Polizeilicher Informationsaustausch und der Anschlag von Magdeburg

Erneut ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt. Erneut hatten die Sicherheitsbehörden ZUVOR ausreichende Hinweise auf die Gewaltbereitschaft des Täters. Erneut wurden vorhandene Informationen nicht als relevant erkannt. Erneut kamen Menschen ums Leben und wurden zahlreiche verletzt. Und danach? Kam – wie zu erwarten – wieder der Ruf nach besserem Informationsaustausch unter den Polizeibehörden.

Genug Anlass also, sich den aktuellen Status anzusehen mit besonderem Fokus auf den Prioritäten, die in der „digitalen Transformation“ der polizeilichen IT tatsächlich verfolgt werden.

Polizeilicher Informationsaustausch – kurzer Abriß eines Vierteljahrhunderts

INPOL-Neu / INPOL-Neu-Neu / Polas

Nun ist es ja nicht so, dass „die Polizei“ und insbesondere die für innere Sicherheit (d.h. öffentliche Sicherheit und Ordnung) zuständige Behörde, nämlich das Bundesministerium des Innern, nicht um diese Kardinalanforderung wüsste. Schließlich müht man sich seit einem Vierteljahrhundert damit ab, auf diesem Gebiet Fortschritte zu erzielen. An Stichworten dazu seien erwähnt: INPOL-Neu, INPOL-Neu-Neu / POLAS – beide Entwicklungen wurden nicht wie ursprünglich geplant bzw. versprochen  zu  Ende geführt: Die für solchen Informationsaustausch, wie den für Magdeburg relevanten, früher so genannten kriminalpolizeilichen Meldedienste (KPMD) blieben bis heute weitgehend auf dem technischen Status der nuller Jahre.

INPOL-Fall

Der nennt sich „INPOL-Fall“. Schon 2007 hat mich der Projektverantwortliche im BKA beschieden, dass man „keinen Euro“ mehr in die Hand nehmen werde für die Weiterentwicklung dieses Systems. Dennoch ist es – sträflich vernachlässigt – noch heute für bestimmte Insellösungen im Betrieb, weil funktionsfähige Optionen (noch?) nicht existieren.

Der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund – PIAV

Der nächste große Wurf, der Polizeiliche Informations- und Analyseverbund (PIAV), gestartet ca 2007 und ohne das versprochene Ergebnis nahezu abgebrochen nach Protest der Länderinnenminister neun Jahre später – krepelt seitdem vor sich hin. Zuverlässig sind nur die jährlichen Wasserstandsmeldungen, die besagen, dass die jeweils nächste (von den insgesamt sieben) angekündigten Ausbaustufen, erneut verschoben wird.

Die Anfänge des Projekts Polizei 2020

Abgelöst wurde der PIAV dann seit 2017 schleichend durch das Projekt Polizei 2020. Bis zum Ende des Kalenderjahres 2020 war auch dort nichts vorzuzeigen, jedenfalls nichts, was den Begriff „funktionsfähiger Informationsaustausch“ gerechtfertigt hätte. Man war – vor allem auf der Bundesebene – beschäftigt mit der Entwicklung komplexer Projektstrukturen, deren Fäden oben im BMI zusammenlaufen.

Und das ist ja auch seit Jahren ein Ziel des Bundes: Polizeiarbeit, bzw. polizeiliche Daten weitgehend unter die Kontrolle des Bundes zu kriegen, obwohl der Löwenanteil dieser Daten in den Länderpolizeibehörden entsteht. Denn Polizeiarbeit ist (bis auf wenige Spezialaufgaben) nun einmal Ländersache.

P20 wird zum Leuchtturmprojekt und benötigt ein „Datenhaus“

Der Begriff  „2020“ brachte im gleichnamigen Jahr selbst einen nur marginal mit dem Thema vertrauten Journalisten auf die Frage, ob denn schon etwas funktionieren würde im groß angekündigten Leuchtturmprojekt. Das tat es nicht, also verstieg man sich zu der müden Erklärung, es ginge dabei um „mehr als 20 Projekte, daher der Name“:

Gemeint waren polizeiliche IT-Systeme für spezifische Aufgaben, die unter einem Dach zu fusionieren seien. Von Informationsaustausch war ab da kaum noch die Rede. Dafür griff die Bauwut um sich. [Möglicherweise lernte man auch an den Bauprojekten mit Beteiligung des Bundes, wie BER oder Neubauten für Ministerien und Kanzleramt. Die ja eindrucksvolle Vorlagen liefern, wie lange sich ein solches Projekt hinziehen lässt und wie wohltuend für Projektbeteiligte sich ursprüngliche Kostenansätze aufblähen lassen.]

Und da man für ein gemeinsames Dach für die immer mehr werdenden Teilprojekte auch Fundamente und ein Haus drunter braucht, wurde das „Datenhaus“ im BKA ersonnen, in dem alle die zu teilenden Daten zukünftig einziehen sollten. „Zukünftig“ ist zu betonen, denn an der Architektur dieses Hauses wird nach wie vor noch gewerkelt.

Je komplexer, desto besser …

Wie das so ist bei Bauprojekten wuchsen die Begehrlichkeiten weitaus schneller als die Fundamente und Mauern. Und so kam es dann, dass von der recht simplen Forderung nach „Informationsaustausch“ zwischen Polizeibehörden aller Länder und mit denen des Bundes – von der nach wie vor nur alte Relikte vorhanden sind – die auch aus anderen Projekten bekannte Forderung von der Leine gelassen wurde, dass man doch, wenn schon neu gebaut wird, dann auch zukunftssicher und auf Zuwachs bauen sollte:

Also wurden die Anforderungen erweitert: Im Datenhaus einziehen sollte nun auch die Verwaltung für kriminaltechnische Spuren – im Fachdeutsch „Asservatenmanagement“ genannt. Schließlich entspricht es deutscher Gründlichkeit und kriminalistischem Handwerk, dass man sämtliche Spuren eines Ereignisortes nach einer Tat akribisch einsammeln, dokumentieren, analysieren und archivieren kann. Ordnung muss sein! Vielleicht kriegt ein Geschädigter dann auch Jahre später seinen seinerzeit verloren gegangenen Geldbeutel wieder!

Anderen findigen Interessenten fiel auf, dass doch das Gros aller polizeilich relevanten Daten in den Vorgangsbearbeitungssystemen ersterfassst wird, von denen es 19 gibt: Jeweils eines für jede der sechzehn Polizeibehörden der Länder und die drei des Bundes (BKA, BPol, ZKA). Die Länder sind zuständig für die Beschaffung und Pflege dieser Systeme. [Kompatibel sind die wenigsten miteinander …] Also musste das Gesamtprojekt P20 nun auch noch Vorgangsbearbeitung können, was ggf. ein smarter Move einiger Länder war, mit dieser Idee den Bund auch an den Kosten für die Vorgangsbearbeitungssysteme zu beteiligen. Das war erfolgreich: Allein für die Interimsentwicklung des Nachfolgers eines methusalemischen Vorgangsbearbeitungssystems wurde dafür im vergangenen Jahr ein Rahmenvertrag von 168 Mio Euro vergeben. *)

Wie Ministerien und ihre Polizeibehörden zu ganz viel IT-Fachkräften kommen

Bekanntlich verfügen weder die Länderpolizeibehörden – auch dank der Schuldenbremse – und auch die des Bundes nicht über große, eigene IT-Entwicklungsabteilungen. IT-Entwicklung ist, genau genommen, auch nicht deren originäre Aufgaben und das Risiko und den Gewinn solcher Entwicklungen überließ man in längst vergangenen Zeiten einmal dem damals noch existierenden „freien Markt“.

Heutzutage will ein behördlicher Auftraggeber in diesem Bereich und insbesondere das BKA und BMI bestimmen können, was da getan wird. Also wurde es Usus, dass der Bund die Spendierhosen anzog und dreistellig dotierte Rahmenverträge vergab. So vergab zum Beispiel das BMI einen mehrjährigen Rahmenvertrag über anfangs 138 Millionen mit Erweiterungsoption auf mehr als rund 207 Millionen Euro an Accenture für die Umsetzung der digitalen Transformation Polizei20/20“.

Ein nötiger Hinweis auf die vordergründige Taktik und hintergründige Motive des BMI

Nur am Rande seit darauf hingewiesen, dass dem BMI – ungeachtet der Parteizugehörigkeit der Person, die gerade im Ministerbüro residiert –  Anerkennung gebührt, für seine über lange Jahre angewandte Taktik: Mit Geld zu winken da die Länder selbst sich große Investitionen gar nicht mehr leisten können. Das liegt an der vom seinerzeitigen Bundesinnen- bzw. auch mal -finanzminister Schäuble  durchgesetzten Schuldenbremse.

Für den Zahlmeister macht es taktisch durchaus Sinn, wenn der Bund einen erheblichen Teil der Aufwendungen übernimmt. Zumal dabei teilweise mit „Daten“ zu bezahlen ist – Daten von uns allen nämlich, die in den Länderpolizeibehörden anfallen und doch irgendwann einmal beim Bundes-Datenhaus landen könnten, ist einerseits vermittelbar: Heißt es nicht: „Wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen, hat doch auch nichts zu verbergen“, gelle?! Und andererseits liefern doch wir Bürger freiwillig und in großem Umfang unsere Daten an „die sozialen Medien“. Also ist es doch quasi ehrenhaft und Bürgerpflicht, der Polizei auch unsere Daten zur Verfügung zu stellen, wenn’s denn der Inneren Sicherheit nützt. So jedenfalls wird argumentiert in den entsprechenden Kreisen.

Das BMI als Mastermind der digitalen Transformation der polizeilichen IT

Wo politisches Interesse in diesem Maße vorhanden ist UND die „digitale Transformation der polizeilichen IT“ weitgehend bezahlt wird vom Bund, muss natürlich auch die Steuerung und Kontrolle dieses Megaprojekts ihren Sitz haben. Aus diesem Grund – wir sprachen es schon oben an – laufen die Fäden der „digitalen Transformation“ der Polizei, bei einer eigenen Projektgruppe im Bundesministerium des Innern zusammen.

Da wäre, quasi als der politische Kopf, der Abteilungsleiter Öffentliche Sicherheit, der gleichzeitig auch allen Projektgremien mit Abgesandten aus den Ländern vorsteht. Da sich aber dieser Dr. Klos nicht ausschließlich um dieses Thema kümmern kann, gibt es im BMI noch einen Gesamtprogrammleiter P20, einen gewissen Holger Gadorosi. Bei beiden handelt es sich um „alte Hasen“ in ihrem Metier, d.h. die beiden namentlich genannten zum Beispiel sind schon mehr als zwanzig Jahre in vergleichbarer Funktion im BMI dabei.

Die Projekt-Karriereleiter des Holger Gadorosi

Projektverantwortlicher für INPOL-Neu-Neu

Gadorosi, ein selbstständiger Einzelunternehmer aus einem Vorort von München, fiel erstmals namentlich auf als Verantwortlicher für die Schaffung von INPOL-Neu-Neu nach dem Scheitern des ursprünglichen INPOL-Neu. Das war Anfang der nuller Jahre, so 2002/2003. INPOL-Neu-Neu stammte aus der Polizei Hamburg, hieß dort POLAS und wurde, nachdem das teuer entwickelte und nicht funktionierende ursprüngliche INPOL-Neu gescheitert war, vom Bund übernommen und zum heute so genannten INPOL-Neu gemacht. Das lässt sich durchaus als Erfolg des Projektleiters bezeichnen, auch wenn die ursprünglichen Ziele von INPOL, wie sie bis zur Jahrtausendwende zwischen Bund und Ländern vereinbart worden waren, nie erreicht wurden. Insbesondere nicht die Modernisierung der für den Informationsaustausch so wichtigen kriminalpolizeilichen Meldedienste.

Co-Gesamtverantwortlicher für „Netze des Bundes“

Nach seiner Zeit bei INPOL wurde Gadorosi tätig für das Projekt „Netze des Bundes“, wo er Co-Gesamtverantwortlicher war für die Projektleitung im Auftrag des BMI. Der Bundesrechnungshof allerdings sah, z.B. in seinem ‚Bemerkungen 2017‘ dieses Projekt und sein Management sehr kritisch; die entsprechenden Äußerungen eignen sich daher eher nicht als Erfolgsstory für die Rubrik Projektmanagement in Gadorosi’s CV.

Im freihändig vergebenen Gadorosi-Rahmenvertrag ist auch noch Mr. eFBS verpackt

Das hinderte allerdings die unbekannten Entscheider im BMI nicht, die Einzelfirma „Holger Gadorosi Consulting“ im April 2020 zu beauftragen mit der „Übernahme der Gesamtprogrammleitung sowie der fachlichen Leitung innerhalb des Programmes Polizei 2020 im BKA“. Der Vertrag hatte ein Volumen (vor Umsatzsteuer) von 3,7 Mio Euro und eine Laufzeit bis zum 31.12.2024.

Im Widerspruch zu den Vorgaben des EU-weiten Vergaberechts wurde der Auftrag „freihändig“ vergeben. Denn die Leistungen „können aus folgenden Gründen nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden“, hieß es in der Auftragsbekanntmachung.

Erst auf Nachfrage von POLICE-IT beim Beschaffungsamt des BMI erfuhren wir,  dass es doch andere als die behaupteten „technischen Gründe“ waren:  Vielmehr  „[beinhaltet] „die Vergabe zwei Teilleistungen, die als „zwei Rollen durch die [Einzel-]Firma Holger Gadorosi Consulting wahrgenommen“ werden. „Zur Wahrnehmung beider Teilleistungen bedient sich die Firma Holger Gadorosi Consulting eines Unterauftragsverhältnisses„.

Es war dies das erste Mal, dasss das Konstrukt des trojanischen Pferdes auftauchte in den Vergabeusancen des BMI für solche Projekte. Und sollte nicht das letzte Mal bleiben.

Nachdem wir für eine Anfrage nach dem Informations-Freiheitsgesetz die Höchstgebühr von 500 Euro berappt hatten, was für die notwendige Selektion und Schwärzung des angeblich so umfangreichen Vertragskonvoluts notwendig war, ließ sich aus den erhaltenen paar Seiten – trotz vieler schwarzer Stellen – mit dem noch vorhandenen Marktkenntnissen die Vermutung ableiten, wer der Begünstigte wohl ist: Wir tippen auf Gerald E., der Anfang der nuller Jahre bei der Bayerischen Polizei einen Ruf erwarb als „Mr. eASY“, weil er als Beamter maßgeblich an der Entwicklung des Fallbearbeitungssystems RS-Case (in Bayern bis heute eASY) der FIrma Rola Security Solutions beteiligt war und sich als BDK-Mitglied durch großen Eifer beim Marketing und Vertrieb dieses Systems in anderen Bundesländern hervorgetan hatte. Mr. eASY wurde also durch die Transformation im Bauch des trojanischen Pferdes zum Mr. eFBS und ist seitdem bei P20 offensichtlich zuständig für die fachliche Programmleitung des inzwischen so genannten, ‚einheitlichen Fallbearbeitungssystems‘ (= eFBS).

Transparenz über weitere Vergabeverfahren seit 2021: Fehlanzeige!

Überschwemmt von relevanten Vergabebekanntmachungen wurde die interessierte Öffentlichkeit nicht gerade seit Anfang 2022. Ob dies veranlasst war von der SPD-Ministerin oder den Interessen des Abteilungsleiters für Öffentliche Sicherheit und obersten P20-Projektentscheiders, Dr. Klos, entsprang, ist nicht von außen zu beurteilen.

Gadorosi als Auftraggeber-Vertreter bei großen Vergabeprojekten

Lediglich in zwei weiteren relevanten Vergabeveröffentlichungen des BMI fand sich „Gadorosi Consulting“ seitdem und zwar auf der Auftraggeberseite beteiligt:

  • So in einer Auftragsbekanntmachung vom Juni 2021 für das „einheitliche Asservatenmangementsystem“ eAMS), über dessen tatsächliche Vergabe trotz mehrfacher Presseanfragen von Police-IT das BMI Stillschweigen bewahrt. (siehe https://police-it.net/einheitliches-asservatenmanagementsystem-eams-aktueller-stillstand-fragliche-zukunft)
  • Und in einer weiteren Auftragsbekanntmachung vom 9.12.2021 über die „elektronische Akte in Strafsachen (P2020)“, wo Gadorosi Consuting erneut mitverantwortlich zeichnet für die Erstellung der Vergabeunterlagen. Auch zu diesem Auftrag fanden wir keine Vergabekanntmachung.

Rahmenvertrag für die „digitale Transformation“ an Accenture

Im Mai 2022 berichtete dann der Behördenspiegel aufgrund „eigener Informationen“, dass das Projekt P20 unter dem P20-Gesamtprogrammleiter Gadorosi nun personell enorm ertüchtigt worden sei: Accenture, das größte IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen in der BRD mit amerikanischer Muttergesellschaft, soll demnach einen Rahmenvertrag über fast zehn Jahre und einem Auftragsvolumen zwischen 138 und 207 Millionen vom BMI erhalten haben. Auch hierzu fand ich keine Vergabebekanntmachung.

Veröffentlicht war seinerzeit  lediglich die Wettbewerbsbekanntmachung für eine mehrjährige „Rahmenvereinbarung zur Umsetzung der digitalen Transformation Polizei20/20“.  Ihr zufolge sollen zentrale Konzeptions-, Planungs- und Steuerungsaufgaben im Programm Polizei 2020, insbesondere für das zu etablierende zentrale Datenhaus der Polizeien erbracht werden, wofür das BMI als Bedarfsträger fungiert; Aufgaben also, die sich direkt überschneiden mit denen des Gesamtprogrammleiters Gadorosi und seines trojanischen Unterauftragnehmers, Mr. eFBS.

Wo ist die Rechtsgrundlage für das BKA als Auftragsdatenverarbeiter für die Polizeien der Länder?!

Es läuft also diese Errichtung des „Zentralen Datenhauses“ im BKA darauf hinaus, dass das BKA zu einer Art „Auftragsdatenverarbeiter“ werden soll für die Polizeibehörden der Länder. Denn dort sollen in Zukunft auch Daten gespeichert werden, die nicht BKA- bzw. verbundrelevant sind, insbesondere die Daten aus der polizeilichen Vorgangsbearbeitung (Ordnungswidrigkeiten, Strafanzeigen, alles, was nach Polizeirecht der jeweiligen Länderpolizeibehörde obliegt).

Es wäre mir neu, dass das Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKAG) diese Aufgabe für das BKA gesetzlich vorsieht. Doch vielleicht ist ja gerade das auch ein Grund für die auffällige Geheimniskrämerei über alle Aufträge im Zusammenhang mit der „digitalen Transformation der Polizei“.

Der nächste mehrjährige trojanischeRahmenvertrag für Gadorosi und Mr. eFBS

Kurz vor Weihnachten, am 19.12.2024, wurde der nächste Mehrjahresvertrag für Gadorosi und seinen trojanischen Fachprogrammleiter (Mr. eFBS) veröffentlicht: Die beiden können weiterhin beruhigt schlafen mit einer Vertragsausstattung über (aktuell) 3.456 Mio Euro (vor Umsatzsteuer) und einer Laufzeit von 48 Monaten bei zweimaliger Verlängerungsoption um jeweils 12 Monate.

Bei der alten Auftragsbeschreibung aus dem Grundvertrag von 2020 ist es geblieben: „Gesamtprogrammleitung und fachliche Leitung des Programms P20“. Geblieben ist auch die Begründung für die freihändige Vergabe: „Der Auftrag kann nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden, da aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist.“ Diesmal jedoch erweitert um eine „Sonstige Begründung: Aufgrund der Projekterfordernisse und der hierzu passenden spezifischen Expertise des Auftragnehmers kann auch im Zusammenhang mit den Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten der Bundesverwaltung festgestellt werden, dass kein anderes Unternehmen die Fähigkeiten aufweist, welche für die Leistungserbringung erforderlich sind.“

Ich überlasse es getrost dem Leser selbst auszulegen, was wohl gemeint ist mit „Projekterfordernisse“ und „hierzu passender spezifischer Expertise des Auftragnehmers“.

Vorkehrung gegen das Ausfallrisiko?! – Fehlanzeige!

Bemerkenswert ist auch das damit verbundene Risiko für das Projekt P2020, zumindest eines, das hier erwähnt werden sollte: Wenn Herr Gadorosi und Mr. eFBS – übrigens beide nicht mehr die Jüngsten – so spezifische Expertise und Fähigkeiten für dieses Projekt aufweisen, was geschieht dann eigentlich, wenn einem der beiden Herren, z.B. bei ihren häufigen Reisen zwischen Heimat in Oberbayern und Dienstort etwas zustößt? Wie geht es weiter mit der „digitalen Transformation“ der deutschen Polizei, wenn dieser offensichtlich unverzichtbare und wettbewerbslose Träger von Expertise und Fähigkeiten ausfallen sollte?! Was ja in seinem Alter passieren kann.

Fragen über Fragen also.

Der Anschlag von Magdeburg und die Praxis des polizeilichen Informationsaustauschs

Einen Tag nach Veröffentlichung dieser Vertragsverlängerung, am 20.12.2024, stellten sich tausende von Bürgern dieses Landes ganz andere Fragen: Denn erneut hatte es einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Deutschland gegeben, der (nach heutigem Stand) sechs Menschenleben gekostet und bei dem eine immer noch steigende Zahl an Menschen verletzt wurde.

Der Name und die vollständige Personalie des Täters war auch der Polizei bekannt. Er hatte ein Asylaufnahmeverfahren durchlaufen und war selbst beschäftigt als Facharzt im Maßregelvollzug einer JVA. Nicht nur sein Herkunftsland Saudi-Arabien soll die Behörden in Deutschland vor ihm gewarnt  haben, auch mehrere Personen haben entsprechende Mitteilungen bei der Polizei gemacht. In diversen Einlassungen in den sozialen Medien soll er an seiner Gewaltbereitschaft keinen Zweifel gelassen haben. Selbst die Bundesinnenministerin soll er mit einer Nachricht bedacht haben.

Was braucht Polizei eigentlich noch, um zusammengehörende Informationen als solche zu erkennen??

Hier wäre die Gelegenheit gewesen, weitgehend übereinstimmende Hinweise zu einer bekannten Person aus verschiedenen Behörden und Datenbanken (INPOL, Ausländerzentralregister, …) zusammenzuführen. Allein die Menge unterschiedlicher Hinweise auf ein- und dieselbe Person hätte zu einer ausführlichen Überprüfung führen müssen. Staatsschutzabteilungen gibt es in jedem LKA! Entsprechende gemeinsame Datenbanken für den Informationsaustausch (PMK-…) existieren ebenfalls, wenn auch auf“Altsystemen“ und werden genutzt.

Noch existiert z.B. ein funktionierendes IT-System für die Hinweisaufnahme

Doch nichts davon ist geschehen. Selbst wenn nicht der Staatsschutz involviert gewesen wäre: Eine entsprechende Datenbank zur Zusammenführung solcher Hinweise war schon zu Zeiten der Fußball-WM 2006 funktionsfähig in Betrieb; sie wurde seitdem allerdings sträflich vernachlässigt. Die Systemsoftware, INPOL-Fall, auf deren Plattform dieses Hinweis-System arbeitet – wird auch heute noch beim BKA eingesetzt, auch das also kein „technischer“ Grund, nichts zu tun. Hapern dürfte es, wie in den meisten Fällen dieser Art, an den Schnittstellen zwischen den Landespolizeisystemen als Datenquelle und dem Zentralsystem beim BKA, denn die Länder warten mehr oder minder auf den „großen Wurf“, d.h. die Inbetriebnahme des Datenhauses beim BKA. Doch gibt es ja auch noch zahlreiche andere Beispiele, wo verbundpflichtige Informationen im Ländersystem EINGETIPPT werden müssen, damit sie dem Verbundsystem beim BKA übermittelt werden können (, was keine spezifische Schnittstelle zwischen Landes- und BKA-System erfordert.)

Offenbar verdrängen Prioritäten für die „digitale Transformation“ existenziell wichtige Funktionen für den Informationsaustausch

An einem relativ simpen Informationsaustausch über hochgradig gewaltbereite Personen  wird in Polizei2020 offenbar nicht mit entsprechendem Nachdruck gearbeitet. Die PIAV-Ausbaustufe für den Staatsschutz wird seit Jahren verschoben. Die Toten und Verletzten beim jüngsten Anschlag in Magdeburg sind insofern „entstanden“ als „Kollateralschaden“, der offenbar ausgesessen werden soll, bis – endlich, vielleicht, irgendwann einmal – das hochgerühmte Datenhaus beim BKA benutzbar ist UND von den Ländern auch beliefert werden kann.

Statt klare Prioritäten für einen funktionierenden Informationsaustausch über Personen zu setzen, behilft man sich seitens der für die „Innere Sicherheit“ verantwortlichen Politiker mit Beruhigungspillen. Die – das weiß man ja aus Erfahrung – schnell wieder vergessen sind.

Sind die angeblich wettbewerbslosen Fähigkeiten des Gesamtprogrammleiters wirklich die richtigen Kriterien für den seit einem Vierteljahrhundert überfälligen polizeilichen Informationsaustausch??

Man priorisiert seit fast einem Vierteljahrhundert den Einsatz eines Fachmanns, dessen einzigartiger Vorteil (USP) laut Vergabebekanntmachung besteht in „passender, spezifischer Expertise des Auftragnehmers“  (sic!) auch „im Zusammenhang mit den Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten der Bundesverwaltung“ – von denen allerdings kein einziges wirklich erfolgreich war!

Von einer gesonderten Erfolgkontrolle seines Wirkens in seiner inzwischen mehrjährigen Funktion bei P20 ist weit und breit nichts zu sehen. Kritische Anmerkungen zu seiner Co-Gesantprojektleitung in seinem vorletzten Projekt „Netze des Bundes“ durch den Bundesrechnungshof wurden geflissentlich übergangen und bei der zweimaligen erneuten Auftragsvergabe ignoriert.

Deutlicher kann man doch gar nicht ausdrücken, dass es diese Fähigkeiten gerade NICHT die sind, die die Bevölkerung dringend erwartet und zu Recht fordert: Dass nämlich Polizei und Sicherheitsbehörden endlich – und rechtzeitig genug – erkennen, was sie an Informationen haben und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Bevor erneut Menschen zu Tode kommen und sich das Leben vieler aufgrund von Traumatisierung und Verletzung entscheidend verschlechtert.

Die digital transformierte Edelverwaltung von Asservaten NACH einem Anschlag oder die Modernisierung eines altbackenen, in einigen Bundesländern eingesetzten Vorgangsbearbeitungssystems mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe könnte dagegen sicher noch eine Weile länger warten.

*) Ergänzung am 7.1.24, 13.20: Formeller Auftraggeber dieses „“Rahmenvertrags Digitale Transformation“ ist das Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei Baden-Württemberg. Das Projekt will u.a. (neben der Modernisierung des Vorgangsbearbeitungssystems) „einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit in Baden-Württemberg leisten und Impulse geben für das Bundesprogramm P20, dem Programm für die Harmonisierung und Modernisierung der polizeilichen IT-Architektur in Bund und Ländern.“ Abrufberechtigt für Ergebnisse aus dem Projekt sind Polizeibehörden der IGVP-Kooperationsländer). (Zitat aus der Änderungsbekanntmachung vom 15.07.2024, OJ S 136/2024).

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