Wenn Daten töten: Fall Amad A. (2): Festnahme mit Haftbefehl eines anderen

Am 06.07.2018 wurde der Syrer Amad A. von der Polizei in Geldern in Gewahrsam genommen. Der Vorfall, der dem zugrunde lag, hätte keinesfalls eine richterliche Freiheitsstrafe nach sich gezogen. Sechs Stunden später war Amad A. festgenommen und in die JVA Geldern eingeliefert. Auf der Grundlage eines Haftbefehls gegen einen völlig anderen Menschen namens Amedy G. Spätere Ermittlungen gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamten wurden eingestellt: Eine Kenntnis der fehlenden Identität von Amad A. und Amedy G. habe ihnen nicht nachgewiesen werden können …
Lesedauer: Ca. 12 Minuten

Teil 2 der Serie ‚Wenn Daten töten – Der Fall des Syrers Amad A.‘

Die Ermittlungsführerin der „Beförderungserschleichung“ vom 04.07.2018 bleibt an der Sache Amad A. dran

Die Ermittlungsführerin aus der Kriminalpolizei im Polizeipräsidium Krefeld, die die Beförderungserschleichung vom 04.07.2018 federführend bearbeitete, blieb auch am nächsten Tag an der Sache mit dem Amad A. dran.

Abfragen nach dem Amad A. und dem Amedy G. am 05.07.2018

Am Donnerstag, dem 05.07.2018 führte sie letztmalig vor ihrem Urlaub in dieser Sache Abfragen in VIVA und INPOL durch und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit auch erneut eine Abfrage nach dem Amedy G. in INPOL.
Doch erst einen Tag später, am Freitag Nachmittag um 15:00 Uhr , machte sie etwas aus ihren neuen Erkenntnissen: In den Akten fand sich ein Email von ihr von 15:00 Uhr, das an die Kollegen gerichtet war. Bei einer aktuellen Überprüfung sei „jetzt plötzlich“ herausgekommen, dass „der Typ“ noch viel mehr Alias-Personalien hatte und „unter Umständen“ zweimal zur Aufenthalts­ermittlung und zweimal zur Festnahme ausgeschrieben sei.

Danach ging sie in Urlaub. Erst am Montag, dem 06.08.2018 wurde sie in der Sache ‚Amad A.‘ wieder aktiv und verfasst einen Schlussvermerk zur „Beförderungserschleichung“ vom 04.07.2018, auf den später noch einzugehen ist.

Der Vorfall am Baggersee führt zur Festnahme von Amad A.

Kaum eine halbe Stunde nach diesem Email lief in der Polizeiwache Geldern ein Einsatz an: Vier junge Frauen fühlten sich an einem Baggersee von einem Ausländer belästigt. Gleich zwei Streifenwagen nahmen den Weg zum Einsatzort auf …

Der Vorfall am Baggersee

Dieser Freitag war ein heißer Hochsommertag. Vier junge Frauen genossen das schöne Wetter beim Sonnenbaden an einem Baggersee. Dort trafen sie auf Amad A. Anfangs unterhielt man sich wohl noch, später dann habe er sexuell anzügliche Gesten gemacht. Die Frauen drohten ihm mit einem Anruf bei der Polizei. Das ließ ihn unbeeindruckt. Also rief eine von ihnen, die Tochter eines Polizisten aus Geldern, ihren Vater an und der veranlasste das aus seiner Sicht Notwendige. Amad A. blieb seelenruhig vor Ort und wartete, bis die Polizei da war …

06.07.2018, ab 15:27 Uhr – Einsatzbericht der Streifenwagenbesatzung

Ein erster Eintrag dazu findet sich um 15:27 Uhr unter dem Stichwort ‚Belästigung am Baggerloch‘ im Einsatzprotokoll des einen der beiden Streifenwagen. Was der zweite Streifenwagen dort gemacht hat und wer drinsaß, das verliert sich in den Akten. Um 16:40 Uhr wurde dann eine Strafanzeige vermerkt wegen ‚Beleidigung auf sexueller Grundlage‘. Der Beschuldigte habe Ähnlichkeit mit dem Phantombild in Sachen Vergewaltigung. Daher werde an die K[riminal]-Wache abgegeben für weitere Ermittlungen. Um 18:01 Uhr schließt der Einsatzbericht mit dem Vermerk ‚Anzeige – Festnahme‘.

Identitätsfeststellung auf der Polizeiwache

Amad A. war, so wie er war, in Badekleidung, in Gewahrsam genommen und auf die Polizeiwache in Geldern gebracht worden. Mangels mitgeführter Ausweisdokumente dauerte es ein wenig, bis man ihn aufgrund seiner Fingerabdrücke in der Polizei­daten­bank eindeutig identifiziert hatte als den Amed Amed *01.01.1992. Das war die Führungspersonalie, mit der Amad A. in ViVA und INPOL gespeichert war.

Löcherige Unterlagen

Im Gegensatz zu der stundenlangen Sachbearbeitung der Beförderungs­erschleichung des Amad A. zwei Tage zuvor, ist die Dokumentenlage für den Vorfall am Baggersee recht spärlich. Und auch widersprüchlich. So gibt es z.B. vom Einsatzprotokoll Einträge, die inhaltlich übereinstimmen, jedoch um genau eine Stunde voneinander abweichen. Hatten manche IT-Systeme der Polizei im Juli die Umstellung auf die Sommerzeit noch nicht verkraftet? Wir wissen es nicht. Es bleibt jedoch die Frage, welche Zeitstempel tatsächlich die richtigen sind in diesen Dokumenten.

Schon wieder eine ED-Behandlung …

Einige Dokumente blieben im Rahmen der internen polizeilichen Ermittlungen nach dem Tod von Amad A. lange Zeit ganz unentdeckt. Zum Beispiel ein Hinweis darauf, dass am 06.07.2018 in Geldern schon wieder eine ED-Behandlung von Amad begonnen worden war. Die letzte lag ja erst zwei Tage zurück. Diesmal musste die Maßnahme abgebrochen werden, weil die damit beschäftigten Beamten zu einem anderen Notfall ausrücken mussten.

Und erneut ein Trommelfeuer an Datenbankabfragen

Mehrere Beamte und Beamtinnen hatten zwischen 15:50 Uhr und 17:08 Uhr jeweils die üblichen Datenbankabfragen nach dem Amad A. durchgeführt, jeder für sich.

Warum dann um 17:21, 17:23, 17:24, 17:27, 17:32, 18:05, 18:45, 19:14, 19:17 mehrere Polizeibeamte immer wieder die gleiche banale Abfrage nach „Amed *01.01.1992“ in die Tastaturen hämmerten, ist schwer verständlich. Was hätte sich denn in dieser Zeit ändern sollen gegenüber der gleichen, kurz zuvor schon mehrfach gestellten Frage?? Ein solches Verhalten ist allenfalls erklärbar damit, dass man VERÄNDERUNGEN am Datensatz erwartet und daher immer wieder die gleiche Abfrage stellt, um zu sehen, ob die (zuvor, von wem auch immer veranlasste) Veränderung im System schon verarbeitet wurde und sichtbar ist.

Der Protokollauszug für Veränderungen am Datensatz des Amad A ist seit 4.7. manipuliert und daher unvollständig

Ob diese Erklärung hier zutrifft, lässt sich aber nicht feststellen: Denn sämtliche VERÄNDERUNGEN am Datensatz von Amad A. (, die die Beamten vielleicht erwarteten), zwischen dem 04.07. mittags und 09.07. morgens sind nicht mehr feststellbar, weil der entsprechende Protokollauszug für diese Zeit keine inhaltlich relevanten Einträge mehr aufweist.

Die Festnahme von Amad A. durch Polizeivollzugsbeamte in Geldern

Ein unter unbewiesenen Umständen vermischter Datensatz liefert die Begründung für die kurz darauf erfolgende Festnahme

Bei ihren Abfragen in ViVA am Freitag Nachmittag soll den Beamten ein veränderter Datensatz des Amad A. gegenüber dem Bestand vom Mittwoch Morgen angezeigt worden sein. Am 06.07. soll dieser Datensatz nicht nur die Daten von Amad A. umfasst haben, sondern weitere zwölf Namen, sowie vier Fahndungsnotierungen für einen gewissen Amedy G. Eine Quelle, die diese Darstellung eindeutig belegt, fand ich nicht, Kopien eines solchen vermischten Datensatzes vom 06.07.2018 ebenfalls nicht. Und vom einzig aufgefundenen Ausdruck fehlen drei Seiten mit den Personalien …

Das Telefax zur Anforderung der Haftbefehle des Amedy G. beim LKA Hamburg

Um 17:50 Uhr schrieb dann einer der Polizeibeamten aus der Polizeiwache in Geldern ein Telefax an das LKA Hamburg.

„Tag, Kollege!“ begann er: Wir haben heute gegen 16.00 Uhr den Amed Amed … festgenommen.
Bei einer INPOL/ViVA-Abfrage konnten wir 4 Fahndungen feststellen. Bei euch wird er u.a.
Ago, Tombouctou Ana und
Ago, Tombouctou
geführt.
Ich bitte um Übersendung der Haftbefehle.

Wieder einmal in diesem Fall liegt hier die Aussage eines Polizisten vor, die nicht hundertprozentig richtig ist: Denn in INPOL konnten zu diesem Zeitpunkt für den Amad A. definitiv keine Fahndungsnotierungen festgestellt werden. Was das LKA in einem Auswertungsbericht von April 2019 auch ausdrücklich so bestätigt hat. Die Datensätze von Amad A. in ViVA und INPOL unterschieden sich am 6.7.2018 vielmehr ganz erheblich. Doch gerade diese Unterschiede soll angeblich keiner der Polizeibeamten bemerkt haben.

Warum dies kryptische Umschreibung des Namens?

Ago und Ana sind Kurzbezeichnungen für Datenfelder in INPOL bzw. ViVA. „Ago“ steht für „anderer Geburtsort“ und „Ana“ für „anderer Name“.
Das LKA stellte in einem Auswertungsbericht vom April 2019 fest, dass zum Amad A. weder ein anderer Name, noch der Geburtsort „Tombouctou“ registriert waren. Es „konnte nicht nachvollzogen werden, woher die von … [dem Polizeibeamten] bei der Haftbefehlsanforderung angegebenen Personalien Tombouctou Ana und Ago, Tombouctou stammen.“ heißt es in diesem Bericht.

Die Aussage war richtig. Aber nicht vollständig: Denn der Text „Ago Tombouctou“ stammte aus einer Fahndungsausschreibung gegen den Amedy G.: Dort stand: „AUSSCHREIBUNG LAUTET: *** AGO: TOMBOUCTOU***“. Das muss das LKA übersehen haben.
Übersetzt gesagt, bedeutete der Text aus dem Telefax also: Wir haben heute den Amed Amed … festgenommen. Hätten aber von Euch gerne den Haftbefehl zur Fahndungsausschreibung „*** AGO: TOMBOUCTOU***“ [für den Amedy G.]

Ist ein solches Vorgehen, normal, logisch, plausibel, korrekt? Wenn schon aufgrund eines vermischten Datensatzes der Verdacht geweckt wurde, dass Amad A. und Amedy G. vielleicht ein- und derselbe sind: Hätten nicht die meisten anderen Polizeibeamten in gleicher Lage erst einmal die Personenbeschreibungen verglichen? Oder auf die für beide Personen vorhandenen D-Nummern gesehen? Denn unterschiedliche D-Nummern sind ein eindeutiger Hinweis auf unterschiedliche Personen! Oder die Lichtbilder der beiden Männer verglichen? Bzw. deren völlig unterschiedliche polizeiliche Historie angesehen? Das alles geschah nicht. Ist das normal in der deutschen Polizei??

Drei Seiten der Anlage zur Haftbefehlsanforderung fehlen – in NRW; wie auch in Hamburg

Die „Kollegen“ aus Hamburg hatten nach diesem ersten, einseitigen Fax anscheinend Nachfragen. Denn zwanzig Minuten später schickte der Polizeibeamte aus Geldern das ursprüngliche Fax noch einmal, hängte hinten jedoch vierzehn Seiten dran. Jedenfalls waren es wohl bei der Absendung mal 14 Seiten, denn so ergibt es sich aus der Seiten-Nummerierung auf den übrig gebliebenen Seiten.

Wie schon öfter in diesem Fall fehlen jedoch wichtige Belegteile: Und zwar die ersten drei Seiten hinter dem eigentlichen Fax/Anschreiben. Sie fehlen übrigens sowohl im so genannten Vollstreckungsheft aus Hamburg, als auch in der entsprechenden Akte in NRW. Übrig geblieben ist in diesen Akten der Rest einer aus ursprünglich 14 Seiten bestehenden ‚ViVA-Personenabfrage‘ zum ViVA-Datensatz von Amad A. vom 06.07.2018 – ohne die ersten drei Seiten.

Der Ausdruck sämtlicher Personalien von Amad A: und Amedy G. benötigt drei Druckseiten

Eine solche Personenabfrage beginnt mit der Führungspersonalie der Person, zu der dieser ViVA-Datensatz gehört. Darauf folgen die weiteren A(nderen) Personalien der Person. Ein Test und Druckbeispiele hat ergeben, dass bei Verwendung dieses Formulars genau drei Druckseiten notwendig sind für die Auflistung der Führungs- und vier A(nderen) Personalien von Amad A. und der einen Führungspersonalie und elf A(nderen) Personalien von Amedy G. Eine spätere Fassung dieses Dokuments vom 09.07.2018 bestätigt dies.

Personenbeschreibungen von zwei verschiedenen Menschen

Auf den ersten fünf der übrig gebliebenen Seiten dieser ViVA-Personenabfrage stehen drei Personenbeschreibungen: Ein Vergleich mit den Personenbeschreibungen, die in INPOL zu Amad A. und Amedy G. gespeichert waren, ergab:

  • Die erste betrifft den Amad A., 172 cm groß, 67 kg schwer, schlank, von „westasiatischem“ Phänotypus, hellhäutig, mit zahlreichen Narben und Tätowierungen.
  • Die beiden anderen betreffen Amedy G., der größer war als Amad A., 20 kg schwerer, von „afrikanischem“ Phänotypus und schwarzer Hautfarbe.

Man muss beide Augen ganz fest zudrücken, wenn man nicht auf den ersten Blick erkennen will, dass es sich hier um Beschreibungen für verschiedene Personen handelt.

Ein Haftbefehl aus einer Zeit, in der Amad A. gar nicht in Deutschland war

Hinter den Personenbeschreibungen folgen im Ausdruck drei Fahndungen und zugehörige Rechtsgrundlagen. Darunter ein Urteil vom 14.12.2015 mit einem Justizaktenzeichen (xxx Js nnn/15) über eine Freiheitsstrafe von neun Monaten. Hunderttausende von Polizei und Justizmitarbeitern erkennen an einem solchen Aktenzeichen sofort, dass es aus 2015 stammt. Das Ergebnis von Abfragen zum Ausländerstatus von Amad A., die auch in Krefeld und Geldern mehrfach durchgeführt worden waren, die so genannte ‚AZR-Historie‘ über Amad A. sagt auf der ersten Seite, dass dessen „Ersteinreise in das Bundesgebiet am 20.03.2016“ war.

Auch diesen Widerspruch, dass jemand nicht 2015 verurteilt worden sein kann, der erst 2016 ins Land kam, soll keiner der Beamten von Polizei und Justiz bemerkt haben, die am 06.07.2018 mit dem Amad A. beschäftigt waren.

Hamburg schickt zwei Haftbefehle

Trotz der diversen Merkwürdigkeiten in der als Beleg mitgeschickten Personenabfrage schickte Hamburg zwei Haftbefehle.
Die ersten drei Seiten mit den Personalien, die später in den Akten auf beiden Seiten fehlten, dürften dort ja angekommen sein, jedenfalls bestätigt das das Fax-Sendeprotokoll. Also muss man dort zur Kenntnis genommen und gewusst haben, dass Namen von zwei verschiedenen Personen aufgeführt sind. Deutlich zu sehen war an der Anlage auch, dass drei Personenbeschreibung für zwei nicht-identische Personen angeführt waren.

Dahinter kam in der Anlage einer der beiden Haftbefehle der Staatsanwaltschaft Hamburg für den Amedy G. Der zweite, auch aus Hamburg als Ersatz für eine Geldstrafe von 285 Euro, die der Amedy G. nicht bezahlt hatte, war in dem ViVA-Personenabfrageblatt aus ungeklärten Gründen überhaupt nicht aufgelistet. Die Hamburger schickten den Haftbefehl dennoch trotzdem mit.

Wie ist zu erklären, dass die Beamten in Hamburg eine Anfrage erhalten „wir haben heute den Amed Amed … festgenommen“. Einen deutlichen Hinweis auf die Fahndungsausschreibung, die den Amedy G. betrifft. Und dann kommentarlos einfach die Haftbefehle für den Malier nach Geldern schicken?? Ist das normal in der deutschen Polizei? Gibt es solche „Nachlässigkeiten“ öfters?

Denn zweifellos war Hamburg mit einer Vollstreckung dieses Haftbefehls durch „Kollegen“ in Nordrhein-Westfalen ein Problem los.
Jedenfalls zögerten sie nicht lange: Schon um 18:34 Uhr war in Hamburg ein Fünfzeiler gefertigt und losgeschickt: Mit dem wurden zwei Haftbefehle übersandt für einen (wörtlich so)
“G… ( AMED ) , Amedy ( Amed ) * 01.01.1992 in Tombouctou”
Wieder eine dieser vielen “kleinen“ Unwahrheiten in polizeilichen Dokumenten in diesem Fall: Denn es gab keinen Amed Amed, der in Tombouctou geboren war.

Die Fahndungen werden (in INPOL) getilgt

Ganz unten im Fax aus Hamburg stand noch
„Die Fahndung wurde getilgt, um Nachbericht wird gebeten (Verbringung in JVA oder Geldstrafe bezahlt).“
Das ist strikte Maßgabe in der Polizei, damit nicht erledigte Fahndungen als offen weiterhin stehenbleiben und ggf. zu Vollstreckungsmaßnahmen gegen Unbeteiligte führen.
Hamburg konnte diese Fahndungen jedoch nur in INPOL löschen und hat dies offensichtlich auch getan.

Wurden die Fahndungen auch in ViVA gelöscht?

Sie hätten jedoch auch in ViVA gelöscht werden müssen, spätestens nach der Einlieferung von Amad A. in die Justizvollzugsanstalt. Ob dies geschehen ist, weiß man nicht. Denn der Auszug aus dem Protokoll der Veränderungen am ViVA-Datensatz von Amad A. ist manipuliert: Einträge zwischen dem 4.7. und 9.7. fehlen völlig. Da Fahndungen aber zeitnah gelöscht werden müssen, hätte auch diese Löschung zeitnah nach der Festnahme am 06.07.2018 erfolgen müssen.

Dort ist weder die Datensatzzusammenführung vom 04.07.2018, noch die Festnahme aufgrund der Fahndungsnotierungen am 6.7.2018, noch die zeitnahe Löschung der Fahndungs­notierungen im (manipulierten) Protokollauszug zu erkennen. Erst Wochen später, nämlich am 21.08.2018 werden aus dem Datensatz von Amad A. vier Fahndungsnotierungen von einer Mitarbeiterin des LZPD gelöscht für deren Hineinmischung in diesen Datensatz der Protokollauszug fehlt. ViVA muss also zwischen dem 06.07. und dem 21.8.2018 offene Fahndungsnotierungen gezeigt haben für einen Mann, der in dieser Zeit hinter Gittern saß.

Die drei Stunden nach Vorlage der Haftbefehle in Geldern

Die Haftbefehle hatte Hamburg um 18:34 Uhr gefaxt. Die Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt in Geldern wurde um 21:27 Uhr protokolliert. Was sich in den drei Stunden dazwischen tat in der Polizeiwache Geldern, liegt weitgehend im Dunkeln.

Weitere Abfragen

Dass die Haftbefehle für den Amedy G. nun in der Polizeiwache Geldern vorlagen, stellte den Sachbearbeiter offenbar noch nicht restlos zufrieden. Um 18:45 Uhr und 19:14 Uhr feuerte er wieder eine seiner häufigen Abfrage-Salven ab nach dem „Amed *01.01.1992“ – sowohl in ViVA, als auch in INPOL. Ein Kollege wiederholte diese gleiche Abfrage um 19:17.

Gerade aus der häufigen Wiederholung dieser Abfragen spricht nach gesundem Menschenverstand, dass sich die Beamten die jeweiligen Ergebnisse auch ansahen. Denn offensichtlich erwarteten sie ja ein bis dahin noch nicht angezeigtes, neues Ergebnis. Auch das Landeskriminalamt stimmt in diesen Tenor ein: Es sagte dazu in einem Auswertungsbericht vom April 2019, es sei

„aus kriminalfachlicher Sicht allerdings unwahrscheinlich“, dass der Sachbearbeiter nur Abfragen durchführte, ohne sich auch die Ergebnisse anzuzeigen. Und weiter: Bei dem Abgleich der Ergebnistreffer seiner INPOL-Abfragen und der ViVA-Abfragen hätte der Beamte „aus kriminalfachlicher Sicht den Widerspruch bei den gespeicherten Personalien und Haftbefehlen erkennen können.“ Bei seiner Haftbefehlsanforderung habe er sich ausdrücklich auf eine „INPOL/ViVA-Abfrage“ berufen.
Für die nächsten zwei Stunden gibt es dann keine Aktivitätsnachweise mehr in den Akten.

Weitere INPOL-Abfragen am späten Abend, danach Einlieferung in die JVA Geldern

Um 21:11 Uhr fragte der Beamte, der die Haftbefehle angefordert hatte, erneut in INPOL und ViVA nach dem Amed Amed. Danach in INPOL gezielt nach dem Amedy G. Aus dessen INPOL-Datensatz dürften zu diesem Zeitpunkt die Fahndungsnotierungen gelöscht worden sein. Das hatte Hamburg ja im Fax von 18.34 Uhr schon mitgeteilt.

Um 21:14 Uhr schaltete sich dann auch noch ein Beamter aus der Einsatzleitstelle im Polizeipräsidium Krefeld ein: Seine dienstliche Involvierung in den Fall ist unklar. Dieser Beamte hatte sich auch schon zwei Tage zuvor, während seine Kollegen die „Beförderungserschleichung“ des Amad A. bearbeiteten, in INPOL für den Amedy G. interessiert. Am Freitag Abend fragte er sowohl in ViVA, als auch in INPOL erst nach dem Amad A. mit dessen richtigem Geburtsdatum und dann ebenfalls erneut noch gezielt in INPOL nach dem Amedy G.

In den INPOL-Datensätzen der beiden Personen wurde die D-Nummer deutlich ausgewiesen. Diea muss gezeigt haben, dass Amad A. und Amedy G. gerade NICHT identische Personen sind: Denn unterschiedliche D-Nummern besagen, dass Fingerabdruckblätter beider Männer beim Bundeskriminalamt geprüft und als jeweils einzigartig bewertet worden waren. Und zwei Personen mit unterschiedlichen Fingerabdrücken sind nun einmal zwei unterschiedliche Personen und in der realen Welt NICHT identisch.

Die Einlieferung in die JVA Geldern

Doch all diese vorhandene, fachlich üblichen und notwendigen Überprüfungen der Identitäten der beiden Personen wurden nicht vorgenommen. Sonst hätte Amad A. niemals auf der Grundlage der Haftbefehle für den Amedy G. verhaftet werden dürfen.
Doch genau das geschah: Am 06.072.108, um 21:27 Uhr wurde ein seit dem Nachmittag eindeutig identifizierter Amad A. auf der Grundlage von Haftbefehlen, die namentlich für einen Amedy G. ausgestellt waren, in der JVA Geldern eingeliefert und dort aufgenommen.

Die Staatsanwaltschaft sollte ihre Einstellungsverfügung gegen die an der Verhaftung beteiligten Beamten später im Wesentlichen damit erklären, dass den jeweiligen Beschuldigten eine Kenntnis der fehlenden Identität von Amad A. und Amedy G. nicht habe nachgewiesen werden können.

Beiträge zu verwandten Themen

[A]   Wie Manipulationen in INPOL den Syrer A.A. hinter Gitter brachten …, 04.04.2019
https://police-it.net/wie-manipulationen-in-inpol-den-syrer-a-a-hinter-gitter-brachten
MONITOR berichtete am 04.04.2019 über einen Vorgang in der Polizei Nordrhein-Westfalen und Hamburg, den man bisher so nicht für möglich gehalten hätte …

[B]   Wenn der Minister berichtet …, 11.04.2019
https://police-it.net/wenn-der-minister-berichtet

Innenminister Reul stellte sich am 10.04.2019 im Düsseldorfer Landtag einer Fragestunde zum Fall der Verfälschung von Namensangaben in INPOL, die den Syrer Amad A. dauerhaft hinter Gitter brachte. Dabei waren ihm zwei Dinge wichtig: Eine Datenmanipulation habe durchaus stattgefunden, aber eben nicht in NRW. Auch Fehler bei der Identitätsüberprüfung habe es gegeben. Aber gegen die beiden daran beteiligten Polizeibeamten habe er Disziplinarverfahren eingeleitet und ermittle die Staatsanwaltschaft. Das allein genügt allerdings nicht, um Polizei und Politik in NRW von ihrer Verantwortung zu befreien.

[C]   Probleme mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVA, 17.06.2020
https://police-it.net/probleme-mit-kreuztreffern-im-nrw-polizeisystem-viva
„Riesenprobleme“ habe es gegeben mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVa. Das berichtete ein Zeuge im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Heureka! Die Software ist schuld. Ist diese Erklärung wirklich haltbar?! Ich halte sie für widerlegbar aus mehreren, triftigen Gründen . Auch wenn sie – vor der Sommerpause – den erklärten „politischen Interessen“ nützt, die gerade die CDU im Ausschuss so massiv betont.

[D]   Nur die Spitze des Eisbergs?, 17.09.2020
https://police-it.net/polizei_nordrhein-westfalen-auslaenderfeindlichkeit-amedamed
In der Polizei Nordrhein-Westfalen ist eine rechtsextreme Chatgruppe aufgeflogen. 29 Polizeibeamte sind mit straf- bzw. disziplinarrechtlichen Maßnahmen konfrontiert. Innenminister Reul kündigte mit markigen Worten Gegenmaßnahmen an. Im „PUA-Kleve“-Untersuchungsausschuss zur unrechtmäßigen Inhaftierung des Syrers Amad A., könnte die CDU-Mehrheit demonstrieren, dass diese Ankündigung der neue politische Wille in NRW sind – und endlich für Aufklärung sorgen.

[E]   Fall Amad A.: Manipulationen an Protokoll und Daten, 17.01.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-manipulationen-an-protokoll-und-daten
Manipulationen an einem beweisrelevanten Protokoll und die klammheimliche Korrektur von Daten schüren weitere Zweifel an der offiziellen Erklärung im Fall Amad A.

[F]   Fall Amad A.: Polizeidatenbank ViVA machte aus zwei NICHT identischen Menschen einen, 02.02.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-polizeidatenbank-viva-machte-aus-zwei-nicht-identischen-menschen-einen
Wenn erkennungsdienstlich von der Polizei behandelte Personen unterschiedliche Fingerabdrücke haben, darf es nicht zu einer Datensatzzusammenführung kommen. Weil dann vom Bundeskriminalamt nach einer daktylo­skopischen Auswertung ihrer Finger-/Handflächenabdrucksätze bestätigt ist, dass diese Personen NICHT identisch sind. Amad A. und der datenmäßig mit ihm „zusammengeführte“ Amedy G. hatten definitiv unterschiedliche Abdrucksätze, d.h. unterschiedliche D-Nummern. Ein Vergleich dieser D-Nummern durch Software ist leicht möglich. Eine fachlich qualifizierte, mit den INPOL-Regeln konforme Software hätte den Unterschied erkennen müssen.

[G]   Was unternimmt IM Reul, um zu verhindern, dass ViVA auch in Zukunft nicht identische Menschen zusammenführt?, 05.02.2021
https://police-it.net/was-unternimmt-im-reul-dagen-dass-viva-erneut-nicht-identische-menschen-zusammenfuehrt
Wieder einmal liegen Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft Kleve vor zu Ermittlungsverfahren gegen Polizei- und Justizbeamte im Fall des Syrers Amad A.: In seinem Fall wird häufig der Vergleich angestellt mit dem tragischen Tod des Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Abgesehen von der Gemeinsamkeit des Brandes in der Zelle sehe ich wenige, bewiesene Übereinstimmungen. Ganz im Gegenteil halte ich den Fall des Amad A., für weitaus gravierender, wenn man ihn als Prototypen für einen möglichen Modus Operandi, also eine Vorgehensweise durch Polizei- bzw. Justizbeamte gegenüber Menschen ansieht, die ihnen (zeitweise) anvertraut sind. Dieser Modus Operandi kann sich wiederholen! Denn es kam im Fall Amad A. zur Herstellung einer Datenlage im polizeilichen Informationssystem. Die es so aussehen ließ, als seien der Syrer Amad A. und der Malier Amedy G. ein- und dieselbe Person. Infolgedessen kam es zur Verhaftung und Einlieferung des Amad A. in die JVA. Zehn Wochen später war Amad A. nicht mehr am Leben. Dafür war ein krass regelwidriges Systemverhalten von ViVA mitverantwortlich.

[H]   Wenn Daten töten (1): Fall Amad A.: Die fatalen Folgen einer Schwarzfahrt, 28.02.2021
Teil 1 der Serie ‚Wenn Daten töten – Der Fall des Syrers Amad A.‘
https://police-it.net/wenn-daten-toeten-1-fall-amad-a-die-fatalen-folgen-einer-schwarzfahrt
Ohne die Schwarzfahrt am 04.07.2018 hätte sich das Leben von Amad A. anders entwickelt. Denn die polizeiliche Sachbearbeitung seiner erneuten „Beförderungserschleichung“ an diesem Tag legte den Grundstein für seine unrechtmäßige Festnahme zwei Tage später. Die führte drei Monate später zu seinem Tod.

Copyright und Nutzungsrechte

(C) 2021 CIVES Redaktionsbüro GmbH
Sämtliche Urheber- und Nutzungsrechte an diesem Artikel liegen bei der CIVES Redaktionsbüro GmbH bzw. bei dem bzw. den namentlich benannten Autor(en). Links von anderen Seiten auf diesen Artikel, sowie die Übernahme des Titels und eines kurzen Textanreißers auf andere Seiten sind zulässig, unter der Voraussetzung der korrekten Angabe der Quelle und des/der Namen des bzw. der Autoren. Eine vollständige Übernahme dieses Artikels auf andere Seiten bzw. in andere Publikationen, sowie jegliche Bearbeitung und Veröffentlichung des so bearbeiteten Textes ohne unsere vorherige schriftliche Zustimmung ist dagegen ausdrücklich untersagt.