Häufig wird der Vergleich angestellt zwischen dem „Fall“ Amad A. und dem von Oury Jalloh, der in einer Polizeizelle in Dessau ums Leben kam. Abgesehen von der Gemeinsamkeit des Brandes in der Zelle sehe ich wenige, bewiesene Übereinstimmungen. Ganz im Gegenteil halte ich den Fall des Amad A., für weitaus gravierender: Denn er ist der Prototyn für einen möglichen Modus Operandi, also eine Vorgehensweise durch Polizei- bzw. Justizbeamte gegenüber Menschen, die ihnen (zeitweise) anvertraut sind. Dieser Modus Operandi kann sich wiederholen! Denn es kam im Fall Amad A. zur Herstellung einer Datenlage im polizeilichen Informationssystem. Die es so aussehen ließ, als seien der Syrer Amad A. und der Malier Amedy G. ein- und dieselbe Person. Infolgedessen kam es zur Verhaftung und Einlieferung des Amad A. in die JVA. Zehn Wochen später war Amad A. nicht mehr am Leben. Selbst MIT den zahlreichen Fehlern der beteiligten Beamten wäre dies nicht möglich gewesen, wenn ViVA nicht fundamentale fachliche Regeln missachtet hätte.
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Einstellungsbescheide können so einfach sein …
Die dokumentierte Verfälschung eines Protokollauszugs – ein Miss-Verständnis der Staatanwaltschaft?!
Im Hinblick auf die neu von den Anwälten eingereichte Strafanzeige, auch sie unterfüttert mit zahlreichen handfesten Belegen, greift sich die Staatsanwaltschaft ein einziges Teilargument heraus, das im Gesamtzusammenhang eine untergeordnete Rolle spielt: Nämlich das angebliche „Fehlen von fsAktualisierungsnummern“ [das sind automatisch hochgezählte Nummern in einem Protokoll der Veränderungen an einem Datensatz].
Und kaut genüsslich durch, dass dies allein keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des Paragrafen 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung für eine Straftat darstellen würde. Darüber besteht Einigkeit und daher hat eine solche Behauptung bisher auch niemand aufgestellt: Die Anwälte nicht und ich in meiner dem Anwaltsschriftsatz beigefügten gutachterlichen Stellungnahme ebenfalls nicht.
Zwischen Protokoll(-Datenbank) und einem daraus selektierten Auszug besteht ein Unterschied, oder nicht?!
Mit der ausgefeilten Rabulistik, die inzwischen ja bei politisch beschwerten Entscheidungen aus Behörden in der Bundesrepublik Deutschland üblich geworden ist, argumentiert die Staatsanwaltschaft windschief an der Eingabe der Anwälte vorbei: Denn die haben nicht behauptet, dass einer der überhaupt von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen betroffenen Polizeibeamten Änderungen am Protokoll vorgenommen hätte. Die notwendige feine Unterscheidung, die hier wichtig ist, besteht darin, dass die Anwälte sagen – und dies stützt sich auf meine Auswertungen, die der Staatsanwaltschaft ebenfalls vorliegen – dass der Staatsanwaltschaft, wie auch dem Untersuchungsausschuss, der Ausdruck einer Excelliste vorgelegt wurde, bei dem es sich um einen von einem Mitarbeiter im LZPD – mutmaßlich dem sogenannten Auswerter der ViVA-Protokolldatenbanken – produzierten Auszug aus dem in der ViVA-Datenbank mitgeschriebenen Veränderungsprotokoll am Datensatz des Amad A. handelt.
Und so sieht der Beleg dazu aus …
Jedem Leser dürfte klar sein, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Inhalt einer Datenbank und dem Auszug eines daraus selektierten Teilinhalts und dessen Übernahme in eine Excel-Tabelle. Im vorliegenden Fall besteht der gut dokumentierte Vorwurf darin, dass in diesem Excel-Auszug aus dem Protokoll Einträge entfernt wurden und zwar Einträge zwischen dem 04.07.2018 und dem 09.07.2018.
Und diese offizielle Behauptung ist daher gerade NICHT bewiesen
Das ist der Zeitraum, in dem angeblich die Datensatzzusammenführung durch die angestellte Datenerfassungskraft in Siegen-Wittgenstein geschehen sein soll. Dies stellt die Oberstaatsanwältin an anderer Stelle als Tatsache dar – wohl wissend, dass es dafür bis heute keinen einzigen hieb- und stichfesten Beweis gibt und dass selbst das LZPD in seinem „Analysebericht“ nur formuliert, es liege „die Vermutung nahe, dass … eine manuelle Personendatenzusammenführung stattgefunden“ habe.
Das alles FEHLT im Auszug aus dem Protokoll
Es geht hier nicht um fehlende „fsAktualisierungsnummern“, wie die Oberstaatsanwältin darstellt. Es geht um ganze Bearbeitungssequenzen, nämlich genau die Veränderungen, mit denen vier Fahndungsnotierungen und 14 Personaliensätze des Amedy G. in den Datensatz des Amad A. geschrieben wurden. Kein Wort ist davon die Rede, dass genau diese Zahl von Datengruppen am 21. bzw. 23.08.2018 von Mitarbeiterinnen des LZPD der aus dem Datensatz des Amad A. wieder gelöscht wurden.
Wenn Fragen nicht mehr beantwortet werden können: Ignorieren! Ganz feste ignorieren!
Der schwerwiegende Vorwurf der sich daraus ergibt, dass nämlich Amad A. heute noch am Leben sein könnte, wenn man im August 2018 nicht nur die Darstellung in der Datenbank korrigiert hätte, sondern auch dafür gesorgt hätte, dass der unrechtmäßig Inhaftierte spätestens nach diesem Erkenntnisgewinn wieder auf freien Fuß kommt: Diesen Vorwurf konnte die insofern schon fast zu bedauernde Oberstaatsanwältin wohl wirklich nur noch ignorieren: Denn jede Beschäftigung damit hätte zu SEHR unliebsamen Fragen an die Betroffenen führen müssen. Und die will ja – politisch- keiner!
Weitere Ermittlungsansätze – sicherheitshalber auch ignoriert!
Nach Lektüre dieses weiteren Bescheids der Staatsanwaltschaft stellt sich für mich erneut die Frage, ob die Verfahrensbearbeiter dort überhaupt in der Lage sind, die notwendigen Details dieses, zugegeben technisch komplexen, Verfahrens zu erfassen. Dass sie kaum willens dazu sind, beweisen sie selbst durch ihre Einstellungsbegründungen …
Als Erfüllungsgehilfen bedienen sie sich – vorwiegend – der Mitarbeit eines Sachgebiets im Landeskriminalamt. Das – dummerweise – in die Sachbearbeitung des Falles Amad A. auch selbst involviert war und dort nicht zum Besten von Amad A. agiert hat. Doch auch dies ist ein Fall für die Handlungsmaxime Nr. 1 für langfristig erfolgreiche Staatsanwälte in NRW: Ignorieren, einfach ignorieren!
Ermittlungsergebnisse des LKA – am besten ignorieren!
Es gibt vielfache Hinweise darauf, dass die Staatsanwaltschaft entweder nicht gelesen hat oder aktuell nicht mehr erinnert, was ihr an Ermittlungsergebnissen, vor allem vom Landeskriminalamt, schon einmal zugearbeitet wurde.
Zum Beispiel in Gestalt des Berichts zu „Ergebnissen der Auswertung und Analyse in polizeilichen Datensystemen“ vom 25.04.2019, in dem es heißt: Ein ED-Sachbearbeiter hat „… eine Personenidentität des Amad A. mit dem Amedy G. angenommen“.
Dies soll am 04.07.2018 kurz vor Mittag geschehen sein. Dies stellt eine plausible, den technischen Gegebenheiten im System ViVA folgende Möglichkeit dar, wie es zur Datensatz-Zusammenführung gekommen sein kann. Folgt man ihr weiter, wäre sie vorsätzlich geschehen. Eine Annahme, die die Oberstaatsanwältin ja schon sehr früh in ihren Ermittlungen ausgeschlossen haben wollte. Weiterhin stures Festhalten an der angeblichen „Fahrlässigkeit“ war da – auch aus eigenem Interesse – ein wesentlich sichereres Verfahren!
Was bei der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft alles KEINE Rolle spielte
Als jemand, der mit den vorliegenden Unterlagen in diesem Fall relativ gut vertraut ist und sich lange damit beschäftigt hat, würde ich mir eigentlich gerne etwas mehr Zeit nehmen, um auf die diversen Widersprüche in der Argumentation von nordrhein-westfälischer Justiz und nordrhein-westfälischem Innenministerium ausführlicher öffentlich einzugehen:
Doch möchte ich auch mit einer zeitnahen Stellungnahme nach der Pressemitteilung vom 04.02.2021 der Staatsanwaltschaft Kleve für Leser, die nur am Rande mit dem Fall Amad A. beschäftigt sind, eine Zusammenfassung geben:
Die (warum eigentlich erneute?) erkennungsdienstliche Behandlung am 04.07.2018
Am 04.07.2018 wurde Amad A. von der Polizei Krefeld wegen Beförderungserschleichung in Gewahrsam genommen und bei dieser Gelegenheit erneut erkennungsdienstlich behandelt. Warum ist unklar: Es lagen schon drei relativ aktuelle ED-Behandlungen von ihm vor.
Der Sachbearbeiter, der diese Maßnahme durchführte, soll nach Feststellung des Landeskriminalamts „angenommen“ haben, dass Amad A. und Amedy G. ein- und dieselbe Person sind. Der Sachbearbeiter hat auch nachweislich im Zuge der ED-Maßnahme eingetragen, dass der bis dahin als „westasiatisch“ beschriebene Syrer Amad A. von „nordafrikanischem“ Typ sei. Das war zwar definitiv nicht richtig, verstärkt aber den negativen Eindruck im Jahre 3 nach den Ereignissen mit den „Nafris“ von der Kölner Domplatte.
Es gibt keinerlei Hinweise, dass LKA oder Staatsanwaltschaft dieser Falschbeschreibung als „nordafrikanisch“ nachgegangen wären. Und auch nicht, dass einer von beiden die Ursache der explizit ausgedrückten Annahme des Sachbearbeiters von der angenommenen Identität erforscht hätte.
Amedy G. und dessen offene Haftbefehle waren den sachbearbeitenden Beamten bekannt
Ignoriert hat die Staatsanwaltschaft auch die Tatsache, dass mehrere Polizeivollzugsbeamte während ihrer Beschäftigung mit der Beförderungserschleichung des Amad A. mehrfach in INPOL den Datensatz des Amedy G. angesehen haben: Daraus war für ausgebildete Polizeibeamte auf einen Blick zu erkennen, dass hier ein Datensatz vorliegt, aus dem sich sofort vollstreckbare Haftbefehle ergeben.
Ignoriert wurde die Vermutung, dass die ED-Behandlung Auslöser für die Datensatz-Zusammenführung war
Bei der Erfassung der ED Maßnahme in ViVA hatte der ED-Sachbearbeiter die Möglichkeit, diese Annahme auch systemtechnisch zu dokumentieren. Dies konnte Auslöser sein für eine Datensatzzusammenführung der beiden Personen.
Diese hätte allerdings nie durchgeführt werden dürfen von einem polizeilichen Informationssystem ViVA, das nach den für alle INPOL-Teilnehmer gleichen, verbindlichen Regeln arbeiten muss. Denn ein solches System muss prüfen, ob die für beiden Personen digital in ViVA vorhandenen Fingerabdrucksätze und deren IDs identisch sind, bevor eine Zusammenführung erfolgt.
Obwohl unterschiedliche Fingerabdrucksätze und deren Ids vorlagen, kam es in ViVA anscheinend dennoch zu einer Zusammenführung der beiden Datensätze: Über deren „Perfektionsgrad“ mangels vorhandener Belege nichts bekannt ist. Sie reichte jedenfalls nicht aus für eine Datensatz-Zusammenführung in INPOL: Was allein schon deutlich dafür spricht, dass diese beiden Datensätze nach INPOL-Regeln nicht zusammengeführt werden durften.
Dies ist ein eklatanter Fehler von ViVA, der mitursächlich war für das Schicksal von Amad A., wenn an der von Staatsanwaltschaft und Innenministerium vertretenen Geschichte von der Datensatzzusammenführung überhaupt ein Körnchen Wahrheit sein soll.
Jegliche Beweise fehlen für die behaupteten Aktivitäten der Datenerfasserin in Siegen
Zeitgleich zu dieser erkennungsdienstlichen Maßnahme erfasste eine Sachbearbeiterin in Siegen ein Ereignis, das den Amad A. betraf, das jedoch schon drei Monate zurücklag.
Angeblich soll ihr dann ein Kreuztreffer angezeigt worden sein, der auf die Übereinstimmung der Zeichenfolgen „Amed“ und „19920101“ (=Geburtsdatum) zwischen den beiden Datensätzen hingewiesen haben soll. Dass es eine solche Inzidenz auch noch mit hunderten Datensätzen anderer Personen gegeben haben dürfte, kommt in den entsprechenden Darlegungen von LKA, LZPD und Staatsanwaltsanwaltschaft wohlweislich nicht vor …
Der Kreuztreffer-Fehler von ViVA war seit Monaten bekannt, wurde aber vom LZPD nicht repariert
Ohnehin war ja die Funktion ‚Kreuztreffer‘ in ViVA schon seit Februar 2018 von einem Polizeibeamten als erheblich fehlerhaft gegenüber LKA und LZPD angezeigt worden. Er machte in seiner Fehlermeldung darauf aufmerksam, dass sie zu unrechtmäßigen Maßnahmen gegenüber unbeteiligten Leuten führen könne. Innenminister Reul bestätigte im Landtag am 10.04.2019 er habe sich höchstpersönlich noch am Vortag davon überzeugt, dass diese Funktion noch genauso existiert. Diese Erkenntnis fand er offenkundig so toll, dass ihm gar nicht auffiel, welche Sprengwirkung diese Äußerung haben kann: Ein fataler Fehler im INPOL-Teilnehmersystem des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, der auch 14 Monate nach der Anzeige noch nicht repariert ist!
Und auch für diese angebliche Kreuztreffer-Anzeige bei der Datenerfasserin in Siegen gibt es – Sie ahnen es bereits ?! – keinerlei Beweise.
Vielmehr ist diese These hochgradig unplausibel. Denn am Vormittag des gleichen Tages waren schon hunderte von Abfragen nach dem Amad A. durchgeführt worden. Berichte über massenhaft dabei aufgetretene Kreuztreffer zwischen Amad A. und Amedy G. liegen jedoch nicht vor. Und wenn, dann hätten auch diese Kreuztrefferanzeigen die ermittelnden Beamten nur auf eine falsche Fährte gelockt, die niemals zu einer Datensatz-Zusammenführung führen durfte von zwei definitiv nicht identischen Personen.
Lücken im Protokoll von fünf – entscheidenden! – Tagen – einfach ignoriert!
In dem vom LZPD vorgelegten Auszug aus der Protokolldatenbank über die Veränderungen am Datensatz des Amad A. klafft eine Lücke zwischen dem 04.07. um 12:08 Uhr und dem darauffolgenden Montag dem 09.07. um 8:50 Uhr. Diese Lücke im Protokoll-AUSZUG muss manuell erzeugt worden sein. Der entsprechende Auszug wurde vom „Auswerter ViVA-Protokolldatenbanken“ im LZPD dem LKA vorgelegt und ist sowohl dem Untersuchungs¬ausschuss bekannt, als auch, für den relevanten Zeitraum, der Staatsanwaltschaft.
Vom zusammengeführten Datensatz gibt es keine Beweise – warum eigentlich nicht?!
Zwei Tage später, am 06.07.2018 nahmen Polizeibeamte in Kleve den Amad A. wegen des Vorwurfs der sexuellen Beleidigung fest. Sie sollen danach in seinem ViVA-Datensatz auch Datengruppen und insbesondere die Fahndungsnotierungen festgestellt haben, die tatsächlich den Malier Amedy G. betrafen. Eine Kopie dieses Datensatzes existiert nicht. Aussagen der betreffenden Polizeibeamten existieren, soweit mir bekannt ist, auch nicht.
Wenn Haftbefehle zwischen Polizeibehörden immer so „easy“ angefordert und geliefert werden: Dann gute Nacht!
Am Freitag Abend, dem 06.07.2018, forderte ein Beamter aus der Polizeiwache Kleve beim Landeskriminalamt Hamburg die Haftbefehle für den Amedy G. an und erhielt diese auch.
Das Telefax, mit dem diese Haftbefehle angefordert wurde, liegt offensichtlich weder in Hamburg noch in NRW vollständig vor: Es fehlen die ersten drei Seiten, auf denen die Personalien der zu verhaftenden Person stehen müssten. Dass Hamburg dennoch die richtigen Haftbefehle übersandte, grenzt insofern an ein kleines Wunder. Aber anscheinend ist es in den Augen der Staatsanwaltschaft nicht ungewöhnlich, dass Freitag abends fröhliches Rätselraten zwischen Polizeidienststellen verschiedener Bundesländer betrieben wird, wenn Haftbefehle angefordert werden. Nach dem Strickmuster: Bei uns heißt er zwar Dings, aber schickt mir mal die Haftbefehle von dem, der zwar anders heißt, aber in Timbuktu geboren wurde [ich übertreibe nicht mit dieser Darstellung!]
In die JVA wird ein Amad A auf der Grundlage von Haftbefehlen eines Amedy G. eingeliefert. Das fällt aber (angeblich) keinem Beamten auf
Auf der Grundlage dieser Haftbefehle für den schwarzhäutigen, nordafrikanischen Malier Amedy G. wurde der hellhäutige Syrer, westasiatische Amad A. in die JVA Geldern eingeliefert und einige Tage später in die JVA Kleve überstellt.
Weder die daran beteiligten Polizeibeamten noch die Justizvollzugsbeamten wollen festgestellt haben, dass es da eine erhebliche Diskrepanz gibt zwischen Haftbefehlen, die auf einen Amedy G. ausgestellt sind und der eindeutig identifizierten Person Amad A., die vor ihnen stand. Nach wie vor erklärt die Oberstaatsanwältin, sie hätte keine „Erkenntnisse gewonnen“, die Anlass zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen in diesem Verfahren geben würden. Ob Erkenntnisgewinn in einer Staatsanwaltschaft eine Holschuld ist – das frage ich mich nach solchen Ausführungen immer wieder: Oder darf sie darauf warten, dass ihr ein solcher Gewinn, mit viel Glück, wie beim Lottospielen, zufällt?!
Sie dokumentiert damit, dass Namen Schall und Rauch sind und die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren nach diesem Rechtsverständnis keine Rolle mehr spielen. Denn dort heißt es
(1) Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, besonders die richtige Schreibweise seines Familien- und Geburtsnamens, sein Geburtstag und Geburtsort und seine Staatsangehörigkeit, sind sorgfältig festzustellen; …."[/su-quote]
Im LZPD wird der Datenfehler bemerkt und korrigiert
Im August 2018 fiel im LZPD aufgrund eines automatischen Abgleichs zwischen dem Bestand von INPOL-Zentral und INPOL-Land NRW (also ViVA) auf, dass am 04.07.2018 eine A-Datengruppe für den Amedy G. entstanden war, die nicht in INPOL-Zentral existierte.
Eine solche Datengruppe entsteht dann, wenn ein in ViVA vorhandener Datensatz – hier für den Amedy G. – überführt wird in einen ebenfalls vorhanden anderen ViVA-Datensatz – hier den des Amad A.. In diesem Fall wird die Führungspersonalie des Amedy G. zu einer weiteren A-Datengruppe im Datensatz - hier des Amad A.- umgewandelt und die restlichen Datengruppen - hier die des Amedy G. - an den Datensatz des Amad A. angehängt.
Weitere Nachforschungen im LZPD müssen stattgefunden haben, denn sie führten am 21.08.2018 dazu, dass aus dem Datensatz des Amad A. vier Fahndungsnotierungen und am 23.08.2018 14 Personalien-Datengruppen gelöscht wurden. Im angeblich vollständigen Auszug aus dem Veränderungsprotokoll des ViVA-Datensatzes von Amad A. ist die ANLAGE dieser Datengruppen allerdings nicht zu finden ist. Daraus ergibt sich logisch, dass sie in der Zeitperiode angelegt worden sein müssen, in der eine Serie von Bearbeitungssequenzen aus dem vorgelegten Protokollauszug entfernt wurden, also in der Zeit zwischen dem 04.07.2018 und dem 09.07.2018.
In der Einstellungsverfügung wird auch dieser Sachverhalt nicht einmal mit einer kleinen Erwähnung bedacht: Es heißt dort vielmehr, dass "weder Anhaltspunkte für Datenveränderungen oder Datenlöschungen (sic!) … vorliegen" und daher "die Aufnahme von Ermittlungen nicht in Betracht kommt".
Dieser Darstellung kann man nur dann zustimmen, wenn man unterstellt, dass die Eingabe der Anwälte überhaupt nicht gelesen wurde, denn aus der hätten sich entsprechende Anhaltspunkte definitiv vergeben. Also gilt als Handlungsmaxime Nr. 2 für erfolgsorientierte Staatsanwälte: Besser nicht lesen, was einem vorgelegt wird - vor allem, wenn es von der "falschen" Partei kommt!
Der Brand in der Haftzelle – einzige Übereinstimmung mit dem Fall Oury Jalloh
Am 17.09.2018 kam es in der Haftzelle des Amad A. zu einem Brand. Dazu machte die Staatsanwaltschaft Kleve schon wenige Monate später ihre Erkenntnis öffentlich, dass der Brand in suizidaler Absicht von Amad A. selbst gelegt worden sei. An den Folgen dieses Brandes verstarb Amad A. am 28.09.2018.
Hier tut sich meiner Ansicht nach die einzige tatsächliche Übereinstimmung mit dem Fall Oury Jalloh auf:
- Denn hier, wie auch dort, kam auch für diesen Brand ein Brand-Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Brand keinesfalls so entstanden und sich entwickelt haben konnte, wie dies die Staatsanwaltschaft annahm.
- Und hier, wie auch dort, hält die verfahrensbeteiligte Staatsanwaltschaft "eisern" an ihrer einmal eingeschlagenen Fahrtrichtung fest.
Apropos – einmal eingeschlagene Fahrtrichtung …
Einige Tage vor dem Tod von Amad A. bereits hatte eine angeblich wiederholte Nachfrage aus Hamburg in der Polizei NRW zu einer Reaktion geführt: Hamburg wollte Nachweise haben dafür, dass der Amad A. tatsächlich, wie behauptet, identisch sei mit dem Amedy G. Erst aufgrund dessen kamen interne Ermittlungen in der Polizei NRW in Gang. Sie führten zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen mehrere Polizei- und Justizvollzugsbeamte, die direkt an der Inhaftierung beteiligt waren, wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung. Ermittlungen führte schon damals die Oberstaatsanwältin, die auch die jüngsten Einstellungsverfügungen zeichnete. Sie machte früh schon deutlich gegenüber der Polizei, die nun ihr Erfüllungsgehilfe bei den Ermittlungen war, dass "fahrlässige Freiheitsberaubung" strafrechtlich nicht relevant sei. Es ist schließlich auch für Polizeibeamte gut, wenn sie wissen, woran sie sich zu orientieren haben ...
Die ED-Behandlung vom 04.07. kommt auch bei internen Ermittlungen in Verdacht …
Vor allem in der ersten Monatshälfte des Oktober 2018 gab es hohe Aktivität bei den Ermittlungen in den beteiligten Polizeibehörden. Mehrfach fragten diese auch bei LKA bzw. LZPD - als den Dienststellen mit technischer Sachkunde - an, ob es durch die ED-Behandlung am 04.07.2018 zu einer fehlerhaften Datensatz-Zusammenführung aufgrund eines Systemfehlers in ViVA gekommen sein konnte.
Die allmähliche Verfertigung einer offiziellen Lesart zwischen November 2018 und April 2019
Es würde an dieser Stelle zu weit führen ausführlich darzulegen, dass es über diese Frage zu „unterschiedlichen Auffassungen“ zwischen dem LKA und dem LZPD kam, in deren Folge das LKA gezwungen wurde, seinen Bericht mit Antworten an eine Polizeibehörde zu dieser Frage formell zurückzuziehen.
Die offizielle Lesart entstand überraschend spät – und nach einem ersten Fernsehbericht über Datenmanipulation
Es gingen weitere fünf Monate ins Land, bevor es dann überhaupt zu einer – nunmehr zwischen LZPD und LKA abgestimmten - Beantwortung dieses Fragenkatalogs kam. In deren Verlauf ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, um die zahlreichen offenen Fragen in der Causa Amad A. zu klären.
Und kurz nachdem das Magazin Monitor am 04.04.2019 mit einem ersten Bericht an die Öffentlichkeit ging, dass es in diesem Fall zu Datenmanipulationen in INPOL gekommen sei. Dieser Bericht stützte sich auf eine erste Auswertung, die ich anhand von einem sehr geringen Konvolut von Akten vornehmen konnte und der lediglich Datensätze in INPOL betraf (und nicht auch solche in ViVA).
Die seinerzeit festgestellten Manipulationen hatten am 09.07.2018 stattgefunden. Sie waren also, wie auch schon damals deutlich ausgeführt, nicht ursächlich für die Inhaftierung, sondern eine Folge der Manipulationen, die ab dem 04.07.2018 stattgefunden haben müssen. Und mit denen auch in INPOL die Datenlage so gestaltet wurde, wie es der realen Sachlage mit dem Syrer Amad A. in der JVA entsprach.
Dass es zu dieser Datenlage in INPOL kam, daran wiederum ist ein Sachgebiet aus dem LKA nicht ganz unschuldig. Nämlich genau das Sachgebiet, welches ab Herbst 2018 sachbearbeitend tätig war in den Ermittlungen im Fall Amad A. und kongenial zusammen arbeitete mit seinem Schwester-Sachgebiet im LZPD.
Nur am Rande übrigens sei bemerkt, dass die offizielle Lesart von der fehlerhaften angeblichen Datensatz-Zusammenführung in den internen Ermittlungen im Herbst/Winter 2018, soweit ich diese einsehen konnte, keinerlei Rolle gespielt hat. Diese Darstellung tauchte erst im April 2019 auf mit dem Analysebericht des LZPD und nach der ersten Veröffentlichung über den Verdacht der Datenmanipulation.
Zur Relevanz des Falles Amad A.
Ob diese Datenlage im polizeilichen Informationssystem vorsätzlich herbeigeführt wurde und ob dies strafrechtlich relevant ist, ist in einem Rechtsstaat der Bewertung der Staatsanwaltschaft überlassen. Man mag die vielen einzelnen Punkte der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung kritisch sehen und anders beurteilen. Einige davon habe ich oben aufgegriffen. Als zwischenzeitlicher Abschluss liegt aber deren Bewertung und damit die Einstellung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren erst einmal auf dem Tisch.
Unabhängig von dieser Bewertung ist allerdings die Feststellung, DASS es zu einer solchen Vorgehensweise gekommen ist. Auch dazu könnte spekuliert werden: Wie viel von den Taten und Unterlassungen der einzelnen Beamten "nur" einem Ausschalten von Hirn und Herz, sowie Augen und Ohren zuzuschreiben ist oder wie viel davon noch fahrlässig oder schon vorsätzlich ist. Diese Spekulation ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es diese Taten und Unterlassungen gegeben hat, dass Amad A. in deren Gefolge inhaftiert wurde und dass er nicht mehr am Leben ist.
Warum ich ViVA für mitverantwortlich halte
Was den Bereich der Spekulation allerdings weit hinter sich lässt, ist die Feststellung, dass ein polizeiliches Informationssystem wie ViVA niemals zwei Datensätze von Personen zusammenführen darf, wenn für beide Personen unterschiedliche D-Nummern vorliegen, das sind Ids von deren Handflächen- und Fingerabdrucksätzen. Dennoch ist es nach der offiziellen Lesart zu einer solchen Datensatzzusammenführung gekommen ist.
Die Verantwortung dafür trifft den Betreiber des Systems, das ist das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste und dessen übergeordnetes Ministerium, also das Innenministerium des Landes. Es ist nicht der einzige gravierende Fehler dieses Systems: Kritisch ist auch der Umgang mit den „Kreuztreffern“ zu sehen: Ein Anwender zeigte im Februar 2018 einen Fehler dieser Funktion an und teilte dabei mit, dass um ein Haar eine unschuldige Person festgenommen wurde und warnt, dass das Abfrageergebnis sehr irritierend sei und im Einzelfall zu unrechtmäßigen polizeilichen Maßnahmen führen könne. Dann sollte diese Funktion entweder zeitnah repariert werden oder zumindest stillgelegt werden. Im vorliegenden Fall informierte der Innenminister 14 Monate später in einer Fragestunde im Landtag darüber, dass diese Funktion noch immer genauso fehlerhaft existiert.
Ein solcher laxer Umgang von Betreibern und Beschaffungsentscheidern von polizeilichen Informations¬systemen mit Protokollen, Datensätzen und Fehlermeldungen entspricht nicht der notwendigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Umgang mit den Daten über andere Menschen. Besonders nicht in einem Zeitalter, in dem "Daten als Ware" von der Kanzlerin ausgegeben werden und mit "ID2020" und dem Registermodernisierungsgesetz daran gestrickt wird, in mehr als 200 behördlichen Datenbanken eine einheitliche Personenkennzeichnung zu verwenden.
Selbst wenn die Regierungsfraktionen nun jubeln sollte über die Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren: Sie wird sich in den nächsten Wochen hoffentlich von vielen Seiten fragen lassen müssen, was sie eigentlich unternimmt, um zu verhindern, dass ein vom Innenministerium eingesetztes, in dessen Auftrag mitentwickeltes und mit zweistelligem Millionenbetrag für die Weiterentwicklung und Pflege bezahltes Datensystem ViVA nicht für den Tod von weiteren Menschen mitursächlich wird.
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[A] Wie Manipulationen in INPOL den Syrer A.A. hinter Gitter brachten …, 04.04.2019https://police-it.net/wie-manipulationen-in-inpol-den-syrer-a-a-hinter-gitter-brachten
MONITOR berichtete am 04.04.2019 über einen Vorgang in der Polizei Nordrhein-Westfalen und Hamburg, den man bisher so nicht für möglich gehalten hätte ... [B] Wenn der Minister berichtet …, 11.04.2019
https://police-it.net/wenn-der-minister-berichtet
Innenminister Reul stellte sich am 10.04.2019 im Düsseldorfer Landtag einer Fragestunde zum Fall der Verfälschung von Namensangaben in INPOL, die den Syrer Amad A. dauerhaft hinter Gitter brachte. Dabei waren ihm zwei Dinge wichtig: Eine Datenmanipulation habe durchaus stattgefunden, aber eben nicht in NRW. Auch Fehler bei der Identitätsüberprüfung habe es gegeben. Aber gegen die beiden daran beteiligten Polizeibeamten habe er Disziplinarverfahren eingeleitet und ermittle die Staatsanwaltschaft. Das allein genügt allerdings nicht, um Polizei und Politik in NRW von ihrer Verantwortung zu befreien. [C] Probleme mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVA, 17.06.2020
https://police-it.net/probleme-mit-kreuztreffern-im-nrw-polizeisystem-viva
"Riesenprobleme" habe es gegeben mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVa. Das berichtete ein Zeuge im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Heureka! Die Software ist schuld. Ist diese Erklärung wirklich haltbar?! Ich halte sie für widerlegbar aus mehreren, triftigen Gründen . Auch wenn sie – vor der Sommerpause – den erklärten „politischen Interessen“ nützt, die gerade die CDU im Ausschuss so massiv betont. [D] Nur die Spitze des Eisbergs?, 17.09.2020
https://police-it.net/polizei_nordrhein-westfalen-auslaenderfeindlichkeit-amedamed
In der Polizei Nordrhein-Westfalen ist eine rechtsextreme Chatgruppe aufgeflogen. 29 Polizeibeamte sind mit straf- bzw. disziplinarrechtlichen Maßnahmen konfrontiert. Innenminister Reul kündigte mit markigen Worten Gegenmaßnahmen an. Im "PUA-Kleve"-Untersuchungsausschuss zur unrechtmäßigen Inhaftierung des Syrers Amad A., könnte die CDU-Mehrheit demonstrieren, dass diese Ankündigung der neue politische Wille in NRW sind – und endlich für Aufklärung sorgen. [E] Fall Amad A.: Manipulationen an Protokoll und Daten, 17.01.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-manipulationen-an-protokoll-und-daten
Manipulationen an einem beweisrelevanten Protokoll und die klammheimliche Korrektur von Daten schüren weitere Zweifel an der offiziellen Erklärung im Fall Amad A. [F] Fall Amad A.: Polizeidatenbank ViVA machte aus zwei NICHT identischen Menschen einen, 02.02.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-polizeidatenbank-viva-machte-aus-zwei-nicht-identischen-menschen-einen
Wenn erkennungsdienstlich von der Polizei behandelte Personen unterschiedliche Fingerabdrücke haben, darf es nicht zu einer Datensatzzusammenführung kommen. Weil dann vom Bundeskriminalamt nach einer daktyloskopischen Auswertung ihrer Finger-/Handflächenabdrucksätze bestätigt ist, dass diese Personen NICHT identisch sind. Amad A. und der datenmäßig mit ihm „zusammengeführte“ Amedy G. hatten definitiv unterschiedliche Abdrucksätze, d.h. unterschiedliche D-Nummern. Ein Vergleich dieser D-Nummern durch Software ist leicht möglich. Eine fachlich qualifizierte, mit den INPOL-Regeln konforme Software hätte den Unterschied erkennen müssen.
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