architektur und -Standards saß er an maßgeblicher Stelle in den Gremien, die der zweimal jährlich tagenden Konferenz der Innenminister(IMK) die Beschlussempfehlungen vorlegte, wenn es um IT-Projekte von Bund- und Ländern ging.

Wer die Protokolle dieser IMK-Sitzungen einmal gesehen hat, weiß, dass die Innenminister des Bundes und der Länder i.d.R. abnicken, was die Fachgremien zur Entscheidung vorlegen (siehe dazu: Wie arbeitet die Innenministerkonferenz?)

Rechnungshof und Landtag verlangen Auskunft

Für die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem IPCC entstanden natürlich Kosten, einerseits durch den Einsatz von Landesbediensteten in der Geschäftsstelle des IPCC bzw. in der HZD, und andererseits auch für die Beauftragung von externen Firmen bzw. Auftragnehmern. Das rief 2011 den hessischen Rechnungshof auf den Plan. Der in seinen ‚Bemerkungen 2011‘ zu eindeutigen, negativen Feststellungen gelangt war. Die Sache hatte im hessischen Landtag dann ein Nachspiel: Denn die Grünen – damals noch in der Opposition – und SPD hinterfragten hartnäckig die Praxis der Vergabe von IPCC-relevanten Aufträgen an externe Firmen. Die Landesregierung kam, wenn auch sehr zögerlich, nicht umhin, einige Informationen preiszugeben. Sie lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass es – damals – gängige Praxis war, entsprechende Aufträge freihändig zu vergeben. Das hatten weder eindeutige vergaberechtliche Vorschriften verhindert (es gilt im Vergaberecht eigentlich das Prinzip, dass „öffentliche Aufträge grundsätzlich auszuschreiben sind“), noch ein hausinterner Erlass des seinerzeitigen Staatssekretärs im Innenministerium und späteren Innenministers Boris Rhein. Dieser Erlass besagte, dass alle Beschaffungsvorhaben mit einem Auftragsvolumen von mehr als 20.000 Euro vor der Auftragsvergabe von ihm abzuzeichnen seien. Rhein, inzwischen Innenminister geworden, musste später einräumen, sowie 3, S. 255], dass dies 79 Verträge betroffen hätte, von denen er allerdings lediglich 4 zu sehen bekam.

Die IPCC-Geschäftsführung wird nach Hamburg verlagert

2012 sah die Landesregierung in Hessen die Zeit gekommen, um ein wenig Gras wachsen zu lassen über das IPCC und seine starke Bindung an hessische Behörden der Inneren Sicherheit. Der in die Kritik geratene Leiter des Referats 6 des hessischen Landespolizeipräsidiums (LPP 6) wurde auf einen anderen Posten versetzt und zum 01.01.2012 gab Hessen dann auch die IPCC-Geschäftsführung an die Polizei Hamburg ab. Hamburg war ein langjähriger Kooperationspartner, quasi Gründungsmitglied der anfänglich aus Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg bestehenden IPCC-Kernkooperation (zu der später noch Brandenburg kam). Und aus Hamburg stammten ursprünglich auch wesentliche IT-Verfahren, wie das Fahndungs- und Auskunftssystem POLAS, das Vorgangsbearbeitungssystem COMVOR und das Fallbearbeitungssystem CRIME, die unter der Ägide des IPCC weiterentwickelt und gepflegt wurden.

Die (nahezu) geschlossene Gesellschaft der Auftragnehmer in Hessen

Schon in der ersten Phase der IPCC-Betreuung in Hessen (also bis 2012) waren die Aufträge in Sachen IPCC an eine Handvoll von immer wieder gleichen Firmen und eine kleine Gruppe von Freiberuflern gegangen. Die meisten von ihnen haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren nämlich beteiligt an der ursprünglichen Entwicklung von POLAS bzw. COMVOR oder CRIME für die Polizei Hamburg. Dies findet sich auch ganz ausdrücklich in der Beschreibung ihrer jeweiligen Qualifikation, von denen hier zwei beispielhaft wiedergegeben werden:

„Herr M. war als Mitarbeiter der Fa. Oracle seit 1998 für die Polizei Hamburg in der Entwicklung des neuen Fahndungssystems POLAS sowie im Rahmen der Projektgruppe Polas Hessen in 2001 und in Folge in der Entwicklung INPOL-Neu im BKA tätig. … Herr M. hat maßgeblich an wesentlichen Komponenten des Zentralsystems INPOL-Neu im BKA mitgewirkt, die in unmittelbarem Zusammenhang zu zahlreichen Softwareprodukten im IPCC stehen.“
„Frau H. [war] als Mitarbeiterin der Fa. Oracle im Projekt POLAS der Polizei Hamburg, im Rahmen der Projektgruppe Polas Hessen in 2001 und in Folge bei der Entwicklung INPOL-Neu im BKA tätig.“ … „Frau H. [besaß] aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten ein besonderes technisch-organisatorisches Wissen in Verbindung mit persönlicher Qualifizierung und damit ein am Markt einzigartiges Wissen.“
Diese Herkunft und Qualifikation trug Früchte: „Frau H.“ erhielt im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 948.276 Euro (sic!), „Olaf M.“ fakturierte gegenüber der HZD in den Jahren 2007 mit 2009 Aufträge von jährlich zwischen 202.000 und 232.000 Euro.
Die frühere Tätigkeit für POLAS bei der Polizei Hamburg und Hessen diente auch als Eignungsnachweis für die beauftragten Firmen: Dazu heißt es im Bericht des Hessischen Innenministeriums vom 23.07.2012:
„Die Firma Steria Mummert Consulting AG war maßgeblich an der Entwicklung INPOL-Neu im BKA beteiligt und verfügte über ein umfangreiches Spezialwissen bzgl. der Fachanwendungen aus dem polizeilichen Umfeld der Produktfamilie INPOL-Land/POLAS. Die Fachkonzeption und Spezifikationen wurden von Steria Mummert Consulting zusammen mit dem BKA entworfen; andere Firmen waren hieran nicht beteiligt.“
Das entsprechende Auftragsvolumen belief sich auf knapp 1,9 Mio Euro. Anfang 2012 konnte die Firma dieses Know-How gewinnbringend mehren: Sie gewann nämlich einen Rahmenvertrag des BKA über IT-Dienstleistungen mit dem Schwerpunkt Test in Höhe von 24,1 Mio Euro.
Die Firma Trivadis GmbH hatte für den Zeitraum September 2004 bis Ende 2007 aus Hessen einen Rahmenvertrag über jährlich rund 600.000 Euro erhalten, und 2009 einen weiteren Rahmenvertrag, aus dem mehr als 4,2 Mio Euro abgerufen wurden. Als Begründung für die (freihändige) Auftragsvergabe an die Firma Trivadis hieß es:
Für die zu gewährleistende Weiterentwicklung POLAS/INPOL-Land in 2003 waren umfassende Redesign-Maßnahmen durchzuführen, insbesondere auch die Architektur betreffend. Die Firma Trivadis beschäftigte Personen, die langjährig für die Fa. Oracle in der Entwicklung der Architektur für POLAS / INPOL tätig waren. … Für das IPCC sollten solche spezialisierten Personen in gleicher Funktion ihre Tätigkeit fortsetzen.“

Aufträge der HZD an eine „Alphabit GmbH“ und die Sinc GmbH

Schon in der ersten Phase der IPCC-Geschäftsführung durch Hessen (also vor 2012) gehörte eine Firma „Alphabit GmbH“ zum Kreis der Begünstigten. Sie erhielt z.B. im Zeitraum zwischen Anfang 2007 und Mitte 2010 fünfzehn freihändig vergebene Aufträge in Höhe von rund 950.000 Euro netto. Als Begründung für die Beauftragung dieser Firma genügte ein Hinweis von LPP 6 im Hessischen Innenministerium: „Der HZD wurde in dem nachgefragten Fall vor der erstmaligen Auftragsvergabe durch Mitteilung des LPP 6 bekannt, dass die Fa. Alphabit GmbH als geeigneter Vertragspartner für die vom LPP 6 mitgeteilten Bedarfe in Betracht kommt.“

In den letzten drei Jahren konnte diese Firma ihre Kundenbeziehung zur hessischen HZD ganz erheblich ausweiten, wie eine Auswertung von Vergabebekanntmachungen in der Datenbank TED der EU-Kommission zeigt:

  • Für das Jahr 2016 wurden sechs Aufträge der HZD an Alphabit bekanntgemacht, fünf davon gemeinsam mit deren Kooperationspartner Sinc GmbH. Das Vertragsvolumen belief sich auf 3,9 Mio Euro, wobei allerdings für zwei Verträge überhaupt kein Auftragswert angegeben wurde.
  • Im Jahr 2017 wurden drei Rahmenverträge akquiriert, erneut gemeinsam durch die Bietergemeinschaft aus Alphabit und Sinc, mit einem Auftragswert von knapp 7,1 Mio Euro hatten.
  • Im Jahr 2018 wuchs das Vertragsvolumen dann auf mehr als das Dreifache, nämlich 25,6 Mio Euro. Das entspricht bei einem rechnerisch angenommenen Personentagessatz von 1.000 Euro 25.610 Personentagen bzw. (bei 205 Arbeitstagen pro Kalenderjahr) rund 125 Personenjahren. Zum Vergleich: Die HZD selbst hat eine Personalstärke von rund 900 Mitarbeitern und betreut 19.000 Anwender in der Polizei (https://hzd.hessen.de/hzd-in-zahlen)
  • Für 2019 sind (bisher) zwei Verträge bekanntgemacht worden. Bei beiden wurden die Auftragswerte – im Regelfall eine Pflichtangabe bei Vergabebekanntmachungen – durch die Angabe des Dummywertes von 0,01 Euro pro Teilauftrag verschleiert.

Unterstützungsleistungen Polizei 2020

Einer der beiden Verträge aus 2019 betrifft „Unterstützungsleistungen Polizei 2020 und neue Infrastruktur“ [1]: Dort wurden in acht Losen „Verfahrensspezialisten“, „Senior IT-Architekten“, „Senior IT-Spezialisten“ und ähnliche externe Fachleute für verschiedene Einsatzgebiete akquiriert. Die Laufzeit beträgt zunächst zwei Jahre mit einer zweimal jährlichen Verlängerungsoption. Den Zuschlag für die sechs der acht Lose, die die „Unterstützungsleistungen Polizei 2020“ betreffen, hat die Bietergemeinschaft Sinc GmbH und Alphabit erhalten, die zwei Lose für die „Integration neuer Verfahren und Weiterentwicklung der Infrastruktur“ wurden der Firma operational Services GmbH&Co KG aus Frankfurt zugeschlagen.

Die sechs Teilaufträge zum Paket „Unterstützungsleistungen Polizei 2020“ betreffen

  • eingeführte IT-Verfahren der IPCC-Kooperation, wie z.B.
    • POLAS (=Inpol-Land)
    • das Vorgangsbearbeitungssystem COMVOR
    • das Elektronische Tagebuch (ETB)
    • die Benutzerverwaltung BV
    • sowie EuSKA; ein Erfassungs- und Analysesystem für Verkehrsunfälle
  • webbasierte Polizeianwendungen, wie IntraPol (das abgeschottete Internet der Polizei), P-Online, FERIS oder ELEVA
  • aber auch die Administration, Installation und Konfiguration sowie Betriebsunterstützung von handelsüblichen (COTS – commercial-off-the-shelf) Hardwarekomponenten von Citrix, Systemsoftware (Windows-Komponenten), Datenbank- (MS SQL) und Sicherheitskomponenten

Bemerkungen zu dieser Auftragsvergabe

Diese Auftragsvergabe wirft aus meiner Sicht verschiedene Fragen auf:

Unterstützungsleistungen für diverse IT-Kooperationsprodukte des IPCC

Als Einsatzorte sind nicht nur die Dienststellen der hessischen Polizei vorgegeben, sondern auch „Standorte der IT-Kooperationen“ (z.B. der POLAS- oder der COMVOR-Kooperationen), „des Bundes und des BKA„. Das spricht dafür, dass mit dieser Auftragsvergabe durch Hessen auch wieder Leistungen für die IPCC-Kooperationen eingekauft wurden und wirft die Frage auf nach dem aktuellen Status und der Zukunft des IPCC ganz generell und seiner Zukunft in Hamburg.

Offene Frage: Wer ist für die (Weiter-)Entwicklung der Produkte zuständig?

Abgesehen von der mitunter enthaltenen Verpflichtung zur Behebung von Fehlern an den Systemen, gehört die (Weiter-)Entwicklung der Softwareprodukte nicht zum vertraglich vereinbarten Aufgabenumfang.
Obliegt die also weiterhin der Abteilung „Entwicklung“ in der Polizei Hamburg?! Und, wenn ja: Wird die Zusammenarbeit über diverse Behördengrenzen hinweg (allein die POLAS-Kooperation hat m.W. 11 Teilnehmerbehörden) und über diverse Systeme hinweg zwischen den Spezialisten in Hessen, den Entwickler-Betreuern in Hamburg und eventuell dort noch tätigen externen Herstellern (Microsoft/COMVOR) bzw. Dienstleistern (Trivadis / weitere?) nicht ziemlich kompliziert und damit uneffektiv??

Die alte Frage nach den Quellcodes, Urheber- und Bearbeitungsrechten an den Produkten der IPCC-Kooperation

Generell stellt sich ja, nicht zum ersten Mal, die Frage, wer eigentlich über den aktuellen und vollständigen Stand der Quellcodes der diversen IPCC-Produkte verfügt und damit überhaupt in der Lage ist, daran Analysen vorzunehmen und Fehler zu beseitigen.
Interessant könnte in diesem Zusammenhang auch ein mögliches Haftungsproblem werden, wenn Spezialisten von Alphabit bzw. Sinc GmbH Fehler an Systemen beseitigen, an denen sie u.U. keine Bearbeitungsrechte haben. Allerdings haben solche „Formalien“ schon in der Vergangenheit die IPCC-Verantwortlichen relativ unberührt gelassen.

Gibt es für CRIME keine Fehlerbehebung und keine Softwarepflege mehr?!

Es fällt auf, dass das Fallbearbeitungssystem CRIME in dieser umfassenden Aufgabenbeschreibung nicht vorkommt. Das ist insofern sehr merkwürdig, als Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg (kurzzeitig) und das Zollkriminalamt auf CRIME gesetzt hatten. Und ja auch noch Millionen an ISF-Fördermitteln der EU hineingepulvert haben, um ein schon 2011 beschränkt funktionsfähiges und altersschwaches CRIME auf Biegen und Brechen doch noch PIAV-fähig zu machen. Auch das spricht also dafür, dass es mit CRIME, zumindest in Hessen, endgültig ein Ende hat.

Was für Hessen ja auch recht einfach ist, hat man sich doch mit dem Palantir-System „Hessendata“ den neuen Ferrari der polizeilichen Informationssysteme – wieder mal freihändig – beschafft. Während sich die anderen CRIME-Teilnehmerbehörden nun doch auf das „Angebot“ des Bundes zum Einsatz des eFBS, des einheitlichen Fallbearbeitungssystems, einlassen müssen. Aktuell sind ja die einschlägigen Experten/Innen aus diesen CRIME-Teilnehmerländern schon eifrig dabei, auch diesmal wieder ihr erwiesenes Fachwissen, wie schon in der Vergangenheit, zielführend und erfolgsbringend einzusetzen.

Werden die CRIME-Datenbanken zum Datengrab?

Eine Migration von CRIME-Informationen sollte ja, zumindest in Brandenburg, nicht stattfinden.
Politik und Öffentlichkeit, besonders die am „Staatsschutz“ interessierten, haben jedoch ein Recht darauf zu erfahren, was eigentlich mit den Informationen geschieht, die in diesen CRIME-Systemen gespeichert und die z.B. für parlamentarische Untersuchungsausschüsse oder Strafverfolgungsbehörden (NSU etc.) auch in Zukunft noch relevant sein können.

Effektivität im Rahmen von Polizei 2020

Die arbeitsteilige Entwicklung von Polizei 2020 durch 16 Länder- und drei Bundespolizeibehörden ist ohnehin ein extrem komplexes Unterfangen. Ist es wirklich effektiv, wenn wichtige Koordinations- und Kommunikations­leistungen im Namen der Polizei Hessens oder der diversen IT-Kooperation(en) von auf Zeit zugekauften Experten erbracht werden, die organisatorisch und sachlich/fachlich nicht in der Auftraggeberbehörde verankert sind?!

Ex-Post-Transparenz nach hessischer Art…

Über die in allen Vergabebekanntmachungen so bezeichnete „Alphabit GmbH“ wollte ich mehr wissen – zunächst aus den öffentlichen Quellen. Stieß jedoch sehr schnell auf das Problem, dass es eine Firma mit exakt diesem Namen in Deutschland nicht gibt. Im Unternehmensregister – das ist die konsolidierte Datenbank aller Handelsregister bei den Amtsgerichten in Deutschland – finden sich drei Firmen mit dem Namensbestandteil „Alphabit“. Zwei davon sind zwar in Wiesbaden ansässig, haben, jedoch neben dem Wort „Alphabit“ jeweils unterschiedliche Namenszusätze. Welche genau nun diese Aufträge der HZD erhalten hat, ließ sich so also nicht feststellen. Was befremdlich ist: Denn immerhin hat dieser unkorrekt bezeichnete Auftragnehmer zusammen mit seinem Kooperationspartner Sinc GmbH seit 2016 Aufträge der HZD in Höhe von weitaus mehr als 36 Millionen Euro erhalten.

Nichts dürfte einfacher sein, dachte ich anfangs, als diese Ungenauigkeit in den Vergabebekanntmachungen aufzuklären: Und fragte frohgemut und höflich bei der HZD an, welchen exakten Namen denn der begünstigte Auftragnehmer nun tatsächlich führt. Falls Sie mit den Vergaberegularien nicht tagtäglich zu tun haben: Es steht in den Vergaberichtlinien, dass der Name des Auftragnehmers in der Auftragsbekanntmachung benannt werden MUSS UND dass der Auftragswert im Regelfall dort anzugeben ist. Das soll Transparenz („ex-post“) über die Vergabe von Mitteln des Steuerzahlers an Auftragnehmer herstellen.

Mit meiner Presseanfrage war ich allerdings – scheinbar – an den Falschen geraten: Fünf Tage nach der Anfrage bei der Pressestelle der HZD schrieb die Bereichsleiterin der Vergabestelle bei der HZD, ich sollte doch bitte – erstens – meinen „presserechtlichen Auskunftsanspruch darlegen“; – zweitens – meinen Presseausweis vorlegen; sowie – drittens – eine Stellungnahme einreichen, „in welcher Hinsicht die Informationen für Sie relevant sind und in welcher Form sie verwendet werden sollen“.

Ich teilte der Frau Bereichsleiterin also mit, dass die Pflichtangaben für eine Vergabebekanntmachung (die sich an die Öffentlichkeit richtet) in Artikeln 50 bzw. 51 der EU-Richtlinie 2014/24 geregelt sind, nach der diese Aufträge vergeben wurden und insofern mit einem „presserechtlichen Auskunftsanspruch“ nichts zu tun haben.
Verwies – zweitens – sicherheitshalber auf Paragraph 3 des Hessischen Pressegesetzes [„Die Behörden sind verpflichtet, der Presse die gewünschten Auskünfte zu erteilen. …„], fügte – drittens – Kopie meines selbstverständlich vorhandenen aktuellen Presseausweises bei und bat erneut um zeitnahe Beantwortung der eigentlich doch simplen Frage, wie denn der Auftragnehmer heißt, der vom Land Hessen (gemeinsam mit seinem Kooperationspartner Sinc GmbH) Aufträge in Höhe von mehr als 36 Millionen Euro in den letzten drei Jahren erhalten hat. Ferner bat ich um Begründung dafür, warum bei mehreren Vergabebekanntmachungen die Pflichtangabe für den Auftragswert durch die Angabe „0,01 Euro“ verschleiert, also nicht geliefert wird.

Bis auf eine Eingangsbestätigung auf mein Email habe ich bisher nichts weiter gehört. Ich schließe daraus, dass die Vergabestelle bei der HZD entweder nicht weiß oder nicht mitteilen will, wie die korrekte Firmierung des Auftragnehmers lautet, dem sie so viele millionenschwere Aufträge erteilt hat. Und nicht offenlegen will, warum sie die Auftragswerte von allen diesbezüglichen Aufträgen der letzten Monate verschweigt.

Was mich zu der Schlussfolgerung bringt: Grundsätzliche Verbesserungen bei der Vergabe von Aufträgen für die IT-Ausstattung der hessischen Polizei gegenüber den Feststellungen von 2012 sind immer noch nicht zu bemerken. Rechtskonformes Verhalten sieht anders aus … Und der Gelackmeierte dabei ist – heute wie schon damals – der Steuerzahler.

P.S.: Aber anscheinend gibt es ja Einsicht in die Defizite: Denn das Land Hessen, vertreten durch die Hessische Zentrale für Datenverarbeitung, hat Ende Juni 2019 zwei Aufträge vergeben (Sie ahnen es: freihändig! …) für die Unterstützung bei der Durchführung von Vergabeverfahren. Und diese Aufträge auch bekanntgemacht. Auftragsvolumen: Zweimal 600.000 Euro netto; Auftragnehmer: Zwei renommierte Anwaltskanzleien [2a, 2b]

Beiträge zu verwandten Themen

[A]   Das Scheitern von INPOL-Neu wurde zur Geburtsstunde des Inpol Polas Competence Centers (IPCC):
Inpol Polas Competence Center: Aus Trümmern geboren, 12.02.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-aus-truemmern-geboren

[B]   Inpol Polas Competence Center: SW-Haus im Innenministerium, 13.02.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-sw-haus-im-innenministerium

[C]   Inpol Polas Competence Center zieht um nach Hamburg, 07.03.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-zieht-um-nach-hamburg

[D]   Dataport erteilt großen Beschaffungsauftrag an langjährigen externen Dienstleister des IPCC: Dataport beschafft für das Inpol Polas Competence Center, 14.03.2014, POLICE-IT
https://police-it.net/dataport-beschafft-fuer-das-inpol-polas-competence-center

[E]   CRIME-Kooperation unter dem Dach des IPCC: Kooperationspartner, Leistungen und Kosten: Unglaublich günstig! Die Kosten von CRIME, 04.03.2015, POLICE-IT
https://police-it.net/unglaublich-guenstig-die-kosten-von-crime

[F]   Inpol Polas Competence Center: Kooperationen, Kosten und Konsorten, 05.03.2015, POLICE-IT
https://police-it.net/inpol-polas-competence-center-kooperationen-kosten-und-konsorten

[G]   Wie sich die IPCC-Kooperation am Vergaberecht vorbei ihre PIAV-Anbindung besorgt …: Polizeilicher Informationsaustausch und der PIAV [7], 29.06.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/polizeilicher-informationsaustausch-und-der-piav-7

[H]   Bericht über „Kompatibilitätsschwierigkeiten“ bei RSCase- und CRIME-Systemen | Steht CRIME vor dem Aus?: PIAV Stufe 1: Schwierigkeiten mit der Kompatibilität und andere Desaster, 15.09.2016, POLICE-IT
https://police-it.net/piav-stufe-1-schwierigkeiten-mit-der-kompatibilitaet-und-andere-desaster

[I]   Das Palantir-Dossier, POLICE-IT
https://police-it.net/das-palantir-dossier

[J]   Das Polizei 2020-Dossier, POLICE-IT
https://police-it.net/dossiers-2/das-polizei-2020-dossier

Quellen

[1]   Vergabebekanntmachung Nr. 2019/S 069-162985 vom 08.04.2019,
ted.europa.eu

[2a]   Vergabebekanntmachung Nr. 2019/S 123-301074 vom 28.6.2019
ted.europa.eu

[2b]   Vergabebekanntmachung Nr. 2019/S 123-301075 vom 28.6.2019
ted.europa.eu

Copyright und Nutzungsrechte

(C) 2019 CIVES Redaktionsbüro GmbH
Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH bzw. bei dem bzw. den namentlich benannten Autor(en). Links von anderen Seiten auf diesen Artikel, sowie die Übernahme des Titels und eines kurzen Textanreißers auf andere Seiten sind zulässig, unter der Voraussetzung der korrekten Angabe der Quelle und des/der Namen des bzw. der Autoren. Eine vollständige Übernahme dieses Artikels auf andere Seiten bzw. in andere Publikationen, sowie jegliche Bearbeitung und Veröffentlichung des so bearbeiteten Textes ohne unsere vorherige schriftliche Zustimmung ist dagegen ausdrücklich untersagt.