Fall Amad A.: Der geplante Gutachtenauftrag von CDU und FDP stellt die falschen Fragen

Der geplante Auftrag an den Gutachter, den CDU und FDP in der gestrigen Sitzung des Untersuchungs­aus­schusses im NRW-Landtag angeregt haben, wird drei wesentliche ungeklärte Sachverhalte im Fall Amad A. nicht klären können. Solange es bei den derzeit veröffentlichten falschen Fragen bleibt:

Ungeklärte Sachverhalte

Ungeklärt ist – erstens – wer wann den Datensatz des Syrers Amad A. vermischt hat mit Personendaten des Maliers Amedy G. Dafür gibt es bisher nur Annahmen bzw. Vermutungen, aber keine Beweise.

Ungeklärt ist – zweitens – wer im Zeitraum zwischen 4.7. und 9.7.2018 aus dem vorgelegten Protokoll der Bearbeitungen am Datensatz des Syrers an die hundert Protokolleinträge entfernt hat. So viele müssen bei dieser Datenvermischung entstanden sein.

Falsche Fragen an einen Gutachter

Diese Fragen sind nicht zu klären, wenn ein Gutachter „die ABFRAGEergebnisse in den Datenbanken der Polizei“ überprüft. Denn es geht nicht um ABFRAGEN, sondern um EINFÜGUNGEN im Datensatz.

Sie sind auch nicht zu beantworten durch die Untersuchung von „nachträglichen Manipulationen am Datenbestand“. Denn im Raum steht nicht die nachträgliche Manipulation der Daten im PRODUKTIVsystem. Sondern die Manipulation des vorgelegten PROTOKOLLS über die Bearbeitung dieser Daten.

Versehentlich“ sollen die Daten gelöscht worden sein, die eine Klärung ermöglichen würden

Es müsste also der Datensatz von Amad A. aus dem Produktivsystem untersucht werden. Der aber soll angeblich „versehentlich“ im Herbst 2020 im Produktivsystem gelöscht worden sein. Das dürfte aber kein Problem sein, denn sicher hat die Staatsanwaltschaft schon lange zuvor ein Backup davon sichergestellt.

Warum hat ViVA die Zusammenführung von Datensätzen von zwei NICHT IDENTISCHEN Personen überhaupt ermöglicht?

Ungeklärt ist – drittens – warum das System ViVA es ermöglicht hat, dass Datensätze von zwei eindeutig NICHT IDENTISCHEN Personen mit unterschiedlichen D-Nummern überhaupt zu EINEM Datensatz zusammengeführt werden konnten. [Dazu mehr in [G].

Hat das Innenministerium bzw. Landeskriminalamt als Verantwortlicher im Sinne des Datenschutzgesetzes für Nordrhein-Westfalen (DSG-NRW) die vorgeschriebene Datenschutz-Folgenabschätzung für diese Funktion durchgeführt? Wurde der Datenschutzbeauftragte des Landes vor Inbetriebnahme konsultiert? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja:

Warum wurde die Funktion ‚Datensatzzusammenführung‘ nicht so abgesichert, dass Datensätze von Personen mit unterschiedlichen D-Nummern nicht zusammengeführt werden können?

Kennen CDU und FDP die Sachverhalte oder wollen sie aus politischen Gründen ablenken?

Kennen CDU und FDP eigentlich die Sachverhalte und Hintergründe im Fall Amad A.?! Oder soll ihr Beweisantrag nur ablenken von dringend klärungsbedürftigen, aber durch die Staatsanwaltschaft noch immer nicht untersuchten Sachverhalten?

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[A]   Wie Manipulationen in INPOL den Syrer A.A. hinter Gitter brachten …, 04.04.2019
https://police-it.net/wie-manipulationen-in-inpol-den-syrer-a-a-hinter-gitter-brachten
MONITOR berichtete am 04.04.2019 über einen Vorgang in der Polizei Nordrhein-Westfalen und Hamburg, den man bisher so nicht für möglich gehalten hätte …

[B]   Wenn der Minister berichtet …, 11.04.2019
https://police-it.net/wenn-der-minister-berichtet

Innenminister Reul stellte sich am 10.04.2019 im Düsseldorfer Landtag einer Fragestunde zum Fall der Verfälschung von Namensangaben in INPOL, die den Syrer Amad A. dauerhaft hinter Gitter brachte. Dabei waren ihm zwei Dinge wichtig: Eine Datenmanipulation habe durchaus stattgefunden, aber eben nicht in NRW. Auch Fehler bei der Identitätsüberprüfung habe es gegeben. Aber gegen die beiden daran beteiligten Polizeibeamten habe er Disziplinarverfahren eingeleitet und ermittle die Staatsanwaltschaft. Das allein genügt allerdings nicht, um Polizei und Politik in NRW von ihrer Verantwortung zu befreien.

[C]   Probleme mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVA, 17.06.2020
https://police-it.net/probleme-mit-kreuztreffern-im-nrw-polizeisystem-viva
„Riesenprobleme“ habe es gegeben mit Kreuztreffern im NRW-Polizeisystem ViVa. Das berichtete ein Zeuge im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Heureka! Die Software ist schuld. Ist diese Erklärung wirklich haltbar?! Ich halte sie für widerlegbar aus mehreren, triftigen Gründen . Auch wenn sie – vor der Sommerpause – den erklärten „politischen Interessen“ nützt, die gerade die CDU im Ausschuss so massiv betont.

[D]   Nur die Spitze des Eisbergs?, 17.09.2020
https://police-it.net/polizei_nordrhein-westfalen-auslaenderfeindlichkeit-amedamed
In der Polizei Nordrhein-Westfalen ist eine rechtsextreme Chatgruppe aufgeflogen. 29 Polizeibeamte sind mit straf- bzw. disziplinarrechtlichen Maßnahmen konfrontiert. Innenminister Reul kündigte mit markigen Worten Gegenmaßnahmen an. Im „PUA-Kleve“-Untersuchungsausschuss zur unrechtmäßigen Inhaftierung des Syrers Amad A., könnte die CDU-Mehrheit demonstrieren, dass diese Ankündigung der neue politische Wille in NRW sind – und endlich für Aufklärung sorgen.

[E]   Fall Amad A.: Manipulationen an Protokoll und Daten, 17.01.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-manipulationen-an-protokoll-und-daten
Manipulationen an einem beweisrelevanten Protokoll und die klammheimliche Korrektur von Daten schüren weitere Zweifel an der offiziellen Erklärung im Fall Amad A.

[F]   Fall Amad A.: Polizeidatenbank ViVA machte aus zwei NICHT identischen Menschen einen, 02.02.2021
https://police-it.net/fall-amad-a-polizeidatenbank-viva-machte-aus-zwei-nicht-identischen-menschen-einen
Wenn erkennungsdienstlich von der Polizei behandelte Personen unterschiedliche Fingerabdrücke haben, darf es nicht zu einer Datensatzzusammenführung kommen. Weil dann vom Bundeskriminalamt nach einer daktylo­skopischen Auswertung ihrer Finger-/Handflächenabdrucksätze bestätigt ist, dass diese Personen NICHT identisch sind. Amad A. und der datenmäßig mit ihm „zusammengeführte“ Amedy G. hatten definitiv unterschiedliche Abdrucksätze, d.h. unterschiedliche D-Nummern. Ein Vergleich dieser D-Nummern durch Software ist leicht möglich. Eine fachlich qualifizierte, mit den INPOL-Regeln konforme Software hätte den Unterschied erkennen müssen.

[G]   Was unternimmt IM Reul, um zu verhindern, dass ViVA auch in Zukunft nicht identische Menschen zusammenführt?, 05.02.2021
https://police-it.net/was-unternimmt-im-reul-dagen-dass-viva-erneut-nicht-identische-menschen-zusammenfuehrt
Wieder einmal liegen Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft Kleve vor zu Ermittlungsverfahren gegen Polizei- und Justizbeamte im Fall des Syrers Amad A.: In seinem Fall wird häufig der Vergleich angestellt mit dem tragischen Tod des Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Abgesehen von der Gemeinsamkeit des Brandes in der Zelle sehe ich wenige, bewiesene Übereinstimmungen. Ganz im Gegenteil halte ich den Fall des Amad A., für weitaus gravierender, wenn man ihn als Prototypen für einen möglichen Modus Operandi, also eine Vorgehensweise durch Polizei- bzw. Justizbeamte gegenüber Menschen ansieht, die ihnen (zeitweise) anvertraut sind. Dieser Modus Operandi kann sich wiederholen! Denn es kam im Fall Amad A. zur Herstellung einer Datenlage im polizeilichen Informationssystem. Die es so aussehen ließ, als seien der Syrer Amad A. und der Malier Amedy G. ein- und dieselbe Person. Infolgedessen kam es zur Verhaftung und Einlieferung des Amad A. in die JVA. Zehn Wochen später war Amad A. nicht mehr am Leben. Dafür war ein krass regelwidriges Systemverhalten von ViVA mitverantwortlich.

[H]   Wenn Daten töten (1): Fall Amad A.: Die fatalen Folgen einer Schwarzfahrt, 28.02.2021
Teil 1 der Serie ‚Wenn Daten töten – Der Fall des Syrers Amad A.‘
https://police-it.net/wenn-daten-toeten-1-fall-amad-a-die-fatalen-folgen-einer-schwarzfahrt
Ohne die Schwarzfahrt am 04.07.2018 hätte sich das Leben von Amad A. anders entwickelt. Denn die polizeiliche Sachbearbeitung seiner erneuten „Beförderungserschleichung“ an diesem Tag legte den Grundstein für seine unrechtmäßige Festnahme zwei Tage später. Die führte drei Monate später zu seinem Tod.

[I]   Wenn Daten töten: Fall Amad A. (2): Festnahme mit Haftbefehl eines anderen, 02.03.2021
Teil 2 der Serie ‚Wenn Daten töten – Der Fall des Syrers Amad A.‘
https://police-it.net/wenn-daten-toeten-fall-amad-a-2-festnahme-mit-haftbefehl-eines-anderen
Am 06.07.2018 wurde der Syrer Amad A. von der Polizei in Geldern in Gewahrsam genommen. Der Vorfall, der dem zugrunde lag, hätte keinesfalls eine richterliche Freiheitsstrafe nach sich gezogen. Sechs Stunden später war Amad A. festgenommen und in die JVA Geldern eingeliefert. Auf der Grundlage eines Haftbefehls gegen einen völlig anderen Menschen namens Amedy G. Spätere Ermittlungen gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamten wurden eingestellt: Eine Kenntnis der fehlenden Identität von Amad A. und Amedy G. habe ihnen nicht nachgewiesen werden können …

[J]   Wenn Daten töten: Fall Amad A. (3): LKA und LZPD geben Rätsel auf, 08.03.2021
Teil 3 der Serie ‚Wenn Daten töten – Der Fall des Syrers Amad A.‘
https://police-it.net/wenn-daten-toeten-fall-amad-a-3-lka-und-lzpd-geben-raetsel-auf
Am Montag Morgen, dem 09.07.2018 lag die Mitteilung über die Inhaftierung von Amad A. beim LKA vor und wurde dort in ViVA übernommen. Dass der eindeutig identifizierte Amad A. in Haft saß auf der Grundlage von Haftbefehlen für einen Amedy G. wurde auch dort nicht bemerkt. Wo Daten nicht „passten“, wurden sie passend gemacht. Und endlich wurde auch die ED-Behandlung vom 04.07.2018 in ViVA abgeschlossen. Bei all dem kam es zu einer Reihe von bis heute ungelösten Rätseln …

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